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Kapitel 1

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Lucys Sicht

Am Morgen werde ich von den Sonnenstrahlen geweckt, die durch die offenen Gardinen in mein Zimmer fallen. Verschlafen reibe ich mir die Augen und drehe mich auf die andere Seite. Mit einem glücklichen Lächeln betrachte ich meinen Freund, der mit geschlossenen Augen ein und aus atmet. Es ist zwar schon fast ein Jahr her, seit wir zusammen gekommen sind, aber trotzdem spüre ich noch jedes Mal dieses Kribbeln in meiner Magengegend, wenn ich ihn anschaue. Ich kann es einfach nicht glauben, dass ein so toller Mann mit mir zusammen sein will!

Während ich ihm beim Schlafen zuschaue, lasse ich den gestrigen Abend noch einmal Revue passieren. Gestern war meine Schulabschlussfeier, denn endlich habe ich es geschafft und bin mit der Schule fertig! Zwar weiss ich noch nicht genau, was ich jetzt machen will, aber dass ich nie mehr zur Schule gehen muss, ist alles was zählt!

Obwohl ich Chris schon vor Monaten von der Abschlussfeier erzählt habe, hat er mir gesagt, dass er nicht kommen könne, weil er im Moment gerade mit seiner neuen ViVo-Kollektion beschäftigt ist und diese in London, Paris und Mailand präsentieren muss. Natürlich war ich ziemlich unglücklich darüber, denn ich hätte diesen speziellen Anlass gerne mit meinem Freund gefeiert. Es gab sogar einen Moment, in dem ich überlegt habe, ob ich überhaupt auf die Abschlussfeier gehen soll, oder ob ich einfach zuhause bleiben soll. Meine Freundinnen haben es aber geschafft, mich zu überreden und ehrlich gesagt bin ich ihnen mehr als dankbar, denn es wäre eine Schande gewesen, wenn ich Chris in Jogginghose und Schlabberpulli die Tür aufgemacht hätte, als er im Anzug und mit einer Rose vor der Tür stand, um mich für die Feier abzuholen. Wie auch schon an Silvester hat er es geschafft, mich zu überraschen. Ich bin ihm gleich um den Hals gefallen und musste Freudentränen zurückhalten, um das Make-Up nicht zu verschmieren.

Gemeinsam gingen wir dann zu der Abschlussfeier, wo Fiona, Sandro und Julie nicht schlecht staunten, als ich mit Chris aufkreuzte, denn dieses Mal waren sie nicht eingeweiht. Wir haben einen tollen Abend verbracht und konnten sogar unseren Klassenlehrer dazu überreden, einen Drink mit uns zu nehmen. Da Chris aber richtig erschöpft war, gingen wir beide schon gegen Mitternacht nach Hause. Das machte mir nichts aus, denn Chris und ich hatten uns schon seit fast drei Wochen nicht mehr gesehen. Als wir dann aber bei mir zuhause ankamen, war Chris so müde, dass er einfach nur noch schlafen wollte. Das hat mich schon irgendwie gewurmt, denn ich habe gehofft, dass wir wenigstens noch ein bisschen reden können oder so. Da ist mir bewusst geworden, dass ich mich wohl daran gewöhnen muss, wenn ich mit Chris zusammen sein will. Er wird wohl nicht so oft Zeit für mich haben, wie andere Typen für ihre Freundin. Das ist der einzige Nachteil, wenn man Chris‘ Freundin ist. Aber es war ja klar, dass es seine Nachteile haben muss. Trotzdem muss ich zugeben, dass ich mir in solchen Momenten einen normalen Freund wünsche. Einen Freund, den ich anrufen kann, wenn es mir nicht gut geht und er dann einfach vorbei kommen kann. Ein Freund den ich nicht nur alle zwei Wochen für einen Tag sehe. Fiona kann sich echt glücklich schätzen mit Sandro.

Ich versuche diese bedrückenden Gedanken zur Seite zu schieben und rede mir ein, dass ich den Moment geniessen soll. Und in diesem Moment liegt Chris neben mir im Bett und schläft. Dabei sieht er tatsächlich wie ein kleiner Junge aus und am liebsten würde ich mich dichter an ihn kuscheln. Aber ich habe Angst, dass er dabei aufwacht und nachdem ich gesehen habe, wie erschöpft er gestern war, will ich ihn heute ausschlafen lassen.

Während ich einfach nur da liege und Chris beim Schlafen zuschaue, klingelt plötzlich mein Handy. Normalerweise stelle ich es in der Nacht immer auf lautlos, aber gestern muss ich das wohl vergessen haben. Ich drehe mich schnell auf die andere Seite, schnappe mein Handy, welches auf dem Nachttisch liegt und werfe einen Blick auf das Display. Als ich Fionas Namen lese, stehe ich schnell auf und gehe aus dem Zimmer. Bevor ich die Tür hinter mir schliesse, werfe ich noch einen letzten Blick auf Chris, der sich stöhnend im Bett hin und her wälzt.

Sobald die Tür zu ist, nehme ich den Anruf an. Bevor ich irgendwas sagen kann, kreischt mir Fiona ins Ohr: „Lucy! Lucy! Weisst du, was gestern passiert ist?“

So enthusiastisch habe ich meine beste Freundin selten erlebt. Ausser wenn es um Cheesecake oder Nick Bateman ging. „Guten Morgen erstmal“, murmle ich leicht verwirrt und hake nach: „Was ist denn los? Es muss sich um etwas echt Wichtiges handeln, sonst würdest du mich nicht so früh am Morgen anrufen!“

„Sandro hat mich gefragt!“, meint sie und beginnt wie blöd darauf los zu kichern.

Nach wie vor komme ich nicht wirklich draus, worum es geht. „Was hat er dich gefragt? Kannst du mich bitte vollständig aufklären?“, bitte ich sie, schon leicht genervt. Ist sie noch betrunken?

„Entschuldige, ich kann es selbst noch kaum glauben!“, sagt sie etwas leiser, nur um dann wieder voll loszuschreien: „Sandro hat mich gefragt, ob ich ihn heiraten will und ich habe ja gesagt!“

Als ich diese Worte aus ihrem Mund höre, fällt mir fast das Handy aus der Hand. Wie bitte?! Das kann doch nicht sein, dass meine beste Freundin mit fast neunzehn schon verlobt ist! Ausserdem war heiraten noch nie ein Thema für uns. Wir haben beide erst gerade das Gymnasium abgeschlossen und wollten uns auf unsere berufliche Zukunft fokussieren. Zudem sind Fiona und Sandro erst zwei Jahre zusammen, da muss man doch nicht gleich heiraten.

„Freust du dich etwa nicht?“, will Fiona wissen, weil ich noch nichts darauf erwidert habe und dabei klingt sie ehrlich gesagt ziemlich enttäuscht.

„Tut mir leid“, antworte ich uns suche verzweifelt nach Worten. „Das kam einfach so unerwartet für mich und ich brauchte ein paar Sekunden um diese Neuigkeit zu verarbeiten. Natürlich freue ich mich für dich! Ich will nur das Beste für dich. Wenn du glücklich bist, bin ich es auch.“

„Für mich kam es auch sehr überraschend und ich hätte überhaupt nicht damit gerechnet, aber mit Sandro fühlt es sich einfach so richtig an. Ausserdem heisst es ja nicht, dass wir gleich heiraten werden, nur weil wir verlobt sind.“, räumt Fiona ein und klingt plötzlich ein wenig niedergeschlagen.

Ich frage mich, ob ihr erst jetzt bewusst wird, was es für Folgen hat, dass sie ,ja‘ gesagt hat. „Was hast du denn?“, frage ich vorsichtig nach.

Nach ein paar Schweigesekunden beginnt Fiona zögernd: „Ich habe meiner Mutter noch gar nichts davon erzählt. Sie wird darüber sicherlich nicht erfreut sein, auch wenn ich jetzt achtzehn bin und selbst über mein Leben bestimmen darf.“

Das habe ich befürchtet. Welche Mutter ist schon glücklich, wenn sich ihre Tochter mit zarten achtzehn Jahren verlobt?! Trotzdem gebe ich mein Bestes, Fiona zu beruhigen: „Du musst keine Angst haben. Es ist dein Leben und sie wird sich damit abfinden müssen. Wenn ihr ja sowieso noch nicht gleich heiraten wollt, hat sie ja massenhaft Zeit, sich noch daran zu gewöhnen.“

„Das ist es ja!“, meint sie leise und ziemlich unsicher. „Ich habe mit Sandro noch gar nicht darüber gesprochen, ob er auch noch warten möchte, oder ob er schon bald heiraten will.“

„Also bitte! Du heiratest, wenn du dazu bereit bist und nicht wann Sandro gerne heiraten möchte. Da musst du dich auf jeden Fall durchsetzen!“, entgegne ich bestimmt.

Daraufhin murmelt Fiona ein leises ‚ja‘. Es dauert noch ganze fünf Minuten, bis es mir endlich gelingt, sie umzustimmen und wieder auf positive Gedanken zu bringen. Anschliessend erzählt sie mir noch, was ich gestern auf der Abschlussfeier alles verpasst habe. Julie war wieder einmal ziemlich angetrunken und konnte nur noch mit Janices Hilfe normal stehen. Aber auch unser Klassenlehrer hatte einen über den Durst getrunken und war deshalb ziemlich witzig drauf.

Als ich mir das so anhöre werde ich ein wenig traurig und mir wird noch einmal bewusst, was ich für Chris alles opfern muss, wenn ich mit ihm zusammenbleiben will. Er hat so einen vollen Terminkalender, dass es an mir liegt, mich seinen Terminen anzupassen, um unsere Beziehung zu erhalten. Auf der einen Seite mache ich es ja gern, weil ich so Zeit mit meinem Lieblingsmenschen verbringen kann, aber auf der anderen Seite werde ich ganz schön was verpassen. Ich beschliesse aber diese Gedanken erst einmal für mich zu behalten.

Ich verabschiede mich von Fiona und verspreche ihr, mich später noch einmal bei ihr zu melden.

Als ich zurück in mein Zimmer komme ist Chris aufgewacht und hat sich aufgesetzt. Während ich auf ihn zu gehe mustert er mich mit einem aufmerksamen Blick. Erst jetzt fällt mir auf, dass ich gestern so müde war und nur ein ziemlich knappes Schlafshirt übergezogen habe, in welchem ich jetzt vor Chris stehe und ihm grinsend einen guten Morgen wünsche.

„Wer war das?“, fragt Chris neugierig und deutet auf mein Handy.

Ich kuschle mich eng an ihn, bevor ich ihm antworte: „Fiona. Sie hat mir erzählt, dass sie sich mit Sandro verlobt hat.“

Was wär das Leben ohne dich?

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