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Kapitel 2

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„Was ist das, ein autoerotischer Unfall?“

Valerie zog die Augenbrauen zusammen und legte den Stift langsam zur Seite. Seit Stunden brütete sie bereits über Kriminalstatistiken verschiedener europäischer Mitgliedsstaaten und versuchte, sie auf einen gemeinsamen, computerauswertbaren Nenner zu bringen. Eine Sisyphusarbeit. Ihre Tätigkeit bei Europol hatte sie sich anders vorgestellt. Irgendwelche interessanten Ermittlungen, vielleicht Bandenkriminalität, Rauschgiftschmuggel, internationale Verbindungen oder sonst etwas. Und nun? Trockene Zahlenspiele, von Ermittlungen keine Spur, schon gar nicht von interessanten. Vermutlich fiel deshalb ihre Reaktion heftiger als beabsichtigt aus.

„Anna, was hast du jetzt wieder angestellt? Bist du immer noch mit diesem verheirateten Kerl zusammen?“ knurrte sie in den Hörer.

„He, was ist dir denn über die Leber gelaufen? Bleib mal schön geschmeidig.“

Anna-Lena war nicht der Typ Mensch, der sich seine gute Laune so schnell verderben ließ. Fröhlich plapperte sie weiter.

„Ich trage hier gerade ein paar Abgänge aus, da ist mir die merkwürdige Todesursache eines Soldaten aufgefallen. Autoerotischer Unfall, davon habe ich noch nie gehört.“

Anna-Lena war ihre beste Freundin. Valerie nannte sie nur Anna, Anne, oder Lene. Manchmal auch Lenchen, wenn sie sie ärgern wollte. Darauf reagierte sie immer sofort.

„So heißt eine Oma“, pflegte sie zu entgegnen.

Anna-Lena, vier Silben. Wer tut so etwas seinem Kind an? Aber sie trug Schuld daran, dass sie jetzt in Den Haag über trockene Statistiken grübeln musste. Schließlich war Anna es gewesen, die sie nach der Enttäuschung mit Jan darin bestärkt hatte, die plötzlich frei werdende Hospitationsstelle bei Europol anzunehmen.

Nicht ganz uneigennützig.

Anne war als Fremdsprachenkorrespondentin im NATO-Hauptquartier in Brüssel gelandet und arbeitete jetzt in der Personalabteilung, nicht unbedingt die geplante und ersehnte Traumkarriere. Aber auch Valeries Lebenslauf hatte im Laufe der Jahre manchen Knick bekommen. Als Tochter eines Hamburger Rechtsanwaltes stand fest, dass sie nach dem Abitur Jura studieren musste. Dass sie das Studium schließlich hinwarf und bei der Hamburger Kripo anheuerte, konnte ihr Vater bis zu seinem Tod vor zwei Jahren nicht verwinden. Wenigstens hatte ihr abgebrochenes Jurastudium und ganz besonders das Spezialgebiet, Europäisches Recht, dazu beigetragen, die Europol-Stelle zu bekommen, ohne das übliche Auswahlverfahren bei Landeskriminalamt und Bundeskriminalamt zu durchlaufen. Als geforderte zweite Fremdsprache konnte sie nahezu fließende Italienischkenntnisse vorweisen. Ihre schnelle Versetzung nach Den Haag war einer Flucht aus Hamburg gleichgekommen.

Und Anna hatte sich vor Freude die Hände gerieben. Ihre Affäre mit einem verheirateten Mann war dafür verantwortlich, dass sie jedes Wochenende allein in ihrer kleinen Brüsseler Wohnung hockte. Endlich war ihre Freundin wieder in der Nähe, endlich konnte wieder etwas gemeinsam unternommen werden.

„Was um alles in der Welt sind Abgänge?“, fragte Valerie, obwohl sie die Antwort bereits ahnte.

„Gestorbene Soldaten natürlich.“

„Das ist ziemlich pietätlos, findest du nicht?“

„Mag sein, aber das ist hier nun mal der übliche Sprachgebrauch und ändern tut es auch nichts mehr.“

„Was habt ihr überhaupt mit gestorbenen Soldaten zu tun?“

„Alle Soldaten, die bei NATO-Einsätzen eingesetzt sind oder waren, sind bei uns erfasst. Und wenn einer verstirbt, der einmal bei einem NATO-Kommando dabei war, dann bekommen wir eine Mitteilung und nehmen ihn raus aus den aktiven Akten. Ein Abgang also.“

Valerie schnaufte.

„Wer hat sich bloß diese Bürokratie ausgedacht?“

„Das weiß ich nicht“, antwortete Anna, als wäre die Frage ernst gemeint gewesen.

„Und was ist nun, du hast mir immer noch nicht erklärt, was das ist, ein autoerotischer Unfall.“

„Du bist doch nur an dem Wort Erotik hängen geblieben.“

Aus dem Hörer drang ein glucksendes Lachen.

Anna lebte ihre Sexualität offensiv aus. Sie nahm nie ein Blatt vor den Mund, während Valerie wesentlich zurückhaltender war. Erst recht nach der Enttäuschung mit Jan.

„Also“, fing Valerie umständlich an. „Meistens passiert das Männern. Das ist, oder, das passiert beim ...“ Sie stockte.

„Ja, was denn nun?“

Anne ließ nicht locker, keine Chance.

Valerie wurde es warm, sie spürte, wie sich ihre Gesichtsfarbe veränderte.

Wie erklärt man etwas, das man vielleicht noch zeigen könnte, aber der andere es nicht sehen kann, weil man am Telefon sitzt?

„Tod beim Wichsen, verdammt“, platzte es schließlich aus Valerie heraus. Augenblicklich sie schämte sich für diese Wortwahl und biss sich auf die Zunge.

Anna stieß einen lauten Pfiff aus.

„Und wie geht das? Das musst du mir genau erklären“, bohrte sie nach.

Valerie stöhnte genervt. Das Thema war ihr durch und durch unangenehm, aber sie wusste genau, dass sie bei Anna keine Chance hatte, ungeschoren davonzukommen. Zumindest nicht bei diesem Thema.

„Tod beim Wichsen. Du kannst mir doch nicht einfach so ein Schlagwort um die Ohren hauen und wenn es interessant wird, kneifst du die Backen zusammen. Also los, erzähl schon, was macht so ein Kerl, um dabei ums Leben zu kommen?“

Valerie fühlte, wie ihre Ohren glühten. Zum Glück war sie allein in dem kleinen Raum. Gleichzeitig stellte sie sich vor, wie sich Anna bequem in ihrem Bürostuhl räkelte und das Gespräch wie einen spannenden Film genoss.

„Da gibt es die unterschiedlichsten Vorgehensweisen. Manche bauen sich Vorrichtungen, in denen sie sich die Luft abwürgen, während sie onanieren, andere machen irgendetwas mit Strom. Was weiß ich denn. Manche stecken sich etwas sonst wo hinein und bekommen es nicht mehr raus. Es sind auch Fälle vorgekommen, wo sich der Mann an einem Staubsauger verletzt hat.“

Wieder lachte Anna.

„An einem Staubsauger? Hat er ihn da reingesteckt oder was?“

„Ja, was denn sonst?“

„Wow. Schade, in der Akte steht nichts darüber, was er gemacht hat. Also ob er einen Staubsauger vergewaltigt oder sich vielleicht erdrosselt hat.“

„Du bist unmöglich. Am liebsten hättest du noch ein Bild davon, was?“

„Ja, das wäre nicht schlecht.“

„Das war ein Scherz. Lass uns das Thema wechseln. Ich möchte einfach nicht mehr darüber reden.“

„Schade. Treffen wir uns am Wochenende? Die Nordsee ist jetzt warm genug. Wir könnten uns in Maasvlakte oder Renesse zum Surfen treffen und abends zu dir fahren.“

„Daraus wird nichts. Ich habe Mam versprochen, das Wochenende bei ihr zu verbringen.“

Die Freundinnen sprachen noch eine Weile miteinander über dies und das und verabredeten, sich am nächsten Tag wieder anzurufen.

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