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Während Jens Manders Augen über die Zeilen rasten, fügte er aus seinem Gedächtnis weitere Details hinzu.

„Noch im Krankenhaus, als die große Erinnerung über ihn kam“, dozierte er laut weiter, „wollte er die Behandlung abbrechen und sofort zu seinen Eltern nach Regensburg fahren. Da das für »Republikflüchtlinge« aber nicht so einfach war, die Ermittlungen in Berlin noch auf Hochtouren liefen und er unter Beobachtung des Berliner Staatsschutzes stand, dauerte es dann doch noch vier Monate, bis seine ,neue‘ Identität überprüft war und ihm ein neuer Personalausweis ausgestellt werden konnte.

Mit der PanAm von Tegel nach München Riem und mit dem Zug nach Regensburg, das war seine Reiseroute und immer mit Babysittern vom Staatsschutz an den Fersen.“

Holger hatte schon wieder sein unverschämtes Grinsen aufgesetzt, sprach aber kein Wort.

„Anstatt eines großen Hallo und einer noch größeren Wiedersehensfeier stand er vor der Türe seiner elterlichen Wohnung in Regensburg und ,sieh da kuck‘ sein Vater gab plötzlich nicht mehr die Nummer vom verlorenen Sohn.“ fuhr Jens fort. „Das sind nicht meine Worte sondern stammen aus dem Bericht der beiden Polizisten, die ihn am Regensburger Hauptbahnhof in Empfang genommen hatten. Jeder hätte einen euphorischen Empfang erwartet, hatte doch der alte Erich im Krieg vier Söhne verloren und dann überraschenderweise doch einen wieder gekriegt. Aber mit dieser Reaktion hatte keiner gerechnet.“

„Was war aber der Punkt, an dem Du misstrauisch wurdest? Doch nicht die laue Begrüßung? Schließlich hatten sie sich ja über ein viertel Jahrhundert nicht gesehen und ein Jugendlicher von achtzehn unterscheidet sich rein äußerlich von einem Mann mit vierundvierzig Jahren. Da ist die Wiederkennung nahe null“, äußerte Holger seine Bedenken.

„Doch. Genau das war der Grund. Er wusste ja nicht mal, welcher der anwesenden Männer sein Vater war.“

Im Rahmen der Tatsachenprüfung, wie es im Behördendeutsch so schön heißt, hatte er damals Akten der Staatsanwaltschaft aus Berlin angefordert und den Bericht der beiden Polizisten gelesen.

„Über die Verbindungen meines alten Herrn“, fuhr er unbeirrt fort, „habe ich dann einige der Angaben über Jakob nachgeprüft und, da ich persönlich sehr an dem Fall interessiert war, einen Urlaubstag geopfert und den ehemaligen Lehrherrn von Walker ausfindig gemacht. Zu meiner Überraschung sagte ihm der Name Jakob Walker nichts. Der letzte Lehrling, den er in der fraglichen Zeit hatte, wäre ein Ulrich Cornelius gewesen - ab Vierunddreißig und dann noch ein paar Jahre als Geselle. Neununddreißig sei der dann über Nacht einfach abgehauen nachdem er seiner Tochter ein Kind gemacht habe.

Das hatte auch meinen Abteilungsleiter überzeugt, dass die wahre Identität des Antragstellers nicht nachgewiesen werden könne. Wenn ich nicht abgezogen worden wäre, hätte ich einen Ablehnungsbescheid erlassen.“

Jetzt kam Holger ebenfalls in Schwung. „Das steht aber nicht in der Akte“, fuhr er Jens an und sein Grinsen hatte plötzlich was Bedrohliches. „Wir sind nur aufmerksam geworden, als bei uns plötzlich die Information über eine Anfrage bei der Ludwigsburger Zentralstelle zu den Namen Jakob Walker, Ulrich Cornelius und Andre Dreiste auf den Tisch flatterte. Germut war auf ,Hundert‘ und keine Woche später hatten wir Dich durchleuchtet. Politisch desorientiert, kleiner Revoluzzer, aber keine Verbindungen die uns gefährlich werden konnten; das war das Ergebnis. Germut musste die Quelle schützen und ich war der Ansicht, dass einer, der eine gute Legende knacken kann, auch gute Legenden schreiben könnte.“

Er nahm wieder einen Schluck aus seiner Kaffeetasse.

„Also haben wir Dich aus dem Rennen genommen, an ein paar Fäden gezogen und die Quelle gerettet. Dein Nachfolger als Sachbearbeiter konnte zum Glück gegen ein größeres Taschengeld den Deckel wieder drauf machen. Germut hatte Wut und den Ärger und ein paar tausender weniger in seinem Budget, wir unsere Quelle in Sicherheit und die Aussicht, einen pfiffigen Analytiker zu kriegen.“

Er reichte Jens einen weiteren Aktendeckel.

[classified - top Secret]

Ulrich Cornelius, vermutlich geboren am fünfundzwanzigsten Februar Neunzehnzwanzig; Vater unbekannt; Mutter unbekannt; wurde in einem Weidenkorb auf den Stufen des Klosters zu den armen Schulschwestern aufgefunden. Trotz intensiver Suche konnten seine Eltern nie ermittelt werden.

Der Name entstand aus dem bürgerlichen Familiennamen der Schwester die ihn gefunden hatte.

Besuch der Volksschule in Weiden, ab Neunzehnvierunddreißig Fleischerlehre in Regensburg; tritt Achtunddreißig in die NSDAP und Neununddreißig in die SS ein.

Da er alle biologischen Merkmale eines Ariers hat, kann er bei seiner Bewerbung so überzeugen, dass auf den Ariernachweis verzichtet wird. Er steigt innerhalb der SS schnell zum Sturmbandführer auf.

Dreiundvierzig wechselt er zur Gestapo in der Prinz-Albrecht-Straße. Die SS-Akte endet am vierzehnten Februar Fünfundvierzig mit dem Vermerk, dass der Volksgenosse Ulrich Cornelius nach einer eintägigen Abordnung an die Deutsche Hochschule für Politik nicht wieder zum Dienst erschienen sei. Es werde angenommen, das Cornelius während des Bombenangriffs vom dritten Februars ums Leben gekommen sei.“

Im Juli Neunzehnsiebenundvierzig in Norditalien, Bozen, während einer gemeinsamen Aktion des SSU9 mit einer ortsansässigen Schmugglerbande als ehemaliger SS-Mann enttarnt und nach Deutschland - Oberursel, Camp King - verbracht und Neunzehnsiebenundvierzig im Rahmen der Operation »Overcast« nach Fort Hunt in den Vereinigten Staaten überstellt.

Weitere Akten : Classified - top secret

Jens hatte gerade die Akte an Holger zurückgegeben, als das Fräulein „rühr-mich-nicht-an“, das vorher schon den Kaffee serviert hatte, ins Zimmer kam und Holger einen großen weißen Briefumschlag reichte.

„Wenn Sie mich jetzt nicht mehr brauchen, dann mache ich Feierabend“, säuselte sie Holger zu und sah ihn dabei fragend an.

„Nein - danke dass Sie so lange geblieben sind“, erwiderte Holger. „Wir sehen uns morgen. Gute Nacht.“

Der Umschlag enthielt die Personaldokumente auf den Namen Hanns Lothar und die Bilder auf den Ausweisen ließen Jens wie üblich erschaudern. Offensichtlich hatte ein heimlicher Fotograf Bilder von ihm gemacht, als sie im Vorraum der Empfangshalle für einen Moment stehen geblieben waren.

„Nachdem Du Dir bis jetzt meinen Fall angehört hast, sag mir doch mal um was es bei Dir geht. Warum hast Du am Draht gezogen?“

Da Jens für sein Anliegen die Unterstützung von Holger brauchte, machte es keinen Sinn ihm etwas zu verheimlichen. Also erzählte er von der Parkbank, Hawkeye, den beiden Zetteln und was er schon recherchiert hatte. Seine Vermutung, dass er in diesem Fall bereits observiert werde, hielt er vorläufig mal für sich.

Wie erwartet hatte Holger so aus dem Stand auch keine Idee, außer dass er den Namen Pete Hok‘ee Wolf bei den »transatlantischen Vettern mal durch den Computer lassen« würde.

Er nannte das die »am-Baum-rütteln-und-kucken-was-da-runter-fällt« Methode.

Holger hatte es urplötzlich sehr eilig, denn er hielt Jens eine Liste vor die Nase. „Unterschreib mal, was Du alles erhalten hast, damit wir nachhause gehen können.“

Es war kurz nach Mitternacht, als Jens auf der Straße stand. Holger hatte ihm angeboten, dass »Popeye« ihn wieder in die Stadt bringen würde, aber Jens wollte über das Erlebte nachdenken. Er bestellte sich über »myTaxi« eine Fahrgelegenheit und nach rund fünfundzwanzig Minuten verließ er auf dem John-F-Kennedy-Platz das Taxi und lief die letzten zweihundert Meter zu seinem Appartement.

All die Gedanken und Überlegungen, die er sich während der Taxifahrt und während des Fußmarsches machte, hatten ihn keinen Schritt weiter gebracht. „Warum ausgerechnet jetzt, kurz nachdem der alte Indianer mit mir gesprochen hat, taucht Germut auf und gibt mir einen Rechercheauftrag?“, fragte sich Jens immer wieder. Aber Jens Mander kam nur zu einem Ergebnis: wenn er jetzt nicht ins Bett gehen würde, würde er wahrscheinlich wieder mal auf seinem Bürostuhl einschlafen.

Es war NULL-Siebenhundert Uhr als sein Wecker klingelte und seinen unruhigen Schlaf beendete. Jens Mander, der Morgenmuffel, schaffte es nicht, sofort aufzustehen. Während er noch im Bett lag, ließ er seinen Blick durch sein Appartement schweifen.

Plötzlich war er hellwach und mit einem Satz aus dem Bett.

An der Türe zur Küche klebte schon wieder eine Haftnotiz:

DZEH GAH TLO-CHIN BE-TKAH BESH-DO-TLIZ DZEH DAH-NES-TSA TLO-CHIN BE-TKAH A-KHA A-CHIN BE-TKAH CHA-GEE BE-TKAH TOISH-JEH AH-JAH TSAH TLA-GIN LIN BE-TKAH THAN-ZIE A-KHA NA-AS-TSO-SI A-KHA DAH-NES-TSA GAH NE-AHS-JAH GLOE-IH

„Bullshit. Das ist meine Wohnung und kein Bahnhof, wo jeder kommen und gehen kann, wie er will.“ Als ihm einfiel, dass er wieder vergessen hatte, die Alarmanlage einzuschalten, entschlüpfte im ein »fuckin’ Bullshit«.

Jens schlüpfte in seinen Trainingsanzug, holte aus seinem Werkzeugkoffer einen digitalen KESO Schließzylinder und tauschte sofort das Schloss aus.

Während in der Küche die Kaffeemaschine frischen »Betriebsstoff« produzierte, startete Jens das MacBook um sich dann an seinem Server anzumelden. Jens hatte zwar vergessen, die Alarmanlage einzuschalten, aber seit dem Vorfall mit der ersten Nachricht lief die Videoaufzeichnung permanent und jetzt wollte er sich doch mal die Aufzeichnungen anschauen.

„Nichts“, brummte er vor sich hin. Im Schnelldurchlauf sah er sich im Appartement huschen. Jens wollte schon aufgeben, als er auf dem Video sah, wie jemand das Zimmer betrat, sich kurz umschaute, einen Zettel an die Türe klebte und dann wieder verschwand. Somit war schon mal eins klar, wer immer das war, hatte besondere Fähigkeiten. Der konnte in seine Wohnung, wann immer er wollte und offenbar war nicht nur die zweite, sondern bereits die erste Nachricht von dem Unbekannten.

»Was nutzt eine Videoüberwachung, wenn man die aufgenommenen Personen nicht erkennen kann« dachte Jens.

Die Entschlüsselung der zweiten Nachricht von Hawkeye ging, dank der Erfahrung vom Vortag erheblich schneller. Bereits nach einer dreiviertel Stunde hatte Jens als Ergebnis seiner Bemühungen »Achtzehnhundert auf der Parkbank« auf seinem Zettel stehen.

Ein Treffen mit Hawkeye um sechs Uhr auf der Bank?

Wie würde er die versäumte Verabredung erklären?

Jens Mander packte iPad und iPhone aus, schaltete die beiden Geräte ein und gab sein Masterpasswort ein. Das iPhone verband ihn sofort mit dem Telefoncarrier und auch das iPad konnektierte sofort einem Server, wo ein weiteres Mal nach einem Passwort gefragt wurde, das er von dem RSA-Soft-Token generieren ließ.

In den letzten fünfzehn Jahren hat sich EDV-technisch doch einiges verändert, auch wenn einige Namen gleich geblieben waren, dozierte Jens vor sich hin.

Nach längerem Suchen fand er einen Ordner mit dem Namen Ulrich Cornelius; da waren die Dokumente gespeichert, die Holger ihm schon hatte lesen lassen. Zusätzlich gab es noch zwei Dokumente, die zu öffnen er wieder den RSA SecurID Softoken bemühen musste. Eins war die Zusammenfassung Cornelius Akte beim DocumentCenter und das andere Dokument war die Kopie einer Akte nach Neunzehnhundertsechsundvierzig.

Seine Konzentration auf die Akten wurde durch das Geläut der Freiheitsglocke des Schöneberger Rathauses gestört. Das war aber nicht der einzige Grund, warum es Jens immer schwerer fiel, sich auf die Akte zu konzentrieren.

Manders Unterbewusstsein hatte begonnen eine Frage zu formulieren, die langsam aber stetig immer mehr Platz in seinen Gedanken einnahm. Eigentlich waren es mehrere Fragen:

Erstens - warum hatte ihn Germut nicht zu seinem Anliegen befragt? Wie viel wusste er von seiner Angelegenheit? Gab es eine Verbindung zwischen Hawkeye‘s Geschichte und Jens’ Auftrag?

Zweitens - über die Geschichte von Cornelius/Dreiste/Walker war so viel Gras gewachsen, dass eine Veröffentlichung mit Sicherheit keinen Schaden würde anrichten können. Also warum jetzt daran rühren?

Drittens - was war das Ziel dieser Aktionen und wer könnte daraus einen Nutzen ziehen? Cui bono?

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