Читать книгу Was sie nicht umbringt - Liza Cody - Страница 6
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ОглавлениеAuf Schlacke kannst du nicht schleichen.
Diesen Trümmerhaufen nennen sie das Grand Theatre, dabei ist noch nicht mal der Parkplatz auf der Rückseite besonders grandios. Kunterbunt stehen die Wagen auf Schotter und Schlacke durcheinander. Das Grand Theatre! Ein grandioser Witz.
Immerhin war der Parkplatz nicht beleuchtet. Das ist das Gute an den beschissenen Auftritten im Möhrenland – die Parkplätze sind nie beleuchtet. Du könntest fast meinen, sie wollen, dass du dich selber bedienst.
Ich fand einen Renault 12, der mich quasi einlud, ihn mir auszuborgen – die Fahrertür schloss nicht richtig, und die Verkabelung war lose. Als ich ihn angelassen hatte, sah ich, dass der Tank noch fast voll war.
Eigentlich tat ich dem Besitzer einen Gefallen – vorausgesetzt, er war versichert.
Wozu sich Sorgen um eine Mitfahrgelegenheit in die Stadt machen, wenn dir die Möhrenmampfer ihre Autos praktisch hinterherwerfen?
Obwohl es noch nicht besonders spät war, als ich in Frome losfuhr, war kaum mehr einer auf den Straßen. Dadurch fühlte ich mich irgendwie einsam. Ich habe gern ein bisschen Trubel um mich rum, aber so was kannst du im Möhrenland lange suchen. Wahrscheinlich gehen sie alle früh in die Heia, nachdem sie sich ihre Mary-Poppins-Videos reingezogen haben. Nicht mal eine offene Frittenbude konnte ich finden. Was diese Landeier wohl treiben, wenn sie mal Spaß haben wollen?
Ich hatte Hunger. Wer so gebaut ist wie ich, braucht nach sportlicher Betätigung was zu essen. Aber ich habe noch einen kostenlosen Rat auf Lager: Halte nie in einer Kleinstadt, in der du dir gerade einen Wagen geborgt hast, an, um dir was zum Essen zu besorgen. Jeder ist mit jedem verwandt, einer sieht dich immer und holt die Bullen.
Ich hatte mir in den letzten paar Jahren viel Selbstbeherrschung angeeignet. Also fuhr ich stur an allen Kneipen vorbei und hörte nicht auf meinen knurrenden Magen.
Harsh hat mir mal was über den berühmtesten Ringkämpfer aller Zeiten erzählt. Er hieß Milon von Kroton, und er hat im Training immer ein Kalb durch die Gegend gewuchtet. Immer dasselbe Kalb. Das Kalb wurde größer und schwerer, und Milon musste stärker und immer stärker werden, um es überhaupt noch schultern zu können. Harsh meinte, Milon wäre seiner Zeit voraus gewesen, und mit dieser Geschichte ging es ihm um die Grundprinzipien des Krafttrainings und darum, dass man die Muskeln langsam an immer größere Belastungen gewöhnen muss.
Milon hat fünf olympische Medaillen gewonnen, also würde ich mir an deiner Stelle eine höhnische Bemerkung über seine Trainingsmethoden lieber verkneifen. Hätte Milon von Kroton allerdings Ähnlichkeit mit mir gehabt, hätte er sein Kalb früher oder später mit Röstkartoffeln und viel Soße verspeist.
Es ist nicht ratsam, an Röstkartoffeln zu denken, wenn du halb verhungert bist — jedenfalls nicht, wenn du unbeschadet an der nächsten Dönerbude vorbei und in einem geliehenen Wagen aus der Stadt kommen willst, ohne geschnappt zu werden.
Ich hasse es auf dem Land. Je weiter du von der Stadt weg bist, desto dunkler wird es, und mit den Scheinwerfern fängst du lauter tote Sachen ein. Andauernd überfährst du Leichen – Igel, Kaninchen, Füchse und Viecher, die schon von so vielen Wagen plattgefahren worden sind, dass du nicht mehr erkennen kannst, was sie mal waren. Hat es Federn, war es ein Vogel, hat es keine, kannst du bloß raten.
Du wirst aus stieren, grünen Augen angeglotzt.
Alles auf dem Land ist entweder gefährlich oder tot. Menschen sind vielleicht tatsächlich nicht viel besser als Tiere, aber wenigstens lassen sie andere Menschen nicht tot auf der Straße rumliegen. Sie bringen sie weg, damit sie nicht wieder und wieder überfahren werden. Du musst dir bloß mal vorstellen, wie es in London aussehen würde, wenn einfach alles, was unter die Räder kommt, liegen gelassen würde.
Und dann das Essen.
Fünfzig Kilometer hinter Frome hielt ich an einer Imbissstube. Sie wollten gerade zumachen, als ich ankam, und es waren bloß noch ein paar Reibeplätzchen übrig. Reibeplätzchen! Ich muss schon sagen. Auf dem Land kann ich es ehrlich nicht aushalten.
Einmal haben sie versucht, mich aufs Land zu verpflanzen. Ich war sieben Jahre alt, und es war irgend so ein Pflegschaftsdeal. Ich sollte von einem komischen Ehepaar in Pflege genommen werden, das in Cambridgeshire ein großes Haus hatte, wo sie sich Ponys und Hunde und ungefähr noch fünf andere Kinder hielten. Es war einer von den Deals, bei denen alle Sozialarbeiterinnen glasige Augen und feuchte Höschen bekommen.
»Was meinst du, wie es dir da gefallen wird, Eva«, haben sie gewiehert. »Viel Platz zum Toben. Und lauter grünes Gras und Bäume.«
Meiner Meinung nach haben diese Sozialklempner nicht die leiseste Ahnung von Stadtkindern. Wir mussten um neun ins Bett. Wir hatten nichts zu tun. Die Ponys waren hinterlistige Biester. Die Hunde haben gefurzt und hatten Flöhe und haben das schöne grüne Gras vollgeschissen. Und was das komische Ehepaar angeht, die beiden waren Religionsfreaks, die haben erwartet, dass sich alle Kinder miteinander vertragen sollten.
Wie kommen die Leute bloß darauf, dass du mit jemandem gut auskommen musst, bloß, weil er genauso alt ist? Kinder, die in Pflege gegeben werden, kommen schließlich von überall her. Sie sind durcheinander. Ganz egal, aus was für einer Familie du kommst, dein Zuhause vermisst du immer. Manche Kinder wollen dich einmachen, manche Kinder klauen, manche Kinder machen ins Bett, manche Kinder spielen mit Feuer, manche Kinder können nicht sprechen. Und so was soll nun prima miteinander auskommen und dankbar sein für das Gras und die tückischen Ponys.
Die Natur soll dir ja angeblich guttun. Aber das stimmt nicht. Die Natur beißt und sticht oder vergiftet dich, einfach nur so. Und außerdem gibt es auf dem Trafalgar Square mehr Vögel, als ich je auf dem Land zu sehen gekriegt habe – die toten auf den Straßen mitgerechnet.
Nein. London ist der einzige Ort, wo es zum Aushalten ist. Lass dir bloß nichts anderes erzählen.
In London kommst du immer durch: Irgendwie kannst du da immer ein paar Kröten machen – und ein Plätzchen zum Pennen findet sich auch. Zimperlich darfst du nicht sein, aber wenn du überleben willst, ohne dass dir zu viele Fragen gestellt werden, dann geht das nur in London.
Du darfst allerdings nicht auf den Kopf gefallen sein. Was man von mir nun wirklich nicht behaupten kann. Viele Leute glauben, ich wäre dumm – weil ich eine ziemliche Kante bin. Dicke Muckis, kleines Hirn, stimmt’s? Na, wer das meint, der ist in etwa so helle wie ’ne Eierkohle.
Und wer das mir gegenüber laut ausspricht, der fängt sich ein dickes Knie ein.
Ich ließ den Wagen am Bahnhof Waterloo stehen und schlappte zu Fuß nach Hause.
In dem Jahr hatte ich ein Zuhause. Und einen richtigen Job.
Der Zaun war oben mit Stacheldrahtschlingen gesichert. Ich holte die Schlüssel raus und sperrte die Vorhängeschlösser am Tor auf. Vorsichtshalber pfiff ich – wiii-uuuuu. Es war nach Mitternacht, und die Hunde waren bestimmt ausgehungert.
Sie kamen aus dem Dunkeln auf mich zugeflogen, rammten mir die Köpfe gegen Knie und Oberschenkel.
»Hallo, Ramses«, sagte ich. »Hallo, Lineker.«
Sie waren keine üblen Kerle, dafür, dass sie Hunde waren, nur ein bisschen übereifrig. Sie liefen vor mir her zum Zwinger, und ich schloss auf. Ich mischte ihnen ein paar Schaufeln Hundeflocken unter ihre ekelige Futterpampe und wartete, bis sie es runtergeschlungen hatten.
Dann nahm ich die Taschenlampe und machte meine Runde.
Das Gelände war weitläufig, also dauerte es seine Zeit. Am besten war es auf dem Gebrauchtwagenparkplatz, weil der nämlich beleuchtet war. Ich musste bloß den Zaun überprüfen und zwischen den Wagen nachsehen, ob auch keiner auf den Rücksitzen kampierte.
Als Nächstes überzeugte ich mich, ob die Türen zum Verkaufsraum und den Büros abgeschlossen waren.
Am schlimmsten war es auf dem Schrottplatz. Zwar gab es da einen großen Scheinwerfer, nur war leider die Birne hinüber. Ich habe es Mr. Gambon schon dreimal gesagt, aber der ist ein echter Geizkragen.
»Der Schrott ist doch Tausende wert«, habe ich zu ihm gesagt. »Sie haben da haufenweise Ersatzteile rumliegen. Mit einer Glühbirne wäre mir sehr geholfen.«
»Faules Stück«, sagte er. Zu mir! Wie konnte ich aber auch so blöd sein, ihn um etwas zu bitten, was mir die Arbeit erleichtert hätte? Genauso gut hätte ich ihm gleich eine Lizenz zum Neinsagen geben können.
Demnächst muss ich mal den Besitzer deswegen anhauen, dachte ich. Aber seitdem er nach Ongar gezogen ist, kriege ich ihn kaum noch zu Gesicht.
Lineker schnupperte an einem Haufen Eisenstangen, aber Ramses hielt auf den Zaun zu. Ich folgte Ramses, weil er so aussah, als ob er etwas Bestimmtes angepeilt hätte. Als ich ihn einholte, biss er gerade einer großen Ratte das Hinterteil ab.
Oben am Zaun brannten ein paar trübe Funzeln, und darunter hing ein Schild, auf dem »Armour Protection« stand. Ich weiß nicht, was Armour Protection ist oder ob es hier so was je gegeben hat, aber der einzige Schutz, den die Anlage jetzt hatte, waren Ramses, Lineker und ich.