Читать книгу Gertrud - Luise Reinhardt - Страница 15
Siebentes Kapitel.
ОглавлениеRittberg zögerte nicht einen Augenblick, sich zu einem Gaste zu begeben, den er keineswegs erwartet hatte. Er war begierig, den Mann wiederzusehen und unter das Brennglas seiner Prüfung zu stellen, der ihm jetzt von doppelter Bedeutung war. Alexander von Lottum, oder wie er im Allgemeinen, ob mit Recht oder Unrecht, bleibt zweifelhaft, immer genannt wurde, der Baron Lottum, war ihm früherhin stets als ein Mann von schmiegsamen Grundsätzen erschienen. Seine entschlossene Ruhe, womit er jetzt den letzten Zeitpunkt wahrnahm, der ihm ein Gut zurückgeben konnte, das er in übertriebener Sorglosigkeit als sein Eigentum angesehen und für sich reserviert gedacht hatte, missfiel ihm nicht. Sie fand in Widerspruch mit der weichlichen Nachgiebigkeit, die er den Weltanforderungen gegenüber bis dahin gezeigt und namentlich in unbedingter Hingebung für die Frauen bewiesen hatte. Beinahe ein Jahr konnte dieser Mann mit Seelenruhe fern von der, die er doch jetzt als teures Kleinod in Anspruch nehmen wollte, leben, ohne sie in dem Bereich seiner nächsten Verbindungen zu wissen. War das fester Glaube an eine unerschütterliche Liebe ohne Traugelübde, so zeigte es seine ehrenhaft ritterliche Gesinnung, der Rittberg seine Achtung und Teilnahme nicht versagen wollte. War es aber eine Behaglichkeit der Selbstzufriedenheit, die mit Kühnheit der vermessenen Hoffnung gelebt hatte, dass nichts in der Welt sein Bild aus dem Herzen Margareths zu verdrängen im Stande sein würde, so fühlte er den Beruf in sich, dem Baron Lottum die Vorzüge seiner Schwester dergestalt klar zu machen, dass er zur Erkenntnis seiner Selbstüberschätzung kommen musste.
Alexander von Lottum gehörte nicht zu den gewöhnlichen Männern, das hatte Rittberg immer anerkannt. Seine Klugheit berechtigte ihn zu Plänen auf eine glänzende Stellung in dem Kreise der Bürokratie, und es war zu bedauern, dass er seine Fähigkeiten nicht dazu verwendete, die Erwartungen zu erfüllen, die man von ihm hegte. Man schob die Abneigung des jungen Mannes, sich in das Joch eines Amtes spannen zu lassen, auf die Flatterhaftigkeit der Genialität, allein wer ihn näher kannte, der wusste, dass ihn die Furcht abhielt, dort mit seiner Arbeitstüchtigkeit nicht so glänzen zu können, als man nach seinen theoretischen Kenntnissen zu erwarten Ursache hatte. Er trieb sich am liebsten im Lande umher, suchte den Umgang mit den ausgezeichneten Männern der damaligen Gegenwart und bildete sich nach ihren Mustern männlicher Vollkommenheit.
Dass bei solchen Bestrebungen die menschliche Eitelkeit ganz aus dem Spiele bleiben sollte, war gar nicht anzunehmen. Rittberg suchte ihn aber nicht unter dergleichen vorgefassten Meinungen auf. Seine Gedanken klammerten sich mehr an eine Entzifferung der Gründe, warum er so lange von seiner Liebe, die Frau von Wallbott in ein großartiges Licht zu setzen bemühet gewesen war, geschwiegen hatte, da sie ihn doch jetzt zu so verzweifelt gewagten Geständnissen gebracht. Ohne Vorurteile, obgleich er in ihm die Veranlassung der jetzt waltenden peinlichen Situation erkennen musste, beeilte er sich ihn zu begrüßen.
Herr Alexander lag im Sofa, als er eintrat, und die Ruhe, womit er sich erhob, um die dargebotene Hand des Mannes anzunehmen, der einigermaßen Rechenschaft über manches, was tief eingreifend in Seele und Gemüt war, fordern konnte, frappierte Rittberg und machte seinen Begrüßungston so abgemessen kühl, dass nicht die mindeste Freude darin zu erkennen war. Baron Alexander schien dies nicht zu vermissen. Mit der Gebärde großen Selbstbewusstseins, wie es nur überwiegend berühmten Leuten nachgesehen wird, nahm er mit Rittberg Platz und sprach sogleich seine Freude über die glückverheißenden Veränderungen aus, die eine entsetzliche Ehe zur rechten Zeit vernichtet hätten.
Rittberg ignorierte diese pathetische Anrede und fragte: »ob er seine Tante schon gesprochen habe?«
Der Baron bejahete es, setzte aber hinzu: »Nur einige Minuten, weil der Professor Gellert erschienen sei und seinen beschleunigten Rückzug bewirkt habe. «
Rittberg setzte ihm männlich besonnen auseinander, dass sich die Verhältnisse seltsam gestaltet hätten und nur durch eine ›rücksichtslose Offenherzigkeit‹ zu applanieren seien.
»Danach ermessen Sie meine Frage: was hoffen Sie und worauf stützen sich Ihre Hoffnungen?« schloss er ziemlich gleichgültig.
»Ich hoffe sehr viel,« entgegnete Lottum sehr schnell und pikiert, »und meine Hoffnungen gründen sich auf den hohen, geistigen Wert Ihrer Schwester! Wann darf ich Margareth sprechen?«
»Der Weg zu meiner Schwester steht Ihnen ganz frei, Alexander,« begütigte ihn Rittberg, der seine Schroffheit bereuete. »Nicht deshalb tat ich diese Frage an Sie, sondern um einen Faden in dem Labyrinthe zu erfassen, der mich aus der ganzen Verwirrung, die hier herrscht, herausleiten könnte. Sie gestatten mir eine andere, verständlichere Frage: Hat Margareth sich jemals Versprechungen, Geständnisse oder nur unbewusste Herzensverrätereien erlaubt, die Ihnen ein Recht zu Ihrer Werbung geben?«
Alexander hob sehr verständlich nicht achtend sein Haupt empor, indem er erwiderte:
»Sie sind verlobt, Reinhard – haben Sie es für nötig gehalten, ihr Herz anders, als durch die innigste Seelenharmonie sprechen zu lassen?«
»Seelenharmonie, Alexander?« wiederholte Rittberg ganz erschrocken. »Das wäre ja eine sonderbare Art sich zu verloben, wenn man nicht einfach und herzlich das Mädchen seiner Wahl fragen wollte: willst Du mir Dein Herz geben, denn mein Herz glüht für Dich!«
Alexander unterbrach ihn: »Wir befinden uns, trotz Ihrer tüchtigen Verstandesbildung, nicht auf derselben Stufe der Geisteskultur, welche das Wesen des Menschen hebt und vergeistigt und zu jener süßen Begeisterung emporträgt, wo Worte als sinnliche Wahrzeichen unnötig werden!«
»So – so! Sie meinen, dass eine Erklärung zwischen Ihnen und Margareth nie stattgefunden hat?« fragte Rittberg fest und bestimmt, um ›den Schwärmer für Seelenharmonien‹ wieder auf die Erde zurückzuführen.
»Zwischen Margareth und mir herrschte seit Jahren die innige heilige Seelenverbindung, welche wir Sympathie nennen. Hierauf stütze ich meine Hoffnung, dass das holde, schöne Mädchen niemals aus freien Beweggründen eine andere Wahl hat treffen können!«
»Margareth war durch nichts gehemmt und durch nichts bestimmt, als durch ihr Herz, indem sie dem Grafen Levin sich verlobte, Alexander. Schon dieser Umstand muss Sie belehren, dass Sympathien oft mehr Freundschaftsstoffe enthalten, als man denkt. Liebesglück verlangt weniger Übereinstimmung des Geschmackes, als Herzenswärme, weniger gleiche Meinungen, als gleiches Pulsieren des Blutes und eine Anziehungskraft, der wir keinen Namen zu geben wissen.«
Alexander von Lottum legte sich bequem in die Ecke des Diwans und lächelte fein.
»Ich wollte, mein Freund Wieland wäre hier, um Sie handgreiflich zu belehren!«
»Nach meiner Meinung wäre ich weit eher im Stande, Ihren Freund Wieland zu belehren, als er mich!« sprach Rittberg sehr entschieden. »Das Verhältnis Wielands zur Sophie von Guttermann, welches sich auf Seelenverkehr beschränkt hat, erscheint mir fade gegen den Bund, der mich mit meinem wackern Mädchen verbindet! Elvire von Uslar liebt mich mit der vollständigen Hingebung, die den Mann zum glücklichsten Sterblichen zu machen verheißt. Ich verlange nicht danach, das Verhältnis von Liebesleuten zu kopieren, die schmachtend zusammen lesen, musizieren, den Mond anbellen und die Sterne zählen!«
»Sie nehmen also die Liebe materiell?« warf Alexander geringschätzend ein.
»Ich nehme sie vernünftig, als eine Gabe des Himmels, um uns so glücklich zu machen, wie möglich.«
»Unter den Ständen, wozu wir uns zählen, sollte eine solche Herabwürdigung edler, hoher und reiner Gefühle gar nicht stattfinden!« fiel Alexander wieder ein.
»Wehe den Ständen, wozu wir uns rechnen, wenn sie jemals dazu kommen sollten, eine eheliche Verbindung von diesem Gesichtspunkte aus zu betrachten,« sagte Rittberg sehr ernst. »Ich wäre im Stande eine Braut zu verachten, die mit ätherischer Kühle im Herzen mein Weib würde.«
»Wenn aber zwei Menschen in der Seelenerkenntnis geläutert, miteinander gleich gestimmt, durchs Leben gehen wollen – sind diese zwei Menschen Ihnen auch verächtlich?«
»Nein! Ich bedauere sie beide!« entgegnete Rittberg sehr rasch. »Gelingt es Ihnen meine Schwester auf diesen Weg zu verlocken, so habe ich die Überzeugung, dass Sie ein reiches, gefühlvolles und weiches Herz töten, indem sie demselben langsam alle Blutwärme entziehen. Margareth würde mir als eine Märtyrerin der steigenden Kultur erscheinen und in ihrer vestalischen Reinheit nicht so ehrenwert vorkommen, als in einem Kreise blühender Kinder von dem Dunstkreis irdischer Elemente umfangen.«
»Wir werden uns nie einigen, bester Freund,« wendete der Baron ein. »Was mir ein Entsetzen einflößt, ist Ihnen des Himmels Segen. Ich bitte Sie nur inständig, nicht auf Margareths Entschluss zu influieren.«
»Sorgen Sie nicht! Es würde heißen, die zarte Seele einer Jungfrau beflecken, wollte ein Mann, und sei er ein Bruder, den Schleier heben, der das Mädchenherz umhüllt und idealisiert. Versuchen Sie mit Ihrem Enthusiasmus für ein schwärmerisches Idealleben meine Schwester – ich zweifle so lange an günstige Resultate, bis ich glänzend überführt werden kann.«
»Darf ich bitten, mich Margareth melden zu lassen?« fragte Alexander zuversichtlich.
Rittberg verbeugte sich und ging.
Einige Minuten saß Alexander still und überdachte, was gesprochen worden war. Es lag durchaus nichts darin, was ihn, nach seiner Beurteilung, entmutigen konnte, und doch schlich ein ahnungsvoller Schauer durch sein Inneres, wenn er an die Festigkeit dachte, womit Rittberg seine Ansichten verwarf. Sollte dies ein Vorspiel der kommenden Szene werden?
Etwas bedenklicher, als nach dem günstigen Referate seiner Tante, begann er seine Toilette zu ordnen und sich einen förmlichen Belagerungsplan zu entwerfen. Zuerst so sicher in seinen Erwartungen, dass er Rittberg mit der Ruhe eines begünstigten Bewerbers empfangen hatte, bemächtigte sich jetzt seiner ein Unbehagen, welches ihn zu Reflexionen führte.
Ein Jahr war verstrichen, seit er Margareth im Hause seiner Tante verlassen hatte. Bald darauf hatte sie ebenfalls in Begleitung ihres Bruders Kassel, wo sie in einem Confluxus ästhetischer Kreise gelebt und geatmet, verlassen und war nach Schloss Rittberg, also immer unter unmittelbarer Einwirkung der brüderlichen Ansichten, übersiedelt. War es nicht denkbar, dass sie ihre hoch gespannten und fein veredelten Begriffe von Mensch und Erde etwas vom unreinen Elemente der Gemeinheit hatte verwischen lassen?
Womit man umgeht, zu dem neigt man sich. Herr Alexander von Lottum kannte die Unselbständigkeit des Frauengemütes gerade genug, um jetzt mit Sorge an ein Wiedersehen zu denken, von dem er sich Himmelsgenuss geträumt hatte. Es ist immer nicht gut, mehr zu träumen, als nötig ist, meinte er endlich entschlossen, und folgte dem Diener, der ihn hinab zu dem Flügel führen sollte, wo Margareth wohnte.
Margareth hatte sich nicht entschließen können, ihren Jugendfreund in dem Zimmer zu empfangen, wo sie trotz der unklaren Erkenntnis ihres Glückes so selig gewesen war. Es war jedenfalls ein ungünstiges Zeichen für diesen, und er nahm es auch dafür, dass er mit aller Förmlichkeit in das gewöhnliche Besuchszimmer geführt wurde, wo Margareth in einer nervösen Aufgeregtheit schon auf ihn wartete.
Gewitzigt durch das eben abgehaltene Gespräch mit Rittberg sah er mit der Aufrechthaltung der gewöhnlichen Konvenienzregeln ganz klar den Standpunkt, auf welchen man seine verspätete und seltsam gewagte Bewerbung zu stellen beliebte, und indem man die sonstige Traulichkeit seiner Beziehungen zu Margareth beschränkte und in die weiten Grenzen bloßer Besuchsberechtigung verlegte, erklärte man deutlich die geringe Neigung, den eben leer gewordenen Platz eines Verlobten schleunig wieder zu besetzen.
Im Grunde hatte er dies auch in vollster Ausdehnung nicht erwartet, aber er hatte gehofft, von den sehend gewordenen Augen eines verblendet gewesenen Mädchens als ein Messias begrüßt und in heimlicher Stille ihres Gemaches als solcher anerkannt zu werden. Mit dem dunkeln Bewusstsein, dass nach der Hitze in Graf Levins Empfindungen eine zu große Lauheit vielleicht nachteiligen Vergleichen erliegen könnte, trat er auf das Fräulein zu und ergriff mit einer gewissen Wahrheit von Erschütterung schnell die Hand, die Margareth ihm entgegenstreckte.
Dann aber verbeugte er sich vor ihr, tiefer und zeremoniöser, als es die Stellung erheischte, in welcher er seit ihren Kinderjahren zu ihr stand, und fragte mit zärtlichem Tone:
»Margareth, warum haben Sie mir das getan?«
Die Worte waren unglücklich gewählt. Sie wiederholten den Vorwurf, den sich tags zuvor ihre Tante erlaubt hatte, und gaben ihr mehr als alles andere Licht über das planmäßige Verfahren, womit man in ihrer ganzen Erziehung ihr geistiges Wesen mit dem Willen geleitet hatte, dem Herrn von Lottum eine Frau zu schaffen, wie er sie sich wünschte.
Der Nebel sank vor ihren Augen und sie betrachtete den verächtlichen Tadel, womit Frau von Wallbott ihre Verlobung beehrt hatte, plötzlich aus anderm Gesichtspunkte. Ihr sanftes, weiches Temperament verhinderte sie nun zwar, den neugewonnenen Ansichten Worte zu geben, allein sie wirkten wesentlich auf die Ruhe ihres Gewissens ein, das sich wirklich als etwas schuldig erkannt hatte. Sie beantwortete die erste Anrede Alexanders nur mit einem sanften, traurigen Lächeln, und dies ermutigte ihn zu der leidenschaftlichen Vertraulichkeit, ihre Hände wechselweise an seine Lippen zu drücken.
Margareth, unsicher in ihren Gefühlen, solange sie nicht im Stande war, Liebe und Freundschaft in sich zu trennen, trat schnell zurück und bewältigte nur mühsam eine Aufregung des Unmutes, die sich blitzartig bei dieser Zärtlichkeitsbezeugung durch ihr Inneres verbreitete. Sie war kalt und besonnen, als sie mit einer Handbewegung dem Jugendfreunde einen Platz anwies und sich selbst, vielleicht noch nicht fest entschlossen, aber doch sehr bereitwillig, sich von seinem fernern Betragen zu einem unabänderlichen Entschlusse leiten zu lassen, in dem Diwan niederließ. Alexander begann sogleich:
»Margareth, mich führt eine Hoffnung her, die vermessen genannt werden könnte, wenn sie nicht in unserm schönen Beisammenleben unter dem Schutze meiner Tante wurzelte. Darf ich reden, Margareth?«
»Von Ihren Hoffnungen nicht, Alexander,« sagte das Fräulein merkwürdig gefasst, nachdem das Gespräch erst begonnen hatte. Die Verlegenheit, die sie ihrer Tante gegenüber gezeigt hatte, schien verschwunden, nachdem sie jetzt eingesehen, dass Alexander ihr in keiner Weise das gewesen war, was sie beim jähen Verluste des Grafen Levin so tiefbetrübt betrauerte.
»In der trübseligen Situation einer mit vollem Rechte verlassenen und verachteten Braut wäre es unzart von mir, die Worte eines Mannes anzuhören, die eine Hoffnung auf meine jetzige Lage aussprechen.«
»Allerdings, wenn dieser Mann nicht mit dem Rechte sprechen könnte, den ein lange bestandenes Seelenbündnis geben muss!« entgegnete Alexander ernst und traurig.
Er fand erst jetzt die nötige Ruhe, um das Mädchen näher zu betrachten, das eigentlich, so lange er zu denken vermochte, seine Einbildungskraft beherrscht hatte. Der Ausdruck ihres Wesens war unbestreitbar ein verschiedener, als der, welchen er von ihr in der Ferne gehegt.
Schon ihre äußere Erscheinung zeigte dies. Früherhin machtlos dem Willen ihrer Tante ergeben und der eigenen Willenskraft nicht vertrauend, bewies schon die schüchterne Sanftmut ihres Blickes, dass sie zu den weiblichen Naturen zählte, die innerlich nicht leicht unabhängig werden, sondern des Rates und der Stütze bedürfen. Jetzt stand sie verändert vor ihm.
Die einzige bittere Erfahrung, wodurch sie ein beglückendes Verhältnis gestört sah, weil sie sich dem stärkern Wesen ihrer Tante nicht mit der Freimütigkeit entgegengestellt, die sie hätte retten können, diese einzige bittere Erfahrung hatte sie gegen schwache Unterwerfung gestählt. Ob damit aber auch ihre Energie dergestalt geweckt worden war, dass sie ihre schwer bezahlte Unabhängigkeit behaupten und das tiefgewurzelte Bedürfnis, sich einem stärkern Geiste unterzuordnen, bezwingen konnte, darüber musste die Zukunft entscheiden.
Für jetzt erschien sie dem prüfenden Blicke des Baron Lottum gereifter und selbständiger, als jemals, und ihre Haltung verriet weder Unterwerfung, noch den guten Willen, sich von den Erklärungen seiner Huldigungen geschmeichelt zu fühlen.
Wäre er selbst freier von den Fesseln einer Geistesrichtung gewesen, die seine Beurteilungskraft in die Schranken idealer Lebensanschauungen bannte, so würde er gesehen haben, dass die Sprache der Natur in der Brust Margareths den künstlichen Bau der eingelernten Lebensphilosophie merklich untergraben und erschüttert hatte. So aber sah er die Veränderung, die dem Fräulein einen neuen, ungewohnten Reiz mitteilte, und verstand sie nicht zu zergliedern. Er horchte gespannt und sehr verwundert hoch auf, als Margareth ganz ohne Schüchternheit antwortete:
»Dies Seelenbündnis hat seine Rechte und seine Gültigkeit eingebüßt, bester Alexander. Mit dem Momente, wo ich dem Grafen Levin die Rechte eines Verlobten eingeräumt hatte, schloss ich die Tore der Vergangenheit, und mit dem Abschiedsblicke meines Verlobten hat sich für mich die freie Benutzung der Gegenwart abgeschlossen. Was Sie also beanspruchen können, sind die Wirkungen der Zukunft, und ich vertraue es Ihrer eigenen Diskretion an, darüber nichts zu hoffen, nichts zu bitten und nichts zu beschließen.«
Der Baron blickte mit sonderbar gemischten Gefühlen auf das Mädchen. Die Überlegung ihres Bescheides imponierte ihm, aber der Inhalt desselben weckte Bestürzung in ihm. Mit dieser Bestürzung kämpfte die beleidigte Eitelkeit.
»Betrachten Sie sich noch nicht als ganz frei?« fragte er gereizt.
»Der äußerlichen Verpflichtung nach – ja!« antwortete sie gelassen.
»So dächte ich, dass der Herstellung unserer frühern Bande nichts entgegen stände?«
»Der Herstellung früherer Bande gar nichts, mein lieber Freund,« meinte sie, still traurig ihre Blicke erhebend. »Ja, ich bekenne sogar, dass für mich ein Trost darin liegen würde, die trübselige nächste Zeit unter der Bemühung, mich selbst wieder zu finden, zu verleben, allein Sie fordern andere Gefühle von mir, als ich geben kann–«
»Nein! Margareth, ich will nichts, als den Verkehr unserer Seelen, wie damals, wo ich zwischen Ihnen und meiner Tante lebte!« rief der junge Mann mit Erhebung.
Margareth schüttelte ungläubig den Kopf: »Ich habe mich einmal in dem unseligen Zwiespalte befunden, den eine Verkennung von Gefühlen zu Wege bringt, und ich bin entschlossen die Freundschaft der Männer zu vermeiden.«
»Damit würden Sie einen großen Teil meines Geschlechtes berauben,« sprach Alexander tadelnd.
»Aber einen Einzigen, umso mehr beglücken!« ergänzte das Mädchen mit strahlenden Augen.
Sie sah wunderschön in dieser Begeisterung aus, und es mochte sich wohl der Wunsch in dem jungen Herrn regen, dieser ›Einzige‹ sein zu können, trotzdem entgegnete er:
»Das sind Lehren, die der Egoismus einer Leidenschaft erfunden hat!«
»Und die schönste Eigenschaft dieser Leidenschaft ist der Egoismus!« fiel Margareth ein.
Gleich darauf errötete sie, wie ein Mairöschen, und fügte hinzu: »Die meisten Menschen leben verstrickt in dem Egoismus der Eigenliebe und scheuen die Opfer, welche eine Hingabe für das Glück eines Einziggeliebten fordert, aber, so tief ich auch durch meine verfehlte Erziehung in den Banden dieses Egoismus lag, der widrige Missklang, der sich jetzt durch mein Dasein zieht und mein Leben auf lange Zeit durchtönen wird, hat mich radikal geheilt.«
»Was Sie sagen, bekundet eine gänzliche Verkennung Ihrer Natur und Ihrer jetzigen Verhältnisse,« erwiderte Alexander sanft. »Der Vorwurf, den Sie meiner Tante, die nach ihren Grundsätzen Ihre Erziehung angeordnet hatte, damit machen, fällt sofort in ein Nichts zusammen, wenn man Sie kennenzulernen sucht. Die Stufe der Bildung, die Sie dadurch erreicht haben, erhebt Sie weit über die meisten Frauen der Gegenwart.«
»Ohne mich aber zu befähigen, gleich der einfachsten Bäuerin, den Mann meiner Wahl zu beglücken.«
»Würden Sie das wünschen?«
»Ja! Mir fehlt aber die Natürlichkeit und Einfachheit des Sinnes dazu. Ich habe beides eingebüßt unter den Sophismen, die das Weiberherz kristallisieren.«
»Welche böse Macht hat Ihnen denn diese Ansichten beigebracht?«
»Der Hauch wahrer, natürlicher Liebe!«
Der Baron biss sich auf die Lippen. Sein feines blasses, echt aristokratisches Gesicht färbte sich, und eine schlecht verhehlte Empfindlichkeit machte, dass er stumm vor sich niedersah.
In diesem Ausspruche lag die Erklärung, dass Fräulein Margareth die Liebe des Grafen höher wert hielt, als alle die subtilen Beziehungen, die jemals zwischen ihnen gewaltet hatten. Der direkte Tadel ihrer Erziehung war ein unerhörter Angriff auf die Weisheit eines vorwärtsstrebenden Menschengeschlechtes und auf den Enthusiasmus für Seelenschönheit und Herzenskeuschheit. Sie verletzten den jungen Mann umso tiefer, als er im Begriffe gewesen war, dem Vorbilde seines jüngern, weit höher begabten und feiner organisierten Freundes Wieland zu folgen, der die Welt durch den Briefwechsel mit seiner Seelengeliebten entzückte.
Margareth von Rittberg vereinte unbestritten noch bedeutendere Elemente in sich, um sie der allgemeinen Vergötterung würdig zu machen, als die Dame, welcher Wieland mit graziösem Entzücken Huldigungen streute. In der törichten Eitelkeit: ›berühmt zu werden, ohne sich allzu bedeutend anstrengen zu müssen,‹ hatte der Baron sich der Überzeugung hingegeben, dass es nur eines Wortes bedürfe, um Margareth für seine Sache zu entflammen. So sonderbar es klingen mag, wenn man eine Herzensangelegenheit eine ›Sache‹ nennt, so war für den Moment wenigstens kein anderer Ausdruck dafür zu finden, da es sich keineswegs darum handelte, eine Gattin zu erwerben, sondern nur eine schöne und liebenswürdige Vertreterin einer Mode, mit der man damals zu kokettieren pflegte. Freundin eines bedeutenden Geistes zu sein, gehörte zu den Errungenschaften eines emporblühenden Zeitalters, und die berühmt werdenden Männer gefielen sich in dem Verfahren, an eine begabte Frau die sublimen Gedanken zu adressieren, wofür der rohere Weltbürger noch kein Interesse zeigte. Dass sich Margareth, die bis zu seiner Abreise nach der Schweiz in den Sphären der Erhabenheit geschwebt hatte, in der Rolle einer einfachen Hausfrau besser gefallen könnte, als in dem epochemachenden Verklärungsschimmer einer geistreichen Dame, gab seiner idealen Liebe zu ihr einen derben Stoß und machte ihn sehr verdrießlich.
Während er seinen Gedanken nachhing, sagte Margareth ganz mit der schwesterlichen Zärtlichkeit, die sie unrichtig für ein innigeres Gefühl zu halten am Tage zuvor von ihrer Tante fast gezwungen worden war:
»Glauben Sie mir, Alexander, Sie befinden sich in demselben Irrtume, wie ich, wenn Sie annehmen, dass unsere gegenseitige Anerkennung ausreichend und bindend für alle Lebensverhältnisse sein könnte.«
Der Baron fuhr heftig auf: »Wenn solche Bindungsmittel nicht ausreichend wären, wo gäbe es dann ein Mittel, um ein menschliches Glück festzustellen? Etwa durch den Schaum der Leidenschaft, die man durch den Namen Liebe profaniert? Und wenn dieses Gift verraucht ist, Margareth? Wenn das sinnlich getrübte Auge wieder klar wird und hellsehend genug, um die menschliche Gemeinheit zu erkennen und zu begreifen? Margareth, auf welchen Abwegen wandeln Sie? Gott hat sich Ihrer zur rechten Zeit erbarmt, um Sie für größere und edlere Lebenszwecke zu erhalten!«
»Ihre Ansicht befremdet mich nicht,« entgegnete das Fräulein mit herzlicher Freundlichkeit, »weil darin die Gedanken enthalten sind, die mich seit meiner Verlobung mit dem Grafen Levin gefoltert und verfolgt haben. Aber die stumme Beredsamkeit der Leidenschaft, die sich in Levins Zorn ausprägte, als er mir das Symbol meiner Treue zurückgab, hat meine Bedenklichkeiten und Zweifel gehoben.«
Alexander schüttelte mit der Gebärde großer Verwunderung den Kopf.
»Gerade das, was meine Meinung bestätigt, das hebt Ihre Zweifel auf?«
»Meine Behauptung wird Ihnen verständlicher sein, wenn ich Ihnen erkläre, dass sein Zorn aus dem Schmerze entsprang, meine Neigung nicht so ungeteilt zu besitzen, wie er sie mir weihete! Nur dem, der selbst liebt, ist dieser Schmerz erklärlich!«
»Sie verstehen ihn zu würdigen?« fragte Alexander mit Ironie.
»Im tiefsten Mitgefühle und in einer entsetzlichen Sorge um sein Wohlergehen!« sprach Margareth leise und gefühlvoll.
»Diese Sorge macht Sie kalt gegen meine bewährte und geduldigere Zuneigung?«
»Vielleicht! Der Mensch kennt sich selbst zu wenig, und wenn er sich erkennt, ist es zu spät,« versetzte sie ausweichend.
»Das Glück meiner Zukunft ist Ihnen weniger wichtig?«
»Es erscheint mir weniger gefährdet!« sagte sie wehmütig.
»Das fragt sich! Nachdem ich durch die Großmut des Schicksals zu neuen Hoffnungen ermutigt wurde, verschränken Sie mir mit Härte jede Aussicht auf ein Glück, das ich jetzt erst, nach dem drohenden Verluste zu schätzen weiß.«
»Haben Sie Geduld, Alexander!« bat Margareth sanft. »Sie kennen Ihre Empfindungen auch nicht genug, um sich nicht durch jede Auseinandersetzung zu übereilten Schlüssen verleiten zu lassen. Würden Sie es lieber sehen, wenn ich jetzt leichtsinnig handelte?«
»Jetzt – jetzt leichtsinnig?« erwiderte der Baron mit Überhebung. »Der Fall ist gewesen! Jetzt würden Sie nur Ihrer würdig handeln, wenn Sie ohne Beschränkung und mit vollem Vertrauen Ihre Hand in die meine legten!«
Margareth lächelte ganz wenig.
»Auch wenn ich jetzt, geschreckt durch die Verwirrung meiner Empfindungen, belehrt durch meine tiefe und schmerzhafte Betrübnis, ganz bedeutende Zweifel in die notwendige Wärme meines Gefühles für Sie zu setzen versucht wäre?« fragte sie.
Er fasste schmeichelnd ihre Hand.
»Die Wärme, welche ich beanspruche, leuchtet mir aus Ihren geistvollen Augen heute, wie damals entgegen, wo Sie von mir auf den Thron meines Herzens erhoben wurden!« rief er schwärmerisch. »Sie verkennen die Poesie der Liebe, teure Margareth, und verwechseln in der reinen Unschuld ihres Herzens eine leichte Wallung, die vergänglich ist, wie der Duft einer Blüte, mit dem erhebenden, himmelanstrebenden Ernste einer heiligen Begeisterung, die allein das Erdenglück der Menschen zu schaffen vermag. Zu der Höhe sich emporzuschwingen, wo die Glut des Herzens bis zur unvergänglichen Wärme gemildert und die Seele, als Hüterin alles irdischen Stoffes, unsere Läuterung beginnt, das ist unsere Pflicht. Sie trägt den Lohn schon hier auf Erden in sich, aber sie verheißt uns höhere Seligkeit in dem Jenseits, wozu wir uns hier nur mutvoll vorbereiten!«
»Die Macht dieser Pflicht muss aber durch die Wärme und Poesie der Liebe unterstützt werden, wenn sie nicht die Heiterkeit unsers irdischen Daseins gänzlich verdunkeln soll,« fiel Margareth lebhaft ein.
»Und ich halte es der Würde einer Jungfrau für unangemessen, mit der Weisheit des Verstandes ein Bündnis zu schließen, das nur unter der Einwirkung gegenseitiger Herzensflammen die richtige Weihe enthält.«
Ihre frommen stillen Augen richteten sich bei diesen Worten in die Ferne, als müsse sie dort den suchen, welchen sie an ihrer Seite zum Lebensgefährten wünschte. Alexander beobachtete sie scharf.
»Sie erwarten ›von der Weisheit des Verstandes‹ kein genügendes Glück?« fuhr er kurz und empfindlich gemacht durch ihren Widerspruch, auf.
»Nein,« antwortete sie einfach und ruhig.
»Würden Sie mir dieselbe Antwort vor Jahresfrist gegeben haben?«
»Nein!« sagte sie ebenso besonnen und kurz.
Alexander bemerkte, dass sie sich mit Überlegung jeder geistreichen Verstrickung entzog und ihren Seelenzustand streng in den Grenzen klaren Verständnisses erhielt. Sonst eine Freundin enthusiastischer Phrasen, hatte sie bis jetzt ihre Ausdrucksweise beschränkt und sich auf der Bahn stiller Bedächtigkeit bewegt. Die Wendung des Gespräches schien ein ungünstiges Ende für ihn zu versprechen, und dahin durfte er es nicht kommen lassen. Die Zukunft musste ihm offen bleiben. Was ihm dann nicht gelungen war, musste der gewichtigern Überredung seiner Tante überantwortet werden. Seine Entsagung wäre ihm nach diesem Wiedersehen bei weitem schwerer geworden, als früher, und er sah nicht ein, weshalb er den Besitz eines Mädchens wegen einer kleinen Herzensverstimmung aufgeben sollte, das ihm seit Jahren als ein Lohn seiner Bestrebungen vorgeschwebt hatte.
»Sie haben mich also früher Ihrer Liebe wert befunden?« fragte er teilweise bewegt von dem Gedanken, etwas eingebüßt zu haben, was er in diesem Augenblicke hoch anschlug. »Sollte jeder Funken dieser Neigung erloschen sein?«
Margareth heftete klar und groß ihr Auge auf ihn, ließ aber die direkte Frage unbeantwortet und warf nur aufgeregt die Worte hin:
»Es gab eine Zeit, wo mir die Erklärung Ihrer Neigung ein Glück verheißen hätte, aber ich bin der Überzeugung, dass ich es Ihnen danken muss, frei und ungefesselt geblieben zu sein. Ehren Sie die Stürme in meiner Brust, Alexander, und lassen Sie der Zukunft ihr Recht. Was die Zeit ausgleicht, muss dem Kampfe entzogen werden, denn die Zerstörungen des Kampfes heilen selten mit der Zeit. Ich gehöre durchaus nicht zu den weiblichen Naturen, die kampfbereit ins Leben stürzen, die opferfähig ihr eigenes Herz auf den Altar der Selbstverleugnung legen und in der kühlen Verherrlichung eines imaginären Ruhmes sich selig fühlen. In mir schlafen Wünsche, die mich anders leiten, als Sie denken. Der Zügel, den mir meine Geistesbeschäftigungen angelegt haben, ist – zerrissen! Wie ich mein Glück erreichen werde, das meine Träume füllt, ob ich es jemals erreiche – das sind trostlose Fragen, welche die dicht verschleierte Zukunft enthüllen wird.«
Ihr Blick flog leidenschaftlich in die Ferne. Das Feuer und der Glanz, welcher darin glühte, verriet besser noch als ihre Rede die wahre Beschaffenheit ihres Innern. Erschrocken sprach der junge Mann, mehr für sich, als für das Fräulein:
»Sie – die weiße Taube – es ist entsetzlich!«
Ein Schrei, leise aber verräterisch dem Herzen entspringend, das in glühender Erinnerung aufzuckte, drang zu ihm und wendete seine Aufmerksamkeit wieder zu Margareth.
Sie saß totenbleich, die Hände gegen die Brust gepresst da. Ein Geisterlächeln wehte über ihre Lippen. In den süßesten Stunden traulicher Liebe hatte der Graf sie so genannt. »Meine weiße Taube!« Ein entsetzliches Weh durchrieselte sie und raubte ihr die mühsam behauptete Fassung. Alexander sprang auf, um ihr hilfreich zur Seite zu sein. Sie wies ihn zurück und bat ihn mit abgewendetem Gesichte »sie nun zu verlassen.« Zögernd willfahrte er ihr. Er beobachtete mit Schrecken die leidenschaftlichen Bewegungen, mit welchen das junge, sanfte Mädchen ihre Stirn gegen die Polster des Diwans presste, um ihre Aufregung zu bemeistern.
Mit solchen heftigen Gemütswallungen nicht vertraut, stand er betrübt da und überdachte den Schluss dieses Rendezvous, von dem er ganz andere Resultate erwartet hatte. Eine mächtigere Kraft, als die graziösen Spielereien der Schöngeistigkeit schien hier zu walten und mit unbesiegbaren Waffen seine oberflächlichen Ansprüche zurückzuweisen. Er glaubte in dem einzigen leisen, herzerschütternden Schrei, womit sie, ihm unverständlich, ihre Unterredung geschlossen hatte, das Grabgeläute seiner systematisch aufgestellten Hoffnungen ertönen zu hören. Unverzüglich begab er sich zu seiner Tante, der Verbündeten, die ihm einen Sieg, einen leichten Sieg sogar versprochen hatte, und er beeilte sich ihr mit dem einzigen Worte »Verloren« seine Niederlage zu verkünden.
Ein ungläubiges Lächeln auf den Lippen, ließ sich Frau von Wallbott ›die ganze Geschichte‹, wie sie nachlässig meinte, erzählen. Als Alexander mit der unerwarteten Aufregung, die nach seiner Meinung eine geheimnisvoll selige Überschwänglichkeit der Gefühle erraten hatte, schloss, sprach die kluge Dame ganz gemütlich:
»Ich sehe noch gar nichts verloren, wenn der erste Angriff zurückgeschlagen wird. Ein erster Erfolg ist nie ein Beweis von strategischer Klugheit, mein lieber Alexander, aber wenn es dem Angreifer gelingt, einen gut verschanzten Feind zum gänzlichen Rückzug zu bringen, dann gebührt ihm der Lorbeerkranz.«
»Nun – ich bin auch nicht willens, es bei meinen ersten Bemühungen bewenden zu lassen, ma chère tante,« entgegnete der junge Mann etwas hochmütig. »Nur für den Augenblick ist nichts zu hoffen!«
»Das gebe ich nicht unbedingt zu!« rief die Dame pikiert. »Hättest Du Deine Angriffswaffen besser gestellt, so würde Margareth, trotz ihres stürmischen Schmerzes, den Du gesehen zu haben meinst, Deine Neigung belohnt und Dir Versprechungen geleistet haben. Wie schwach sie gegen feurige Worte ist, hat sie bei Graf Levins Werbung bewiesen.«
»Ich habe meiner Liebe hinlänglich Worte gegeben,« fiel Baron Alexander respektvoll ein, »aber ich musste für jetzt kapitulieren, da Margareth die Begriffe ›Liebe und Freundschaft‹ gründlich zu untersuchen sich vorgenommen hat! Meine Stellung hier, meine gnädige Tante, wird mir durch den Ausgang meiner Konferenz mit Margareth drückend. Als Bewerber kann ich, nach ihrem Bescheide, nicht füglich auftreten und als Verwandter würde ich überall missliebig sein. Deshalb ist es ratsam, aufzubrechen. Ich habe eine Einladung von meinem Vetter Maltzahn, dem preußischen Gesandten in Dresden erhalten, und ich bin willens derselben Folge zu leisten.«
»Der Einfall ist gut!« entschied Frau von Wallbott. »Lassen wir Margareth Zeit, sich von den Erinnerungen der letzten, fatalen Ereignisse zu erholen. Die Leiden solcher Stunden gleichen sich nach alter Erfahrung durch Entbehrung am besten aus. Kehrt erst die schöne elegische Stimmung in Margareth zurück, so tritt Dein Bild in volle Kraft, und wir werden bereit sein, durch Eindrücke neuer Art der menschlichen Schwäche abzuhelfen, die sie für diesmal überwältigt hat.«