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Kapitel 2

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Lucys Sicht

Ich warte darauf, dass Chris mindestens genauso geschockt ausschaut wie ich, als ich vorher davon erfahren habe. Aber ich warte vergeblich auf irgendein Zeichen von Ungläubigkeit.

Da Chris nicht darauf reagieren zu scheint, hake ich nach: „Bist du nicht irgendwie erstaunt darüber? Findest du nicht, dass es sehr plötzlich kommt?“

„Warum denn?“, antwortet Chris, „sie lieben sich. Ausserdem ist Sandro schon einundzwanzig, wenn ich mich richtig erinnere. Was ist falsch daran, heiraten zu wollen?“

Nach diesen Worten kann ich förmlich spüren, wie mir das Blut in den Adern gefriert. Bis vor wenigen Sekunden war ich der festen Überzeugung, dass Chris die Sache von Fionas und Sandros Verlobung genau so sehen würde wie ich.

Noch immer total geschockt stammle ich: „W-wie bitte?“

Chris drückt mich ein bisschen fester an sich und sagt dann mit sanfter Stimme: „Es ist ja schon klar, dass man irgendwann gerne heiraten möchte und um ehrlich zu sein, wollte ich schon immer mit dreissig verheiraten sein.“

Ich schlucke leer. Das bedeutet, dass Chris noch in den nächsten drei oder vier Jahren heiraten will. Aber bin ich dazu schon bereit? Ich bin doch gerade erst achtzehn geworden und habe mir darüber noch keine wirklichen Gedanken gemacht.

„Und warum hast du mir nie davon erzählt?“, frage ich mit leiser Stimme.

„Es kam bis jetzt nie zur Sprache“, meint Chris Schultern zuckend.

Wie kann ihn das nur so kalt lassen? Plötzlich verspüre ich innerlich den Drang, einfach zu verschwinden. Ich halte es nicht länger so dicht neben ihm aus. Ich brauche dringend Abstand und etwas Zeit für mich. Deshalb befreie ich mich ruckartig von seinem Arm und stehe auf.

„Hey! Wo willst du denn hin?“, fragt Chris verwundert.

Als ich darauf nicht gleich antworte fügt er verständnisvoll hinzu: „Es tut mir leid! Ich bin einfach davon ausgegangen, dass alle Frauen gerne jung heiraten wollen würden, so dass sie dann ihr ganzes Leben mit diesem einen Typen verbringen können und gemeinsam alt werden. Ich dachte einfach, dass alle Frauen diesen Gedanken so schön romantisch finden.“

„Dann hast du wohl falsch gedacht!“, fauche ich und stürme aus dem Zimmer. Im Flur schnappe ich mir eine Jeans und ein weisses Shirt, welche ich gestern nur auf den Stuhl im Flur geworfen habe. Schnell ziehe ich mich um, binde meine Haare zu einem Dutt zusammen, setze meine Sonnenbrille auf und verlasse das Haus. Ich brauche jetzt dringend Zeit für mich. Ich muss nachdenken. So kann es nämlich nicht weitergehen.

Erst als ich schon draussen bin merke ich, dass ich mein Handy in meinem Zimmer vergessen habe. Allerdings habe ich nicht die geringste Lust, Chris noch einmal unter die Augen zu treten, deshalb lasse ich es und laufe los. Wie immer schlage ich den Weg zum Stadtrand ein. In der Natur, wo ich alleine bin, kann ich einfach besser nachdenken, als wenn ich von Menschen umgeben bin.

Es ist schon ziemlich warm und die Sonne strahlt auch. Es hätte ein perfekter Tag werden können, wenn da bloss nicht diese Heirat-Sache gewesen ist. Ich beginne mich zu fragen, ob Chris auch irgendwann ein kleines bisschen an mich gedacht hat und dass es vielleicht nicht in meinem Interesse ist, schon mit zwanzig zu heiraten. Das ist wohl der Punkt, wo uns der Altersunterschied eingeholt hat. Bis jetzt war es kein Problem, bis auf wenige Kommentare von meinen Mitschülern oder sonst irgendwelchen Bekannten von uns. Aber damit kann ich leben.

Nichtsdestotrotz könnte ich nicht damit leben, schon mit zwanzig, noch während dem Studium, zu heiraten. Ich will doch zuerst die Chance haben, Karriere zu machen, bevor ich mich, im Idealfall für immer, an jemanden binde. Auch bei Fiona konnte ich vorher raushören, dass sie genau mit dieser Sache auch ein Problem hat.

Je weiter ich gehe, desto härter trifft mich der Fakt, dass der Altersunterschied von Chris und mir doch zu einem Hindernis wurde. Ehrlich gesagt war ich so naiv und dachte, dass wir er schaffen könnten, ohne auf solche Konflikte zu stossen. Aber vielleicht ist das nicht so. Vielleicht habe ich mich getäuscht.

Natürlich habe ich mich, als Chris und ich zusammen gekommen sind, ein bisschen schlau gemacht, über Paare mit einem grösseren Altersunterschied in diesem Alter. Da stand auch immer, dass man Kompromisse eingehen muss, wenn die Beziehung funktionieren soll. Aber es ist doch nicht fair, wenn ich mein ganzes Leben für ihn aufgeben muss! Ich will auch Karriere machen und unsere Beziehung soll dabei doch kein Hindernis sein, sondern eher stärkend und ermutigend. Dies ist im Moment aber nicht der Fall.

Als ich an meinem Lieblingsplatz ankomme, einem kleinen See, umgeben von Bäumen, bin ich noch immer unschlüssig. Auf der einen Seite liebe ich Chris über alles. Wir haben schon so viel durchgestanden, ausserdem unterstützt er mich wo er kann und muntert mich immer auf, wenn es mir nicht gut geht. Zusätzlich habe ich von ihm gelernt, das Leben nicht zu ernst zu nehmen und alles etwas lockerer zu sehen.

Aber auf der anderen Seite bin ich diejenige die schon ziemlich viel für ihn aufopfern musste. Ich muss mich nach seinem Terminkalender richten, wenn ich ihn sehen will und wurde schon einige Male kurzfristig versetzt, weil Chris spontan einen neuen Termin hatte. Ausserdem wünsche ich mir manchmal, dass Chris viel näher wohnen würde. Fiona hat es so gut! Sandro kann einfach mal schnell vorbei kommen. Aber Chris und ich müssen das immer schon Wochen im Voraus planen, was auf Dauer ziemlich nervig sein kann. Mädchen, die mit einem Jungen von ihrer Schule zusammen sind, haben es da schon um einiges leichter. Und manchmal wünschte ich, dass ich einen von ihnen wäre, auch wenn ich Chris noch so sehr liebe.

Ich weiss nicht wie lange ich schon da stehe und einfach in die Ferne starre. Mit der Zeit wird mir ziemlich warm, da die Sonne schon hoch am Himmel steht. Ich beschliesse wieder nach Hause zu gehen. Während ich gehe, versuche ich einfach nicht mehr an meine Probleme zu denken. Mir ist bewusst, dass sie nicht einfach verschwinden wenn ich sie nicht beachte, aber ich will jetzt einfach den Heimweg geniessen.

Zuhause schliesse ich die Tür auf und stelle erleichtert fest, dass Chris‘ Schuhe noch da sind. Ehrlich gesagt hatte ich die ganze Zeit Angst, dass Chris wieder abreisen würde, ohne sich richtig von mir zu verabschieden.

Ich gehe direkt zu meinem Zimmer. Die Tür ist einen Spalt breit geöffnet und ich linse hinein. Chris sitzt auf meinem Bett, mit dem Rücken zu mir gewandt. Er hat Kopfhörer aufgesetzt und sein Laptop liegt vor ihm. Wahrscheinlich designt er gerade ein paar neue Kleidungsstücke. Ich will ihn nicht stören und gehe deshalb ins Badezimmer, welches gleich neben meinem Zimmer liegt. Dort gönne ich mir eine ausgiebige Dusche und versuche meine Sorgen abzuwaschen.

Eine gute Viertelstunde später komme ich wieder aus dem Bad. Bloss in ein Handtuch gehüllt betrete ich das Zimmer. Chris hat den Laptop weggelegt und liegt einfach auf dem Bett und starrt an die Decke. Sobald ich das Zimmer betrete wandert sein Blick zu mir. Dabei bleibt mir fast das Herz stehen.

Was wär das Leben ohne dich?

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