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Fünftes Kapitel.

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D er neue Tag war angebrochen – ein Tag voll wolkenloser Heiterkeit. Blitzend fuhren die Sonnenstrahlen in dem Fluss entlang, wenn ein frischer Windhauch das Wasser bewegte, und ellenlange Sonnenfäden zogen Netze vor dem Turmfenster, an welchem Elvire stand und ihr reiches braunes Haar flocht. Gertrud lag noch schläfrig und unlustig zum Auf stehen in ihrem großen Gardinenbette, das sie jetzt im Sonnenscheine ganz ausgezeichnet fand. Sie definierte eben ihrer Pflegeschwester höchst weise den Begriff ›furchtsam‹ und stellte ihn als weit edler auf, wie ›feige‹, was Elvire widerstritt und beides gleichbedeutend fand, als es ziemlich bemerkbar an ihre Tür pochte und der würdige alte Kammerdiener des Hauses von außen »ein Kompliment von einem gnädigen jungen Herrn an Fräulein Elvire von Uslar bestellte, und ein gnädiger Herr ließe das gnädige Fräulein um einen Morgenspaziergang ersuchen!«

»Alter Herr,« schrie Gertrud mit Aufbietung aller Lungenkraft. »Alter Herr, und das gnädige Fräulein Gertrud soll nicht mit spazieren gehen?«

»Nein,« entgegnete der Kammerdiener sehr bestimmt, »der gnädige Herr hat mir ausdrücklich befohlen: ›nur Fräulein Elvire von Uslar!‹«

Ärgerlich warf sich das Fräulein in ihr Bett zurück und schmollte:

»Gut, so stehe ich gar nicht auf, schlafe den ganzen Tag und bekümmere mich nie wieder um Dich! Rittberg ist unerträglich langweilig – ich begreife nicht, wie Du den lieb haben kannst. Ich kann ihn durchaus nicht leiden! Ich hasse – ich verachte ihn!«

»Das freut mich!« erklärte Fräulein von Uslar lakonisch.

»Das freut Dich?« wiederholte Fräulein von Spärkan ärgerlich und richtete sich von ihren Kissen straff in die Höhe.

»Ja wohl, denn mir war bange, weil ich den ›schönsten‹ Mann mein nennen sollte –«

»Den schönsten,« schrie Fräulein Trudchen, ganz vergessend, was sie tags zuvor erklärt hatte. »Bilde Dir doch nichts ein. Junker Wolf ist hundertmillionen Mal hübscher, als Rittberg.«

»Oder den klügsten?«

»Unsinn! Unsinn! Junker Wolf ist weit geistreicher und klüger.«

»Oder den reichsten?«

»Narrenspossen! Wenn Junker Wolf mich heiratet, ist er ebenso reich!«

»Oder den besten Mann,« schloss Elvire mit merklicher Innigkeit ihre Rekapitulation.

»So? Wer ist denn hinter dem Grafen Levin her geritten wie eine Windsbraut,« höhnte Fräulein Gertrud, »der armen Margareth zu Liebe? Kein anderer, als der reizende, vortreffliche Junker Wolf, während Herr Reinhard Bünau von Rittberg kaltherzig zu Haus blieb und heute Morgen mit Fräulein von Uslar ganz gemütlich spazieren gehen will!«

»Hierin kann ich Dir nicht widersprechen, kleine Rechthaberin,« lachte Elvire, »allein da Du Dich des selben Egoismus schuldig zu machen gedenkst, so hast Du alle Veranlassung, meinem Verlobten Verzeihung zu gewähren.«

»Ich soll mich des Egoismus schuldig zeigen, Elvire?« fragte Gertrud entrüstet. »Wieso denn? Er kläre mir doch, was Du meinst?«

»Mit wenigen Worten! Rittberg geht spazieren, statt sich für das Unglück seiner Schwester zu interessieren, und Du beschließest zu schlafen, statt die Hilfe des Professors für Deine arme Margareth in Anspruch zu nehmen!«

Mit einem zierlichen, aber für die Dezenz etwas gewagtem Sprunge war das junge Mädchen aus dem Bette und zog sich in fliegender Eile an. Elvire sah ihr ganz erstaunt zu.

»Ach, das hatte ich ja ganz verschlafen, Elvire!« stöhnte sie kläglich. »Ja, ich muss sogleich hin zum Professor, ehe es zum Frühstück läutet! Ach, hilf mir doch!«

»Lass’ doch die Kammerjungfer kommen!« meinte Elvire kaltblütig.

»Die Kammerjungfer? Wie dumm Du bist! Wenn die mich anputzt und dann sieht, dass ich spornstreichs zum Professor laufe, so macht sie doch gewiss ihre Randglossen, und eine Kammerjungfer behält ihre Randglossen nie für sich. In einer halben Viertelstunde wüsste Frau von Wallbotts Zofe von meinem Besuche, und die ganze Geschichte käme eher der superfeinen, überklugen Dame zu Ohren, als Gellert handeln könnte.«

Fräulein von Uslar musste zugeben, dass ihre Pflegeschwester weit mehr Anlage zur Diplomatie habe, als sie. Stillschweigend unterzog sie sich jeder Hilfe, die Gertrud notwendig war, ordnete ihr zierliches Negligee, legte ihr das Haar in frische Flechten und entließ sie endlich mit einem ermunternden Kusse, als die Kleine sagte:

»Weißt Du, Elvire, jetzt beginne ich Herzklopfen zu fühlen. Wenn der Professor nur nicht verdrießlich aufgestanden ist.«

»O, Du bist ja doch sonst die tapfere Verwandte eines sächsischen Feldmarschalls,« wendete Elvire ein, und klopfte ihr die etwas stark geröteten Wangen.

»Ja, Elvirchen – aber vor verdrießlichen Männern und vor Gespenstern fürchte ich mich!«

Sie eilte aber dennoch an die Tür, horchte ein Weilchen nach dem Korridor hinaus und flog wie ein schüchternes Vögelchen blitzschnell durch die verschlungenen Gänge des Schlosses nach dem Zimmer zu, das ihr tags zuvor als das von Gellert bezeichnet worden war.

Während Gertrud ihrer Mission sich entledigte, kleidete sich Elvire auf das sorgfältigste an. Ganz den Regeln der gewöhnlichen Negligeetoilette zuwider schlug sie selbst die langen Paradelocken, die von beiden Seiten dicht über den Ohren von oben aus dem Chignon fallen mussten, um die Finger, und ließ sie selbstgefällig im Sonnengolde sich schaukeln. Ein zärtliches Verlangen, ihrem Verlobten, der eine so schöne Schwester besaß, gefallen zu wollen, machte sie wählerisch und vorsichtiger in ihrem Anzuge, und da sich ihr guter Geschmack nicht vergriffen hatte, so war sie nach kurzer Zeit, verklärt von der Erwartung der Liebe, eine der hübschesten Bräute, die jemals zu einem Morgenspaziergange sich gerüstet haben mögen.

Sie war fertig und bereit, wagte aber noch immer nicht die Klingel ertönen zu lassen, die dem Kammerdiener das Zeichen geben sollte, seinen Herrn zu benachrichtigen, weil sie Gertrudens Zurückkunft für nötig hielt, bevor sie ihr Zimmer verließ. Unruhig ging sie hin und her, nur zuweilen von der Schokolade nippend, die ein Bedienter auf einer mit kochendem Wasser gefüllten Präsentierwanne während ihres Ankleidens im Vorzimmer serviert hatte. Endlich, endlich kam Gertrud zurück – hochrot vor innerer Aufregung und ganz außer sich vor Freude.

»Ah, das ist gut!« rief sie entzückt an den Schokoladentisch tretend. »Ich bin fürchterlich hungrig, Elvire. Der Professor hat mich sehr, sehr gelobt,« fügte sie hinzu. »Er hat mir die Hand geküsst, Elvire, und mir gedankt. Aber ich – ich? Nun, was siehst Du mich so bänglich an? Du denkst gewiss, ich habe wieder einen dummen Streich gemacht! O nein, die Zeiten sind vorbei, Elvirchen! Der Professor hat mich eine kluge, besonnene Dame genannt, die den einmal begangenen Fehler – das Horchen nämlich – zum Besten gekehrt hätte. Pass’ mal auf – der Professor macht nächstens ein Gedicht auf mich!«

»Vielleicht eine Fabel mit sehr schönen moralischen Nutzanwendungen,« fiel Elvire mit affektiertem Ernste ein.

»O, das erlaube ich ihm auch!« rief Gertrud mit einem schönen, ehrlich glänzenden Blicke. »„Wenn er durch mein Beispiel Nutzen stiftet, so hab’ ich nicht umsonst dumme Streiche gemacht.«

»Und was wird der Professor nun tun?«

»Ja, das hat er mir nicht gesagt,« antwortete Gertrud gezogen. »Er hat mir bloß die Hand geküsst, und ich? Nun – ich?«

»Nur heraus mit der Sprache!« rief Elvire lachend. »Nun Du? Du bist gewiss wieder so kindisch und so albern gewesen, wie nur möglich!«

»O nein, Elvire!« beteuerte das Fräulein, wurde aber plötzlich noch röter. »Ich bin ihm nur um den Hals gefallen und habe ihn geküsst!«Note 4)

»Was?« rief Fräulein von Uslar mit lachendem Entsetzen. »Du hast Gellert geküsst? Auf die Wange oder auf die Stirn?«

Gertrud schüttelte verschämt das Köpfchen und neigte sich tief über den Frühstückstisch: »Auf den Mund, Elvire, dreimal recht tüchtig!«

Elvire wollte sich ein ernsthaftes Ansehen geben. Es gelang ihr schlecht.

»Auf die Lippen hast Du ihn geküsst, auf die Lippen? Nein, es ist unmöglich, Kleine!«

»Doch, doch, es ist wahr,« beteuerte Gertrud. »Ich weiß nicht, wie es kam, Elvire. Ich hätte ihn aufessen können vor Liebe, als er mich lobte. Lass’ Dich nur erst einmal von dem Professor loben – ja, ja, lache nur, aber ein Lob von Gellert ist süßer als Schokolade und berauschender als Wein!«

»Aber, bestes Kind, wie konntest Du es wagen, einen Mann zu küssen, der Deinen Kuss gar nicht verlangt, ja nach meiner Meinung eher verabscheut hat? «

»Nein, o nein, Elvire,« rief das Fräulein begeistert, »der Professor hat sich darüber gefreut, wahrhaftig gefreut!«

Elvire schüttelte misstrauisch ihr weises Haupt.

»Ich weiß es ja aus seinem eigenen Munde, dass ihm Liebkosungen von Frauen zuwider sind!«

»Ja, von Frauen,« rief Gertrud sehr naiv, »und vielleicht noch dazu von solchen Damen, wie Frau von Wallbott, das will ich Dir gern zugeben! Aber über meine drei rechtschaffenen Küsse hat er sich nicht geärgert, so viel weiß ich ganz gewiss, denn er sah mich lieb und freundlich an, und seine schönen traurigen Augen leuchteten wie Sterne.«

Fräulein Elvire hielt es nun für angemessen, ihren Morgenspaziergang anzutreten, deshalb ließ sie die Klingel hell ertönen und schloss ihr Gespräch mit der Ermahnung: ›Nur nicht fortzufahren den Tag über, wie Gertrud angefangen habe.‹

»Ich erlebe es,« sprach sie, ihren Fächer in den Händen auf und zuklappend, »dass Du dem Junker Wolf auch um den Hals fällst, wenn er mit guten Nachrichten vom Grafen Levin eintrifft. Um Gottes willen, das lass’ wenigstens bleiben!«

Gertrud machte ein verdrießliches Gesicht und sah ihre Pflegeschwester mit hochgezogener Lippe von der Seite an.

»Gerade nun tu’ ich’s!«„ trotzte sie. »Ich weiß nicht, was Du gegen den Junker Wolf einzuwenden hast. Er ist schön, wie Apollo, und dass er nichts hat, ist mir gerade sehr recht; denn es ist ein weit edleres und innigeres Gefühl, einem Manne alles – alles zu geben, was uns gehört, als mit hochgehobener Nase auf eine Stufe zu steigen, wo der Mann schon steht.«

»Ach so! Deine Ansichten sind heute ›grün‹, während sie gestern ›blau‹ waren«, lachte Elvire, schon in der Tür stehend. »Morgen werden sie ›rot‹ sein! Guten Morgen, Kleine! Lerne ein paar Gellert’sche Fabeln auswendig – da liegt das Buch!«

Sie verschwand und Gertrud stampfte ganz niedlich mit dem Fuße vor Ärger über diesen letzten Spottausfall.

Vor der Tür wartete der alte, würdige Kammerdiener auf Fräulein Elvire von Uslar, und geleitete sie ehrerbietig den Korridor entlang bis zum Balüstre, wo der junge Herr Reinhard Bünau von Rittberg ihrer harrte. Mit zeremoniöser Verbeugung trat er seiner Braut entgegen, legte seine Lippen zum Morgengruß auf die Fingerspitzen der jungen Dame, die aus den Negligeehandschuhen von schwarzen Filet heraussahen, und bot ihr den Arm, um sie die Treppe hinabzuführen.

Nur wenige höflich artige Redensarten wechselnd durchschritt das Brautpaar die Halle und wendete sich draußen vom Portale sogleich dem Schlossgarten zu, gefolgt von dem trippelnden Kammerdiener, der des Fräuleins blauesDamastmantelet mit Purpurkaschmir gefüttert, elegant auf seinem Arme in Falten gelegt, ihr nachtrug. Allein nur so lange die neugierigen Blicke des Schlossdienstpersonales zu fürchten waren, unterwarf sich Rittberg diesem steifen Zwange. Kaum waren sie in die dichten Laubgänge eingetreten, die sich langsam bergan bis zu einem Felsvorsprunge hinzogen, so nahm er die warme Hülle für seine Braut selbst über den Arm, zog die Hand des Fräuleins zärtlich dichter an seine Brust und winkte dem treuen Diener bedeutsam zu. Dieser wusste, dass es jetzt sein Amt war zu warten, bis die jungen Verlobten wieder hier vorbeikamen, deshalb verfügte er sich ganz gemächlich in ein kleines Lusthaus und setzte sich ruhig nieder.

Unter beseligenden Empfindungen schritt das junge Paar zuerst schweigend vorwärts, nur ihren Blicken eine Unterhaltung gestattend, die besser als alle Worte den Einklang ihrer Seelen verrieten. Dann aber begann Rittberg eine genaue und detaillierte Erzählung der Ereignisse, die sich, nach seiner Meinung, hinter dem Rücken seiner Gäste tags zuvor abgewickelt hatten. Elvire war fein genug, mit keiner Silbe ihre Bekanntschaft mit dieser Begebenheit zu verraten. Sie hörte achtsam zu, warf nur bisweilen einige Beileidsworte ein, und war schließlich ganz einer Meinung mit Rittberg, der die feste Entscheidung der Angelegenheit ganz unbedingt allein seiner Schwester zu überlassen wünschte.

Mittlerweile hatten sie die Höhe erstiegen und traten nun aus den herbstlich bunten Laubgängen hinaus auf ein kleines, ganz frei liegendes Plateau, das gleich einer Kanzel über der Felsenwand hervorragte. Ein zwar schwacher, aber doch immer kühler Morgenwind hob die schönen Paradelocken Elvirens empor und legte sie schelmisch über Stirn und Augen, als sie, von Rittberg mit demMantelet umhüllt, unter einer leisen innigen Umschließung hold errötend dastand. Der junge Bräutigam wagte es, seinen Arm um des Mädchens Gestalt zu legen, und sie lehnte sich zutraulich zärtlich an seine Brust.

Auf diesem Felsvorsprunge eröffnete sich eine weite Aussicht ins Land hinein, und schon der Vater des jetzigen Besitzers hatte in dem Felsen eine Grotte anlegen lassen, die hinlänglich Schutz vor Wind und Wetter geben konnte. Jetzt war diese Grotte auf alle Weise vervollständigt. Bunte weiche Matten von geflochtenem Stroh bedeckten die rauen Steinbänke und der rohe Tisch, aus Felsstücken zusammengesetzt, war mit einer kostbaren Marmorplatte versehen worden.

Hier ließ sich das Paar nieder und sendete in träumerischer Seligkeit die Blicke hinaus auf die Höhen und in die Täler, zu den fernen Bergkuppen voll Waldesgrün und zu den Türmen der Städte und Dörfer, welche in friedlicher Ruhe weit unter ihnen lagen.

Vom Glücke dieser einsam schönen Stunde verklärt, schaute Elvire hinüber nach diesem oder jenem Orte, den der Geliebte ihr nannte, horchte auf einzelne Erörterungen, die er ihr zu machen für notwendig hielt, war aber eigentlich in ihrer eigenen Glückseligkeit so vertieft, dass sie Glockentöne voller Freudenklänge und Jubelhymnen aus dem Himmel herab zu hören meinte, während er von den untergegangenen Geschlechtern sprach und ihr die nachbarlichen Beziehungen klar zu machen suchte.

Auch ihn übermannte zuletzt die stille Heiligkeit der schönen Morgenstunde; auch sein Auge hob sich mit seinen Gedanken empor zu dem azurblauen Gewölbe, das man Himmel nennt, und dann sank es auf das wunderhübsche, blühende Gesicht seiner Braut hinab. Er betrachtete sie liebevoll und zärtlich, aber sehr, sehr ernst, und die Frage schwebte in seinem Auge: ob sie es wohl besser wisse, wie seine Schwester Margareth, dass sie ihn liebe. Eine mächtige Unruhe trieb ihn auf bei diesem Gedanken, seine Hand zitterte ein wenig, als er abermals ihre schlanke Gestalt umfasste und sie aus dem Gewölbe der Grotte hinauszog ans Sonnenlicht, damit er es hell und schnell sehe, was sie denke, wenn er jetzt fragte und Antwort haben wollte über etwas, wovon sein Glück abhing.

Elvire sah seine plötzliche Unruhe, die bis zur leidenschaftlichen Aufregung heranschwoll, indem er sie vor Gottes Angesicht führte, der ein Zeuge einer Bitte und ein Zeuge ihrer Antwort sein sollte. Sie schmiegte sich an ihn. Ihr ganzes Wesen bat wortlos um Vertrauen. Er verstand ihre zartsinnige Erklärung und bewältigte seinen Zweifel. Er nahm die Geschichte des vorigen Tages nochmals auf, nachdem er eine Weile schweigend in die Weite gestarrt hatte, und sprach fast kalt, wenn man eine gedämpfte Beklemmung jemals so nennen kann, von der aufgehobenen Hochzeit in Schloss Rittberg, die ihn doppelt, der nötigen Erklärungen wegen, peinige. Er legte der ahnungslos mitleidigen Braut seine Befürchtungen vor, machte sie mit seinen Hoffnungen in Betreff des jähe abgebrochenen Verhältnisses vertraut, und weihte sie somit in alles ein, was Böses und Gutes von der nächsten Zukunft zu hoffen war. Es warteten bittere Stunden auf ihn und höchst unangenehme Verwickelungen mussten von seiner Hand gelöst werden.

»Aber,« sprach er mit tiefer ruhiger Stimme, »es gibt ein Mittel, alles in Freude für mich zu verkehren und das Ungemach einiger Stunden in Paradiesesruhe zu verwandeln, meine teure Elvire, und in Ihren Händen ruht der Talisman, der alles auszugleichen im Stande ist.«

Das Fräulein errötete und hob ihr Auge verwirrt zu ihm auf.

»Elvire, mein teures Mädchen,« fügte er leiser hinzu, als wage er nicht den vermessenen Wunsch laut werden zu lassen. »Willst Du, an Margareths Stelle, die Braut werden, die in drei Tagen durch den Segen der Kirche an meine Seite gefesselt, als mein süßestes Eigentum mir verliehen werden kann. Ich frage Dich, Elvire, willst Du in drei Tagen mein Weib sein?«

Ihr Auge blitzte in feuriger Glut, als sie es zu ihm wendete und fest auf ihn heftete.

»Ja, mein Reinhard!« antwortete sie schnell und einfach.

»Du willst – Du willst, Elvire? Mit frohem Herzen?«

»Mit frohem Herzen!«

»Mit vollem Vertrauen?«

»Mit vollem Vertrauen, mein Geliebter!«

In stürmischer Freude zog er das Mädchen an sein Herz.

»Gott sieht uns und Gott wird uns segnen!« rief er tief bewegt. »O, mit welcher Zaghaftigkeit begrüßte ich den ersten Gedanken an diese beseligende Hoffnung, die alle Pein und Qual von mir zu nehmen versprach. In der Stille der Nacht, als Margareth in bitterer Erkenntnis ihres Innern an meiner Brust lag und weinte, dachte ich an Dich und fragte mich traurig, ob nicht die Frauen oftmals in unverstandenen Empfindungen Bündnisse schlössen und dann auf ewig gefesselt, ein Dasein ertragen, das verfehlt und schwankend, allerlei böse Eigenschaften auftauchen und gedeihen lässt. Ich zweifelte, dass Du klar über Deine Gefühle warst! Ich beschloss Deine Prüfung, Elvire! In mir lebte die Überzeugung, dass wahre, reine und heiße Liebe gar nicht zaudern könne, den Wünschen des Verlobten zu folgen, trotz der leidigen Konvenienz und der herrschenden Etikette, welche sich bleischwer auf unsere besten Gefühle legen will. Es wird mir leicht werden, die Angelegenheit zu ordnen, und unserer Trauung steht nichts im Wege, als die Einwilligung Deiner Pflegeeltern. Den Oberst zu bestimmen übernehme ich – willst Du Frau von Pröhl zu beschwichtigen suchen, wenn sie vor dem Aufsehen zurückbebt, was unsere beschleunigte Vermählung machen wird?«

Elvire hatte bis dahin wohl kaum daran gedacht, dass sich Hindernisse gegen ihren Entschluss auftürmen könnten, da sie ganz allein in der Welt stand; aber sie fühlte sogleich, dass Frau von Pröhl sich hartnäckig diesem Plane widersetzen werde, der sich mit den Pflichten nicht vertrug, die sie übernommen und heilig geübt hatte. Eine leichte Trauer beschattete ihre Stirn, als sie darüber nachdachte.

In Rittbergs Augen mehrte diese Trauer den Zauber, welcher um sie gebreitet lag, als hätten Engel ihre Seele berührt. War dies nicht das Zeichen der richtigsten Hingebung eines Weiberherzens? Plötzlich überflammte ein Lächeln die düstern Mienen des Fräuleins.

»Ich werde meiner Pflegeschwester Gertrud diesen schwierigen Teil unserer Wünsche zur glücklichen Lösung übergeben,« sagte sie freudig, und fügte bei dem mehr als verwunderten Blicke ihres Verlobten hinzu:

»In Gertrud schlummern merkwürdig diplomatische Talente; überlassen wir ihr getrost die Beschwichtigung meiner Pflegemutter. Trotz ihrer Jugend und Unüberlegtheit findet sie gewiss den rechten Weg zum Herzen der Mama Pröhl.«

Nachdem sie über diesen Punkt einig geworden waren, erhoben sie sich und wandelten den Weg mit sehr er leichterten, frohen Herzen zurück, den sie unter Ahnungen einer schönen Zukunft betreten hatten. Die Gewissheit füllte ihre Phantasie mit andern Lebensanschauungen, und in der Ruhe ihres Innern hob sich ihr Mut. Am Eingange des Parkes erwartete sie der Kammerdiener, nahm den Mantel der jungen Dame wieder über den Arm und folgte ihnen in der angemessenen Entfernung. Sowie das junge Paar die Halle betrat, kam ein Bedienter ihnen entgegen. Rittberg schien dies erwartet zu haben.

»Nun?« fragte er, stehenbleibend.

»Der Bote von gestern ist zurück,« rapportierte der Bediente, und ein ganz wenig sichtbares Lächeln umzuckte seinen Mund, als er hinzufügte: »Er kann den Herrn Professor Gellert nicht auffinden!«

»Gut! Weiter!« befahl der Schlossherr ganz ernsthaft, während Elvire ungeniert lachte.

»Der Herr Professor Gellert hat sich bei Frau von Wallbott melden lassen. Er befindet sich jetzt bei ihr! Der Baron von Lottum ist soeben eingetroffen und wünscht den gnädigen Herrn zu sprechen!«

Er verbeugte sich und trat zurück. Fräulein Elvire begab sich der vorgeschriebenen Etikette gemäß nach ihrem Zimmer zurück, verabschiedete sich zeremoniös auf dem Balüstre vom Schlossherrn und wurde erst an ihrer Tür vom alten würdigen Kammerdiener verlassen.


Gertrud

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