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Kapitel 4
ОглавлениеLucys Sicht
Als ich Chris‘ Name auf dem Bildschirm entdecke, nehme ich den Anruf schnell an. Ich versuche meine Nervosität zu verbergen und begrüsse ihn ganz normal: „Hi Chris, gut geschlafen?“
„Ja, habe ich“, antwortet er und fügt schnell hinzu: „Aber ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich habe dich mit dieser ganzen Heiratssache ziemlich überrumpelt, weil wir zuvor noch gar nie darüber geredet haben und ich hätte es nicht als selbstverständlich ansehen dürfen, dass du so früh heiraten möchtest.“
„Es geht nicht darum, dass ich nicht jung heiraten möchte, denn vielleicht sehe ich das in ein paar Jahren anders. Ich wäre einfach froh gewesen, wenn wir normal hätten darüber reden können“, erkläre ich ihm und bin unheimlich erleichtert, dass unser Gespräch in eine so gute Richtung zu verlaufen scheint.
„Ja, das stimmt. Es tut mir wirklich leid!“, gibt Chris niedergeschlagen zu und ich verspüre plötzlich das Verlangen, ihn in den Arm zu nehmen. So eine Fernbeziehung ist manchmal ganz schön scheisse!
„Aber da gibt es noch etwas…“, beginnt Chris zögernd und scheint meine Gedanken lesen zu können. „Ich weiss ja nicht wie es dir ergeht, aber eine Fernbeziehung ist richtig scheisse. Es ist einfach nicht schön, wenn man sich nach einem Jahr Beziehung nur alle drei Wochen für zwei oder drei Tage sehen kann. Auf Dauer halte ich das nicht mehr aus. Ich brauche mehr!“
„Und worauf willst du hinaus?“, frage ich unsicher und schlucke leer. Ich mache mich innerlich auf das Schlimmste gefasst.
Chris räuspert sich und fährt dann fort: „Ich würde dich am liebsten jeden Tag bei mir haben und da du jetzt mit der Schule fertig bist, wollte ich dich fragen, ob du zu mir nach Stuttgart ziehen möchtest.“
Was? Ich glaube, mich verhört zu haben. Das kann nicht sein! Ich würde unheimlich gerne mit Chris zusammen ziehen, aber mir fallen tausend Gründe ein, weshalb ich es nicht tun sollte und es absolut keine gute Entscheidung wäre.
„Und, was sagst du dazu?“, will Chris wissen.
Ich weiss gar nicht, wie ich es ihm am besten beibringen soll, dass ich das nicht möchte. „I-ich denke, dass also, dass es keine so gute Idee wäre“, stottere ich und setze mich dabei auf mein Bett, wo ich den Stoffhasen in die Hand nehme, den mir Chris letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hat. Er hat damals gemeint, ich solle den Plüschhasen immer in den Arm nehmen, wenn ich ihn besonders stark vermisse.
„Aber warum denn nicht?“, fragt Chris entsetzt. „Die ganze Zeit hast du mir immer wieder gesagt, dass wir erst zusammen ziehen, wenn du die Schule abgeschlossen hast und das wäre jetzt!“
„Ja, aber ich habe allgemein vom Zusammenziehen gesprochen und nicht davon, dass ich zu dir nach Stuttgart ziehen soll!“, antworte ich ihm genervt.
„Wo bitte liegt da der Unterschied? Du wusstest doch schon von Anfang an, dass ich nicht von Stuttgart weg kann! Meine Arbeit ist hier!“ Okay, jetzt ist Chris wirklich wütend. Aus diesem Grund versuche ich ihn zu beschwichtigen: „Nein, ich wusste nicht, dass du in Stuttgart wohnen musst. Ich wusste, dass du dort arbeiten musst, aber ich dachte, dass du auch wo anders wohnen kannst. Es tut mir leid, aber Stuttgart ist im Moment keine Option für mich.“
„Und warum nicht?“, Chris bleibt hartnäckig. „Dafür gibt es viele Gründe“, gebe ich knapp zurück. „Ich will sie hören“, fordert Chris. „Alle?“ „Alle.“
Ich seufze und beginne dann mit der Aufzählung: „ Erstens bin ich erst seit zwei Tagen mit der Schule fertig und erst seit einem halben Jahr achtzehn. Das geht mir einfach zu schnell und ich bin nicht bereit dazu. Zweitens ist Stuttgart ziemlich weit weg von hier, wo meine Familie und alle meine Freunde wohnen. Ich wäre also alleine in Stuttgart und hätte nur dich. Natürlich vorausgesetzt, du bist nicht gerade dabei, eine neue Kollektion im Ausland vorzustellen. Und drittens habe ich mich noch immer nicht entschieden, was ich nach der Schule machen möchte. Ich kann nicht einfach nach Stuttgart ziehen, ohne mir im Klaren über meine Zukunft zu sein.“
Nach meiner ziemlich langen Rede bleibt Chris kurz still und scheint zu überlegen. „Du könntest auch in Stuttgart über deine Zukunft nachdenken. Und wenn es des Geldes wegen ist, kann ich dir bestimmt einen Job bei ViVo besorgen und du könntest dann auch mit ins Ausland kommen“, offeriert mir Chris breitwillig.
Ich seufze, denn Chris scheint einfach nicht zu verstehen, was ich ihm sagen will. „Chris, das klingt alles richtig toll und ich würde mich so wahnsinnig freuen, dich zu begleiten. Aber ich kann das nicht!“, versuche ich ihm zu erkläre und mache eine Pause um tief Luft zu holen.
„Aber warum denn nicht? Ich lege dir meine Welt zu Füssen und du willst sie nicht! Was soll ich denn noch tun?!“, möchte er wissen.
„Ich rechne es dir hoch an, dass du dir so viele Gedanken über dieses Thema gemacht hast und du mir alles anbietest, um es mir so angenehm wie möglich zu machen. Und das ist auch nicht das Problem. Mein Problem ist nur, dass ich unabhängig bleiben möchte. Ich will nicht, dass alles auf dich hinausläuft und falls wir uns trennen würden, dass ich dann komplett alleine da stehen würde. In Stuttgart wärst du die einzige Person, die ich kennen würde und auch den Job, den du mir angeboten hast, läuft über dich. Falls wir uns trennen würden, wäre ich ganz alleine in Stuttgart, ohne Freunde, und müsste mir einen neuen Job besorgen. Ausserdem möchte ich einen Job kriegen, weil ich gut dafür geeignet bin, nicht weil du der Boss von ViVo bist. Verstehst du das?“, erkläre ich ihm meinen Standpunkt und hoffe inbrünstig, dass er versteht, was ich meine.
Am anderen Ende der Leitung höre ich nur ein verächtliches Schnauben. Das heisst wohl, dass Chris meine Sichtweise nicht versteht. „Du immer mit deinem Unabhängigkeits-Scheiss! Ist das dein Ernst? Ich will nur, dass wir uns beide öfter sehen und nicht mehr diese blöde Fernbeziehung haben und alles was du tust, ist meine Vorschläge ablehnen. Wirklich, ich hätte mir die Mühe sparen können. Ich weiss echt nicht, ob ich mit jemandem zusammen sein möchte, der so undankbar und überhaupt nicht beziehungsfähig ist!“, brüllt Chris in den Hörer und legt auf, bevor ich irgendwas antworten kann.
Aber seine letzten Worte haben gesessen. Ich lege mein Handy weg und lege mich in mein Bett, als ich merke, wie mir eine Träne an der Wange runterläuft. Warum mache ich bloss alles falsch?! Ich will ja auch, dass unsere Beziehung besser wird und wir uns öfter sehen können, aber ich bin einfach noch nicht dazu bereit auszuziehen. Dazu fühle ich mich noch viel zu jung.
Aber ist es zu viel verlangt von Chris ein bisschen Rücksicht zu erwarten? Bis jetzt war immer ich diejenige, die sich an sein Leben angepasst hat. Immer ich. Und jetzt bitte ich ihn darum, noch zu warten mit dem Zusammenziehen und Heiraten, weil es auch mich betrifft und ich einfach noch nicht so weit bin und deshalb bezeichnet er mich als undankbar und nicht beziehungsfähig?! Vielleicht stimmt das ja mit dem beziehungsfähig. Vielleicht muss ich die Beziehung mit Chris noch einmal überdenken. Der Altersunterschied ist nun mal da und die Konflikte werden nicht weniger. Vielleicht wäre es besser, wenn ich mich von ihm trenne, damit ich mein Leben so leben kann wie ich es möchte und nicht wie er es gerne hätte.
Ich merke, dass ich nur im Selbstmitleid versinken würde, wenn ich jetzt nicht aufstehe und etwas tue. Deshalb beginne ich mein Zimmer gründlich zu saugen und zu putzen. Während dem Putzen werde ich richtig wütend auf Chris. Wie kann er mir sagen, dass er sich nicht sicher ist, ob er mit mir zusammen sein will, nur weil ich nicht gleich alles mitmache, das er vorschlägt. Und zwar nicht einfach so, sondern weil es für mich im Moment nicht stimmt und ich noch nicht so weit bin! Das geht doch nicht!
Als ich das Zimmer fertig geputzt habe bin ich stinksauer auf Chris. So kann er sich doch nicht mir gegenüber verhalten! Zum Glück ist auch schon Zeit, um mich für das Abschlussessen bereit zu machen, sonst wäre ich bestimmt noch auf dumme Gedanken gekommen. Aber dieses Abschlussessen ist die perfekte Ablenkung von meinen Problemen. Ich freue mich schon darauf, ein paar Stunden abschalten zu können und den Abend mit meinen Freundinnen und Mitschülern geniessen zu können.