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Mission Cleo

Es war bereits Abend, aber die Sonne stand hoch am Himmel und dachte gar nicht daran, unterzugehen.

Es ist schon seltsam, dass in Geschichten ständig vom Wetter- und Sonnenstand die Rede ist, als wäre das für irgendwas wichtig. Da heißt es dann „Frau Sonne lacht“ oder „der Himmel verdunkelte sich“ oder „über seine geschlossenen Lider strich sanfte Morgenröte“. Was stimmt nur mit unseren Gehirnen nicht, dass das Wetter einen derart hohen Stellenwert für uns hat?

Wenn man lateinische Texte liest, liest man immerzu von allmächtigen Göttern, in der Bibel heißt es immer nur Gott, der Herr, und die Geschichten von Aladin und Ali Baba wären ohne Allah- und Mohammed-Erwähnungen höchstens zweiseitige Kurzgeschichten. Wenn man heute solche Geschichten liest, schüttelt man den Kopf und denkt: Das waren schon solche Quadratdeppen damals.

Aber wenn in vielen hundert Jahren mal jemand unsere Geschichten liest, wird er sich nichts anderes denken. Was interessiert mich das Wetter, wird der Zukunftshugo denken, mich interessiert nur und ausschließlich der Gestankgrad meiner Socken. Am Morgen riechen sie noch nach futuristischem Waschmittel, im Laufe des Tages verwandeln sie sich von Mozzarella in Bergkäse, um letztendlich als Blauschimmelkäse mit Rotkulturen in die Waschmaschine entsorgt zu werden. Das ist jetzt natürlich nur eine These, wie der Tagesverlauf einmal beschrieben werden könnte. Eine Garantie gibt es nicht.

Ich und Maria befanden uns im Entwicklungsstadium des mittelalten Streichkäses, als wir unweit von Cleos Haus standen.

Nein … ich muss mich täuschen. Marias Füße stinken bestimmt nie. Die duften ohne Unterlass nach Flieder. Oder? Wäre es möglich, dass auch ihre Füße einmal stinken? Nein, das kann nicht sein! Das darf nicht sein!

Ich werde es nachprüfen. Ich werde bei ihr daheim in der Dreckwäsche stöbern, bis ich ihre Socken gefunden habe – in detektivischem Interesse sozusagen.

Oder ich lasse es lieber. Am Ende erwischt sie mich, wie ich gerade einen Socken aus ihrem BH fuzle, und dann wird es schwer, sie von der Wahrheit zu überzeugen.

„Also, dann läute ich jetzt oder wie?“, fragte ich. Meine Hände waren ganz heiß und juckten in der Mitte.

„Es würde nix bringen, ihn direkt darauf anzusprechen“, sagte Maria. „Er würde ja alles abstreiten. Besser wäre es, wenn wir ihn belauschen könnten.“ Sie überlegte fingernägelkauend. „Wenn nur einer von uns da reinkäme …“

„Ich kann ja reingehen“, meinte ich.

„Ja, aber wie?“

„Unter der Fußmatte liegt der Hausschlüssel.“

„Ach, wirklich?“

„Na klar, wie bei mir daheim halt auch. Habt ihr denn keinen Schlüssel unter der Fußmatte?“

„Doch schon, aber ich dachte immer, wir wären die Einzigen.“

„Tja.“

„Dann geh rein und pass um Himmels willen auf, dass er dich nicht ertappt.“

„Und du?“

„Ich werde etwas später läuten und ihn direkt auf den …“ – eine kurze Pause der schmerzlichen Erinnerung – „… auf den Querzahnmolch ansprechen. Ich werde auch gleich dazusagen, dass wir ihn verdächtigen und bereits Fingerabdrücke genommen haben.“

„Und …“

„Er wird es abstreiten. Aber wenn er alleine ist, wird er sich verraten, da bin ich mir sicher. Vielleicht flucht er, vielleicht redet er aber auch vor sich hin. Du musst genau zuhören, verstanden?“

„Ja“, sagte ich. Aber es passte mir ganz und gar nicht, dass Maria jetzt schon Befehle gab. Immerhin hieß unsere Detektei Hugomator und nicht Maria … Besenstiel.

Cleo war in seinem Zimmer, sein wuscheliger Hinterkopf war von unten zu sehen. Ich warf einen Blick in die Garage, aber der Dacia seiner Mutter war nicht da. (Ach … Dacia.)

Ich sperrte, so leise ich konnte, die Tür auf und huschte durch die Diele hinter die Treppe, die nach oben führt. Dort steht ein eingebauter Kleiderschrank. Ich verbarg mich irgendwo zwischen den siebenhundert akkurat hängenden Anzügen von Cleos Vater.

„Holla!“, rief es plötzlich von oben. Ich vermied jedes Geraschel und atmete flach. Aber selbst wenn ich gar nicht geraschelt und gar nicht geatmet hätte, hätte man mich hören können. Mein Herz hämmerte so heftig gegen meine Brust.

„Du meinst wohl, du kannst dich vor mir verstecken, Flachschädel!“, donnerte Cleo, während er feierlich langsam die Treppe herunterstieg. Das kann doch wohl nicht wahr sein, dachte ich. Zefix nochmal, wie hatte der mich denn bis in sein Zimmer hinauf hören können?!

Dann war er unten. Ich hörte ihn in die Küche tänzeln, ein Schubfach öffnen und etwas trinken. „Ich weiß, dass du hier irgendwo steckst“, rief er dann. Ich merkte, wie er mit seinen Augen den Boden absuchte, als erwartete er, dass ich mich als Bodenfliese tarnen würde. Er kam auch an mein Schrankversteck heran, schaute aber nicht herein, sondern bückte sich und lugte unter den Schrank.

Er hat mich gar nicht bemerkt, fuhr es mir durch den Sinn. Er sucht nach irgendeinem Tier. Dann dachte ich: Wenn ich den Molch nicht eben noch tot aufgefunden hätte …

Cleo erhob sich, blieb eine Weile unschlüssig stehen und starrte dabei zwischen die Anzüge hindurch. Direkt in mein Gesicht. Aber seine Augen erkannten mich nicht, sondern starrten ins Leere – und mir lief eine Gänsehaut über den Rücken. „Hm, in seinem Häuschen ist er nicht, an seinem Lieblingsplatz ist er auch nicht … Mann, ich habe doch keine Zeit. Ich muss mich umziehen, bevor Mama heimkommt.“

Erst jetzt bemerkte ich, dass er gar kein T-Shirt, sondern den schwarzen BH seiner Mutter auf dem nackten Oberkörper trug. „Hui hihihi“, kicherte Cleo, als er ihn beängstigend fachkundig abnahm, „gut, dass das niemand gesehen hat. Und dir würde sowieso keiner etwas glauben, du eigenartig pochender Kleiderschrank.“

Plötzlich läutete es an der Tür und ich nutzte die Gelegenheit, um aufzustöhnen. Die Angst, erwischt zu werden, war schlagartig von der Angst, beim Lachen erwischt zu werden, übertroffen worden. Mein Gott, Cleo trug heimlich Frauenkleider! Damit hatte er sich verwundbar gemacht, dieser molchmordende Meuchelmörder!

Zeitgleich mit mir stöhnte Cleo auf, schleuderte den BH ins Schlafzimmer seiner Mutter und zog die Tür zu. Dann öffnete er mit nacktem Oberkörper die Haustür.

„Hallo?“

„Hallo Cleo“, sagte Maria. Ich sah sie nicht, aber ihrer Stimme nach zu urteilen, stand sie mit verschränkten Armen vor ihm. Ob sie sich über den halbnackten Widersacher wunderte, konnte ich nicht heraushören.

„Oh“, erwiderte Cleo und wirkte einigermaßen verblüfft. Ich hörte, wie er nachdachte und kombinierte. Dann folgte ein geschäftsmäßiges: „Hocherfreut, Frau Detektivin. Wie viele Fälle haben Sie denn heute schon aufgeklärt?“

„Einen!“, konterte Maria. „Den Fall Querzahnmolch haben wir beinahe abgehakt.“ Respekt, Maria, Respekt!

„Querzahn…was?“, erwiderte Cleo.

„Jetzt tu nicht so! Wir haben dich beim Diebstahl beobachtet. Und deine Fingerabdrücke am Stacheldraht hat die Polizei längst schon abgenommen. Ausgewertet wird morgen. Dann wirst du vollständig als Mörder entlarvt sein.“

„Ich? Ein Mörder?“, brodelt Cleo. Leise ist seine Stimme, ganz leise. Reiz ihn nicht, Maria.

„Du wolltest Hugo und mir eins auswischen. Darum hast du unser Firmenmaskottchen ermordet!“

„Wo ist Hugo?“

„Der ist bei der Polizei und gibt ihr die nötigen Hinweise.“

Cleo ist noch immer ruhig: „Du lügst. Hugo würde mich niemals verdächtigen.“

Maria: „Ich weiß, dass du der Mörder bist, und Hugo weiß das auch.“

Cleo: „Das ist ein Bluff – Hugo steht zu mir.“

Ich kann die gereizt ruhige Spannung nicht mehr ertragen. Vorsichtig schiebe ich den Kopf aus meinem Versteck. Marias Gesicht ist rot, Cleos Ohren auch.

Jetzt hält ihm Maria ihren kleinen Schminkspiegel hin und sagt: „Wenn du wirklich unschuldig bist, dann kannst du ja hier deine Fingerabdrücke hinterlassen. Dann kann die Polizei vergleichen und in Ruhe entscheiden, was sie weiter mit dir anstellt.“

Damit ist sie zu weit gegangen. Mit einem durchdringenden Schrei fährt Cleo in die Höhe: „Du willst Fingerabdrücke? Du willst Fingerabdrücke?! Da hast du welche!“ Und schon hat er seine Hände in ihren Haaren versenkt und verstrubbelt sie derart, dass sie, als sie schluchzend den Türrahmen verlässt, dieselbe Frisur hat wie er.

„Viper!!“, kräht Cleo und schmeißt die Tür ins Schloss.

Entschuldige, lieber Leser: Jetzt wechsle ich wieder in die Vergangenheit. War nur grad so ergriffen, dass ich in der Zeit verrutscht bin.

Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie mir im Schrank drinnen zumute war. Eigentlich wollte ich ja zu Maria halten, denn niemand außer Cleo konnte der Mörder sein – das war die einzig logische Schlussfolgerung gewesen. Andererseits berührte mich Cleos „Hugo steht zu mir“ irgendwie. Es kratzte von innen an meinem Brustkorb wie ein verzweifeltes eingesperrtes Tier. Ich hoffte beinahe, dass er, nachdem er wieder alleine war, laut auflachen würde. Ich hoffte beinahe, dass er sagen würde: „Diese Idioten! Diese Hornochsen! Sie haben mich ja gar nicht beim Mord beobachten können – ich war ja viel zu geschwind dafür!“

Aber das Gegenteil war der Fall. Cleo trampelte wütend durch das Erdgeschoss und schimpfte: „Diese Viper! Diese giftige Viper! Aber Hugo kennt mich, Hugo kennt mich!“

Es schüttelte mich. Ich würde mich nicht mehr lange beherrschen können. Nach ein paar Minuten stampfte mein Freund lamentierend die Treppe hinauf und verschwand mit einem Türknallen in seinem Zimmer.

Ich hielt mich noch vier Sekunden zurück. Dann flennte ich wie ein Mädchen. Ich sank auf die Knie und versuchte, mein nasses Gesicht so gut wie möglich an den Anzügen zu trocknen, aber es floss immer weiter und weiter. Ich hätte eine halbe Ewigkeit dort knien und einen Anzug nach dem anderen vollrotzen können, wenn mich nicht ein plötzlicher Motorlärm aus meinem Kummer gerissen hätte. Cleos Mutter kam. Nichts wie weg!

Ich kroch aus dem Schrank und wollte schon über die Terrasse fliehen, da erinnerte ich mich, dass Cleo vergessen hatte, den BH wieder aufzuräumen. Das Wenigste, was ich für meinen treuen Freund noch tun konnte, tat ich jetzt. Ich stürzte ins Schlafzimmer, hob den BH auf – da hörte ich das Garagentor zufallen. Verdammt noch mal, wo soll ich das blöde Ding nur verstauen? Schritte vor der Haustür. Keine Zeit, Hugo, keine Zeit! Nur weg von hier!

Ich stopfte mir den BH in die Hosentasche und floh über denselben Ausgang wie am Tag zuvor.

Maria war nimmer da. Ich suchte sie, aber ich suchte sie nicht besonders gründlich. Ich wusste überhaupt nicht mehr, wer ich war und was ich glauben sollte.

Das Einzige, was ich wusste – während ich am Kolosseum, der Schlucht und unserem Meisterversteck vorübertrottete –, war, dass Cleo unschuldig war. Er hatte den Molch nicht geklaut und schon gar nicht ermordet.

Aber ich war schuldig. Ich hatte Cleo hintergangen. Nicht, weil ich mit Maria ein Detektivbüro gegründet hatte, sondern, weil ich nicht zu meinem Freund gestanden hatte. Dem besten, dem allerbesten Freund, den man nur haben konnte. Ich weiß, er hätte mir die Treue gehalten. Aber ich war eine treulose Tomate mit viel Mark, aber ganz ohne Rückgrat. Ich hätte mich selber bespucken mögen. Ein bissel Busengewackel genügte, um mich alles vergessen zu lassen, was mich und meinen Freund verband.

Ich saß beim Abendessen und ärgerte mich über alles. Über mich, über Maria, über die diebische Freude meines Vaters, der immer wieder nachfragte, wie es denn heute mit dem Mädchen gewesen wäre und ob ich mich mit ihr gut verstehen würde und so weiter – ich wusste, worauf er hinauswollte. Und ich ärgerte mich über das Essen auf meinem Teller. Leber, Curryreis und Rosenkohl. Wird das die Menschheit denn nie verstehen: Leber ist nicht essbar! Und Reis … ach, was soll man da noch sagen? Es wäre ja schade um jedes Wort. Rosenkohl aber ist definitiv ein Verbrechen an der Menschlichkeit – irgendjemand sollte dem Jugendamt mal einen Tipp geben.

Mann, hatte ich eine Wut!

Die Freudenfalten meines Vaters hingegen reichten ihm bis an die Ohren. „Und was für einen vertrackten Kriminalfall habt ihr da draußen im Dickicht gelöst?“

„Diesen hier!“, bellte ich, zog den schwarzen BH aus meiner Tasche und warf ihn auf den Tisch.

Mein Vater verschluckte sich und wäre beinah abgekratzt.

*

Dinotherium bavaricum vs. Predator

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