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Drittes Kapitel.

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Der Abend brach herein. Die Sonne stand golden am nebligen Horizonte und färbte die Gegend mit ihrem Glutlichte.

In diesem goldenen Abendlichte sprengte ein Reiter wild und unbändig durch die Felder und Wiesen, die sich vor dem Schlosse Rittberg in malerischer Abwechslung ausbreiteten. Sein Gesicht glühte, aber nicht von dem Lichte, das außer ihm lag, sondern von den Gefühlen, die wie Sonnenglanz seine Brust durchzogen. Der Reiter war Graf Levin von Brettow, und sein feuriges Ross hatte ihn im Fluge von der fernen Heimat hergetragen, um die Geliebte noch am Abend zu überraschen.

Graf Levin war nicht schön, nicht fein, aber ebenmäßig geformt. Die Flammen der Jugend leuchteten aus den prächtigen dunklen Augen, lagen auf der hohen, kühn gewölbten Stirn, und verliehen seinem ganzen Wesen den Charakter einer gewaltigen Kraft. Seine Erscheinung war imposant und würde an eine echt germanische Abkunft erinnert haben, wenn nicht das Haar und die Augen einen südlichen Typus aufgewiesen hätten. Von zauberhafter Wirkung war sein Lächeln, wenn es blitzartig über die streng männlichen Züge flog.

Bald lag das Schloss, das seine Margareth in sich barg, im vollen Abendglanze vor ihm, und die weit geöffneten Fenster der Besuchszimmer redeten ihm von dem Feste vor, das man dort vorbereitete. Ein losgelöster Vorhang hatte sich vom Winde herauslocken lassen und wehte wie eine Willkommenfahne hin und her, als winke er ihm zu eilen. Glückselig nickte der Graf mit dem Haupte und schaute ringsum, als wolle er die Fluren, wo eine Geliebte gewandelt hatte, im Übermaße des Glückes an eine breite Brust ziehen, um ihnen zu danken, dass sie Segen und Freude gespendet hatten ihr zur Lust.

Verwegen setzte er mit seinem mutigen Pferde mitten durch den morastigen Fluss an einer Stelle, wo weder eine Furt, noch ein Wahrzeichen zu sehen war. Das treue Tier trug ihn schnaufend hindurch und brachte ihn im Galopp auf den Schlosshof, wo seiner endlich Ruhe als Belohnung warten sollte.

Graf Levin sprang hastig ab, und nahm sich kaum die Zeit, seinen Lieblingsrenner der Sorgfalt des Stalldieners zu empfehlen, denn er hatte oben im Fenster ein helles Gewand gesehen, und sein Herz sagte ihm: dass es seine Braut gewesen sei

Wie auf Sturmesflügeln erreichte er das Balüstre, zähmte aber dann seine Hast, um sein Mädchen nicht zu erschrecken. Er trat leiser auf – seine Sporen klirrten kaum – und er schaute spähend den Korridor nach Süden und nach Norden entlang, um sie nicht zu verfehlen. Es rührte sich nichts!

Die feierliche Stille einer Kirche waltete in dem obern Raume. Schon wollte er wieder hinab, um sie in ihrem Zimmer, das im südlichen Flügel lag, zu suchen, als ihm beifiel, dass sie im Salon oder im Turmkabinett weilen könne. Er trat ein. Der festliche Schmuck des schönen Saales beklemmte seine Brust mit süßen Schauern, weil er sich bewusst war, weswegen die Räume von Blumen dufteten und eine ungewöhnliche Eleganz aufzeigten. Die Bedeutung des wichtigen Tages, der seine Wünsche zu krönen verhieß, trat ihm näher, als sein Blick auf die Gruppe der Myrtenbäume fiel, unter deren grünem Blätterdache schon mehrere Generationen des Hauses Rittberg den Segen der Kirche zu ihrem ehelichen Bündnisse empfangen hatten. Gerührt hing er einem Gedanken darüber nach und legte schon jetzt im Stillen das Gelübde einer ewig unveränderten Liebe für sein teures Mädchen ab. Plötzlich entdeckte sein scharfes Auge, dass hinter der Myrtenwand die Tür des Kabinettes zum südlichen Turme geöffnet war, und dass sich in dem venezianischen Spiegel, der den Hintergrund dieses prächtig ausgestatteten Kabinettes zierte, zwei weibliche Gestalten widerspiegelten, die, ihm nicht sichtbar, unweit der Tapetentür und zwar hinter derselben Platz genommen zu haben schienen. Er blickte schärfer hin, um etwas zu erkennen. Richtig. Es war Margareth und eine stolz blickende Dame, die sich eben mütterlich neigte, um in das Auge des Fräuleins zu blicken.

»Es ist die erwartete Tante!« dachte Graf Levin. »Ja, ja, dies Turmkabinett ist ihr fest bestimmtes Quartier für immer – es ist Frau von Wallbott! Was sie reden mögen? Natürlich, von unserer schnell entstandenen Liebe! Ich möchte hören, was mein liebes, zartsinniges Mädchen sagt – dass sie mich liebt, das weiß ich – ja ich weiß es – ich fühle es in ihrem Anschmiegen, in ihrer lieblichen Schüchternheit, womit sie meinen Augen ausweicht, aber wie sie mich liebt! Wie diese Liebe in ihr erwacht ist? Wird sie dies nicht ihrer Erzieherin, ihrer Vertrauten, ihrer mütterlichen Freundin beichten? Gewiss! Sie spricht von Dir, Du glücklicher Mensch, und Du willst hier stehen kalt, wie eine Bildsäule, während die Seligkeit Dir winkt?«

Er tat einige Schritte vorwärts, blieb aber wieder stehen und beschloss, den Weg durch den Korridor zu wählen.

Der Graf kannte die Lokalität doch nicht so genau, wie er gedacht hatte, deshalb befand er sich endlich nach einigen Versuchen, die rechte Tür zu finden, in der Verlegenheit, nicht mehr zu wissen, wo er eigentlich war. Leise schlich er vorwärts, ungeduldig aufs äußerste und doch immer in Furcht, ein indiskretes Eintreten riskieren zu müssen. Unhörbar durchschritt er zuletzt ein schmales Zimmer. Seine Sporen nur klangen leise und melodisch auf dem getäfelten Fußboden. Er blieb vor einer Portiere stehen, die eine halbgeöffnete Tür verdeckte. Er war am Ziele. Die Stimmen der beiden Damen drangen klar und deutlich zu ihm heraus.

Lächelnd, mit der Zuversicht eines glückseligen Herzens blieb er stehen und hörte, wie Frau von Wallbott mit gütigem Tone sagte:

»Warum hast Du mir aber nicht gleich nach der ersten Bewegung geschrieben, meine liebe Margareth?«

»Was sollte ich denn schreiben, beste Tante?« erwiderte Margareth mit ihrem klingenden silberhellen Tone, der immer die Herzensfibern des Grafen aufregte.

»Was Du mir soeben gestanden hat, dass Du uneinig mit Dir selbst seiest!«

»Hätte mir mein Schreiben etwa geholfen?« fragte Margareth leise klagend.

»Allerdings, mein teures Kind! Es würde eine einzige Erinnerung an jene selig reine, schöne Zeit, wo wir unsers jungen hochbegabten Wielands ›Platonische Betrachtungen über den Menschen‹ lasen, genügt haben, um die irdische Beimischung Deines Wesens wieder zu entfernen und Dich in Deinen Gefühlen zu läutern!«

»Nein, liebe Tante – so müssen wir meinen Seelenzustand nicht betrachten –« flüsterte Margareth kleinlaut und kaum hörbar. »Du irrst, wenn Du glaubst – Du irrst!«

Frau von Wallbott hörte gar nicht auf diese Worte, sondern fuhr fort:

»Weißt Du wohl, dass diese seligschöne Zeit Dir eine Verantwortung auferlegt hat? Glaubst Du nicht, dass Alexander Rechte auf Dein Herz hat?«

Margareth hob rasch den Kopf auf und sah ihre Tante besorgt an.

»Ich sehe, Du verstehst mich, und ich habe somit Dir nicht zu erklären, dass die tiefgewurzelte Neigung zu Alexander den Hauptgrund zu Deinem innern Zwiespalte gegeben hat. Die veredelte Männlichkeit dieses jungen Mannes, sein Zartgefühl, eine Selbstbeherrschung, die er in Folge seiner Bestrebungen errungen, hat Dir vorgeschwebt und Dich zu Vergleichungen bewogen, die jedenfalls dem rohen Sitten- und Wissenszustande des kühnen, voreiligen Bewerbers ungünstig sein mussten. Seine wilde Leidenschaft musste Dich verletzen – seine heiße Liebe Dir zuwider sein.«

Margareth machte während dieser Rede mehrmals eine abwehrende Gebärde, die natürlich von dem entsetzt lauschenden Grafen nicht gesehen werden konnte. Jetzt erhob sie sich zu dem Mute, ihre Tante zu unterbrechen.

»Bitte, beste Tante, höre auf mich zu quälen!« flüsterte sie mit ganz klangloser Stimme.

»Nein,« erwiderte Frau von Wallbott mit harter Unerbittlichkeit gehobenen Tones fort, »nein, Du musst hören, ehe es zu spät ist, wie unverzeihlich Du gegen mich und gegen den Mann, den ich für Dich erzogen und bestimmt hatte, gehandelt hast. Nicht Dein Glück allein hast Du gestört–«

»O Tante – Tante!« unterbrach Margareth sie schüchtern. »Mein Glück–«

»Schweige, mein teures Mädchen – beteuere nicht, dass Du glücklich seiest in Deinem bräutlichen Verhältnisse. Es ist nicht wahr! Keine Braut, die mit vollem befriedigten Herzen ihrer Ehe entgegengeht, zieht so verzagt und verschüchtert die Gefühle in sich zurück, als schäme sie sich der Liebe, die sie fühlt. Liebe macht stolz und Liebe macht selbständig! Du hingegen zitterst vor der Beurteilung Deiner Gefühle, und das allein belehrt mich über die Natur derselben.«

»Was wird sie sagen,« dachte der Graf voller Entsetzen, und ein Grimm ohnegleichen erfasste sein tief gekränktes Herz, als er die Beschaffenheit von Margareths Zurückhaltung dergestalt zerlegt sah, dass ihm kein Zweifel mehr bleiben konnte. Leider sagte das Fräulein, im Bewusstsein ihrer geistigen Hilflosigkeit, dieser wetterdrohenden Versuchung gegenüber nichts, sondern schlug beide Hände vor das schöne, totenhaft bleich werdende Gesicht. Dass ihr ganzer Körper unter der innerlichen Empörung und Aufregung erzitterte, beschwichtigte ihre Peinigerin nicht, denn sie fuhr fort:

»Und nicht Dein Glück allein hast Du gestört, liebes, teures Kind – nein, auch Alexander ist vernichtet vor Schmerz über diesen unvermuteten Verlust. Er behauptet, Du gehörest ihm mit allen Fasern Deines Seins! Er hielt sich Deiner versichert ohne Erklärung. Zwischen Euch seien keine Liebesbeteuerungen nötig – Eure Seelen seien verschmolzen – Eure Herzen einig.«

Graf Levin fand erstarrt. Sein Auge sprühte Flammen, seine Faust ballte sich und sein Fuß stampfte den Boden, so dass die Sporen hart erklangen. Die Damen waren zu vertieft. Sie hörten es nicht.

»Nun ermesse aber die Seelenstärke dieses schmählich von Dir betrogenen Mannes,« fügte Frau von Wallbott mit tief bewegtem Tone hinzu. »Alexander wird morgen früh eintreffen.«

»Allmächtiger Gott!« schrie Margareth auf. »Er hat seine Rückkehr aus der Schweiz beschleunigt, um Dich, die Blume seines Daseins, zum Altare führen zu sehen!«

»Um Gottes Willen, Tante, verhindere seine Ankunft! Ich ertrage seinen forschenden Blick nicht!« flehte das Mädchen, in der Exaltation der unverstandenen Herzensqual ihre Worte nicht bedenkend, nicht überlegend.

»Er wird – er muss kommen!« erklärte die Dame mit der vollen Kraft des geistigen Übergewichtes. »Er wird morgen kommen, um Zeit zu haben, Dein Inneres zu sondieren–«

»Das bricht mir das Herz!« stieß Margareth, machtlos ihrer Verwirrung hingegeben, in herzzerreißendem Tone hervor.

Ein Geräusch lenkte im gleichen Momente ihre Blicke auf die Tür – dort stand der Graf, hoch aufgerichtet und mit niederschmetternder Hoheit seine flammenden Augen zu ihr niederlenkend.

»Beruhigen Sie sich, mein gnädiges Fräulein,« sprach er schnell einige Schritte vortretend mit harter, fester und lauter Stimme. »Beruhigen Sie sich, Ihr Herz soll nicht gebrochen werden. Hier ist Ihr Ring! Geben Sie ihn dem Glücklichen, der sich Alexander nennt! Es wird dann ein Leichtes sein, die Pläne auszuführen, die diese Dame zu beabsichtigen scheint!«

Margareth stand starr und erschrocken da, und blickte in das von Schmerz, Wut und Leidenschaft verzerrte Gesicht des jungen Mannes. Ihre Hand streckte sich mechanisch nach dem Ringe aus, den er ihr entgegenhielt, aber sie fasste mit dem Ringe zugleich seine Hand und hielt sie in furchtbarer Kraft fest.

Graf Levin wollte sich losringen.

»Die Heiratsdokumente sind bereit,« sprach er fort, »ob ich, oder ob der Mann, der Alexander heißt, sie unterschreibt, wird sich gleich bleiben!«

»Levin!« rief Margareth kaum ihrer Sinne mächtig. »Levin, hören Sie mich!«

»Pardon! Ich habe genug gehört, gnädigstes Fräulein, genug für mein ganzes Leben! Werden Sie glücklich!«

»Levin, Du musst mich hören!« flehete sie ihn noch immer festhaltend.

»Ich will nichts hören!« rief der junge Mann wild und entriss seine Hand mit Gewalt ihren zarten Händen, die sie umklammert hielten.

»Ich will nichts hören! Wer kann mich zwingen, das noch einmal zu vernehmen, was mein Herzblut stocken gemacht hat!«

Er stürzte hinaus und ließ Margareth vernichtet zurück. Als der Graf, schwankend, wie ein Halbberauschter den Ausweg aus dem Labyrinthe der Zimmer und Kabinette wieder gewonnen und endlich das Balüstre erreicht hatte, stieg der Schlossherr, von unbestimmten Ahnungen aus der Unterhaltung mit seiner Braut aufgescheucht und zu dem Turmkabinette hinaufgetrieben, gerade die nördliche Treppe hinauf, und sah, wie der Graf sich auf die Balustrade stützte, um nicht umzusinken. In derselben Minute stand Rittberg aber auch neben ihm und sah ihm besorgt in das entsetzlich verstörte Gesicht.

»Wohin wollen Sie, Levin? Was ist Ihnen?« fragte er hastig eine Hand fassend.

»Wohin ich will?« wiederholte der junge Edelmann im dumpfen Bewusstsein seines ewigen Unglückes. Er schien nachzudenken.

»Am liebsten aus der Welt – am liebsten in ein kühles, stilles Grab,« setzte er dann eintönig, aber sehr fest hinzu. »Doch seien Sie unbesorgt, Rittberg, ich will jetzt nur zu Haus!«

»Was soll dies bedeuten, Graf? Was ist vorgefallen? Wilder, leidenschaftlicher Mann –fassen Sie sich! Es muss sich ja zwischen uns ein Weg der Verständigung finden lassen!«

»Verständigung?« fragte Graf Levin ganz gefasst und kalt. »Ich habe hinreichend gut alles verstanden und begriffen! Leben Sie wohl!«

»Ich kann, ich darf Sie nicht gehen lassen, Graf,« erklärte Rittberg aufgeregt. »Meine Ehre – meiner Schwester Ehre steht auf dem Spiele!«

»Fragen Sie nur die, welche ich noch vor wenigen Minuten ›meine weiße Taube‹ genannt, welche ich unsäglich geliebt, welche ich wie Gott selbst angebetet habe. Fragen Sie Margareth!«

Er wendete sich, eilte die Treppe hinab und warf sich, zum Schrecken des Stalldieners, auf sein erschöpftes Pferd. Wie weit er auf diesem treuen Tiere gekommen ist, weiß keiner. Es fand sich am andern Tage, fast zu Tode gehetzt, an seiner Stalltür ein. Vom Grafen Levin aber wusste niemand, wo er geblieben sei.


Gertrud

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