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Jacqueline knetete den Teig. Beugte sich darüber. Er fühlte sich gleichzeitig weich und fest unter ihren Händen an. Es hatte etwas Meditatives und Sinnliches, wie sie sich sanft vor und zurück wiegte, vor und zurück.

Die Augen geschlossen.

Sie knetete und wiegte sich. Knetete und wiegte sich.

Zwei andere Hände, älter, kälter, kräftig, legten sich auf ihre.

»Ich denke, das reicht, ma belle«, sagte Sarah.

»Oui, madame

Jacqueline wurde rot, als ihr klar wurde, dass sie den Baguetteteig schon wieder überknetet hatte.

Wenn sie das nicht endlich hinbekam, würde sie ihren Job verlieren. Ganz gleich, wie gut ihre Brownies und Torten und Millefeuilles waren, wenn man in Québec kein Baguette backen konnte, war man in einer kleinen Bäckerei fehl am Platz. Sarah würde sie nicht gern gehen lassen, aber sie hätte keine andere Wahl.

Alles hing davon ab. Und sie vermasselte es.

»Sie bekommen den Bogen schon noch raus«, beruhigte sie Sarah. »Wie wär’s, wenn Sie Ihre Petit Fours fertig machen? Madame Morrow hat zwei Dutzend bestellt. Sie sagt, sie erwartet Gäste, aber …«

Sarah lachte. Ein volles, von Herzen kommendes Lachen. Ein Gegenmittel für Jacquelines Ängste.

Jacqueline fragte sich, ob Anton nebenan war und kochte. Ein Gericht zu kreieren versuchte, mit dem er Olivier beeindrucken konnte. Mit dem er den Bistrobesitzer davon überzeugen konnte, ihn zum Chefkoch zu befördern. Oder zum Souschef. Oder zum Jungkoch.

Irgendetwas, nur nicht Spüler.

Allerdings hatte sie den Verdacht, dass er nicht mehr richtig bei der Sache war. Nicht seit die verhüllte Gestalt aufgetaucht war.

Selbst wenn Jacqueline hundert Jahre alt werden würde, würde sie niemals den Ausdruck auf Antons Gesicht vergessen, als sie über das Ding auf dem Dorfanger gesprochen hatten. Als sie vorgeschlagen hatte, sich an Gamache zu wenden. Dem Sûreté-Beamten zu sagen, dass sie beide wussten, was sich dahinter verbarg.

»Alles in Ordnung?«, fragte Sarah.

»Ich habe nur nachgedacht«, erwiderte Jacqueline.

»Vielleicht ist das das Problem. Wenn man Baguette backt, sollte man den Kopf frei haben. Für alles offen sein. Sie wären überrascht über all das Schöne, das einem in den Sinn kommt, wenn man den Verstand ausschaltet.«

»Sie meinen, wenn man ihn verliert?«, fragte Jacqueline.

Sarah sah sie einen Moment lang an. Dann lachte sie erneut.

Es kam nicht oft vor, dass die ernste, beinahe schon schwermütige junge Frau einen Scherz machte.

Vielleicht war sie letztlich gar nicht so ernst, überlegte Sarah. Manchmal wirkte sie fast leichtsinnig. Und so jung war sie, genau genommen, auch nicht mehr. Jung im Vergleich zu Sarah, aber ihr Lehrmädchen war sicher Mitte dreißig.

Trotzdem, die Schönheit des Backens. Mit zunehmendem Alter wurde man immer besser. Geduldiger.

»Um eine Bäckerei zu betreiben, muss man tatsächlich den Verstand verloren haben«, stimmte Sarah zu. »Wenn Sie Hilfe brauchen, ma belle, fragen Sie einfach Tante Sarah.«

Mit diesen Worten ging sie weg, um nach den Pasteten in den Öfen zu sehen.

Jacqueline musste unwillkürlich lächeln.

Sarah war natürlich nicht wirklich ihre Tante. Das war eine stehende Wendung zwischen der älteren und der jüngeren Frau geworden. Ein Scherz, und auch wieder nicht. Beide hatten festgestellt, dass ihnen die Vorstellung gefiel, eine Familie zu sein.

In diesem Lachen, in diesem Augenblick gab es nichts Finsteres. Doch sobald das Lachen verflogen war, kehrte es zurück.

Und ihre Gedanken wanderten zu Anton.

Tante hin oder her, wenn sie nicht lernte, Baguette zu backen, würde Sarah sie schließlich wegschicken müssen. Durch jemanden ersetzen, der es konnte.

Und dann würde sie Anton verlieren.

Jacqueline warf den überkneteten Teig weg und fing von vorne an. Ihr vierter Versuch heute, und es war noch nicht einmal Mittag.

Armand und Reine-Marie waren nach Hause gegangen.

Sie war im Wohnzimmer und sah den Inhalt einer Archivkiste durch.

Gamache hatte die Fotokopie, die er von dem Bild des ursprünglichen Cobrador gemacht hatte, gescannt und per E-Mail an Jean-Guy geschickt. Der reagierte darauf etwas grob mit der Frage, ob er sich langweile. Oder betrunken sei.

Gamache hatte zum Telefon gegriffen und angerufen. Seine Tochter Annie hatte sich gemeldet und den Hörer an Jean-Guy weitergereicht.

»Was ist mit diesem merkwürdigen Foto, patron?«, fragte er.

Gamache hörte Kaugeräusche und sah Jean-Guy mit einem riesigen Sandwich vor sich, wie Dagwood in Blondie. Eine Anspielung, die an seinen Schwiegersohn verschwendet wäre.

Als er mit seiner Erklärung fertig war, sagte Jean-Guy, jetzt nicht mehr mit vollem Mund: »Ich melde mich so schnell wie möglich wieder.«

Und Gamache wusste, dass er das tun würde.

Er hatte Jean-Guy schon lange gekannt, bevor er sein Schwiegersohn geworden war, seit er ihn von einem aussichtslosen Posten in der Asservatenkammer weggeholt hatte. Er hatte sich eines jungen Mannes angenommen, den niemand sonst wollte, und ihn zur allgemeinen Überraschung zum Inspektor bei der Mordkommission gemacht.

Aber Gamache war das völlig logisch vorgekommen. Er musste nicht lange darüber nachdenken.

Sie waren Chef und Untergebener. Patron und Protégé. Sie waren Herz und Hirn. Und jetzt Schwiegervater und Schwiegersohn. Vater und Sohn.

Sie waren zusammengeworfen worden, miteinander verbunden, wie es schien, für dieses Leben und viele vergangene.

Eines Abends, während eines Essens bei Clara, waren sie auf das Leben zu sprechen gekommen. Und den Tod. Und das Leben nach dem Tod.

»Es gibt da so eine Theorie«, sagte Myrna, »ich weiß nicht genau, ob buddhistisch oder taoistisch oder sonst irgendwas, der zufolge wir bestimmte Menschen in verschiedenen Leben immer wieder treffen.«

»Ich denke, das ist unfugistisch«, sagte Ruth.

»Immer die gleichen Dutzend Leute oder so«, fuhr Myrna fort, ohne sich von der verbalen Grätsche der alten Dichterin irritieren zu lassen. »Nur in unterschiedlichen Beziehungen. In diesem Leben seid ihr vielleicht ein Paar«, sie sah Gabri und Olivier an, »aber in einem anderen Leben wart ihr Brüder, oder Mann und Frau, oder Vater und Sohn.«

»Moment mal«, sagte Gabri. »Willst du damit sagen, dass Olivier irgendwann mal mein Vater gewesen sein könnte?«

»Oder deine Mutter.«

Die beiden Männer verzogen das Gesicht.

»Wir tauschen die Rollen, aber die Liebe bleibt gleich«, sagte Myrna. »Sie ist bedingungslos und unendlich.«

»Fuck! Das ist gequirlte Scheiße«, sagte Ruth und streichelte Rosa.

»Fuck, fuck, fuck«, stimmte die Ente zu.

Ruth und Rosa wurden sich immer ähnlicher. Beide hatten einen langen, dürren Hals. Einen weißen Schopf. Knopfaugen. Sie watschelten beim Gehen. Sie hatten dasselbe Vokabular.

Wäre da nicht Ruths Gehstock gewesen, hätte man sie praktisch nicht auseinanderhalten können.

Armand hatte zu Reine-Marie gesehen, ihr Gesicht glühte im Schein des Kaminfeuers. Lächelnd hörte sie zu. Nahm alles auf.

Wenn das, was Myrna sagte, wahr war, dann hatte er alle diese Menschen schon vorher gekannt. Das würde erklären, warum er sich gleich zu ihnen und zu diesem Dorf hingezogen gefühlt hatte. Das Vertrauen und die Geborgenheit, die er hier spürte. Selbst bei der verrückten alten Ruth. Mit ihrer Doppelgängerin. Der Ente, die in einem früheren Leben ihr Kind gewesen sein könnte.

Oder andersherum.

Aber Reine-Marie. Seine Tochter, seine Mutter oder sein Bruder?

Nein.

Sie war schon immer seine Frau gewesen. Das hatte er von dem Augenblick an gewusst, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Er kannte sie, vom ersten Augenblick an.

Durch die Zeiten. Durch die Leben. Jede andere Beziehung mochte sich verändern, fließen, eine andere Gestalt annehmen, aber seine Beziehung zu Reine-Marie war bedingungslos und für die Ewigkeit.

Sie war seine Frau. Und er war ihr Mann. Für immer.

Das mit Jean-Guy stand auf einem anderen Blatt. Armand hatte schon lange gespürt, dass auch da etwas Uraltes existierte. Eine sehr alte Kameradschaft. Ein Band, das nicht fesselte, sondern stärkte. Und das spürte Reine-Marie ebenfalls. Weshalb sie nur eine Bedingung gestellt hatte, bevor er der ranghöchste Polizist in Québéc wurde.

Jean-Guy Beauvoir musste ihn begleiten. Wie er es schon immer getan hatte.

Während ihm jetzt diese Gedanken durch den Kopf gingen, wartete Armand auf eine Antwort von Jean-Guy und blickte aus dem Fenster auf etwas, das ebenfalls aus der Zeit gefallen zu sein schien.

Und er fragte sich, ob einem, so wie die Liebe, auch der Hass aus früheren Leben folgte.

»Anton?«

Keine Antwort.

»Anton!«

Olivier drehte das Wasser ab. Das Spülwasser in dem tiefen Becken war übergelaufen und hatte sich auf dem Fußboden verteilt.

»Die Suppe von der Tageskarte wurde mehrmals bestellt. Und wir brauchen noch Pfannen. Alles in Ordnung?«

»Désolé, patron. Ich habe nur nachgedacht.«

Er fragte sich, ob Olivier, oder irgendjemand sonst, begriff, was da auf dem hübschen Dorfanger aufgetaucht war.

»Bitte«, sagte Olivier und wedelte mit der Hand, um ihn zur Eile anzutreiben. »Und wenn Sie damit fertig sind, könnten Sie dann zwei Schalen an Tisch drei bringen?«

»Ja.«

Die Pfannen wurden gespült, rasch abgetrocknet, dem Koch übergeben. Dann füllte Anton zwei Schalen mit Sellerie- und Quittensuppe, gab Crème frâiche und Dill darauf und brachte sie an Tisch drei.

»Merci«, sagte die Frau.

»Un plaisir, madame«, sagte Anton und bedachte sie mit einem höflichen Blick, bevor seine Augen zum Fenster wanderten.

Er hatte den vagen Eindruck, dass er die Frau kannte. Sie schon einmal gesehen hatte. Keine Dorfbewohnerin. Eine Besucherin. Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit wieder von dem Ding auf dem Dorfanger in Anspruch genommen.

Während er es beobachtete, bewegte es sich. Kaum wahrnehmbar. Vielleicht nur einen Zentimeter. Einen Millimeter.

Auf ihn zu.

»Hat es sich gerade bewegt?«, fragte Reine-Marie.

Sie war auf der Suche nach einem Buch ins Arbeitszimmer gekommen und blieb jetzt hinter Armands Stuhl stehen, um aus dem Fenster zu sehen.

»Schwer zu erkennen«, sagte Armand. »Aber ich glaube schon. Vielleicht war es auch nur der Wind, der den Umhang bewegt hat.«

Sie wussten jedoch beide, dass sich das dunkle Ding tatsächlich bewegt hatte. Nur ganz wenig. Beinahe nicht wahrnehmbar, außer für jemanden, der es schon eine Weile beobachtet hatte.

Das Ding hatte sich ganz leicht gedreht. Zum Bistro.

»Wussten Sie damals, wen es angesehen hat?«, fragte der Staatsanwalt.

»Nein. Es hätte jeder von einem Dutzend Leuten sein können. Oder mehr.«

»Aber höchstwahrscheinlich jemand an einem Tisch am Fenster, oder?«

»Einspruch, Beeinflussung des Zeugen.«

»Stattgegeben.«

»Was ist dann passiert?«, fragte der Staatsanwalt.

Hinter den drei Kiefern

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