Читать книгу Bankgeheimnis - Ludwig Schlegel - Страница 9

5 -

Оглавление

„Kannst Du Dich noch an die Akte Jakob Walker erinnern? Einer der Fälle, die Du in Regensburg bearbeitet hast.“

Jens schüttelte den Kopf.

„Jakob Walker, geboren Neunzehnsechsundzwanzig im Bayerischen Cham, Neunzehnvierundvierzig zum letzten Aufgebot eingezogen und zur Verteidigung Berlins gekarrt; Fünfundvierzig von seinem Vater als verschollen gemeldet“, dozierte Holger. „Klingelts?“

„Nö“, war seine einsilbige Antwort. Jens wusste im Moment nicht, was Holger von ihm wollte. Es beunruhigte Jens aber auch nicht, schließlich lag dieses Leben vierzig Jahre hinter ihm.

„Siebzig tauchte er wieder auf und erzählte eine abenteuerliche Geschichte, er sei bei einem Bombenabwurf am Bayerischen Platz in Berlin-Schöneberg von einem Granatsplitter getroffen worden und habe danach sein Gedächtnis verloren. Totalamnesie. Durch einen Autounfall wenige Wochen zuvor wären seine Erinnerungen wieder da gewesen und er sei sofort zu seiner Familie nach Bayern gefahren.“

Holger machte wieder eine Pause.

„In seinem Antrag auf Anerkennung eines Kriegsleidens, gab er an, von einem russischen Major in der Nähe des Schöneberger Rathauses gefunden und ins Lazarett geschafft worden zu sein. Da er sich an nichts mehr habe erinnern können, sei er nach seiner Genesung mit den Russen nach deren Abzug aus Schöneberg weitergezogen und so in der Sowjetischen Besatzungszone gelandet und dort geblieben.“

Jens Manders grauen Zellen kamen langsam in Schwung.

„Einundsechzig sei er aus der DDR abgehauen, habe sich unter dem Namen Andre Dreiste bei den Berliner Behörden gemeldet und habe dort seine Geschichte erzählt: er sei in Berlin geboren, in den letzten Kriegstagen noch ganz schnell zur Vollwaise gemacht, von den bösen Russen in den Osten verschleppt und festgehalten worden.“ Er nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse und dozierte dann weiter.

„Hurra und willkommen - nachgeprüft hat‘s keiner. Wie denn auch - viele Unterlagen aus der Vorkriegs- und Kriegszeit waren verbrannt. »W wie wech«. Und vor lauter Begeisterung, dass man wieder einen Ostdeutschen vor den Folgen des Kommunismus gerettet hatte , machte sich auch keiner die Mühe, seine Geschichte allzu intensiv zu überprüfen. Siebzig ist er dann in der Vorbergstraße von einem Auto angefahren worden und Heureka - plötzlich war sein Gedächtnis wieder da. Also nichts wie nachhause, Selbstentlassung aus dem Krankenhaus und mit dem Flugzeug nach München-Riem und weiter in den Schoß der Familie.

Jetzt fällt ihm plötzlich ein, dass eigentlich durch einen Granatsplitter verletzt wurde, er dafür Bitteschön auch etwas Taschengeld haben möchte. Er stellt in Regensburg einen Antrag und hat das Pech, dass Du als Neuling gleich zur Höchstform auflaufen musstest.“

Holger zeigte mit einem Seufzer an, dass der offizielle Teil erzählt war und durch die nachfolgende Pause gab er Jens die Möglichkeit, seine Erinnerung zu ordnen.

„Was Jackie bei seiner Amnesie-Geschichte vergessen hatte, war dass er Neunzehnzwanzig geboren war, dass er bei den SS-Kampfverbänden war und Fünfundvierzig auf der Klosterroute7 aus Berlin verschwand“, nahm Jens jetzt den Faden auf. „Sechsundfünfzig hat ihn dann jemand mit den falschen Papieren auf den Namen Andre Dreiste wieder zurück geschickt und in Berlin abgeladen.

Ich war gut zu Dir und jetzt sei Du mal so gut und mach mal für mich das Eine oder Andere. Aber das konnte ich nicht beweisen und meinem Chef reichte bereits das, was ich zusammengetragen hatte um den Antrag abzulehnen.“

Jens wollte gerade weiter reden, als Holger ihn unterbrach.

„Wie konntest Du das rausfinden? Das war doch alles Top Secret.“

„Naja - mein alter Herr war bis kurz vor dem angeblichen Röhm-Putsch bei der SA und danach bei der Baldur von Schirach - Truppe. Auch wenn er über die Zeit nicht alles erzählt hat, hatte er doch seine Verbindungen und gab mir da ein paar Tipps. Außerdem war mein alter Herr beim BDJ8 wo Jackie angeblich auch war. Und so kam eins zum anderen und am Schluss hatte ich Jackie an den Eiern. Leider wurde ich von dem Fall abgezogen und durfte im Rahmen meiner Ausbildung die nächsten drei Monate am Sozialgericht absitzen. Als ich dann nach wieder in die Abteilung kam, waren alle Kollegen weg: mein Chef war nach München ins Ministerium gelobt worden, die Sachbearbeiter Kollegen an andere Behörden versetzt und die Sekretärin in Rente geschickt. Der Fall Jackie Walker war damit begraben.“

Während seiner Ausführungen war Jens aufgestanden und hatte begonnen Spurrillen in den Laminatboden zu treten. Trotz der vielen Jahre, die seither vergangen waren, konnte er sich über den Fall immer noch ärgern.

Holger sah Jens Mander einige Minuten beim Wandern zu. Dann meinte er, er solle sich beruhigen und wieder hinsetzen.

„Verraten und verkauft“, grummelte Jens weiter, während er seine Kaffeetasse wieder auffüllte.

„Setz Dich endlich, damit ich Dir noch den Rest der Geschichte erzählen kann. Den Teil der Informationen, der Dir noch fehlt“, raunzte Holger ihn an und drückte Jens einen dünnen Aktendeckel in die Hand.

RESTRICTED! Classified secret!

Jakob Walker, geboren am fünfundzwanzigsten Februar Neunzehnsechsundzwanzig in Cham als viertes von sieben Kindern.

Vater Erich, geboren am zweiundzwanzigsten Juni Neunzehnhundertzwei in Cham in der Oberpfalz, Beruf Schlosser im Reichsbahn-Ausbesserungswerk Regensburg.

Es folgten die Informationen über den familiären Hintergrund der des Jakob Walker, Angaben über die Eltern und Geschwister und deren soziale Integration während der Weimarer Republik und den Anfänger der NS-Diktatur.

Über den Jungen Jakob Walker war zu lesen, dass nach dem Besuch der Volksschule (von Zweiunddreißig bis Neununddreißig) mehrere Versuche des Vaters erfolgten, den Sohn Jakob bei der Reichsbahn in eine Lehre zu bringen. Über die letzte Bewerbung gab es einen Bericht des Gesundheitsdienstes der Reichsbahn, wonach „der Bewerber wegen einer ausgeprägten rot/grün Sehschwäche abzulehnen sei.“

Noch während seiner Schulzeit trat Jakob am ersten März Neunzehnachtunddreißig in die Hitlerjugend ein. Einzig die Erwähnung des Kreisjugendleiters HJ, dass Jakob wegen seines jüdischen Vornamens mehrfach in Raufereien verwickelt gewesen sei und deshalb von kameradschaftlichen Gemeinschaftsveranstaltungen ausgeschlossen wurde, gibt es keine Erkenntnisse über die Zeit in der Hitlerjugend.

Im September Vierzig nahm Jakob eine Lehre bei einem Fleischer in Regensburg auf, die er aber nach einem Jahr abbrach. Gründe für den Abbruch sind nicht dokumentiert. Zeitgleich zum Abbruch der Lehre gab es Zweiundvierzig eine Anzeige des Fleischers bei der zuständigen Polizei, dass in der Ladenkasse des Fleischers nicht unerhebliche Geldbeträge fehlen würden. Jakob wurde nicht namentlich erwähnt. Über weitere Ermittlungen gibt es keine Dokumente.

Nach dem Abbruch der Lehre verliert sich die Spur. Jakob tritt erst wieder am zwanzigsten Oktober Vierundvierzig in Erscheinung. Sein Name findet sich auf einer Meldeliste zum Deutschen Volkssturm und auf einem Sammelmarschbefehl vom sechsten Januar Neunzehnfünfundvierzig zum Einsatzort Berlin.

Über eine Verwundung während eines Bombentreffers auf den U-Bahnbahnhof Bayerischer Platz vom dritten Februar Fünfundvierzig gibt es keine direkten Dokumente.

Nach dem dritten Februar Fünfundvierzig gibt es unter dem Namen Jakob Walker keine Dokumente mehr.

Am neunzehnten März Siebzig wird ein Andre Dreiste nach einem Verkehrsunfall auf dem Kaiser-Wilhelm-Platz in Berlin Schöneberg in die evangelische Elisabeth Klinik eingeliefert. Nach seiner Erstversorgung über seine persönlichen Daten befragt, gibt er Namen Jakob Walker, geboren fünfundzwanzigsten Februar Sechsundzwanzig in Cham, als letzte Adresse die Landshuter Straße in Regensburg an.

Im Krankenblatt findet sich der Vermerk, dass der Patient zu Prüfung der räumlichen und zeitlichen Koordination nach dem aktuellen Datum und Ort befragt wurde. Als letzte Erinnerung gab er an, dass die Decke der U-Bahn am Bayerischen Platz über ihn eingestürzt sei und das sei am dritten Februar Fünfundvierzig gewesen.

Die Ermittlungsakten der zuständigen Staatsanwaltschaft enthalten die Kopien folgender Dokumente:

Personalausweis:

Name Andre Dreiste,

geboren 25. Februar Dreißig in Berlin-Schöneberg,

ausgestellt Berlin Schöneberg am siebzehnten Juli Einundsechzig

Anschrift Vorbergstraße sieben Berlin-Schöneberg

Vermerk Polizeiabschnitt 42:

die im PA abgebildete Person stimmt augenscheinlich mit der zu überprüfenden Person überein.

Aussagen verschiedener Nachbarn, dass ihnen die abgebildete Person als Andre Dreiste bekannt sei.

Geburtsurkunde des Standesamtes Schöneberg:

Name: Andre Dreiste,

geboren am fünfundzwanzigsten Februar Neunzehnvierundzwanzig,

Mutter Helga Dreiste, Vater unbekannt.

Überprüfung Helga Dreiste:

Geboren dreißigsten März Neunzehnhundertdrei,

verstorben dritter Februar Neunzehnfünfundvierzig,

letzter bekannter Wohnsitz Meraner Straße, Schöneberg,

keine Angaben über Berufs-, Lebens- und Todesumstände.

Vermerk der Senatsverwaltung Berlin:

am siebzehnten Juli Neunzehneinundsechzig habe der Bürger Andre Dreiste die „Sowjetische Besatzungszone“ verlassen und erklärt, seinen Wohnsitz in Berlin nehmen zu wollen. Er sei am dritten Februar Neunzehnfünfundvierzig bei einem Bombenangriff auf Berlin in U-Bahnbahnhof Bayerischer Platz verletzt worden und könne sich nur mehr daran erinnern, dass er in einem russischen Lazarett zu Bewusstsein gekommen sei. Ausweispapiere habe er keine mehr gehabt, aber an seinen Namen habe er sich noch erinnern können. Er sei während und nach seiner Genesung mehrfach von russischen Offizieren vernommen worden. Mit seinen Entlassungspapieren habe man ihm eine Geburtsurkunde und einen Ausweis auf seinen Namen Andre Dreiste ausgehändigt. In der Folgezeit habe er bei mehreren Baukolonnen als Maurer und ab Achtundfünfzig als Mechaniker im VEB Büromaschinen in sächsischen Burgstädt gearbeitet. Am Siebzehnten Juli Einundsechzig habe er die SBZ mit dem Ziel Schöneberg verlassen und sich am 42. Polizeirevier gemeldet.

Der Militärkommandant von Berlin:

Die Angaben geprüft, keine Eintragungen im Berlin Document Center und Ludwigsburger Zentral Stelle vorhanden. Es bestehen keine Einwände gegen Einbürgerung und Wohnsitznahme in Berlin.

Der Special Advisor to the Commander Berlin Brigade:

Überprüfung Dreiste negativ, keine nachrichtendienstlichen Erkenntnisse.

Bankgeheimnis

Подняться наверх