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„Have you ever killed a man?“

Es war ein schöner Sommertag - achtundzwanzig Grad, blauer Himmel und kein Lüftchen. Jens Mander hatte sich erlaubt einige Tage frei zu machen und so saß er bereits eine knappe halbe Stunde auf einer Bank in der Innsbrucker Straße und beobachtete das bunte Treiben auf der Carl-Zuckmayer-Brücke.

Kurz nach dem er auf der Parkbank Platz genommen hatte, setzte sich ein älterer Mann im schwarzen Sportanzug neben ihn.

Jens nickte ihm zu, murmelte ein »Moin« und der Fremde erwiderte seinen Gruß mit einem freundlichen Kopfnicken. Dann hingen sie beide schweigend ihren Gedanken nach, während die Menschen achtlos vorbei gingen.

Manche waren auf dem Weg zur U-Bahn, andere brachten ihre Kinder zur nahegelegenen Kita oder schleppten ihre Einkaufstaschen vom Wochenmarkt auf dem Kennedy-Platz nach Hause; es herrschte ein reges Treiben auf der Straße.

„Haben Sie schon mal jemand getötet?“, wiederholte er auf Deutsch.

Im ersten Moment wusste Jens nicht, ob er gemeint war, aber der Blick des Fremden ließ keine Zweifel aufkommen.

„Haben Sie?“

„Nein“, antwortete Jens Mander und begann seinen Banknachbarn näher zu mustern. „Nein, habe ich nicht.“

Jens schätzte den Fremden auf siebzig bis achtzig Jahre und in etwa seine Größe; das Gesicht schmal, eher hager und ziemlich zerfurcht. Eine dunkle Narbe verlief von der rechten Schläfe über die Wange bis zum Mundwinkel. Langes weißes Haar, hohe Stirn, dunkler Teint, fast schwarze Augen und eine Nase, die einem Adler zur Ehre gereicht hätten. Er musste an Karl Mays Beschreibung von »Winnetou den Häuptling der Apachen« denken.

Jens Mander saß gerne mal auf der Bank um die Umgebung zu betrachten und da kam es schon mal vor, dass er von Banknachbarn oder vorbeigehenden Menschen angesprochen wurde. Aber so was war ihm noch nicht untergekommen.

Vielleicht hätte Jens »Warum fragen Sie« erwidern sollen oder »Was geht Sie das an«, »Scheren Sie sich zum Teufel« oder »Hau ab, Du Penner«“, aber die starke Präsenz seines Banknachbarn ließ eine solche Reaktion nicht aufkommen.

„Und Sie? Haben Sie?“ spielte Jens die Frage zurück.

Im Gesicht des Fremden war keine Regung zu erkennen. Ohne die Lippen zu bewegen sprach er nach einer kurzen Pause weiter.

„Ich beobachte Sie schon eine geraume Zeit. Sie wohnen im Haus hinter uns in der Freiherr-vom-Stein-Straße. Sie gehen wochentags jeden Morgen gegen acht aus dem Haus, arbeiten bei einer Firma in Charlottenburg als Administrator, sind im Nebenberuf als Journalist tätig und schreiben an einem Roman. Übers Wochenende fahren Sie nach Hause, aber manchmal bleiben Sie auch in Berlin.“

Er machte eine Pause als wollte er Jens‘ Reaktion abwarten, bevor er weiter sprach.

Jens Mander verbarg seine Überraschung hinter einem Pokerface und nutzte die Zeit für weitere Beobachtungen.

Im Sitzen waren sie beide ungefähr gleich groß. Nach dem Zustand seiner Hände und den Falten am Hals korrigierte Jens seine ursprüngliche Altersschätzung auf etwa Achtzig. Sein Habitus vermittelte den Eindruck eines leicht untergewichtigen, aber sportlich trainierten Mannes. Aus den wenigen Worten die sie bisher gewechselt hatten, konnte Jens keinen Dialekt heraus hören.

„Sie sind Vierundfünfzig in einer bayerischen Kleinstadt geboren und zur Schule gegangen. Einundsiebzig haben Sie eine Ausbildung begonnen, waren nach dem Abschluss Sechsundsiebzig in einer Klinik tätig, wechselten mehrmals die Dienststellen. Neunundsiebzig begannen Sie als Anfangsprogrammierer in einen Softwarehaus in …“

„Was wollen Sie von mir?“ An dieser Stelle unterbrach ihn Jens.

Ohne auf die Frage einzugehen wiederholte der Fremde seine Frage vom Anfang.

„Haben Sie schon einmal einen Menschen getötet?“ Nach einer kurzen Pause fuhr er fort: „Ich habe es getan - ich habe es sehr oft getan - viel zu oft."

Er drehte sich halb zur Seite, so dass er frontal in die Mittagssonne blickte. Dabei schloss er die Augen. Erst nach mehreren Minuten sprach der Fremde weiter.

„Es klingt vielleicht sentimental, aber ich bin jetzt neunundsiebzig Jahre alt und wenn ich großes Glück habe, kann ich in ein paar Monaten noch meinen achtzigsten Geburtstag feiern. Dann ist Schluss.“

Er machte wieder eine Pause und sah Jens an.

„Lungenkrebs mit Metastasen im Gehirn - austherapiert - aussichtslos - Endstadium sagen die Ärzte. Nur die tägliche Dosis Tilidin macht die Schmerzen noch erträglich“.

„Drogen auf Kassenrezept.“ Sein Lachen hatte einen bitteren Unterton. „Und manchmal der Joint, den ich mir am Kottbusser Tor kaufe. Nicht legal, aber an diesem Tagen geht es mir richtig gut. Dann sind die Gedanken an meine Krankheit, den nahenden Tod und die vielen Toten weg. Dann kann ich wieder mal eine Nacht lang gut schlafen“

Er schloss die Augen und blickte wieder in die Mittagssonne.

Jens wollte ihm schon sein Bedauern über die Krankheit ausdrücken als der Mann mit seiner Erzählung fortfuhr.

„Ich habe unter dreizehn Präsidenten gelebt und für acht von Ihnen habe ich auch getötet. Es gab keinen Krieg, keinen Aufstand, keine schmutzige Operation an der ich nicht auf die eine oder andere Art beteiligt war. Der Mann für besondere Fälle - immer im Einsatz und immer im Dienst für das Vaterland.“

Er machte keine Anstalten weiter zu erzählen und so nutzte Jens die Pause.

„Haben Sie auch einen Namen?“

„Ich hatte schon so viele Namen. Es waren so viele, dass ich meinen eigenen schon lange vergessen habe; vergessen und mit den Toten begraben. Nennen Sie mich Hawkeye.“

Mit „Hallo Hawkeye, ich bin Jens“, versuchte er das Gespräch in halbwegs geordnete Bahnen zu lenken.

„Jens. Jens Mander - ich weiß“, antwortete er. „Wollen wir was trinken gehen? Ich lade Sie ein."

Er stand auf und so wie er in seiner schwarzen Jogginghose, schwarzem T-Shirt und den schwarzen Turnschuhen neben Jens stand korrigierte er seine Schätzung. Der Fremde war doch um einiges größer.

Jens blickte auf seine Uhr - es war kurz vor Zwölf. In ein paar Minuten würde die Friedensglocke im Schöneberger Rathaus mit dem Mittagsläuten beginnen.

Auf der Bank sitzend hatten sie noch Schatten durch einen Baum gehabt, jetzt standen beide voll in der Sonne.

„Wie wäre es über der Brücke?", fragte ihn Jens. „Etwa zweihundert Meter weiter ist ein nettes Steakhaus.“

Hawkeye blickte Jens an und nickte nur mit dem Kopf. Nach den ersten fünfzig Metern merkte Jens, wie Hawkeye das Atmen immer schwerer fiel. Jens ging langsamer; sie hatten nicht mal die Hälfte der zweihundert Meter zurückgelegt, als Hawkeye die Luft komplett ausging und er sich auf eine Bank auf der Carl-Zuckmayer-Brücke setzen musste. Er atmete schwer und laut. Die Farbe seiner Lippen war zu einem kräftigen Blau mutiert.

So saßen sie beide mehr als zehn Minuten nebeneinander. Hawkeye rang nach Luft und Jens fragte sich, worauf er sich da eingelassen hatte.

„Geht's wieder oder soll ich einen Arzt rufen?"

Hawkeye schüttelte nur den Kopf. „Keinen Arzt“, kam zwischen zwei Atemzügen über seine blauen Lippen. Dann stand er auf und sie gingen fast im Schneckentempo die restlichen Meter. »Mein Gott« dachte sich Jens, »ich wollte schon den Italiener am Bayerischen Platz vorschlagen. Die Strecke hätte Hawkeye aber in diesem Zustand nicht geschafft.«

Hawkeye steuerte sofort auf einen freien Tisch zu, der im Schatten etwas abseits in einer Ecke stand. Ohne lange zu überlegen setzte er sich auf einen Stuhl, von dem aus er alle Richtungen überblicken konnte und selbst den Rücken frei hatte.

Noch reichlich außer Atem bestellte er bei der Kellnerin einen Kaffee und eine Flasche Tafelwasser. Dabei sah er Jens an und als der keine Regung zeigte fügte er „mit zwei Gläsern und noch einen Kaffee für meinen Freund“, hinzu.

Teils durch einen riesigen Sonnenschirm teils durch Büsche und Bäume verdeckt, war es trotz des stechenden Sonnenscheins angenehm. Er sprach immer noch kein Wort und langsam beruhigte sich auch sein Atem. Als nach zehn Minuten die Bestellung auf dem Tisch stand, war seine Atemfrequenz halbwegs wieder auf normal und noch ein paar Minuten später sah er so aus, als wäre nie was gewesen.

Hawkeye nippte an seiner Kaffeetasse und murmelte etwas, das sich nach „Bullshit“ anhörte. „Ich habe schon befürchtet, dass heute die Friedensglocke zum letzten Mal für mich geläutet hat“, beendete er das Schweigen. „Aber ich bin doch noch nicht für den letzten Trail in die ewigen Jagdgründe vorgesehen.“ Er formte die Lippen zu etwas, das wie ein Grinsen aussehen sollte, seinem Gesicht aber einen nahezu bösartigen Ausdruck verlieh.

„Ich weiß, “ er ging einfach zum formlosen Du über „dass Dich jetzt die Frage «was will der Alte von mir» am meisten beschäftigt. Aber ich werde Dir diese Frage nicht beantworten, weil nur Du diese Frage beantworten kannst.“

Er trank einen Schluck Wasser und fuhr fort:

„Und ich hoffe, dass Du mir am Ende die Antwort geben wirst.“

Er blickte Jens an, sah in sein Gesicht und doch hatte Jens den Eindruck, als würde er durch ihn hindurch blicken; gerade so als wäre das Gesicht von Jens das Fenster zu seiner eigenen Geschichte.

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