Читать книгу Dolan, der Delphin - Lothar Streblow - Страница 5
Geburt eines Tümmlers
ОглавлениеHalbdämmer lag über der weiten Meeresbucht, ein fahles, die Küstenlinie verhüllendes Grau. Am Horizont wob sich ein rötlicher Schimmer in den verblassenden Nachthimmel, ließ die Sterne verlöschen. Und wenig später glimmten die ersten Strahlen der Morgensonne über die fernen Bergketten, glitzerten die kaum bewegten Wasser der Bucht wie Flittergold im Frühlicht.
Plötzlich kam Bewegung in die trägen Fluten, wurde die Meeresfläche aufgerissen von gleitenden Schatten. Eine spitze Rückenfinne durchstieß das Wasser, dicht daneben peitschte eine Schwanzflosse die aufspritzende See. Und ein kurzes Stück voraus sprang einer der schlanken Schatten in die Luft und tauchte mit klatschendem Geräusch wieder ein. Von der Felsspitze am Ausgang der Bucht näherte sich eine Delphinschule, eine kleine Gruppe Großer Tümmler, zog in weitem Bogen ins Innere der Meeresbucht.
Allmählich verlangsamten die Tiere ihr Tempo. Die Tümmler schienen ihr Zielgebiet erreicht zu haben. Ab und zu stieg eine Blaswolke auf, ein weißlicher Tröpfchennebel glitzerte sekundenlang in der Morgenluft, bevor er verwehte. Und hoch über den gemächlich schwimmenden Tümmlern schwebten ein paar Möwen.
Zwei weibliche Tümmler aber fielen zurück, umkreist von einem dritten. Das eine Weibchen wirkte unruhig, als habe es Schmerzen, während das andere mit der Schnauzenspitze behutsam gegen seinen Bauch stieß. Es wußte, was mit dem anderen geschah, sah die kleine Fluke, die winzige Schwanzflosse, die aus der Öffnung des Unterbauchs hervorragte. Und es blieb in der Nähe. Jede Geburt im Meer brachte Mutter und Kind in Gefahr; das wußten die anderen. Sie warteten, bereit zur Hilfe, wenn das Kleine sich aus dem Mutterbauch löste. Und es kam sehr schnell, wie bei allen Walen.
Es war Dolan, als gleite er aus einer warmen, weichen Höhle hinaus in etwas Kühles, Fremdes, das seinen kleinen Körper umspülte. Unaufhaltsam glitt er weiter, spürte das Kühle überall. Und als sein Kopf freikam, sah er es auch. Nach dem Dunkel im Leib seiner Mutter umgab ihn eine seltsame Helligkeit, ein grelles, flirrendes Licht. Und das erste, was er fühlte, war Angst.
Doch im selben Augenblick spürte er schon etwas anderes: ein kurzes Ziehen, als die Nabelschnur riß. Und gleich darauf einen sanften Druck von unten gegen seine Bauchhaut. Seine Mutter hob in behutsam an die Oberfläche, unterstützt von den anderen Weibchen, bis sein kleiner Kopf mit dem Atemloch das Wasser durchstieß.
Tröpfchen perlten von seiner seidig glatten Haut. Hier war das Licht verändert, greller noch. Und es wärmte. Fast schmerzte die Helligkeit in seinen Augen. Und zum ersten Mal in seinem Leben atmete Dolan die klare Luft eines hellen Morgens. Und er atmete tief.
Noch war das alles ihm fremd. Aber da waren vertraute Töne, Geräusche, die er schon aus der dunklen Geborgenheit kannte: die schnarrenden, pfeifenden und klickenden Laute seiner Mutter. Doch jetzt klangen sie anders, ferner als vorher. Und andere Geräusche klangen lauter, deutlicher, drangen von allen Seiten auf ihn ein, durchdrangen seinen kleinen Körper. Es waren die anderen Tümmler der Gruppe, die ihn mit Klicklauten abtasteten, ihn auf ihre eigene Weise wahrnahmen, den neuen Gefährten begrüßten.
Dolans Mutter hielt die anderen vorsichtig auf Distanz, vor allem die größeren Männchen, die neugierig heranschwammen. Sie duldete nur die beiden begleitenden Weibchen in der Nähe. Und sie schwamm dicht neben Dolan nahe der Oberfläche, damit er bei ihr trinken konnte und es nicht weit hatte zum Auftauchen und Atmen.
Dolan hatte noch keinen Hunger. Zu neu war diese fremde, helle Welt, das Glitzern sprühender Wassertropfen im Licht, das Gleiten der dunklen Schatten ringsum in den Fluten. Und darunter am nahen Meeresboden die Umrisse eigenartiger Gebilde, bizarre Felsen und wehender Tang, dazwischen kleinere Schatten: Fische, die flüchtend auseinanderstoben.
Noch wußte Dolan nicht, was das alles bedeutete. Er hatte noch keine Erfahrung. Alles wirkte unheimlich, seltsam fremdartig. Er mußte erst lernen zu unterscheiden. Und als er dicht neben seiner Mutter seinen kleinen Kopf in die flimmernde Helligkeit hob, um erneut zu atmen, schaffte er das Auftauchen schon allein. Das Schwimmen war ihm angeboren. Und tief sog er die frische Morgenluft in die Lungen.