Читать книгу Barro, der Braunbär - Lothar Streblow - Страница 6
Licht im Dunkel
ОглавлениеIn der Nacht blieb der Himmel wolkenfrei. Es wurde kalt. Frost ließ die Rinnsale erstarren. Und im Bergwald heulten die Wölfe. Sie waren mit dem Winter nach Süden gezogen; hier fanden sie leichtere Beute. Erst im Frühling würden sie wieder nordwärts wandern. Die Bärin wußte das aus Erfahrung. Sie fürchtete die Wölfe nicht.
Zwei Tage noch blieb sie in der Höhle, säugte ihre Jungen, leckte ihnen zärtlich über die kleinen Schnauzen und sammelte im Schlaf neue Kräfte. In der folgenden Nacht heulten die Wölfe nicht mehr. Es blieb still. Mitunter nur hallte ein Eulenruf durch den Wald. Und als die Morgensonne die Froststarre löste, hörte die Bärin den harschen Schnee vom Steilhang rutschen. Auf dieses Geräusch hatte sie gewartet.
Langsam tappte sie durch den Höhlengang, prüfte die eindringende Luft. Und sie brummte befriedigt. Jetzt konnte sie ihre wärmegewohnten Jungen ins Freie führen: Es roch nach Frühling. Und sie schob ihren wuchtigen Schädel aus der Öffnung. Weiß lag der Hang vor ihr, unterbrochen von erdigbraunen Flecken, naß schimmernd im grellen Licht.
In der Höhle hinter ihr rührte sich etwas. Burri spürte die Abwesenheit ihrer Mutter. Wärmesuchend schmiegte sie sich an ihren kleinen Bruder, stupste ihn dabei drängelnd vor seinen Bauch. Und das machte Barro munter. Er gähnte schläfrig und blinzelte.
Irgend etwas war anders heute. Und es dauerte eine Weile, bis er begriff: Es war nicht mehr dunkel. In der Höhle herrschte ein schummriges Dämmerlicht. Er konnte sehen, sah zum erstenmal in seinem Leben, sah die verschwommenen Konturen des Wurfkessels. Nur seine Mutter sah er nicht, hörte nur dumpfe Geräusche vom Eingang her, wo matter Schein einfiel.
Neugierig schnupperte er in die Runde, tappelte auf seinen kurzen Beinen dem Schein entgegen, kam in den Gang. Und da lag etwas: ein riesiges Tier. Barro stutzte, aber nur einen Augenblick. Das Tier roch vertraut, roch wie seine Mutter. Und vertrauensvoll stieß er sie mit seiner kleinen Schnauze vor ihren Stummelschwanz.
Die Bärin tappte weiter, gab den Eingang frei. Und sie beobachtete aufmerksam Barros vorsichtiges Getappse ins Unbekannte. Doch Barro machte nur einen einzigen Schritt, unbeholfen und täppisch. Die unerwartet einflutende Helligkeit blendete ihn. Aus seiner Kehle drang ein ängstlich fiependes Brummen. Und er zögerte.
In diesem Augenblick spürte er, wie ihn von hinten jemand sanft berührte. Es war Burri. Sie mochte nicht allein sein, nicht in der Höhle Zurückbleiben, hatte aber genauso viel Angst wie Barro. An ihm vorbei traute sie sich nicht. Leise brummelnd blieb sie an seiner Seite.
Jetzt steckte die Bärin ihren dickpelzigen Kopf in den Eingang. Auch sie brummte, tief und schon ein wenig ungeduldig. Es klang wie ein Lockruf. Die beiden Jungen zögerten noch immer. Doch da, wo ihre Mutter war, wollten auch sie hin: in diese seltsame Helligkeit. Und sie überwanden ihre Angst.
Vorsichtig blickte Barro aus der Höhlenöffnung. Alles dort draußen war ihm fremd: das schimmernde Blau des Himmels mit der grellen Sonne, der glitzernde Bach im Tal und der gegenüberliegende Steilhang, die flechtenüberzogenen Felsen und der düstere Bergwald darüber. Ein leichter Wind wehte um seine Nase. Und als Barro in einen tauenden Schneefleck trat, zog er erschrocken die Pfote zurück und flüchtete zu seiner Mutter, wo Burri zwischen ihren Beinen hervorlugte. In ihrer Nähe fühlte er sich sicherer.