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Die Geräusche, die aus Mas Schlafzimmer kamen, hörten sich so an, als ob jemand einen Asthmaanfall hatte.

Ich wusste, dass ich noch ein bisschen länger ungestört im Wohnzimmer rumschnüffeln konnte. Dazu hatte ich nicht oft Gelegenheit. Ich klappte das Album zu und fing an, den Rest des Bücherstapels nach Briefen zu durchsuchen.

Bei Ma musste man nämlich auf alles gefasst sein. Sie war imstande, Briefe ungeöffnet wegzuwerfen, wenn sie Angst hatte, es könnten Rechnungen oder Vorladungen sein.

»Nichts wie Scherereien«, sagte sie dann. »Scherereien mit einer Briefmarke auf dem Umschlag.«

Manchmal, wenn sie wieder ein paar Schnäpse zu viel gekippt hat, befördert sie einfach alles, was durch die Tür kommt, mit einem Fußtritt in die Ecke. Sie könnte eine halbe Million im Toto gewonnen haben oder am nächsten Tag wegen Sozialhilfebetrug vor Gericht müssen. Sie würde es nie erfahren.

Ich musste mit einer Sozialarbeiterin auf die Beerdigung von meiner Oma. Dafür haben sie mich extra rausgelassen.

Ma war nicht da. Sie sagte, es wäre ihr zu sehr an die Nieren gegangen, aber wenn du mich fragst, hatte sie einfach einen im Kahn.

Ich ging hin, weil ich dachte, Simone wäre da. Und – jetzt hältst du mich bestimmt für eine richtige Kuh – ich war Oma richtig dankbar dafür, dass ich ihretwegen aus dem Jugendheim rauskonnte und Simone sehen durfte.

Aber Simone war auch nicht da.

Das war die große Frage, die sich mir hinterher gestellt hat: Warum nicht? Warum war Simone nicht gekommen?

Ma wusste es nicht. Sie war stinksauer auf mich, weil ich sie deswegen andauernd gelöchert habe.

Monate später, als ich meine Strafe abgesessen hatte und wieder zu Hause war, fand ich einen Brief. Er war von Simones Sozialarbeiterin, und sie hatte geschrieben, sie wäre nach eingehenden Gesprächen und Beratungen mit Simones neuer Familie zu dem Schluss gekommen, dass es nicht im Interesse des Kindes wäre, es einer solchen emotionalen Belastung auszusetzen.

Mit anderen Worten, sie hatten es ihr verboten.

Hätte Ma mir das gesagt, hätte ich mir nicht monatelang Gedanken und Sorgen machen brauchen.

Aber Ma hatte den Brief noch nicht mal aufgemacht.

Verstehst du jetzt, was ich meine?

»Nicht im Interesse des Kindes« – tolle Phrase, was? Als Kinder hatten wir einen Witz. Der ging so. Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem Sozialarbeiter und einem Pitbullterrier? Antwort: Der Pitbullterrier rückt das Kind wieder raus.

Ich musste aufhören, an die alten Zeiten zu denken. Ich hatte schon einen Kloß im Hals.

Aber bei dem Gedanken an Sozialarbeiter kam ich auf eine Idee.

Es war Jahre her, seit ich das letzte Mal Simones Pflegeeltern besucht hatte. Vielleicht konnte ich die Adresse rauskriegen und ihnen einen Besuch abstatten. Freuen würden sie sich nicht darüber. Beim letzten Mal hatte es ihnen auch nicht gefallen, aber damals war ich noch ein Kind gewesen. Damals wusste ich noch nichts von Selbstdisziplin und einer relaxten mentalen Einstellung.

Das asthmatische Gekeuche aus Mas Schlafzimmer ebbte ab. Als es ganz still wurde, stand ich auf und ging zur Tür.

Dann sagte eine laute Stimme: »Wo zum Henker ist meine Brieftasche?«

Ich hätte früher wieder gehen sollen.

Ma sagte was, was ich nicht verstehen konnte.

Dann sagte er: »Her damit, du Schlampe!«

Und damit fing der Ärger an.

Ma kam ins Wohnzimmer gestürmt, die Haare hingen ihr ins Gesicht, sie hatte nichts an. Sie verkroch sich hinter dem Sofa.

Als er hinter ihr herkam, zog er sich noch den Reißverschluss an der Hose hoch. Er hatte kein Hemd an, und seine Tätowierungen waren nicht zu übersehen.

Ma sagte: »Du musst sie im Club vergessen haben, du musst sie im Club verloren haben, du musst …«

Aber so blöd war er denn doch nicht. Er sagte: »Ich habe nirgendwo was verloren. Rück sie raus, du Schlampe.«

»Dann muss sie im Auto sein. Im Treppenhaus …«

»Schnauze!«

»Ich helf dir suchen …«

Er langte über das Sofa, packte ihr Handgelenk und drehte es gemein herum.

»Du Mistkerl!«, kreischte Ma.

»Du diebisches Flittchen!«, sagte er und ballte die Faust.

Daraufhin krallte ich mich mit der einen Hand in seine Haare, mit der anderen in seinen Hosenboden. Ich stellte mich hin, als wäre ich im Ring, riss ihn um und hob ihn gleichzeitig hoch.

Er flog im hohen Bogen bis zur Tür, wo er auf dem Hintern landete.

Ma wurde über die Rückenlehne mitgerissen und fiel in die Polster. Das Sofa kippte um.

Sie musste die Brieftasche des Mistkerls wohl unter ein Polster gestopft haben. Kaum lag das Sofa nämlich auf der Seite und die Polster waren überall auf dem Boden verstreut, konnte ich sie deutlich sehen.

Ma sah sie auch, sie hörte nämlich auf zu kreischen und setzte sich drauf.

Ich fühlte mich großartig.

Der Gipskopf auf dem Boden sagte: »Wer bist du denn?«

»Abmarsch, Mister.«

Er wollte aufstehen, aber ich trat ihm den Arm weg, und er kippte wieder um.

Er wollte nicht kämpfen. Schade eigentlich, weil ich wirklich in Stimmung war. Er rutschte irgendwie auf dem Hosenboden aus dem Zimmer. Im Korridor rappelte er sich hoch und schoss wie ein Windhund aus der Startbox zur Wohnungstür raus.

Ich ging ins Schlafzimmer, sammelte seine restlichen Klamotten ein und brachte sie ihm nach draußen.

Er stand fröstelnd in dem zugigen Treppenhaus. Tätowierungen halten nicht besonders gut warm.

Er sagte: »Die hat meine Brieftasche geklaut.«

»Du hast ja gehört, was sie gesagt hat«, meinte ich. »Du musst sie verloren haben. Und jetzt zieh Leine, sonst gehe ich noch nach unten und spring dir auf die Karre.«

Wenn du einen Mann kleinkriegen willst, brauchst du bloß seinen Wagen bedrohen. Er nahm seine Klamotten und ging.

Als ich wieder reinkam, hockte Ma immer noch auf dem Fußboden. Irgendwo hatte sie eine Flasche aufgetrieben, die sie sich nun hinter die Binde goss.

Sie sagte: »Er hat mir wehgetan. Er hat mir den Arm verrenkt.« Ein Geplärre wie von einem Kleinkind.

Ich sagte: »Zieh dir was über.«

Ich war richtig gut drauf, aber ich konnte es nicht leiden, dass Ma nichts anhatte. Sie sah so schwach und jämmerlich aus.

»Zieh dich an«, wiederholte ich.

»Mein Arm tut weh«, sagte sie, an der Flasche nuckelnd. »Ich glaube, ich muss zum Arzt.« Sie blieb einfach sitzen.

Mir reichte es. Ich war schon draußen und hatte die Tür hinter mir zugeknallt, da fiel mir Simones alte Adresse wieder ein. Ich klopfte und wartete. Ich klopfte noch mal.

»Ja?«, schrie Ma hinter der Tür.

»Die Familie«, schrie ich zurück. »Simones Pflegeeltern. Wo wohnen die?«

»Du bist eine Nervensäge«, sagte sie durch den Briefkastenschlitz. »Weißt du das? Du bist eine richtige Nervensäge.«

Ich wartete. Irgendwie dachte ich, sie würde vielleicht dieses eine Mal was für mich tun. Aber es passierte nichts. Also ging ich.

Solange ich denken kann, wird Ma schon von Männern verprügelt. Das kann man ihnen nicht mal unbedingt verdenken. Manchmal würde ich ihr am liebsten selber eine scheuern.

Ich kann bloß nicht verstehen, warum sie sich das immer noch gefallen lässt.

Man braucht sich doch nur im Fitnessstudio ein bisschen Kraft antrainieren. Wenn man stark ist, nehmen sich die Männer keine Frechheiten raus.

Mich schlägt keiner mehr – es sei denn, ich werde dafür bezahlt.

Ich hoffe, Simone ist stark. Wenn irgendwer Kraft wirklich nötig hat, dann ein hübsches Mädchen.

Natürlich war ich von Geburt an im Vorteil. Ich bin schon immer ziemlich bullig gewesen. Aber die Statur allein macht es auch nicht. Bullige Schwächlinge kennen wir doch alle.

Nein. Lass dir einen Tipp geben – wenn du dir auf dieser Welt Respekt verschaffen willst, sieh zu, dass du was anderes in die Arme kriegst als Pudding.

Was sie nicht umbringt

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