Читать книгу Gertrud - Luise Reinhardt - Страница 12
Sechstes Kapitel.
ОглавлениеI m sonnig durchstrahlten, südlich belegenen Turmkabinett saß während dieser Zeit der Professor Gellert im Bogenfenster der Frau von Wallbott gegenüber. Ihr schneller Atem und die fliegenden Schatten über den stolz drohenden Augen verrieten, dass das Gespräch zwischen ihnen eine Wendung genommen hatte, die im Stande gewesen war, die Ruhe ihres Gemütes zu beeinträchtigen. Sie griff mehrmals nach dem Riechfläschchen, das mit Essigäther gefüllt, an einem Kettchen um ihren Hals hing, und zog den erfrischenden Duft ein. Gellert bemerkte ihre Aufregung sehr wohl, waffnete sich aber der vorliegenden Sache zu Liebe mit bedeutenden Quantitäten stoischer Kälte, die sonst einem weichen Sinne fremd war.
»Sie tadeln mich also, lieber Professor,« sprach nach geraumer Stille die Dame mit wiedergewonnener Haltung und Fassung, und ein ironisches Zucken des Mundes verkündete, dass sie sich auch gegen den Einfluss der sanften Weisheit ihres Freundes bewaffnet hatte.
»Von Ihnen hätte ich dies am allerwenigsten erwartet!«
»Warum nicht von mir? Oder meinen Sie, liebe Gnädige, die Freundschaft für Sie solle mich blind für das Unglück machen, das Sie über ein gutes, zärtliches Mädchenherz verhängt haben?« erwiderte der Professor gelassen.
»Unglück? «wiederholte Frau von Wallbott frappiert und schlug ihre Herrscherblicke zu Gellert auf. Sie konnte es sich gar nicht vorstellen, dass irgendein Mensch in Zweifel darüber sein könne, wie nur ein furchtbarer Irrtum Margareths sie zu der Verlobung mit dem Grafen Levin verleitet habe.
»Unglück? Ich habe Margareth vor einem unabsehbaren Elende bewahrt!«„ fügte sie mit dem stolzen Klange ihrer ausdrucksvollen Stimme hinzu, die jeden Widerspruch im Keime zu erdrücken pflegte.
»Kurzsichtige Sterbliche! Sie wollen aus der Zukunft lesen? Sie glauben nicht zu irren?« rezitierte Gellert etwas emphatisch, um den leisen Tadel zu verstecken.
Frau von Wallbott machte eine abwehrende Bewegung und rief:
»Margareth wird zur Einsicht kommen! Ich garantiere es Ihnen!«
»Zur Einsicht kommen,« wiederholte Gellert bedenklich. »Die Einsicht ist das Werk des Verstandes, der die Änderungen und Verbesserungen unserer Lebenspoesie übernimmt; aber leidet nicht oft das unschuldige Glück der Jugend, wenn wir den natürlichen Schmuck des Herzens der Politur gescheiter Einfälle unterwerfenNote 5) ? Margareth liebt doch wahrscheinlich den Grafen Levin, sonst hätte sie sich ihm nicht verlobt.«
»Liebt? Liebt? Sie könnte einen Mann ohne Wert lieben?« wendete Frau von Wallbott geringschätzend ein.
»Was tut der Wert der Bildung bei der Liebe zur Sache?« warf Gellert ernsthaft ein.
»Das sagen Sie – der feine Denker, der moralisierende Philosoph? Das sagt derselbe Gellert, welcher seine Zuhörer durch die Rede von dem Einflusse der schönen Wissenschaften auf das Herz, auf das Gemüt und auf die Sitten zum Entzücken hingerissen hat?«
»Schließt diese Rede denn die Einwirkung der Liebe auf den Geist aus?« fragte Gellert mit leichtem Lächeln.
»Nennen Sie die rohe Zärtlichkeit der Jugend Liebe?« fragte die Dame hoheitsvoll.
»Ja! ja!« rief mit ungewöhnlicher Kraft und Energie der weise Mann. »Ja, verehrte Freundin, die Zärtlichkeit der Leidenschaft ist Liebe, und veredelt sich diese Zärtlichkeit im geheiligten Bündnisse, so weihet sie die Erde zum Himmel!«
»Professor, Sie dauern mich mit Ihrer Schulweisheit! Meine Erfahrungen in der Liebe und Ehe haben mich anders belehrt!« sprach Frau von Wallbott mit Pathos.
Gellert schwieg mit jenem leichten geduldigen Lächeln, womit er immer die Anmaßungen dieser Dame ertrug.
»Margareth ist gerettet aus den Händen niedriger Leidenschaft. Sie wird glücklich werden, sobald sie sich in den Sphären erst wieder zurechtfindet, aus denen sie sich momentan, durch Irrtümer verleitet, entfernt hatte. Sie wird glücklich werden,« wiederholte die Dame im erhobenen Tone der Selbstgefälligkeit, »und sie wird es in späterer und ruhigerer Zeit lernen, mich zu preisen!«
»Sie dauern mich, Gnädige,« replizierte Gellert mit sanftem Spotte ihre eigenen Worte.
Frau von Wallbott sah ihn mit gereizter, gallicht bitterer Miene an. Dies war so ein Moment, den Gellert ›ihr innerliches Stampfen mit dem Fuße‹ nannte. Sie ertrug auf die Länge von niemandem Widerspruch, und eine Entgegnung, wie sie sich Gellert jetzt erlaubte, gestattete sie nur ihm. Gellert nickte ihr ganz gemütlich zu und wiederholte:
»Ja, ja! Sie dauern mich, dass Ihre langgepflegte Weisheit Sie schließlich so irreführt, um die kühle Zärtlichkeit der Freundschaft für ebenso beglückend zu halten, wie die Liebe.«
»Und wenn ich wirklich in diesen Irrtum verfallen wäre, wenn ich Alexanders edle und enthaltsame Liebe als eine laue Empfindung der Freundschaft gelten lassen wollte, so würde ich dennoch behaupten: Margareth wird glücklicher mit ihm, als mit dem Grafen Levin, dessen rau natürliche und begierdenvolle Leidenschaft abschreckend hässlich erscheint.«
»Erschien sie wirklich dem jungen Fräulein Margareth auch abschreckend hässlich?« fiel Gellert gutmütig und ironisch zugleich ein.
»Margareth war sich selbst nicht klar! Sie ist nun erwacht und wird zum Bewusstsein ihrer innern Entwürdigung kommen.«
»Wird sie das wirklich? Gnädige – Sie dauern mich!«
Frau von Wallbott warf ihm einen zornigen Blick zu und sprach ungewöhnlich eifrig:
»Weichen wir denn plötzlich so sehr weit von unsern Meinungen ab? Ich denke nicht! Ich will und beanspruche nur eine unbegrenzte Selbstbeherrschung in der Leidenschaft, die man gewöhnlich Liebe nennt, und ich verlange eine Veredlung der menschlichen Naturgefühle, um das Band der Ehe auf eine geistige Höhe zu verpflanzen, wie sie mir als Standpunkt eines wahrhaften Glückes vorschwebt.«
»Ja, Ihnen! Die Liebe ist das subjektivste aller Gefühle, meine Freundin. Ihnen – aber nicht Ihrer Nichte Margareth!«
Er betonte die letzten fünf Worte merklich bedeutungsvoll.
»Wie?« fuhr die Dame betroffen auf. »Professor, sind Sie rasend! Margareth im Dunste niederer Herzenssphären – bezwungen von der Glut des Blutes – geneigt in toller Hingebung dem Manne, der es wagte, dies zu fordern, ihr edleres Selbst zu opfern? – Nein! Ich sage es tausendmal in einem Atem: Nein! Nein! Margareth, mein sanftes, süßes Mädchenherz voll heißer Scham beim dreisten Männerblick? Es wäre Verleumdung, wolltet Ihr es behaupten, und es wäre Beleidigung, wollte ich es von ihr glauben!«
Sie stand, bezwungen von ihren zornigen Empfindungen, auf und schritt einige Male im Zimmer auf und ab. Dann stellte sie sich dicht vor Gellert, schaute ihm fest in das sein blasses Gesicht und in die treuherzig gefühlvollen Augen, und begann gemäßigter:
»Was quälen Sie mich mit Ihren grundlosen Voraussetzungen, mein würdiger Freund? Margareth, das wohlgelungene Abbild eines idealen Weibes, kann nie so weit der Natur zum Opfer fallen, um ohne Rücksicht auf ebenbürtige Bildung des Geistes und der Seele ihrem Herzen eine Glut zu gestatten, die sie willenlos der Liebe eines Mannes unterwirft!«
»Wir Sterbliche können irren!« behauptete Gellert ebenso bedeutungsvoll, wie vorhin.
»Es soll nicht sein!« rief nun Frau von Wallbott entflammt. »Es darf nicht sein! Ich irre nicht! Ich darf nicht irren! Wer wagt es zu sagen, dass ich irre!«
»Sie stampft heute ganz besonders stark und trotzig mit ihren innern Füßen,« dachte Gellert etwas ängstlich werdend, und betrachtete ihr stark gerötetes Gesicht von der Seite mit scheuen Blicken. »Es wird ihr wohl nicht schaden, wenn ich es versuche, sie zur Erkenntnis zu bringen.«
»Die Zeit ist immer unsere beste Lehrmeisterin, teure Gnädige,« begann er laut und sehr bedächtig. »Überlassen wir deshalb unsere divergierenden Ansichten der historischen Entwicklung und fassen dafür das schon Geschehene als Faktum kritisch ins Auge. Haben Sie erwartet, dass sich noch jetzt, so dicht vor der Vermählung unsers jungen Paares das Verhältnis dergestalt lösen werde, um – Sie erlauben – Ihre frühern Pläne realisieren zu können?«
Die Dame stutzte und zögerte mit der Antwort, die etwas schwer zu formen war. So gern sie sich nach dieser eingetretenen Lösung auch das Ansehen gegeben, als wäre ihre Geistesmacht der Hebel gewesen, der das Verlöbnis, das ihr zuwider gewesen war, ganz unmittelbar aus den Fugen gerissen hätte, so fehlte ihr doch der Mut, das zu behaupten, da sie nicht wusste, wie viel von der ganzen traurigen Szene bekannt geworden sein möchte. Außerdem lag in Gellerts Frage eine indirekte Anklage, die sie dem Vorwurfe einer Indiskretion unterwarf. Sie war nahe daran, ihren hochmütigen Eingebungen zu folgen und eine abweisende Antwort zu er teilen, aber ihr guter Geist siegte.
Sie hob frei und offen den Blick zu dem Professor auf und antwortete:
»Meinem Gewissensrate bin ich eine ehrliche Beichte schuldig, und sie sei hiermit abgelegt, mein verehrter Freund. Ja, ich bekenne mich schuldig und erkläre, dass ich den bösen Willen hegte, Margareth auf jede nur mögliche Weise zu bestürmen, um sie dazu zu bewegen, sich wieder aus den Banden zu befreien, die sie törichter Weise und höchst unüberlegt um sich geschlungen hatte. Ich war auf einen kleinen Kampf vorbereitet, weniger aus Gründen, die das Herz diktierte, als vielmehr des allgemeinen Aufsehens wegen. Dass mein Plan den Zufälligkeiten eine schnellere und eklatantere Erledigung zu danken haben sollte, kann mir eigentlich lieb sein, obgleich es meinem stolzen Sinne nicht ganz recht ist, dass Graf Levin in seinem Rechte zu handeln schien, als er Margareth freigab. Es mag aber hingehen, wie es gekommen ist. Hatte ich früher den Mut, mit Kühnheit einen freien Entschluss meiner Nichte zu vertreten und dem Urteile unserer Standesgenossen zu trotzen, so wird mir auch nicht die Entschlossenheit fehlen, jetzt mit kräftiger Hand das Geschick Margareths zu vollenden.«
»So – so! Ganz, wie ich es dachte,« murmelte der Professor. »Also nun, da der Graf Levin Ihnen dasPrävenire gespielt hat?« fragte er lauter.
»Ja, nun bin ich sehr zufrieden, dass ich mich als passiv in dieser Schicksalsentwickelung meiner Nichte aufstellen kann, um mit dem reinen Glanze meines Namen ihr späteres Glück zu sichern!«
Ein leises Spottlächeln umflog die Lippen Gellerts, während er einige Minuten sinnend vor sich niedersah. Dann richtete er seine hellen sprechenden Augen auf die Dame, der satirische Zug verschwand und er rezitierte mit einer ergreifenden Wärme:
»O Stolz – was eiferst Du und nennst den Eifer ›Pflicht‹!
Und ist Dein Eifer selbst nicht ›Stolz‹, der aus Dir spricht?
Dein Wirken ist oft nur geheimer Trotz der Seelen,
Der übermütig spricht: ›es wird und darf nicht fehlen!‹
Oft ist auch unser Mut nur Stolz im Glanz der Seide
Und reinster Übermut in einem andern Kleide!
O, Mensch! Vertreibe ja den Glanz des falschen Lichts!
Warum verbirgst Du Dir mit so viel Kunst Dein Nichts?
Was ist des Menschen Ruhm, des Klugen wahre Größe?
Die Kenntnis seiner selbst – die Kenntnis seiner Blöße!«Note 6)
Frau von Wallbott hatte ruhig, ja man möchte sagen ›andächtig‹ den Worten gelauscht, die ihre Verurteilung in aller Form Rechtens enthielten. Ihr Blut wallte und siedete noch immer von den Gemütsaffektionen, denen sie in diesem Gespräche mit ihrem Freunde unterworfen gewesen war, allein sie trug jetzt schon das Bewusstsein ihrer Schuld in der Brust, und bei solchem Bewusstsein hört jede Empfindlichkeit im edlen Menschen auf.
Nachdenklich saß sie da, den Blick in die Weite gerichtet, ohne zu sehen. Die Sonne lag prächtig hell auf der Herbstflur und dem klaren Flüsschen, dem sie silberne Funken entlockte, wenn er seine leichten Wellen kräuselnd dem grasigen Ufer zuspielte. Nachdenklich saß sie da, und Gellert störte ihr Nachdenken mit keinem Worte, ja selbst durch keinen Blick. Er wusste, dass sie hart mit sich zu kämpfen hatte, aber er vertraute ihrer Natur den Sieg an.
Einmal schlug sie in bitterer Not das Auge zum Himmel auf, als wolle sie ihn anflehen, Mitleid mit ihr zu haben und ihrer Demütigung ein Ende zu machen. Der Himmel fiel jedoch nicht ein und Gellert sprach kein Wort, um sie aus einem Seelenzustande zu befreien, der einer Buße gleich kam. Nach langem Zögern atmete sie tief auf:
»Was verlangen Sie von mir, mein Freund?« fragte sie sehr leise und mit schwer bedrückter Stimme. »Ich bin zu allem bereit, um mir Ihre Achtung und Liebe wieder zu gewinnen!«
Gellert zog tief bewegt ihre Hand an seine Lippen.
»Der schönste Sieg, den je ein Mensch feiern kann, ist der über sich selbst, meine teure gnädige Frau,« sprach er freudig. »Ich verlange nichts – nein, ich bitte nur meine Freundin, ich bitte im Namen der Menschlichkeit: beherrschen Sie Ihre Wünsche, die Sie zum Lebensglücke Ihrer Nichte entworfen haben – beherrschen Sie jedes Wort, das eine Überredung für Margareth enthalten könnte – beherrschen Sie Ihren Einfluss auf diejenigen Menschen, welche unter Ihrer Geistesmacht sich wohl fühlen!«
Frau von Wallbott sah ihn heiter an.
»Weiter nichts? Das wäre ein kleines Sühnopfer.«
»Glauben Sie das nicht, Gnädige. Wenn Sie sich nicht geneigt fühlen, mir ein Gelübde darüber abzulegen, so beschränke ich Sie auf den Willen Gottes!«
»Den fürchte ich nicht!«
»Übergebe Sie der Pein eines ruhigen Zusehens!«
»Umso besser für meine Trägheit!«
»Überlasse Margareth der Natur ihrer Gefühle!«
»Gottlob, darüber kann ich ruhig sein!«
»Überhebe Sie aber auch jeder Verantwortlichkeit!«
»Hier haben Sie meine Hand! Ich schweige zu allem, was sich ereignet, und ich lege meinem Munde so lange ein Siegel auf, bis die Entwicklung der Zeit es von selbst löset. Wie sich die Dinge auch gestalten mögen, unsern Freundschaftsbund soll nichts stören! Ich weiß, dass meine Ansichten siegen, ganz ohne mein Zutun siegen, denn es wäre eine Schmach für uns Frauen, sollte das Edle der Weiblichkeit dem Sinnenreize unterliegen. Mein Neffe Alexander ist angekommen –«
»Schon angekommen?« fiel Gellert verwundert ein. »Wann?«
»In dem Momente, als Sie zu mir eintraten. Er hat mit seinem Sinne erkannt, dass er, bevor er mit irgendjemand im Schlosse zusammentreffe, Margareth sprechen müsse, und er sitzt jetzt in ihrem Boudoir,« schloss sie triumphierend.
Der Professor zog ein sehr bedenkliches Gesicht. So nahe hatte er die Prüfung Margareths nicht geglaubt, und ein fürchtendes Bangen schlich durch sein wackeres Herz. Würde sie starksinnig genug sein, um die Verwirrung ihrer Gefühle richtig zu sondieren? Wenn sie der Bestürzung des Augenblickes unterlag, so war die bitterste Reue ihr Lohn, und ein Wort der Warnung hätte sie vielleicht retten können.
»Margareth wusste, dass Alexander kommen würde?« forschte er weiter.
»Sie erfuhr es vor der fürchterlichen Katastrophe, die ihr die Freiheit wiedergab.«
Der Professor atmete froh auf. Das junge Mädchen hatte also eine ganze Nacht Zeit gehabt, darüber nachzudenken. Er verabschiedete sich mit Herzlichkeit von Frau von Wallbott und eilte seiner kleinen Freundin Gertrud zuzuflüstern, »dass er sein Versprechen gehalten habe und als Ritter Margareths aufgetreten sei! «
Frau von Wallbott sah aber der nächsten Stunde mit voller Sicherheit und Zuversicht entgegen.