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Städtereisen mit Holger

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Als wir uns kennenlernten, Holger und ich, gab es meine älteste Tochter Paulina schon. Sie war damals zwei Jahre alt. Wir hatten also nie diese unbeschwerte »Komm, lass mal losfahren und sehen, wo wir landen«-Phase. Urlaube mussten abgestimmt werden. Mit dem Kindsvater, den Schulferien und mit Holgers Urlaub. Nicht tragisch. Das machen schließlich alle Menschen mit Kindern so. Aber wir waren jung und neugierig, das Leben und die Welt lagen verheißungsvoll vor uns und wir wollten alles anschauen, auskosten und erleben. Städte wollten wir bereisen, jedes Jahr mindestens einen Kontinent erforschen. Na ja, ich jedenfalls. Holger wäre aber schon auch mitgekommen.

In unserem ersten Jahr flogen wir mit Paulina nach Kreta, wo wir die Erfahrung machten, dass Retsina nur halb so gut schmeckt, wenn der Strand vor dem Hotel auch nichts anderes als ein großer Sandkasten ist, in dem jeder darauf Wert legt, sein eigenes Spielzeug zu benutzen. Und dass ein Urlaub sich vermutlich nur dann auch nach Erholung anfühlt, wenn man nicht ständig ein aufgewecktes Zweijähriges aus dem Pool, anderen Hotels oder fremden Autos klauben muss. Kinderbetreuung wäre gut, aber erstens waren uns solche Hotels zu teuer und zweitens distanzierten wir uns von Eltern, die ihre Kinder im Urlaub in die Kinderbetreuung gaben. Uncool. Noch. Diese Einstellung sollte sich bald ändern. Spätestens als Paulina ein bisschen größer war, Maria, Lilli und William geboren wurden und wir mit unseren Finanzen und Ansichten ein wenig großzügiger sein konnten. Dann kam die Kinderbetreuung. Davor waren wir in Bayern auf dem Bauernhof und einmal auf Rügen bei drei Wochen Dauerregen. Gab ein prima Fernsehprogramm damals. Und ich war noch nie so erholt und ausgeschlafen nach einem Urlaub.

Aber gut. Zurück zu den Anfängen: Wir wollten unsere Kinder kulturell aufgeschlossen erziehen. Wir wollten ihnen die Welt zeigen und jedes Jahr eine Stadt anschauen. Nun, die Zeit rast. Und wir waren immerhin schon in … äh … Tübingen und Esslingen und beinahe wären wir vor sieben Jahren mal nach Straßburg gefahren. Das zählt. Das muss einfach zählen!

Vor drei Jahren (nach mittlerweile beinahe 15 Jahren Ehe) schenkte mir mein Mann nun die allererste Städtereise zum Geburtstag. In Form eines Gutscheins. Ich mag Gutscheine nicht. Ich habe nämlich sehr viele. Viel zu viele. Es scheint mir, als ob für meine Familie mein Geburtstag immer sehr überraschend kommt. Ich habe Gutscheine für Massagen, Küche auf- oder Spülmaschine ausräumen, Müll runtertragen, Tisch decken und Wäsche zusammenlegen. Ich könnte ein komplett arbeitsfreies Jahr verbringen und gemütlich von der Couch aus meinen Kindern dabei zuschauen, wie sie herumwuseln und ihre Gutscheine abarbeiten. Tun sie aber nicht. Nie. Ich habe trotzdem alle aufgehoben. Wenn meine Kinder selbst mal Familie haben, räche ich mich. Zur Geburt ihrer Kinder bekommen sie von mir Enkelbetreuungsgutscheine, Erziehungsberatungsgutscheine, Katzen- oder Hunde-in-den-Ferien-fütter-Gutscheine. Ha! Jedenfalls: Mein Mann hat alles noch getoppt, in dem er mir nicht nur einen Gutschein schenkte, sondern auch noch »Städtereise in eine Stadt deiner Wahl« draufschrieb. Hallo? Das heißt so viel wie: Wir fahren in eine Stadt, die du aussuchst, machen eine Reise, die du organisierst und buchst, wofür du die Kinder ebenso wie die Katze unterbringst, die du vorbereitest, für die du einkaufst, vorkochst und packst, und ich zahle das Ganze. Danach darfst du mir für mein tolles Geschenk danken und mich bis in alle Ewigkeit anhimmeln. Danke, kann ich da nur sagen! Danke schön!

Er hat es sicher nett gemeint.

Aber konnte er haben: Ich träumte also schon mal von einem schicken Hotel in Kopenhagen, einem Stadtbummel und vielen Museumsbesuchen in New York an Weihnachten, Shanghai, Rio oder ganz gewagt: eine Reise in meine Studienstadt San Francisco. Dresden, Palermo, Dubrovnik oder Dublin? Die Entscheidung fiel mir schwer.

Nun, bis zu meinem Geburtstag im kommenden Jahr war ich jedenfalls nirgends. Aber Holger hatte sich was ganz Besonderes für mich ausgedacht: Ich bekam Konzertkarten für Gregory Porter in Karlsruhe. Und – tadaaa – weil Karlsruhe eine Stadt ist, war der Gutschein vom letzten Jahr auch gleich mit abgegolten. Toll! Juhu! Karlsruhe! Eine Übernachtung war selbstverständlich nicht notwendig (nach Karlsruhe fährt man schließlich nur eine knappe Stunde) und im eigenen Bett schläft man doch sowieso am besten. Nichts gegen Karlsruhe. Wirklich. Ist auch irgendwie schön da. Aber eben nicht New York.

Dafür aber liehen wir uns Räder aus und fuhren einmal zum Schloss (das Schloss wurde gerade renoviert), machten vor dem Bauzaun ein lustiges Foto und radelten wieder zurück. Und! Wir aßen sogar einen Salat in einem Biergarten. Ist das nicht eine supertolle, echt coole, megaspannende und vor allem romantische Städtereise? Womit habe ich das nur verdient?

Nichts gegen Karlsruhe: Das Konzert war genial, die Location toll und der Salat lecker. Aber eine Städtereise habe ich mir irgendwie anders vorgestellt. Ich sehe schon, so etwas muss man selbst machen. Aber ich könnte ihm als Dank trotzdem ja einen Gutschein schreiben: Zehn Minuten überbordende Freude mit wahlweise (bitte ankreuzen): Juchzen. Umarmen. Anhimmeln.

Dabei hätte er mich doch nach Hamburg, Berlin, Stockholm oder Kopenhagen entführen können. Nach Reykjavik, Brüssel, Rom, Barcelona oder Amsterdam? Zürich? New York, Leipzig, doch endlich Straßburg oder Wien? Hm. Alles muss man selbst machen. Aber gut, ich bin ja flexibel. Und ich glaube, ich will als Allererstes endlich nach Venedig.

Ruhe auf den billigen Plätzen!

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