Читать книгу Der Sorgenzerstäuber - Louise Kringelbach - Страница 7

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Nur schwer konnte man unzufrieden sein mit einem Leben, wie Thor Moslav es führte. Das Wetter war mild und er machte sich auf den Weg nach Hause. In gemächlichem Tempo ging er einen abendlichen Spazierweg auf seiner besonderen Route durch den Park und genoss die Dämmerung, die langsam einzusinken begann. Der Tag war gut gewesen und das Interview über seine Erwartungen hinaus gut verlaufen.

In Gedanken wiederholte er das Gespräch mit der Journalistin, die eine interessante Frau war. Viel aufgeweckter als alle anderen Journalistinnen, von denen er interviewt worden war. Dazu hatte sie auch einen schönen Körper. Rund an den richtigen Stellen und ihr Haar war dicht und glänzend. Seit er seine letzte Affäre beendet hatte - und dies war länger her - waren seine Antennen hinsichtlich Frauen mächtig aktiv. Dies betraf nicht seine Patientinnen, die in eine ganz andere Kategorie gehörten, in der er sie ausschließlich als Patientinnen, und nicht als Frauen betrachtete. Die Arbeit als Sorgenzerstäuber hatte Thor gelehrt, dass er niemanden retten kann, es aber möglich ist, jemandem zu helfen. Sexuell zogen ihn Frauen, die bedürftig waren und gerettet werden wollten, überhaupt nicht an. Der unabhängige Frauentyp, der in sich selbst ruhte und nichts von ihm verlangte, konnte ihn wiederum verrückt machen. Außerdem war er auch in einer Situation, in der er Frauen nichts außer sich selbst anbieten konnte. Unsterblichkeit in Form eines Kindes konnte Thor nicht bieten. Wenn Thor Moslav sterben würde, verschwände auch der Stamm seines bekannten Familiengeschlechts komplett von der Oberfläche der Erde, ganz so wie der letzte Mohikaner. Mit anderen Worten war Thor der letzte Mann, der den Namen Moslav weiterführen konnte und als die Ärzte sagten, dass er steril war, wurde die Unmöglichkeit Gewissheit. Sterilität und schlechte Samenqualität waren eine bekannte Anlage in der Familie, die langsam aber unfehlbar den kleinen Moslavstamm ausgehöhlt hatte. Thor war ein Einzelkind und alle seine Onkel waren steril. Seine ganze Kindheit hindurch hatte man ihm erzählt, dass das Weiterführen des Geschlechts, das viele tüchtige Sorgenzerstäuber hervorgebracht hatte, seine Berufung war.

Als junger Mann hatte er die schönste Frau für sich gefunden, die zudem gute, gebärfreudige Hüften hatte. Als sie heirateten, hätte sich niemand ein besseres Paar vorstellen können, um Moslav-Kinder zu zeugen. Aber nachdem sie einige Jahre vergeblich versucht hatten, ein Kind zu bekommen, zeigte sich, dass Thors Samenqualität keinen Grund zur Prahlerei bot. Höchstwahrscheinlich würde er niemals Nachkommen produzieren können. Ellza, jetzt seine Exfrau, zerbrach an dem Bescheid. Thor hingegen erklärte ihr eindringlich, dass, auch wenn es furchtbar ärgerlich war, niemals Kinder bekommen zu können, sie es akzeptieren und mit dem leben müssten, was nicht zu ändern war. Sie sollten an die Vorteile denken, die ein kinderloses Leben mit sich brachte. Zum Beispiel könnten sie um den Globus reisen und ihre Interessen verfolgen, ohne Rücksicht auf andere nehmen zu müssen. Seine Worte fanden jedoch keinen Widerhall bei Ellza.

Die Reaktionen der Familie waren gemischt. Ellzas Familie war von sich aus aktiv geworden und hatte sämtliche Oberärzte kontaktiert, die sich beim Thema Fruchtbarkeit auskannten. Leider ohne Erfolg. Thors Familie hatte entspannter reagiert. Seine Großmutter väterlicherseits hatte gesagt, dass es zwar ärgerlich, aber in Ordnung sei, da klein und exklusiv zu sein das Schicksal der Familie war. Die Onkel fanden es ganz okay. Männer, die Nachkommen produzieren konnten, waren ihnen schon immer suspekt gewesen. Thors Vater dagegen hatte nicht lange damit hinterm Berg gehalten, dass er gerne Großvater geworden wäre, hatte aber volles Verständnis für die Situation.

Nachdem sie endgültig überzeugt waren, zusammen keine Kinder bekommen zu können, dachte Ellza über eine Adoption nach. Vielen elternlosen Kindern auf der Erde fehlte ein Heim. An diesem Punkt entschied Thor sich für das Aufgeben. Wenn er ein Kind haben sollte, dann müsste er an dessen Geburt beteiligt gewesen sein. Ein adoptiertes Kind konnte sein Geschlecht nicht weiterführen. Letztendlich war es Thors Verantwortung, die Familiengeschichte fortzuschreiben - wenn einem Kind das richtige Blut in den Adern floss.

Wenige Jahre später trennten sich Thor und Ellza. In der Zwischenzeit hatten sie aussichtslose Gespräche geführt, die lediglich darin resultierten, dass sie weiter und weiter auseinander glitten. An die letzte Nacht konnte Thor sich noch deutlich erinnern:

»Warum kannst du nicht verstehen, dass Kinder das wichtigste auf der Welt für mich sind?« Eingewickelt in ihre Decke lag Ellza im Bett.

»Glaubst du, ich hätte mich dazu entschieden, keine Kinder zu kriegen?« antwortete Thor, ohne von seinem Monatsmagazin über Sorgenzerstäubung aufzusehen.

»Deine Samenqualität ist egal. Wir können adoptieren.«

Müde legte Thor das Blatt nieder: »Wozu sollten wir eine dritte Person in unsere Beziehung bringen? Ich kann einfach nicht verstehen, weswegen ich nicht genug für dich bin. Warum haben wir überhaupt geheiratet, wenn ich für dich nur ein Zuchtpferd bin? Dann hättest du dich mit irgendeinem Typen verheiraten können.«

»Vielleicht hätte ich das auch machen sollen. Jeder andere Typ hätte gerne Kinder mit mir.«

»Ellza, wie lange führen wir schon diese Diskussion? Zwei Jahre? Es bleibt dieselbe alte Leier und das muss aufhören. Wir sind verheiratet und du bist die Frau meines Lebens. Das ist Fakt. Leider kann ich keine Kinder bekommen und ich will nicht adoptieren. Ich weigere mich, das Kind eines anderen Mannes zu erziehen. So einfach ist das. Wir werden immer noch ein schönes Leben haben.« Thor nahm das Magazin wieder in die Hand, während er weiterredete:

»Wir können ein Tier kaufen. Hund, Katze oder Vogel - such dir aus, was du willst!«

»Ich möchte kein Tier haben. Ganz abgesehen davon, dass ich allergisch bin. Kannst du dich an den Sommer erinnern, als ich Asthma wegen einer Katze bekam?«

»Können wir dann also aufhören zu diskutieren? Wir drehen uns immerzu nur im Kreis.«

»Da hast du Recht - es gibt nichts mehr zu sagen.« Ellza schaltete die Nachttischlampe aus und schloss die Augen. Thor konnte hören, dass sie nicht schlief, aber er las einfach weiter.

Am nächsten Morgen verkündete Ellza, dass sie ausziehen würde. Thor akzeptierte dies als ihre Entscheidung und mit ihren gepackten Koffern verließ sie die Wohnung. In der Zeit darauf litt Thor an Schlaflosigkeit. Da er nicht begreifen konnte, warum Ellza gegangen war, wanderte er nächtelang gedankenverloren durch die Wohnung. Erst nach einiger Zeit vermochte er den Stand der Dinge zu akzeptieren und konnte wieder Schlaf finden. Sein Leben setzte er fort, indem er sich mit Arbeit begrub. Einige Male begann er wieder neue, längere Liebesbeziehungen, aber wurde jedes Mal mit denselben Begründungen verlassen: Er konnte keine Kinder bekommen und die Frauen spürten, dass er nicht mit dem Herzen dabei war. Letzten Endes gaben ihm lockere Beziehungen das größte Wohlbefinden.

Die Arbeit als Sorgenzerstäuber wurde für Thor zur Quelle der Freude, der Begeisterung und der Zufriedenheit. Auch wenn er gut in seinem Job war, versuchte er ständig, sich zu verbessern und genoss es, anderen Menschen in Sorge helfen zu können. Dies war eine Schwäche in der ganzen Familie, die einige legendäre Sorgenzerstäuber hervorgebracht hatte. Seine Großmutter väterlicherseits war wegen ihrer Strebsamkeit, aber auch, weil sie eine der ersten Frauen war, die sich auf diesem Gebiet hervortun konnte, berühmt geworden. Deswegen hatte er sie immer von der Sorgenzerstäubung - und welche Eigenschaften man dafür brauchte - erzählen gehört.

Als Dr. Thor Moslav sich das erste Mal der Sorgenzerstäubung zugewandt hatte, war er ein Junge gewesen, der dies zu tun gar nicht beabsichtigt hatte. Sein Onkel war bei einem Unfall im Meer umgekommen. Das Unglück setzte seiner Familie unheimlich zu und vor allem seinem Vater, dessen Zwillingsbruder der Onkel gewesen war. Kurze Zeit später bekam der Vater einen Schwertwal an seine Seite, der in regelmäßigen Abständen Salzwasser brauchte. Durch Gespräche und das Experimentieren mit den Techniken, von denen seine Großmutter erzählt hatte, vermochte Thor langsam die Sorgen seines Vaters zu verringern. Der Schwertwal wurde mit der Zeit zu einem hübschen Karpfen, der in einem Aquarium in der Wohnstube des Vaters lebte. Jetzt war er nur mehr ein Guppy, der im Pflegeheim des Vaters in einem kleinen Glasgefäß lebte. Thors Vater Tage war auf seine alten Tage dement geworden und lebte deswegen in einem Pflegeheim am anderen Ende der Stadt. Der Guppy war eine der wenigen Angelegenheiten, die seinen Vater noch interessieren konnten. Die einzig andere war sein morgendliches Ritual, das sowohl Personal als auch die Nachbarn letztlich, wenn auch widerwillig, zu akzeptieren lernten.

Rasch schüttelte Thor den Kopf. Den im nebeligen Land der Demenz vergangenen Dingen nachzutrauern, hatte keinen Sinn und so lenkte er seine Gedanken schnell wieder zu dem Interview. Seine Aussagen hatten ihn in ein gutes Licht gestellt. Die Journalistin hatte zufrieden und imponiert gewirkt, aber das könnte natürlich auch aufgesetzt gewesen sein. Journalisten waren schwer berechenbar. Die meisten wirkten freundlich und interessiert, aber Fakten gaben sie oft falsch wider. Thors alter Mentor Dr. M. hätte gesagt, dass Journalisten nicht in ihrem Fach ausgebildet waren und sich dessen Werten gegenüber nicht verpflichtet sahen.

Thor kam am anderen Ende des Parkes heraus und konnte schon sein weißes Haus mit dem grünen Eingang erkennen. Seine Wohnung in dem schönen, älteren Wohnhaus lag im obersten Stock. Jedes Mal füllte sich seine Brust mit Stolz, wenn er das Haus erblickte. Dort wohnte er. So gut war sein Leben.

Thor war nicht mehr so gut in Form wie noch vor einigen Jahren, aber er lief immer, wie jetzt auch, die Treppen hinauf, um sich in Form zu halten. Nur weil man über vierzig war, gab es keinen Grund, sich gehen zu lassen. Wie er der Journalistin angeraten hatte: ein Geheimnis des Erfolgs war der gesunde Nachtschlaf, Interesse für das eigene Gebiet sowie die eigenen Überzeugungen und Erwartungen zu erfüllen.

Am Abend schlief Thor rasch ein. Tief und traumlos schlief er die Nacht durch.

Der Sorgenzerstäuber

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