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Kapitel 2

Line Lyng saß an ihrem Platz vor dem Computer in der Redaktion der Regionalzeitung Nordseeland in Hillerød. Es war der 1. März 2010 und das Thermometer hatte sich auf zehn Grad hochgekämpft. Sie las den Polizeibericht der letzten 24 Stunden online. Vielleicht gab es etwas, dem sie auf den Grund gehen könnte.

Es gab kaum Neuigkeiten aus der Region insgesamt und erst recht nicht in Bezug auf ihr Ressort, Verbrechen und Polizeiarbeit. Und rein gesellschaftlich war das ja auch etwas sehr Gutes, dachte sie, wie sie es schon so oft getan hatte, wenn es kaum relevante polizeiliche Ereignisse gab. Aber im Hinblick auf ihre Arbeit auch ziemlich nervig.

Ganz ehrlich. Ein betrunkener Autofahrer, der mit seinem eigenen Carport einen Zusammenstoß hatte, zwei Villaeinbrüche in Vedbæk, ein Idiot in Holte, der Teeniemädchen ins Gesicht schlug, als sie auf dem Fahrrad vorbeifuhren – aus der Geschichte hatte sie schon versucht, etwas herauszuholen –, ein eingeschlagenes Fenster in einem Rot-Kreuz-Geschäft auf der Hauptstraße in Birkerød und ein Containerbrand in Farum Midtpunkt. Das waren nicht gerade New Yorker Verhältnisse.

Sie seufzte und rief den Wachhabenden der Polizei Nordseeland in Helsingør an.

„Hallo, Line Lyng von der RN, gibt’s was Neues?“

„Innerhalb der letzten zwei Stunden, seit deinem letzten Anruf?“ Der Wachhabende, der einer ihrer Lieblingspolizisten war und sonst auch immer für einen Telefonflirt zu haben war, klang müde und gestresst.

„Nichts Wildes. Aber wir haben gerade eine Anzeige von einer Frau in Lyngby reinbekommen. Ihr 16-jähriger Sohn wurde gezwungen seinen nagelneuen Roller, einen schwarzen PGO, und sein iPhone abzugeben. Der Täter ist angeblich ein dunkelhäutiger, gleichaltriger Junge und die Tat ist am Lyngbyer See, nah der Hafenhütte, gegen 10.30 Uhr passiert.“

Line Lyng bedankte sich, legte auf und spekulierte ein wenig, was zwei 16-Jährige Kerle überhaupt an einem Dienstagvormittag im März am Lyngbyer See trieben und schrieb eine kurze Notiz für die Internetseite der Zeitung. Sie lud sie selbst hoch und fand im elektronischen Archiv noch das Foto eines Polizeiwagens, welches sie über dem Text platzierte, gab dem Ganzen die sehr einfallsreiche Überschrift „Jungem Mann wird Roller geklaut“ und schrieb ihre Initialen in kursiv unter die Notiz. LL. Luder-Line, wie sie in der Schule genannt worden war, vollkommen unbegründet und aus reiner Boshaftigkeit in Umlauf gebracht.

Aber dafür stand es ja nicht, ermahnte sie sich selbst, während sie auf dem Weg Richtung Kantine war. LL, Line Lyng, 37 Jahre, Journalistin, Mama des zehnjährigen Mikkel, Freundin des 31-jährigen, schönen und trunksüchtigen Jonas und übergewichtig. Das war sie. Viel Luder war daran nicht zu finden. Sie machte gewiss einige versaute Dinge daheim im Schlafzimmer, aber nur mit Jonas. Und im Übrigen gratis.

Salat des Tages, Suppe des Tages, Tagesgericht oder belegte Brote, die üblichen Smørrebrød. Es war das ewige Dilemma, aber Line konnte schnell die Tomatensuppe ausschließen. Zum einen mochte sie keine Tomatensuppe, zum anderen konnte eine stattliche Frau wohl kaum von ein paar Löffeln Suppe satt werden. Es brauchte eine solide Mahlzeit, um die nächsten vier Stunden auf dem Posten zu sein.

Rollbraten mit Backpflaumen waren dann vielleicht doch etwas zu viel des Guten, und so gerne sie auch den Salat nehmen wollte, wie sie es sich schon so oft vorgenommen hatte, wurden es dann doch vier Scheiben Smørrebrød, die auf ihrem Teller landeten. Im Salat war nämlich Brokkoli und davon bekam sie Magenschmerzen.

Line ließ sich neben der Praktikantin nieder, Sussi Jensen, ein süßer, heißer und junger Feger mit kurzem schwarzen, struppigen Haar, glatter Haut, schlanken Oberschenkeln und festen Brüsten. Der Sportjournalist Jesper Asmussen saß auch mit am Tisch, schicker Kerl, dickes mittelblondes Haar, ein ruhiges Gemüt und immer einen Witz unter der Gürtellinie parat. Auch der Redaktionschef Lars Hansen saß mit am Tisch, nach einem nervigeren, besserwisserischen und selbstverliebteren Gockel musste man lange suchen. Er war, höflich ausgedrückt, nicht gerade Lines Typ. Sie schaltete bei seinem Monolog über seine Leistungen des vergangenen Wochenendes im Garten, der Küche und anscheinend auch im Ehebett ab und widmete sich lieber ihrem Smørrebrød mit Kartoffel, Mayo und Schnittlauch.

„Ich bin ja schon immer ein ziemlich guter Koch gewesen“, schwadronierte Lars Hansen und ergötzte sich an den eigenen Beschreibungen seiner gastronomischen Zauberwerke des Vortages, von denen sein kleines Goldstück von Frau angeblich ganz viel gegessen habe, obwohl man das bei ihr gar nicht sehen könne. Aber als Kinderlose hatte sie sicher auch genug Zeit zum Zumba rennen und war wahrscheinlich mit einem Stoffwechsel gesegnet, wie man ihn sich nur wünschen konnte, dachte Line neidisch.

Ihre Gedanken schweiften zu ihrer eigenen Familie. Es gab nichts Neues bei Mikkel, er hasste noch immer jede Sekunde in der Schule, aber er war glücklicherweise sehr sozial und beliebt bei seinen Mitschülern, also das war immerhin in Ordnung.

Aber Mikkel hatte auch daheim einige Herausforderungen zu überstehen. Jonas war ein schrecklicher Stiefvater, das musste man so sagen. Er war eigentlich auch kein sonderlich guter Lebenspartner, aber Line hielt dennoch an der Beziehung fest. Zum einen wegen ihres leidenschaftlichen Sexlebens, zum anderen konnte sie den Gedanken nicht ertragen, dass er in den Armen einer anderen Frau lag. Und das würde er in Nullkommanichts, wenn sie ihn verließe. Sie hatte keine Angst alleine zu sein, das könnte einer Befreiung gleichkommen, dachte sie, aber sie hatte Angst, dass Jonas mit einer anderen zusammen wäre.

Sie wusste, dass das krank war. Jonas war nicht fürsorglich, half nicht im Haushalt, er war Alkoholiker, was ein nerviges und destruktives Verhalten nach sich zog und er war ihrem Sohn gegenüber nicht lieb. Er war nicht wirklich gemein, eher gleichgültig oder leicht sarkastisch, wenn es ihn überkam.

Line hatte, in ihre Gedanken vertieft und umgeben vom Geräusch der Gespräche ihrer Kollegen, ihr Essen restlos aufgegessen, ein Smørrebrød mit Roastbeef, eines mit Kabeljaurogen und eines mit Corned Beef und sagte „ja“ zu einem Becher Kaffee, den Jesper anbot, für alle am Tisch zu holen.

„Ich möchte gerne fettarme Milch rein haben“, rief sie ihm nach und schob die Gedanken an ihre privaten Probleme ein wenig zur Seite. In vier Stunden wurde sie ohnehin wieder damit konfrontiert, wenn sie einkaufen musste, kochte, Wein trank und ermüdende Gespräche führte und Sex hatte. Eine unschöne Mischung aus schön und Mist.

Jetzt wollte sie einfach ihren Kaffee und die Gespräche genießen und gleich würde sie sich bei Infomedia einloggen und nach Verbrechen aus der Region vom 2. März letzten Jahres suchen. Vielleicht gab es etwas, bei dem sie einen Bogen zur morgigen Ausgabe der Zeitung schlagen konnte.

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