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Kapitel 2

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Die einst malerische Lichtung mitten im Redwood-Nationalpark war jetzt ein unansehnlicher Fleck geworden, vollkommen verschandelt nach mehreren Wochen als menschliches Gefangenenlager. Es wimmelte dort vor Fliegen, stank nach Körperausdünstungen, Fäkalien und nach Verwesung. Dies war Verelendung mit Kalkül … ein Versuch, die Moral zu brechen und sie auszuräumen … und es funktionierte ganz offensichtlich.

Nachdem Cooper Willow überwältigt und die Flucht ergriffen hatte, war es ihnen allen übel ergangen. Ben hatte die übrigen Angehörigen des Zirkels hungern lassen, damit sie nicht wieder zu Kräften kamen und sich in ihrem kümmerlichen Zustand erst gar keine Hoffnungen machten, geschweige denn erfuhren, dass sie tief in den Wäldern steckten. Sie alle waren nachts im Frachtraum von Bens Kleinbus hergebracht worden. Nur er und Willow wussten, wo genau sie sich zurzeit befanden.

Alle Mitglieder lagen nackt und auf dem Bauch auf ihren Kleidern, während sie darauf warteten, dass sich etwas änderte – irgendetwas! Sie waren mittlerweile dem Zusammenbruch nahe und hätten alles für einen Bissen Nahrung, einen Schluck Wasser oder eine kleine Gefälligkeit getan … beziehungsweise für eine umso begehrtere Pille aus Willows Tasche. Das Mittel raubte ihnen nämlich die Sinne und machte sie schmerzunempfindlich, aber eben leider auch zunehmend abhängig von Ben. Sie hatten sich an die Aussicht auf Schmerzen und Todesdrohungen bereits gewöhnt, und darin eine neue Normalität gefunden. Sie durften nur noch darauf hoffen, in die Gunst ihres Peinigers zu gelangen, indem sie ihm schmeichelten.

Ben, ein Kerl Mitte zwanzig mit Dreadlocks und äußerst kriminell, war ein drogensüchtiger Vergewaltiger und Mörder. Er hatte die Kontrolle über den Zirkel an sich gerissen und im Zuge des Angriffs eines geplanten Opfers, das daraufhin entwischt war – Cooper hatte der Typ geheißen – grausame Regeln über die verbliebenen Mitglieder verhängt.

Nach diesem Zwischenfall hatte Ben den Knaben, der dabei verletzt worden war, in die Mitte der Lichtung gezerrt und einfach dessen Kehle aufgeschlitzt. Anschließend hatte er sich ein Mädchen geschnappt, eines der hässlichen, und es auf die gleiche Art umgebracht. Er kommandierte die Mitglieder herum und zwang alle dazu, sich auszuziehen und auf ihre Kleider zu legen. Als sich eine junge Frau geweigert hatte, hatte er sich lächelnd vor sie gestellt, eine Pistole gezückt und ihr in den Bauch geschossen. Sie war zusammengebrochen und hatte vor Schmerzen geheult, während sie langsam vor den Augen der anderen verblutet war. Dies schien den Rest sofort unterwürfiger zu machen. Alle waren fortan still, nur die Verwundete nicht. Sie bettelte mit schwindenden Kräften um Hilfe, bis sie schließlich röchelnd ihren letzten Atemzug tat.

Drei Leichen verwesten nun mitten auf dem Platz und neun nackte Gefangene lagen im Kreis ringsherum. Zwei von ihnen waren entkommen, und das ließ Ben einfach keine Ruhe. Es machte ihn sogar noch zorniger, als er sowieso schon war. Er hatte Pillen geschmissen und seit Tagen schon kein Auge mehr zugetan.

Wenige Tage nach diesen Vorfällen waren direkt an der Baumgrenze am Rande der Lichtung zwei Gestalten erschienen. Sie hatten eine ganze Zeit lang unbemerkt und still dagestanden, bis sie schließlich vorgetreten waren, damit Ben sie sah. Der Platz glich einer Insektenkolonie, und bei dem Gedröhne hätte man sogar schon nach wenigen Minuten wahnsinnig werden können.

Als das Paar Ben endlich auffiel, hielt er sofort inne. Er blieb schwankend stehen, während sein benebelter Geist unentschlossen war: War dies nur eine Sinnestäuschung und spielte ihm sein Verstand gerade einen Streich, oder sah er wirklich gerade zwei Personen in schwarzen Gewändern? Wie eine Zeichentrickfigur rieb er sich über die Augen und neigte seinen Kopf zur Seite. Als eine der Gestalten irgendwann den Kopf anhob, lächelte Ben jedoch. Denn es waren die beiden entflohenen Mitglieder des Zirkels.

Auf der Lichtung stand jetzt ein älterer Mann mit Glatze, unnatürlich schwarzem Kinnbart und einem silbernen Anhänger am Hals, der einen Ziegenkopf darstellte. Vom Aussehen her entsprach er dem Klischee eines satanischen Hohepriesters aus einem zweitklassigen Film. Ihn begleitete eine junge Frau Anfang zwanzig, die ein identisches schwarzes Gewand mit Kapuze trug. Ihre Augen waren betörend grün und schienen das Licht zu verstärken, das sich darin brach. Nicht nur die Farbe verblüffte ihn, sondern auch die Form, zumal das Gesicht, zu dem sie gehörten, nicht weniger hübsch war.

Als Ben erkannte, dass sich seine Vision eines doppelten Schnitters lediglich als zwei zurückgekehrte Angehörige des Zirkels herausstellte, strahlte er vor Freude und eilte über den Platz. Dabei scheuchte er allerdings eine Wolke Ungeziefer auf, die fast den Himmel verdunkelte und einen unheilvollen Schatten warf. Das Schwirren wurde auf einmal zehn Mal so laut wie zuvor. Die Liegenden hoben ihre Köpfe, während ihr Führer über die Toten stieg, und schauten halb hoffnungsvoll und halb ängstlich zu ihm.

»Ben.« Der alte Mann mit dem lichten Haarschopf, das ehemalige Oberhaupt des Zirkels, sah davon ab, seine Hände hochzuheben, um den jungen Mann zu zügeln, denn dies hätte leicht als Zeichen von Schwäche gedeutet werden können. Stattdessen wich er nicht von der Stelle und zuckte nicht mal mit der Wimper, sodass sein Gesicht einer gleichmütig stumpfsinnigen Maske glich, obwohl ihm sein Gegenüber offensichtlich große Angst einjagte, weshalb er es bereute, ihn und die Schlampe jemals in seine Gruppe eingeladen zu haben. Seit ihrer Aufnahme herrschten Spannungen und ein gereiztes Klima in einer sowieso schon Tag für Tag brenzliger werdenden Situation.

»Ben, irgendwann wird dir dein Temperament noch zum Verhängnis werden.«

»Wer weiß? Vielleicht schon heute.« Diese Bemerkung wurde mit einer tiefen und sinnlichen Stimme ausgesprochen. Die Frau, der sie gehörte, hielt eine kleine Pistole unter ihrer Robe in die Höhe. Ben hörte die Worte allerdings nicht und bemerkte auch keine Waffe.

»Soll das etwa eine Drohung sein, Zamfir?« Nun hatte er die beiden endlich erreicht. »Du drohst mir also mit deinem schwarzen Zauber?«

Er ging nun schnurstracks auf den Alten zu, bis dieser direkt vor ihm stand, sodass nur noch wenige Zoll Abstand zwischen ihren Gesichtern blieben.

Die Gefangenen, die dies beobachteten, hielten jetzt praktisch die Luft an. Für sie tat sich hiermit nämlich eine Chance zur Rettung auf. Sie sahen einen Hoffnungsschimmer, da Bens Einfluss auf sie nachließ. Er hob seine Pistole, während Zamfir antwortete: »Ja, mein Zauber ist stark.« Seine Stimme setzte allerdings bei diesen Worten kurz aus. Er kniff die Lider zusammen, als wenn er dem Jüngeren Furcht einflößen wollte, doch in Wirklichkeit geschah dies im Bestreben, seine eigene zu überspielen. »Möglicherweise ist es an der Zeit, dass du abtrittst, Ben. Ich bin hier, weil ich meinen Zirkel zurückhaben möchte.« Dies äußerte er zwar, innerlich dachte er dabei jedoch: Mein Gott, bitte verschwinde und nimm diese Schlampe mit!

Die Frau sprach nun lauter, allerdings ohne ihr Gesicht unter der dunklen Kapuze zu zeigen: »Lass die verfluchte Pistole fallen, Ben.« Ihre eigene hielt sie währenddessen höher.

»Rachael.« Die Art, wie Ben den Namen aussprach und sie dabei anschaute, war sehr aussagekräftig. Er nahm seine Waffe herunter.

Rachael erschauerte. Sie hätte den Zirkel schon vor langer Zeit verlassen, wären da nicht Mitglieder wie Ben gewesen. Sie erachtete es deshalb als ihre Pflicht, zu bleiben und den alten Mann vor diesen Raubtieren zu schützen.

»Wie du wünschst, Zamfir.« Bei dieser Anrede bemühte sich Ben um einen höhnischen Tonfall. »Vielleicht ist es tatsächlich Zeit, dass sich unsere Wege trennen. Lass den Zirkel doch darüber abstimmen, wem er folgen möchte.« Er drehte sich um, streckte die Arme weit auseinander und rief: »Wer will sich mir anschließen, um Sicherheit und Frieden zu finden, und wer will diesem Schwächling dorthin folgen, wo unweigerlich Verderben und Tod warten?«

Niemand antwortete, aber ihre Blicke schnellten von Ben zu Zamfir und wieder zurück. Eine ganze Zeit lang herrschte Stille, die den Jüngeren auf die Palme brachte. Sie hätten sich umgehend entscheiden müssen! Die Frage, wem sie Treue schworen, sollte sich doch wohl eigentlich erübrigen. Er bedauerte es, sich nicht länger damit aufhalten zu können, sie zu zermürben. Denn wenn einer zu Zamfir überlief, könnten es alle tun.

Ben hatte nie begriffen, dass es sich bei dem Zirkel nicht um eine okkulte Vereinigung im eigentlichen Sinn handelte. Er gehörte ihm nun seit ein paar Wochen an und wartete nach wie vor darauf, etwas Abgründiges oder Satanisches zu sehen oder zu hören. Zamfir, so vermutete er, hatte die Mitglieder genauso beeinflusst und kontrolliert, wie es in Bens Sinne gewesen wäre. Darin täuschte sich der junge Mann jedoch gewaltig. Denn der Zirkel war in Wirklichkeit einfach nur eine Gruppe obdachloser Kids, die nichts über ihren Leitwolf kommen ließen. »Führer« nannten sie ihn außerdem nur augenzwinkernd, wenn sie unter sich waren und insbesondere in seiner Gegenwart. Nach außen gab er sich als Oberhaupt eines Satanskultes aus, doch alles, was er von sich gab, war bloß aus dem Steigreif ersonnen, und den jungen Mitgliedern machte es einfach nur Spaß, des Teufels Helferlein zu spielen und im Gegenzug Nahrung und Obdach zu erhalten.

Zamfir, der selbst ernannte Kronprinz der Finsternis, passte gut auf sie alle auf, wobei er nichts weiter im Schilde führte, als um Aufmerksamkeit zu heischen und dem Alleinsein zu entgehen, weil seine Mutter einige Jahre zuvor gestorben war. Seine Anhänger zu missbrauchen oder sie zu befehligen lag ihm fern. Er stellte eher den Gegenentwurf zu einem Sektenführer dar. Ben allerdings … in ihm steckte tatsächlich das Zeug zu einem zweiten Charles Manson oder zu einem Jim Jones. Er erfüllte alle Kriterien dafür – er war verrückt, charismatisch und herrschsüchtig. Und nicht zu vergessen: extrem grausam.

Seit Tagen schon versuchte Ben, die Mitglieder des Zirkels zu manipulieren, und stand mittlerweile kurz vor dem Durchbruch, doch der Angriff jenes Arschlochs hatte ihn und Willow wirklich alt aussehen lassen – besonders sie, weil sie bis heute nicht wieder auf die Beine gekommen war. Der Kerl hatte sie derart schwer verletzt, dass sie einen nachhaltigen Hirnschaden davongetragen haben musste, denn ihr war seitdem schwindlig, und sie nahm ihr Umfeld nur noch verschwommen wahr. Außerdem machte ihr auch ihr Hals Sorgen, denn sie konnte den Kopf nicht mehr drehen, und ihr Gesicht … Ihr Gesicht war vollkommen im Eimer.

Rachael wusste dies aber zu schätzen, denn Ben mochte zwar ein absoluter Albtraum sein, doch Willow war noch weitaus schlimmer. Nachdem sich Rachael nie hatte vorstellen können, jemanden zu ermorden – dies zu tun hatte sie für sich kategorisch ausgeschlossen – spielte sie in letzter Zeit durchaus mit dem Gedanken. Schon vor dem Angriff auf die beiden hatten sich die Kids gefürchtet und gehungert, und hinter vorgehaltener Hand erwogen, Ben zu folgen. Wobei ihnen gar nicht bewusst gewesen war, dass sich ihre Lage auf diese Weise, sogar noch weiter verschlechterte, wenn sie dies taten. Rachael hatte beobachtet, wie sich mehrere von ihnen heimlich und scheinbar beiläufig mit Ben unterhalten hatten, bestimmt um irgendeine Arglist auszubrüten. Er war ein Angstmacher und Einflüsterer mit Charme, wenn es die Situation erforderte. Rachael fühlte sich momentan einfach außerstande, mit ihm fertig zu werden.

Dann war da aber noch der Mann, den sie zuletzt entführt hatten – Gott sollte gedankt werden für ihn. Sie war untröstlich, weil ihr Freund Ricky hatte leiden und schließlich sterben müssen, doch zu erleben, dass Ben und Willow mehrere Gänge zurückschalten mussten, trug viel dazu bei, seinen Einfluss auf die Kids endlich aufzuheben. Obwohl Ben dies als Vorwand dafür benutzte, sie alle wie Geiseln zu halten, war Rachael überzeugt davon, dass die Mitglieder sich nun geschlossen gegen ihn auflehnen würden.

Sie sprach zuerst: »Ich entscheide mich für Zamfir!«

Hoffentlich taten es ihr die anderen gleich, doch anscheinend sollte es nicht so sein. Ben ergriff nämlich nun die Gelegenheit, um sie und den Rest des Zirkels einzuschüchtern.

»Dann bist du ab sofort mein Todfeind.« Er zog sein Messer und drehte sich lächelnd zu den Gefangenen um. »Ihr alle, entscheidet euch. Steht auf und steht zu eurem gewählten Führer.« Er trat zurück, um ihnen Platz zu machen.

Die Kids erhoben sich mit steifen Gliedern und humpelten zu Ben hinüber. Alle bedachten Zamfir und Rachael mit reuigen Blicken. Viele von ihnen jammerten, und die meisten trauten sich nur zu einem tonlosen »Tut mir leid.«

Das war's. Wir sind geliefert, dachte die junge Frau.

»Ihr zwei seid hier offenbar unerwünscht.« Ben fing nun an, Befehle zu bellen, und wandte sich den beiden Ausgestoßenen zu, die komplett fassungslos waren. »Verschwindet sofort! Geht weg! Sonst überlege ich es mir doch noch anders.«

Er wollte einfach nicht auf nett machen. Dass sich seine Gefangenen Hoffnung machten, entging ihm genauso wenig wir ihre Bereitschaft, gegen ihn aufbegehren zu wollen, also begnügte er sich damit, das Paar zu vertreiben, statt einen Doppelmord zu begehen, solange sie von allen umringt waren. Sie zu einem anderen Zeitpunkt zu beseitigen genügte ihm voll und ganz.

Mit vorgehaltener Schusswaffe befahl Ben seinem Gefolge, sich wieder auf die Gewänder zu legen. Zamfir lief voraus und stolperte fast über seine eigenen Füße, weil er es so eilig hatte. Das konnte ihm Rachael nicht verübeln, denn dass er überhaupt mit ihr zurückgekehrt war, erstaunte sie immer noch. Ihn dazu zu bewegen hatte einige Überzeugungsarbeit und der Drohung bedurft, sie werde ihn verlassen. Jetzt fühlte sie sich allerdings schlecht, weil sie die anderen in Stich lassen musste. Sie raffte ihr Gewand und machte langsame und bemessene Schritte, womit sie aber trotzdem zügiger und schneller vorankam, als Zamfir in seiner Panik. Sie hätte gar nicht sagen können, wo genau sie sich in der weitläufigen Wildnis von Big Sur befanden, sorgte sich aber auch nicht wirklich darum. Später würde sie noch genug Zeit haben, es herauszufinden, während sie jetzt erst einmal froh darüber war, am Leben zu sein, und Ben deshalb schleunigst entkommen wollte. Als sie zurückschaute, sah sie ihn zwischen den Bäumen auf der Lichtung hin und her schreiten und wünschte sich, ihn einfach umbringen zu können.

Sie marschierten fast eine Stunde lang, so schnell sie konnten, allerdings nicht ohne sich gelegentlich umzudrehen und sich zu vergewissern, dass sie nicht verfolgt wurden. Schließlich blieb Rachael stehen und streifte ihre Robe ab. Darunter trug sie Jeans und ein T-Shirt, sodass sie mit einem Mal wie ein typischer Twen aussah. Das Gewand hängte sie sich einfach über eine Schulter. Zamfir tat nun das Gleiche und entledigte sich außerdem noch seines Oberteils. Er hatte ein weißes T-Shirt und eine schwarze Jogginghose an. Das Medaillon zog er ebenfalls aus.

»Bloß weg mit dem Mist«, sagte er zu Rachael.

Sie kicherte. »Hi, Everet.« Dann ließ sie den dicken, schwarzen Stoff ebenfalls fallen. Gleich darauf fasste sie sich an den Rücken und holte die Pistole hervor. Diese sah aus wie eine Beretta, aber nicht dass sie oder er das gewusst hätten. Sie richtete sie auf Everet und drückte mehrmals ab.

Klick, klick, klack. Kein Schuss löste sich, nur ein paar Funken sprühten aus dem Lauf.

»Funktioniert immer noch nicht.« Sie lächelte, als sie den Scherzartikel – ein Feuerzeug – zur Seite warf.

»Wäre aber hilfreich gewesen«, erwiderte Everet, als er auf den Boden schaute. Er ärgerte sich, weil das Feuerzeug, das er ausgesucht hatte, nichts taugte.

»Na ja, eigentlich hat es doch funktioniert«, fuhr Rachael fort. »Es hat Ben davon abgehalten, uns zu töten. Jetzt wo ich es mir genauer überlege …« Sie bückte sich und hob die Pistolenattrappe wieder auf.

Everet, der mit Nachnamen Lewis hieß, lächelte mit einem nach unten gerichteten Blick. »Wir müssen einfach in Bewegung bleiben. Ich dachte, vielleicht finden wir irgendwann ein Haus, bevor die Sonne untergeht.«

Rachael sperrte den Mund weit auf. »Sollten wir nicht lieber umkehren und den anderen helfen?« Obwohl sie den alten Mann gut kannte, stieß sie sein Wunsch, sich einfach so aus der Affäre zu ziehen, vor den Kopf.

»Was könnten wir denn schon für sie tun? Tagelang haben wir im Wald gewartet, und Ben zur Rede zu stellen war unser ach so toller Plan. Wir hätten dabei draufgehen können, ganz ohne Weiteres.«

Rachael starrte auf seine kahle Schädelplatte. Dies nahm ihrem Gesichtsausdruck sofort die Strenge, denn ihr fiel wieder ein, wie nachgiebig er sein konnte. »Wir überlegen uns etwas, aber du hast recht: Heute Nacht müssen wir uns wirklich erst einmal ausruhen. Ich habe schon seit Tagen nicht mehr anständig geschlafen.«

»Oder gegessen«, fügte er hinzu.

»Oder auf einer richtigen Toilette gesessen.«

»Oder geduscht.«

Beide spürten, dass sich ihre Stimmung verbesserte, je weiter sie von Ben fortkamen und sich jedem anderen beliebigen Ort auf der Welt näherten.

»Oder gelacht.«

»Geschweige denn gelächelt.«

So spielten sie einander noch mehrere Augenblicke lang die Bälle zu, verstummten aber relativ bald wieder.

Der Hohepriester des Bösen, wie er sich genannt hatte, war jetzt ein Biedermann mittleren Alters. Ohne Verkleidung und Motivation verschwand Zamfir, und Everet trat wieder hervor.

Schon seltsam, dachte er. Anscheinend brachte niemand den Namen mit dem bekannten Panflötisten in Verbindung. Dieser ging ja auch kaum als Bösewicht durch, andererseits hängt das aber vielleicht auch davon ab, was man von diesem Instrument hält.

»Everet, sieh doch nur.« Rachael blieb stehen und hielt sich eine Hand an die Stirn, um ihre Augen vor der untergehenden Sonne zu schützen, die bereits ganz niedrig am Himmel stand. »Was hältst du davon?«

An der Spitze eines steilen Hangs über ihnen stand ein Haus. Es sah nach etwas Gehobenerem aus und war nicht eingezäunt. Rachael war sich sicher, dass sie nun einen Platz gefunden hatten, wo sie vieles, was sie brauchten, und noch dazu einen Weg zurück in die Zivilisation finden würden. Everet strahlte ebenfalls. Er machte sich sofort an den Aufstieg. Es war ein ebenerdiges Gebäude, nahm aber eine große Fläche ein. Die Aussicht war gewiss atemberaubend, egal durch welches Fenster. Es verfügte sogar über Solarzellen auf dem Dach und einen großen Gastank, der hinter einigen Hecken versteckt an der Einfahrt stand. Solche Immobilien konnten sich nur sehr wohlhabende Menschen leisten, womit sie automatisch zu Selbstversorgern wurden. Anders ging es auch gar nicht, denn zumindest dieses Grundstück lag durchaus weitab vom Schlag, also galt es, sich aus eigenen Stücken um fließendes Wasser und Elektrizität kümmern zu können.

Auf dem Weg nach oben gerieten sie ins Schwitzen, wovon sie sich aber eine Menge versprachen. Das Beste an diesem Haus war allerdings der Umstand, dass es sich offenbar wie meistens in solchen Fällen um einen Zweitwohnsitz handelte, der fast das ganze Jahr über unbenutzt blieb.

»Oh mein Gott!«, jubelte Rachael. »Die Leitungen funktionieren noch, und das Wasser ist tatsächlich warm. Das darf doch nicht wahr sein – warmes Wasser!« Sie schaute zuerst in die Badezimmer. Everet steckte ebenfalls seinen Kopf hinein. Er trank gerade eine Cola ohne Zucker. »Strom haben sie auch hier. Der Kühlschrank ist kalt und … Ich mach uns mal was zum Abendessen, während du dich wäschst.«

Später schnitt sich Everet den Kinnbart fast komplett ab, wozu er eine Schere aus der Küche verwendete. Den Rest ließ er ordentlich von Rachael trimmen. Einen Teil wollte er aber stehen lassen, damit sein Kinn fülliger wirkte.

In jener Nacht konnten sie zum ersten Mal seit Ewigkeiten wieder tief und fest schlafen. Der Gedanke, diesen Ort je wieder verlassen zu müssen, war ihnen zuwider, doch sie mussten den anderen helfen, und konnten leider nicht allzu lange damit warten, so lange Ben dort draußen weiterhin freie Hand hatte. Sie wollten zwar bei Sonnenaufgang zur Lichtung zurückkehren, wussten aber nicht einmal ansatzweise, was sie tun sollten, wenn sie dort ankamen.

***

Ben stand nun vor seinen nackten Schäfchen.

Der alte Zamfir hat wirklich Geschmack bewiesen, dachte er, während er einige der weiblichen Körper betrachtete, die auf der Erde lagen. Zur Gruppe zählten nur wenige junge Männer, doch nicht Zamfir hatte darüber bestimmt, wer Mitglied werden sollte, sondern Rachael. Die Aufnahme war komplett ihr Bereich gewesen, und die Mädchen hatten niemals annähernd so viel Ärger gemacht wie die Kerle.

Alle neun lagen nun nackt in einer Reihe, die Gewänder um die Köpfe gewickelt und untergeschoben wie Kissen. Sie zitterten heftig, denn die abendliche Kälte war in Verbindung mit ihrer Todesangst nahezu überwältigend. Die meisten jungen Frauen weinten, und mehrere von ihnen hatten versehentlich Wasser gelassen.

Ben ging auf und ab, während er überlegte, an wem aus seinem Gefolge er nun ein Exempel statuieren sollte. Schließlich blieb er vor einem Männerkörper stehen. Dieser zitterte nicht. Anscheinend war ihm nicht ängstlich genug zumute, und die Kälte machte ihm offenbar ebenfalls nicht allzu viel aus. Dadurch wurde er zu einem potenziellen Problem, das dringend ausgemerzt werden musste.

Er soll es sein, beschloss Ben deshalb. So würde er direkt zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Fürs Erste konnte so, alles eitel Sonnenschein bleiben. Bald wollte er weiterziehen. Dass er sich entscheiden musste, den Zirkel entweder nur zum Spaß zu befehligen, oder Zamfir und Rachael gefangen zu nehmen, machte ihn wahnsinnig. Er war auf hundertachtzig, seit dieser Typ Cooper, ihn so übel zugerichtet und dann Reißaus genommen hatte. Die Vorstellung, diesen Kerl nie wieder zu Gesicht zu bekommen und ihm niemals eine Lehre erteilen zu können, regte Ben immer mehr auf.

TRANSFORMATION (Euphoria Z 2)

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