Читать книгу Dolan, der Delphin - Lothar Streblow - Страница 11
Die Bucht der Quallen
ОглавлениеMöwenschreie schrillten über die Bucht, begleiteten die kleine Gruppe der Tümmler. Wo Delphine nach Fisch jagten, holten sich auch die Seevögel ihren Teil aus den aufgescheuchten Fischschwärmen. Seeschwalben und große Möwen flatterten kreischend über ihren Köpfen, stießen mit ihren spitzen Schnäbeln nach den schimmernden Fischleibern, immer wieder, gierig nach leichter Beute.
Dolan interessierte sich noch nicht für Fisch. Er begleitete nur seine Mutter und die Weibchen, zusammen mit den anderen Kleinen. Und wenn eine der riesigen Silbermöwen zu dicht bei Dolan ins Wasser stieß, tauchte er vorsichtshalber ab. Er mochte die großen Vögel nicht.
Nur gab es in dieser Bucht fast mehr Quallen als Fische. Und sie schienen sich zusehends zu vermehren. Mitunter trieben ganze Ballen dichtgedrängter Quallen als meterlange glibberige Masse im Wasser. Fast überall pendelten einzelne Quallen mit ihren Nesselfäden. Und nicht immer gelang es Dolan, ihnen rechtzeitig auszuweichen. Dann fuhr er unwirsch mit seiner Fluke dazwischen.
In letzter Zeit hatte der Fischbestand in der Bucht immer mehr abgenommen. Und die Ursache war das aus dem Wrack ausgelaufene Öl, das sich in winzigen Spuren im Wasser verteilte und von kleinen Ruderfußkrebsen gespeichert wurde, die dann nicht mehr vor den zahllosen gefräßigen Jungquallen fliehen konnten. Da eine einzige weibliche Qualle bis zu zwanzigtausend Eier ausstieß, vermehrten sich die Quallen durch das Überangebot an Nahrung maßlos. Sie wurden rasch größer, fraßen nach den Ruderfußkrebsen dann auch Muschel- und Fischlarven und später die Jungfische, so daß es keinen Nachwuchs bei den Fischschwärmen gab.
Für alle anderen blieb schließlich kaum noch Fisch übrig. Die Verschmutzung des Wassers durch das ausgesickerte Öl brachte die gesamte natürliche Nahrungskette der Bucht durcheinander. Und wer von den Quallen nicht gefressen wurde, mußte verhungern.
Die Tümmler wußten nichts von der Ursache, sie spürten nur die Folgen. Je mehr es von Quallen aller Größe wimmelte, desto weniger Fisch erbeuteten sie auf ihren Jagdzügen. Nur im tieferen Wasser, am Ausgang der Bucht, wurden sie noch richtig satt. Und bald begriffen die Weibchen, daß die verseuchte Bucht keine Zuflucht mehr bot zum Aufziehen ihrer Jungen.
Nach einem gemeinsamen Fischzug mit den männlichen Tümmlern kehrten sie nicht mehr dorthin zurück. Gerade als sie neben der Felsspitze in die Öffnung der Bucht schwimmen wollten, trieb ihnen eine riesige Quallenbank entgegen, träge auf und nieder schwappend in der schwachen Dünung. Das wirkte wie ein Signal. Entschlossen steuerten die Weibchen um die Felsspitze herum ins offene Meer.
Im anbrandenden Ozean war das Wasser klarer. Und die Wellen gingen höher, trugen kleine Schaumkronen. Das gefiel Dolan. Ausgelassen sprang er durch den sprühenden Gischt, genoß das quallenfreie Wasser.
Seine Klicklaute reizten Kiluni und Digan. Unbekümmert folgten sie ihm in kühnen Sprüngen. Und wo ihre Fluken das Wasser peitschten, entstand eine Wellenlinie perlender Luftbläschen, sekundenlang nur, bevor die nächste Woge sie überspülte.
Übermütig steigerte Dolan das Tempo. Und die beiden anderen hielten mit, sprangen mit ihm im gleichen Takt: Springen und Atmen und Tauchen, ein faszinierendes Spiel mit dem Rhythmus. Und manchmal kamen sie einander nahe, ließen ihre Flipper am Bauch des anderen entlanggleiten, empfanden das Streicheln als vertraute Nähe.
Plötzlich traf Dolan eine Schallwelle, eine Warnung seiner Mutter. Unwillkürlich drosselte er sein Tempo, fiel aus sorglosem Spiel in aufmerksame Wachsamkeit. Diese zerklüftete Unterwasserlandschaft war anders als die stille Bucht: eine gefährliche, von Wind und Wellen zernagte Felsenküste. Schartige Riffe ragten bis dicht unter die Oberfläche, überschäumt von tosenden Brechern der Brandung. An dieser Küste konnten Sprünge tödlich enden.
Nur ein paar Flukenschläge weiter draußen endete die Gefahrenzone. Gehorsam folgten die Jungen den Weibchen, paßten sich ihrem Rhythmus an. Und während sie sich an ihre Mütter drängten, stillten sie ihren Hunger.