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Nasse Pfoten

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Die Bärin spürte die Angst ihrer Kinder, ihre Angst vor dem Ungewohnten. Die Kleinen mußten erst lernen, sich in dieser unbekannten Welt zurechtzufinden. Und sie mußte ihnen dabei helfen.

Vor allem aber brauchte sie endlich etwas in den Magen. Während sie in früheren Jahren im Winter ohne zu essen und zu trinken vier bis fünf Monate durchschlafen konnte, war das in diesem Jahr anders gewesen. Im Januar hatte sie ihre Kinder geboren. Und ihre Ernährung hatte zusätzlich an ihren Kräften gezehrt. So war sie magerer als sonst im Frühling.

Entschlossen bewegte sie sich ein Stück hangabwärts. Tief sanken ihre breiten Tatzen in den wäßrigen Pappschnee. Doch auch auf schneefreien Stellen lief es sich nicht besser. Das Erdreich war vom Tauwasser aufgeweicht und glitschig. Manchmal rutschte sie, trotz ihrer scharfen Krallen. Aber das störte sie nicht. Sie wollte hinunter zum Bach. Dabei blickte sie sich immer wieder besorgt nach ihren Kindern um.

Barro fand das unheimlich. Noch nie hatte seine Mutter sich so weit von ihm entfernt. Wohl oder übel tappte er ein paar Meter weiter, platschte durch Schneeinseln und Matsch. Seine Pfoten wurden naß, Schlamm spritzte gegen seinen Bauch. Und die hellfarbene Halsbandzeichnung auf seinem braunen Fell bekam schmutzige Flecken.

Mit einemmal sah er, wie seine Mutter stehenblieb. Immer wieder rieb sie ihre Schnauze an einem knorrigen Baumstamm. Es sah aus, als wolle sie sich an der rauhen Borke kratzen. Barro wußte noch nicht, daß sie auf diese Art mit einer stark duftenden fettigen Spur ihr Revier markierte, um fremde Bären vom Eindringen abzuhalten. Nach den langen Monaten des Höhlendaseins mußten die verblaßten Markierungen auf dem alten Wechsel von der Höhle zum Bach erneuert werden. Und die Bärin setzte ihre Duftmarken noch an viele Stellen.

Zwischendurch suchte sie unentwegt nach Eßbarem, wühlte Wurzeln aus dem schlammigen Boden, zerrte an nassem, braunwelkem Gras vom Vorjahr und schmatzte einen Regenwurm. Und sie wendete immer wieder Steine um und leckte die Ameisen darunter ab. Doch das alles genügte ihr nicht. Sie suchte nach nahrhafterer Beute.

In dem unebenen Gelände hatten die beiden Bärenkinder alle Mühe, ihrer Mutter zu folgen. Sie waren ja kaum erst so groß wie ein kleiner Spitz: mit dickpelzigen Köpfen und tapsigdicken Pfoten. Gegen ihre riesige Mutter wirkten sie winzig. Und Laufen war für sie ungewohnt, zumal auf so glitschigem Untergrund an dem abschüssigen Hang.

Mit unsicheren Schritten tappelten sie abwärts, stolperten und rutschten. Und unversehens verlor Barro den Boden unter den Füßen, überschlug sich ein paarmal und purzelte kopfüber in einen Schneefleck.

Ein klägliches Wimmern drang aus seiner Kehle. Nasser Schnee klebte ihm auf der Nase. Und noch bevor er sich aufrappeln konnte, beugte seine Mutter sich besorgt über ihn. Vorsichtig packte sie ihn mit den Zähnen im Nackenfell, trug ihn ein paar Meter weiter und setzte ihn auf ein weiches Moospolster. Das gefiel Barro. Er mochte lieber getragen werden als selber laufen. Außerdem saß ihm der Schreck über seinen Sturz noch in den Gliedern. Er blieb einfach sitzen und wartete.

Dafür aber hatte seine Mutter wenig Sinn. Sie merkte sehr rasch, daß ihm nichts weiter passiert war. Besorgt hielt sie nach Burri Ausschau, die bei Barros Sturz erschrocken stehengeblieben war. Jetzt kam sie heran und tappte dann folgsam hinter ihrer Mutter her.

Barro brummte unwirsch, als die beiden sich immer weiter entfernten. Schließlich begriff er, daß er seine eigenen Beine benutzen mußte. So schnell er konnte, rannte er ihnen nach. Und er erreichte sie, als seine Mutter in einer schmutzig-weißen Schneewehe zu wühlen begann.

Erschöpft setzte er sich auf sein Hinterteil und sah zu. Für ihn war alles hier draußen geheimnisvoll. Irgend etwas mußte seine Mutter unter dem Schnee entdeckt haben. Unentwegt zerrte sie an etwas herum. Und sie kaute und schmatzte. Was das einmal gewesen sein konnte, war nicht mehr zu erkennen. Jedenfalls war es Fleisch: Fleisch von einem toten Tier, das im Winter hier erfroren war. Und das hatte die Bärin mit ihrem scharfen Geruchssinn im Schnee aufgespürt.

Befriedigt leckte sie sich über die Lippen, trank noch ein paar Schluck Wasser am Bach und stapfte wieder hangaufwärts. Ihr quälendster Hunger war erst mal gestillt. Und jetzt spürte sie die Frühjahrsmüdigkeit.

Es wurde Zeit für den Mittagsschlaf. Und auch die beiden Kleinen brauchten nach dem anstrengenden Ausflug ihre Ruhe.

Barro, der Braunbär

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