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Wie schon erwartet, ergab die Überprüfung der Aufzeichnungen seiner Überwachungskamera keinen Hinweis auf ungebetene Besucher in seinem Appartement.

Jens hatte Neunzehnsechsundneunzig seine Tätigkeit für die »M. B. Personalberatung« eingestellt und in die letzten fünfzehn Jahre keinen Kontakt mehr. Eigentlich hatte er die feste Absicht gehabt, alle Kontakte zu dem »Laden« abzubrechen, aber die Story von Hawkeye konnte, wenn sie wahr wäre, Sprengstoff enthalten. Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer mit Münchner Vorwahl und bat mit Roger J. Schwiele verbunden zu werden.

Nach zirka sechzig Sekunden, zwischenzeitlich wurde wahrscheinlich seine Telefonleitung überprüft, meldete sich eine weibliche Stimme mit der Mitteilung, dass Herr Schwiele nicht im Hause sei, aber man könnte eine Nachricht hinterlassen, Herr Schwiele würde dann zurückrufen.

Jens Mander nannte eine der Nummern, die er sich aus seinem Notizbuch im Bankfach notiert hatte und die Telefonnummer unter der er ab sofort erreichbar war.

Exakt fünfzehn Minuten später würde der Rückruf kommen und bis dahin hatte er Zeit, sich einen sicheren Platz zu suchen.

Heutzutage fällt es nicht mehr auf, wenn Menschen mit einem Mobiltelefon am Ohr auf der Straße rumlaufen. Er verließ sein Appartement und setzte sich auf die Bank, auf der er von Hak‘ee-Hawkeye vor kurzem angesprochen wurde.

Er hatte gerade sein Headset angeschlossen, als das Telefon klingelte.

„Schwiele, was kann ich für Sie tun?“, tönte eine männliche Stimme aus dem Headset.

„Hallo Roger, ich habe ein Problem“, begann Jens. „Einer meiner Vettern hat mich auf ein Projekt aufmerksam gemacht und mich um Unterstützung gebeten. Es würde Sinn machen, wenn ich das mit jemand vom Vertrieb persönlich besprechen könnte.“

„OK - ich schau mal, wer von unserem Außendienst in Ihrer Nähe ist und wann der den nächsten Termin frei hat. Die Termindaten schicke ich Ihnen per Kurznachricht auf Ihr Handy.“

Dann war die Verbindung unterbrochen - aufgelegt.

Die Erinnerung an seinen leeren Kühlschrank veranlassten Jens in einem nahegelegenen Supermarkt für die nächsten Tage einzukaufen. Noch während er in der Schlange vor der Kasse anstand, kam die Nachricht auf sein Handy: »freitag.1830.rathaus.portal«. So hatte Jens also rund dreißig Stunden Zeit, seine eigenen Recherchen zu betreiben und diese Zeit wollte er auch nutzen.

Hawkeye hatte ihm gesagt, er sei ein Diné - ein Navajo Indianer und ob ihm der Begriff »Codetalker« bekannt wäre.

Getreu dem Lehrsatz des Archimedes »gebt mir einen festen Punkt und ich werde die Welt aus den Angeln heben« ging Jens von der Annahme aus, dass Hawkeye ihm über seine indianische Herkunft die Wahrheit gesagt habe. Diese Tatsache war auch durch die Physiognomie nicht zu leugnen.

Jens bemühte also eine Suchmaschine und fand sehr schnell heraus, dass als »Diné« oder »Nihookááʼ Dineʼé« ein Volk der amerikanischen Ureinwohner bezeichnet wurde, das besser als »Navajo« bekannt war. Das Stammesgebiet lag größtenteils im nordwestlichen New Mexico, im nordöstlichen Arizona und im südöstlichen Utah. Die Sprache der »Diné« gehöre zur Sprachfamilie des »Na-Dené« und werde von den Navajo als »Diné bizaard« bezeichnet.

Hawkeye‘s Erzählungen über seine Army-Zugehörigkeit konnten ebenfalls zu einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit der Realität entsprechen. Zwar hielt Jens Mander die Geschichte in einigen Teilen als etwas zu glatt und überzogen, aber in der Substanz nahe an der Wahrheit.

Diese Annahme wurde auch durch verschiedene Quellen im Internet bestätigt. Die Angehörigen des Diné-Volkes waren zum größten Teil bei den Marines und wurden unter anderem als Funker und Kuriere, aber auch als Scharf- und Heckenschützen eingesetzt. Optimal wäre es natürlich gewesen, wenn er Hawkeye‘s Namen auf der offiziellen Liste der Navajo-Codetalker gefunden hätte. Aber so viel Glück hatte er nicht.

Im nächsten Schritt versuchte er die Nachricht mit den merkwürdigen Zeichenkombinationen zu entziffern und auch da gab es nichts besseres als die Suchmaschinen des Internets.

Bei Codetalker spuckte ihm Google jede Menge Hinweise auf den Kriegsfilm Windtalker, auf Kryptographie und auf die amerikanischen Ureinwohner, die Navajo aus.

Nach einer weiteren Stunde, in der er den vielen Suchergebnissen nachgegangen war und noch mehr Internetseiten gelesen hatte, wusste Jens einiges über die Geschichte des Diné Volkes und den Navajo-Code.

Windtalker „die mit dem Wind sprechen“. Der Film erzählt die Geschichte zweier Navajo Indianer und deren Beschützer, die im Zweiten Weltkrieg im sogenannten Navajo-Code verschlüsselte Nachrichten überbringen.

Zum Thema Navajo-Code fand er schließlich heraus, dass es sich um einen Wort Code zur Verschlüsselung von geheimen Nachrichten während des Kriegs handelte. Dabei wurden die Worte in die Sprache des Diné-Volkes übertragen und konnten nur von einem anderen Diné entschlüsselt werden. Der Code wurde ab Neunzehnzweiundvierzig eingesetzt und konnte bis zu seiner Offenlegung Neunzehnachtundsechzig nicht entschlüsselt werden.

Auch wenn Jens im Eilverfahren schon viel gelernt hatte, der Text der Nachrichten war ihm immer noch ein Rätsel.

Am Ende einer weiteren Stunde, in der er sich durch Online-Wörterbücher und Codetabellen gequält hatte, hatte er die Texte ins Englische übertragen:

»kill jackass fly key« war lautete der Text auf dem vergilbten Zettel. Diese Übersetzung ergab für Jens aber keinen Sinn. Erst mit einer brauchbaren Anleitung dazu fand er dann raus, dass nur das erste Wort als Verb, die anderen Worte als Buchstaben zu lesen seien.

»töte JFK«

Die Nachricht auf der Haftnotiz war dann dank der Vorarbeit schon leichter zu übersetzen.

»conceal document« Was so viel wie »lass die Dokumente« verschwinden heißen sollte.

Seit er mit der Arbeit angefangen hatte, hatte er keinen Kaffee mehr getrunken und nur geraucht. Zur Belohnung für seinen Fleiß goss er sich einen Remy Martin ein, zündete eine Biddies an und stellte sich auf seinen Balkon um über das ganze nachzudenken.

Auf der Bank vor seinem Fenster, auf der ihn Hawkeye angesprochen hatte, saß jetzt eine Frau mit einem Kinderwagen. Ihm fiel auch auf, dass im Vergleich zu den anderen Tagen besonders viele Autos auf der Straße waren.

Am Fußgängerüberweg der Freiherr-vom-Stein-Straße zur Carl-Zuckmayer-Brücke war ein dunkelblauer BMW mit dem Diplomatenkennzeichen Null-Siebzehn, gegenüber parkte ein schwarzer Audi A8 mit einem Berliner Kennzeichen und einer digitalen Funkantenne am hinteren rechten Kotflügel sowie auf der Fahrerseite eine Steckvorrichtung für ein Blaulicht.

Alarm - Alarm. War das Zufall oder war da eine Observierung zugange? Zwischenzeitlich hatte sich die Frau mit dem Kinderwagen entfernt und den Platz auf der Bank für zwei Jogger geräumt, die ihre Dehnübungen machten.

Gerade noch rechtzeitig bemerkte er ein weiteres Fahrzeug, einen schwarzen Volvo, der aus der Freiherr-vom-Stein-Straße in Richtung Martin-Luther-Straße fuhr.

»Hawkeye 1«

Plötzlich war Bewegung auf der Straße. Der BMW rollte los und folgte dem Volvo. Der Fahrer des Audi, der gegen die Fahrtrichtung des Volvo abgestellt war, nahm die Verfolgung des Volvo nicht so dezent wie der BMW Fahrer auf. Mit quietschenden Reifen rangierte er ein Stück rückwärts in die Innsbrucker Straße und hätte um ein Haar eine Radfahrerin umgefahren.

Die beiden Jogger spurteten zu dem Audi, rissen die Türen auf und hechteten auf den Rücksitz.

Dann war der Spuk vorbei.

Da sich in den nächsten fünfzehn Minuten das Gesamtbild der Straßenkreuzung nicht änderte, nahm Jens an, dass entweder die Überwachung beendet oder ein drittes Team bereits vorher positioniert worden war.

Nur ein dummer Zufall? Wie auch immer, Jens war alarmiert.

Der »Kleine Hunger«, den Jens bislang mit Kaffee und Nikotin unter Kontrolle gehalten hatte, zwang ihn jetzt doch, sich mit dem Thema Nahrungsaufnahme auseinander zu setzten. Seit den Vorfällen mit den Köchen, hatte Jens das indische Restaurant in der Belziger Straße gemieden. Rahul hatte ihn zwar immer wieder gedrängt »doch mal vorbeizukommen«, aber Jens hatte die verschiedensten Ausreden gebraucht um sich zu drücken. „Heute ist ein guter Tag für ein ChilliChicken“, murmelte Jens und machte sich auf den Weg. Die Freiherr-vom-Stein Straße entlang - an der Ampel überquerte er nacheinander die Luther-Straße sowie die Dominicusstraße und bog dann in die Belziger Straße ein.

Jens war Zeit seines Lebens weder ängstlich noch signifikant schreckhaft, aber er hatte plötzlich ein ungutes Gefühl in der Magengegend als er, ohne es vorher bemerkt zu haben, zwischen drei Kerlen eingekeilt war. «Curd» «Popeye» und «Bohnenstange» hatte er die drei nach deren Aussehen getauft. Curd, weil er so stämmig wie Curd Jürgens aussah; Popeye, weil der mit seinen O-Beinen und einem watschelnden Gang das Klischee eines Seemanns bediente und Bohnenstange? Warum wohl Bohnenstange?

„Mander? Jens Mander?“, wurde er von »Curd« gefragt.

Jens’ Appetit auf ein ChilliChicken war weg.

„Wer will das wissen?“, startete Jens die Gegenfrage.

„Roger schickt uns“, kam jetzt von »Popeye«. „Er meint, es gebe da jemand, der mit Dir reden möchte.“

Jens hatte nicht damit gerechnet, dass das angekündigte Treffen schon vierundzwanzig Stunden vorher stattfinden würde. Er war so sehr damit beschäftigt, sich Flucht und Verteidigungsstrategien zu überlegen, dass er nicht mal die schwarze S-Klasse Mercedes sah, die inzwischen mit offenen Türen neben den vier Männern am Straßenrand hielt. Von sanfter Gewalt geleitet, eingekeilt zwischen den drei dunklen Gestalten, kamen sie dem Auto immer näher.

Mit dem Nachsatz „Steig doch bitte ein“, verstärkt durch etwas körperlichen Druck von »Curd« und durch massive Einschränkung der Bewegungsfreiheit ließ sich Jens Mander dann doch auf den Rücksitz des Mercedes fallen. Erst da registrierte er den zweiten Mann auf der Rücksitzbank des Autos, aber da war die Türe schon zu und der Wagen in Bewegung.

„Hallo Jens, schön Dich zu sehen. Wie geht es Dir?“

„Servus Holger. Bis vor ein paar Minuten ging es mir noch gut, aber jetzt …“ Jens ließ das Ende des Satzes offen.

„Eigentlich hatte ich eher mit einer Antwort in der Art wie »Hallo Holger, mir geht es gut und wie geht es Dir« oder »man kann nicht lauter klagen« oder so ähnlich gerechnet.“

„T’ja Holger, so kann man sich täuschen“, griente Jens. „Was willst Du von mir?“

„Germut möchte mal mit Dir reden.“

„Aber ich nicht - Germut ist der Letzte, mit dem ich reden möchte. Ich bin raus aus dem Geschäft und wenn wir jemals über etwas einig waren dann darüber, dass wir uns nicht einig sind und dass wir nicht miteinander können und uns von Herzen Scheiße finden.“

„Ich weiß und ich bin auch auf Deiner Seite.“ Er machte eine Pause und sah mich an. „Und außerdem, Germut ist auch ruhiger geworden und manchmal glaube ich, dass ihm heute euer Streit leid tut - auch wenn er das nie zugeben würde.“

Bevor er weiterreden konnte, klingelte sein Handy, das er die ganze Zeit schon in der Hand gehalten hatte. Er meldete sich mit einem »Ja bitte« und hörte dann aufmerksam zu. Kein „OK“ oder „Ja“, kein Kommentar, keine Fragen zu dem Gehörten.

Jens Mander nutzte die Zeit, um sich mit einem Blick aus dem verdunkelten Seitenfenster zu orientieren. Kurz nachdem er ins Auto geschubst wurde, hatte sich der Wagen in Richtung Hauptstraße in Bewegung gesetzt und fuhr jetzt relativ schnell, um nicht zu sagen raste über den Innsbrucker Platz in Richtung Stadtautobahn.

„Ok“, hörte er Holger sagen, als sie auf der A100 am Autobahndreieck Avus auf die A115 in Richtung Potsdam abbogen. „Germut hat soeben Deinen Sicherheitsstatus bestätigt. Cosmic Top Secret - Welcome home!“

Nach weiteren fünf Minuten Fahrt verließ der Wagen die A115 an der »Spinner Brücke«. Die Fahrt endete vor einer alten Gründerzeit-Villa. Jens war es ein Rätsel, wie »Curd« »Popeye« und »Bohnenstange« es geschafft hatten, vor ihnen da zu sein. Aber als sich die Türe des Autos öffnete, standen die drei vor Jens und »Popeye« grinste schon fast unverschämt.

„Willkommen daheim“, sagte er nur, reichte ihm die Hand und zog ihn aus dem Auto. Im Grunde genommen war Jens über die Hilfestellung nicht böse, hatte er doch nach einem Unfall vor ein paar Jahren so seine Probleme beim Aussteigen. Vielleicht empfand er deshalb die ziehende Hand nicht so bedrohlich, wie sie vielleicht gemeint war.

Eingekeilt von dem Kleeblatt - »Popeye« schwankte voraus, bugsierten sie Jens ihn durch das Portal. Holger steckte eine Ausweiskarte in einen Kartenleser und tippte an der darunter befindlichen Tastatur eine längere Zahl ein. Nach ein paar Sekunden gab eine grüne Signallampe den Eingang frei und sie betraten die Halle. Der Raum war schattenlos ausgeleuchtet. Von der Halle führten zwei Treppen zum Obergeschoss. Holger ging zur rechten Treppe und das Kleeblatt eskortierte Jens in die gleiche Richtung, so dass er keine Chance hatte als Holger zu folgen. Oben angekommen, zog der erneut seine Ausweiskarte durch einen Kartenleser und gab erneut eine lange Zahl ein, worauf sich die Türe automatisch öffnete. Holger schob Jens durch die Türe und meinte, dass in zehn Sekunden die Türe wieder geschlossen sein müsse - „fünf Sekunden je Mann, sonst gibt‘s Ärger.“

Germut - Jens Mander hätte ihn fast nicht wieder erkannt. Germut saß an einem Schreibtisch und konzentrierte sich auf den vor ihm stehenden Monitor.

„Setz Dich schon mal“, murmelte er und tat so, als würde er konzentriert weiterlesen. Aus seinem früheren Leben wusste Jens, dass Germut sich auf seine Gespräche akribisch vorbereitete. Zu seiner Verhandlungstechnik gehörte auch, dass der Besucherstuhl so niedrig war, dass man zu ihm hochblicken musste.

Eines der Telefone auf seinem Schreibtisch läutete.

Noch bevor er abheben konnte, sagte Jens ganz laut: „Können wir heute auf die Spielchen verzichten? Du bist nicht mehr mein Boss und ich bin nicht freiwillig hier. Mit dem Theater und dem Klingelknopf unter Deinem Schreibtisch kannst Du mich nicht mehr beeindrucken.“

Germut hasste es, wenn man seine sorgsam inszenierten Rituale so rüde unterbrach. Er sah Jens an und noch bevor er seine ebenfalls vorbereitete Gardinenpredigt loslassen konnte, ließ der noch sein „außerdem stehe ich lieber“, los.

Holger, der rechts von Jens stand, grinste nur, zog wortlos zwei normal hohe Besucherstühle an den Schreibtisch und setzte sich auf den einen.

„Nachdem ihr euch so nett begrüßt habt, können wir gleich zur Sache kommen?“, sagte Holger. „Wir wissen alle, wie sehr ihr euch mögt, aber es dient nicht der Sache.“

Germut warf Holger Stadla und Jens Mander böse Blicke zu. An seinen zusammengekniffenen Lippen konnte man seinen Erregungszustand ablesen: kurz vor einer Explosion.

„Mein lieber Jens“, begann Holger grinsend. „Du hast am Draht gezogen und uns kontaktiert, nicht wir Dich. Du wolltest was von uns und unsere Hilfe hat ihren Preis; ich sage dir lieber gleich, was unser Preis ist. Hör‘ es Dir an und dann kannst Du entscheiden, ob Du bereit bist, das zu akzeptieren. Wenn Du nicht willst, kannst Du wieder gehen.“

Holger machte eine lange Pause.

„Wir wollen Dich nicht reaktivieren. Wir wollen nur, dass Du einen alten Fall löst - einen der wenigen, den Du nicht abgeschlossen hast.“

Germut schwieg immer noch und auch Jens gab keinen Laut von sich.

„Du weißt sicher, dass es unsere Abteilung, 12C in der Karl-Theodor-Straße 55 und die Außenstelle 12CC in der Emmich-Cambrai-Kaserne in Hannover nicht mehr gibt.“ Nach einer Pause fuhr Holger fort: „Der Kalte Krieg war vorbei, die Kommunisten wurden per Befehl plötzlich unsere Freunde, wir waren in den Nachrichten und die beteiligten Regierungen, die Nato und die CIA verweigerten uns die Mittel. Einige von uns waren durch den Gladio4Skandal verbrannt und so wurde Neunzig die ganze Abteilung begraben - offizielle Sprachweise : wir wurden aufgelöst.“

„Nach Nine Eleven wurde dann ein Teil von Gladio reaktiviert. Das übliche Brimborium. Wir sollten uns jetzt nicht mehr um die Kommunisten kümmern - jetzt waren die Terroristen dran. Muslime. Schiiten, Salafisten, Konvertanten und Co.“

Holger redete über Gladio und Stay-behind-Organisationen, über die Zeit nach Jens Manders Exit und vom Neustart - »Gladio reloaded«, wie er es nannte.

Aber Jens hatte aufgehört zuzuhören. Im Gedanken war er wieder in dem Haus am See. Er saß wieder mit Germut am Kamin und er erinnerte sich wieder, wie Germut im gedämpften Plauderton mit seiner Story rausrückte: man sei auf ihn aufmerksam geworden, von einer enttarnten Quelle und dem Aufwand um den Agenten zu schützen und wie Germut ihm die Mitarbeit schmackhaft gemacht hatte. Jens Mander erinnerte sich an die Rede vom zweiten Gehalt, von interessanten Tätigkeiten und dass er wichtige Leute würde kennen lernen.

„Jens? Bist Du noch bei uns oder?“

„Ja? Ja! ich höre zu“, erwiderte Jens.

Während Germut ganz die Nummer vom großen »Schweiger« gab, führte Holger weiterhin das Wort.

„Es geht um den Fall Cornelius. Du erinnerst Dich?“

„Das war doch …?“

„Genau, das war der Fall eines V-Manns, den Du fast hast hochgehen lassen.“

„OK, ist zwar interessant, aber das ist doch schon fast Vierzig Jahre her. Der müsste doch schon um die Neunzig sein und welche Gefahr soll von dem ausgehen.“

„Nicht seine Gegenwart macht uns Sorgen. Es ist seine Vergangenheit und es ist der Teil der Vergangenheit, in der Du damals rumgerührt hast.“

„Aber da war doch nichts von Wichtigkeit.“ Jens erinnerte sich langsam wieder an die Fakten. „Ich hatte nur nachgewiesen, dass er ein Nazi war. Während des Kriegs in der SS und nach dem Krieg in verschiedenen Nationalistischen Vereinigungen aktiv, war er eindeutig Täter und nicht Opfer. Offenbar hatte er sich bereits während des Kriegs in einer geheimen paramilitärischen Vereinigung engagiert. Die rechtliche Konsequenz aus dem Ganzen war gewesen, ihm die Leistungen zu verweigern.“

Germut vermied jeden Augenkontakt zu Jens. Nur Holger sah ihn erwartungsvoll an.

„Willst Du uns helfen? Es geht nur um diesen einen alten Fall; reine Recherche. »Einen alten Fall beerdigen, hätte George Smiley gesagt«.“

„Was, wenn ich nein sage?"

„Dann gehst Du hier raus, rufst Dir ein Taxi und fährst nach Hause. Aber … ", bekam Jens zur Antwort und dieses aber klang wie aufziehendes Unwetter.

„Aber dann bist Du für uns gestorben und Du brauchst auch nicht mit unserer Hilfe rechnen."

„Wörtlich?"

„Nimm es wie Du willst."

Jens Mander hatte es während seiner aktiven Zeit schon einmal erlebt, dass ein ehemaliger Mitarbeiter für die Firma »gestorben wurde«. Job verloren, Ehe kaputt, obdachlos - hat sich nach Jahren dann von der Großhesseloher Brücke in die Isar gestürzt.

„Na das sind ja goldige Aussichten", antwortete Jens, „aber da wir schon bei »Sprüche klopfen« sind, wie findest Du den? »Alte Männer sind gefährlich, denn sie haben keine Angst vor der Zukunft«. Der ist auch nicht schlecht. Oder?“

„Also nochmals - machst Du den Job?", Holger grinste.

Jens machte eine Geste des Überlegens und strich mit der Hand übers Kinn.

„Ist das alles? Wo ist der Haken an der Sache? Wenn es eine einfache »Beerdigung« wäre, dazu braucht ihr keinen alternden Externen“, erwiderte Jens.

„Ein Reporter vom Spiegel ist an dieser Story dran. Wir wollen nur wissen, ob wir da eine Leiche im Keller haben und wenn, wie wir den Deckel drauf kriegen und das, ohne an den internen Drähten zu ziehen.“

Nun ergriff Germut das Wort: „Also was ist - Burgfrieden bis zum Ende der Recherche, oder soll ich Dir Vernunft einbläuen? Wir haben Dich auch bei der Sache mit der Lothar Fidel Foundation unterstützt ohne eine Gegenleistung zu verlangen. Da haben wir doch etwas Entgegenkommen verdient?“

Jens traute Germut durchaus zu, dass er trotz seines Alters noch persönlich Hand anlegen würde und er hatte keine Lust, sich sein Leben versauen zu lassen.

„Also gut", antwortete Jens Mander nach mehreren Minuten des Überlegens. „Aber nur unter drei Bedingungen - Fünfundzwanzigtausend sofort in bar und Fünfzig bei Ablieferung der Analyse und Fünfundzwanzig nach Prüfung durch den »Technischen Dienst«, Zugang zu allen Unterlagen und ein offenes Spesenkonto bei einer Berliner Bank."

Germut knirschte hörbar mit den Zähnen und Holger verzog einen Mundwinkel zu einem hämischen Grinsen.

„Beim FC Bayern spielt doch auch keiner für ein Gehalt aus der Dritten Liga“, höhnte Jens weiter.

Wieder minutenlanges Schweigen im Raum.

„OK - gib »ihm« den Vertrag", richtete Germut seine nächsten Worte an Holger. Dann stand er auf und verließ grußlos den Raum.

Jens war jetzt mit Holger allein.

„Unterschreib hier, es ist der Standardvertrag für Berater. Als Projektziel habe ich redaktionelle Recherche eingetragen und Projektdauer drei Monate.“ Er trug bei Honorar ,Hunderttausend, bei Ablieferung der Dokumente‘ und unter besondere Vereinbarung ‚Fünfundzwanzigtausend sofort, Fünfzigtausend bei Ablieferung der Analyse und Fünfundzwanzigtausend nach Prüfung durch den technischen Dienst’ - ‚Spesen gegen Nachweis‘ nach und reichte Jens einen Stapel Papier.

Während der den Vertrag überflog, redete Holger einfach weiter:

„Du bekommst noch einen Presse- und einen Redaktionsausweis. Mit dem Presseausweis hast Du Zugang bei allen Archiven des Bundes einschließlich der Stasi-Unterlagen-Behörde. Mit dem Redaktionsausweis öffnen sich in diesem Haus, in der Niederlassung Hannover und in München am Bonner-Platz einige Türen“

„Aber Du weißt ja - COSMIC Top Secret. Du berichtest direkt an mich. Hier hast Du ein iPad und ein iPhone. Entspricht unserem Sicherheitsstandard, Verschlüsselung inklusive. Die Lokalisierung ist für beide Geräte aktiviert. Das Passwort für die Daten bekommst du über den RSA-Soft-Token vom IPhone und das Masterpassword ist HkmKbpk. Deine Zugänge zu NADIS und INPOL werden morgen aktiviert.“

Jens hatte gerade die letzte Seite des Vertrags überflogen, als Holger seine Einweisung fortsetzte: „Dokumente aus dem Archiv der Generaldirektion musst Du über mich anfordern und je nach Sicherheitsstufe kannst Du die hier im Lesesaal oder in meinem Büro einsehen. Kopien gibt es keine und mich erreichst Du über die M.B. Personalvermittlung.

Auf dem iPhone und dem iPad sind jeweils Voice-over-IP Telefonapp‘s installiert. Die Übertragung erfolgt verschlüsselt und nach dem derzeitigen Stand der Technik abhörsicher.

Der quasi öffentliche Teil der Akte ist als PDF auf dem Rechner gespeichert.“

„Gib mir wenigstens einen Kugelschreiber, damit ich unterschreiben kann - ich will an die frische Luft.“

Mit den Worten: „Du kannst mir vertrauen. Ich werde Dich nicht betrügen - außer es ist zu meinem Vorteil.“ zog er aus der Innentasche seines Cord Sakko ein Montblanc Meisterstück, das er Jens reichte und dann die Instruktionen fortsetzte.

„Für das Projekt ist Dein Arbeitsname Hanns Lothar und während wir hier quatschen wird gerade Dein Person, der Reisepass und der Führerschein angefertigt - dürfte in einer Stunde mit dem Kurier von der Bundesdruckerei kommen.“

„Bevor ich es vergesse - ich heiße jetzt Claus Jäger, Claus mit C und bin Senior Key Account Manager bei einer weltweit tätigen Consulting-Firma.“

Holger griff zum Telefon, drückte auf einen Knopf ohne den Hörer abzunehmen und fragte Jens: „Immer noch Kaffee pur? Ohne Milch und ohne Zucker am besten intravenös?“

„Ja“, antwortete Jens und gab Holger den unterschriebenen Vertrag.

„Während wir auf Deine Papiere warten, können wir ja noch über Olle Kamellen plaudern.“

„Was gibt es da zu plaudern? Du hast mich eiskalt kassiert - Shanghaiern glaube ich nennt man das“, war Manders trotzige Antwort auf Holgers Gesprächsangebot.

„Na, eiskalt kann man nicht so unbedingt sagen. Du weißt doch wie Germut gehandelt hätte. Ich hab‘ wenigstens so getan, als hättest Du ‘ne Chance um Nein zu sagen.“

„Germut hat jetzt den ganzen Laden übernommen, die ganze Abteilung 12C, alles was Du noch als Stay-Behind kanntest; alle Quellen, das ganze Personal und er hält auch die Verbindung zu den Vettern“, fuhr Holger fort. „Mit seinen fünfundsiebzig Lenzen eine ganz schöne Leistung. Außerdem ist er Senior-Consultant bei Blackwater für Operationen im Zuständigkeitsbereich des SACEUR5.“

„Und er hat Erfolg: die Quellen spuren, er hält uns aus allen Skandalen raus und er sorgt für unsere Finanzierung“, begann Holger eine Lobhudelei.

„Dass unser Verein mal eine verdeckte Operation der CIA und des MI6 war, das weiß ja schon jeder. Das wurde auch lang und breit in den Medien diskutiert. In der Haut des SACEUR hätte ich damals nicht stecken wollen, als im SHAPE6 die Nachrichten von Andreottis Generalbeichte über Gladio eintröpfelten und die NATO zugeben musste, dass es in Europa geheime paramilitärische Verbände gab. Jeder von uns kannte nur einen Teil der Organisation und wusste nur das, was er für seinen Job wissen musste. Mafia-Methoden halt. »Need-to-know« sagen die amerikanischen Vettern.“

„Komm schon »Claus«, erspar mir den Mist, komm zum Punkt. Warum hast Du mich angeheuert?“

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