Читать книгу TRANSFORMATION (Euphoria Z 2) - Luke Ahearn - Страница 8

Kapitel 3

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»Er sieht so harmlos aus«, brummte Ron achselzuckend, während er von der zweiten Ebene des Parkhauses auf einen gut gekleideten Asiaten hinunterschaute. Fremde erregten nunmehr automatisch sein Misstrauen, doch dieser Mann kam ihm nicht bedrohlich vor. Nichts an ihm stach hervor, was Ron eigentlich hätte stutzig machen sollen. Trotzdem … Er zweifelte mittlerweile an seinem eigenen Urteilsvermögen. Die Tatsache, dass der Mann perfekt Englisch sprach, bereitete ihm noch mehr Kopfzerbrechen, wie er sich eingestehen musste, obwohl er wusste, dass es ungerecht war, dies als Grund anzuführen.

Dale, der jetzt glatt rasiert war und die Haare kurzgeschoren hatte, stand neben Ron und betrachtete den Mann ein wenig skeptischer, nämlich mit dem erfahrenen Auge eines Polizisten. Er spürte, dass etwas an dieser Sache nicht ganz koscher war.

»Hey Alvin«, rief er laut und deutlich. »Du sagst, du seist allein?«

»Ja, sonst ist niemand bei mir.« Seine Gesten, ein Schulterzucken mit offen ausgestreckten Händen, suggerierten Offenheit.

Dale blieb jedoch noch einiges unklar: Warum bist du dann unbewaffnet? Wo sind deine ganzen Habseligkeiten? Und wieso siehst du aus, als seist du gerade eben vom Herrenausstatter gekommen?

Er rang mit sich selbst, bis er einsah, dass er niemanden aus diesen Gründen aus ihrer Gemeinschaft ausschließen durfte. Darum würde er diesem Neuankömmling – Alvin – bis zu einem gewissen Grad vertrauen müssen, ihn aber trotzdem genau im Auge behalten.

Er wünschte sich eine weitere Option, aber nicht um ihrer selbst willen, sondern um sich besser mit dem verschlossenen alten Mann austauschen zu können.

»Hey Francis, was meinst du?«, fragte er wiederum laut, damit dieser ihn auch hörte, da er gerade unter der offenen Haube eines Autos in der Nähe arbeitete.

Francis Burwell, auch Weed genannt, zuckte bei der Nennung seines bürgerlichen Namens zusammen. So gerufen zu werden ging ihm immer gegen den Strich, aber ganz besonders dann, wenn dieses Schwein es tat.

Mach dir keinen Kopf, beschwichtigte er sich selber. Das wird sowieso nicht lange gut gehen, nicht mit deiner Widerborstigkeit und Gewaltbereitschaft. So oder so wird es bald vorbei sein. Wie üblich fiel es ihm leicht, seine wahren Gefühle während des Umgangs mit der Gruppe zu verbergen.

Weed – so hieß er in erster Linie nach seinem eigenen Selbstverständnis – unterbrach seine Arbeit am Motor kurz und richtete sich auf. Dabei ermahnte er sich noch einmal: Mach dich nicht zu groß. Du sollst wie ein klappriger alter Sack wirken, nicht wie ein Springinsfeld. Wahre den Schein.

Er fuhr sich erst einmal mit einem Ärmel über die Stirn. Die Rolle des großväterlichen Francis beherrschte er bereits souverän. Er bewegte sich stets langsam und ging gebeugt, wobei er so tat, als würde er Dinge vergessen, die ihn gar nicht genug interessierten, um sie sich überhaupt zu merken. Einen gefährlichen Eindruck machte er auf keinen Fall, und niemand bat ihn je darum, etwas Schweres zu heben. Der durchgeknallte, gewiefte Jungspund hatte ihm aufgetragen, dass er die Batterien aller Fahrzeuge auf der zweiten Ebene ausbauen soll. Als er nun zu ihm hinüberging, hielt er den großen Schraubschlüssel, den er dazu verwendet hatte, in der Hand und schaute Dale fest in die Augen. Mensch, hätte ihn der Cop doch einfach nur in Ruhe gelassen … Er versuchte hier doch nur, zu überleben, genauso wie alle anderen auch, und er wollte nicht, dass es so losging.

Dale setzte nun wieder diesen Gesichtsausdruck auf – diesen Bullenarschlochblick, wie um zu sagen »unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist«. Vor dem Fall der Menschheit hatte er als verdeckter Ermittler gearbeitet, und Weed erkannte, dass dieser vermutete, dass hinter seiner Fassade des alten Mannes mehr steckte. Das stimmte natürlich auch, er war weit mehr … oder zumindest war er es gewesen. Der alte Francis hatte lange Zeit sein Bestes versucht, um den Wichser links liegen zu lassen, bis er sich irgendwann wieder beruhigte, sodass er in Frieden weiterleben konnte, doch mit der Zeit war die Stimmung immer gereizter geworden. Weed ging es in erster Linie darum, nicht als Verdächtiger dazustehen, wenn was auch immer irgendwann passierte.

»Es ist doch recht warm, Großpapa, willst du nicht lieber dein Hemd ausziehen? Oder wenigstens die Ärmel hochkrempeln?« Dies schlug Dale garantiert vor, um auf das Verhalten des alten Mannes aufmerksam zu machen, den sie alle so blauäugig als ungefährlichen Greis akzeptiert hatten.

»Lass gut sein, Dale«, murmelte Ron zerstreut.

Dale konnte nicht verstehen, dass Ron zwar komplett paranoid war, was die Aufnahme Fremder in ihre Gemeinschaft anging, aber keine echte Bedrohung erkannte, wenn sie sich genau vor ihnen auftat. Soweit Dale wusste, war er mindestens zwei Mal beinahe von Bikern kaltgemacht worden. Besonders schwer tat er sich damit, dass ihm Ron nicht mehr Vertrauen schenkte, wo er doch bei der Polizei geheime Identitäten angenommen hatte und sich deshalb im Umgang mit gesetzlosen Motorradgangs bestens auskannte. Sal hingegen hängte sein Fähnchen immer nur in Rons Wind.

Die Zwei bestanden darauf, dass er diesem Mann eine Chance gab.

Eine Chance, uns alle umzubringen, dachte Dale. Für ihn strahlte der Typ allein schon wegen seines generellen Auftretens etwas Komisches aus. Anhand von Faktoren wie Körperhaltung, Sprechweise und Wortwahl würde er ihn irgendwo in der Unterwelt des Verbrechens einordnen. Dale störten auch Einzelheiten wie die weiße Haut an mehreren Fingern, wo der Kerl recht dicke Ringe getragen haben musste. Er hatte außerdem zahlreiche Piercings in den Ohren, die er noch nicht lange besitzen konnte, weil die Wunden noch dabei waren zu verheilen. Dies hatte Dale in den ersten fünf Minuten erkannt, nachdem Francis aufgekreuzt war. Nicht vergessen durfte man natürlich das langärmelige Flanellhemd, das er während der ungefähr sieben Tage, die er nun schon bei ihnen war, nicht ein einziges Mal ausgezogen hatte. Dale vermutete, dass es einen von Tätowierungen übersäten Körper verbarg, der die Lebensgeschichte des alten Francis erzählte. Außerdem war da noch der breite Verband an seinem Hals, bestimmt zum Verstecken eines weiteren Tattoos, was der Hemdkragen allein wohl nicht vermochte. Er hielt ihn mit großer Wahrscheinlichkeit für einen Biker, obwohl er vielleicht auch nur locker mit solchen in Verbindung stehen könnte. Waren es vielleicht sogar jene, gegen die sich die Gruppe kürzlich erst behauptet hatte? Dale befürchtete, dort draußen könne es noch mehr von ihnen geben.

Schließlich lächelte er und nickte. »War nur ein Scherz. Ich wollte dich bloß Alvin vorstellen.«

»Schön.« Francis versuchte, ebenfalls zu lächeln, doch es gelang ihm nicht.

Scheiß drauf, Weed, ein schönes Gesicht für die Cops zu machen ist eben unnatürlich, dachte er. Stell dich am besten neben den Schwarzen, das macht einen guten Eindruck. Deshalb trat er an Rons Seite, um zu präsentieren, dass er sich wohlfühlte und ihre Kameradschaft schätzte.

Im Laufe der Jahre hatte er gelernt, dass sich Menschen leicht von zahllosen kleinen Tricks wie diesem steuern ließen. Sie gehörten sogar zu seinem Kampfstil. Da dieser äußerst schmutzig war, denn er selbst war ein abgefeimter, fieser, rundheraus grausamer Mistkerl, tat er sich keinen Zwang an, jemandem zuzulächeln, zum Himmel zu zeigen und ihm dann möglichst kräftig in die Hoden zu treten. Er trat auch nach, wenn seine Gegner bereits am Boden lagen, und fuhr damit fort, bis er erschöpft war. Und dann … ja dann fing er an, mit den Füßen auf ihnen herumzustampfen.

Weed stemmte die Hände in die Hüften, während er sich mit leicht gespreizten Beinen hinstellte, und auf den Fremden hinabschaute. Dessen ethnische Wurzeln mochten in einem Dutzend unterschiedlicher Länder liegen, doch für Weed war er einfach nur ein Chinese.

Mann, sind seine Augen auf oder zu?, fragte er sich, wobei er unwillkürlich schmunzeln musste. Verdammt, er musste beim nächsten Mal, wenn es wichtig war, ein Lächeln zu erzwingen, einfach nur darauf achten, an etwas Lustiges zu denken. Als er den »Chinesen« betrachtete, fielen ihm lauter Witze ein, die er mit der Zeit aufgeschnappt hatte, über gelbe Haut und Schlitzaugen. Dabei musste er umso breiter grinsen.

»Sieht für mich grundanständig aus, der Kerl«, sagte er weiterhin lächelnd. Während er mit diesen Worten einem Gefühl Ausdruck verlieh, zeugte sein Strahlen von einem anderen, deutlich niederträchtigerem Gedanken, doch beides zusammengenommen ließ ihn einfach sympathisch wirken, so als würde er seinen Mitmenschen akzeptieren, egal wie anders er auch aussah.

»Okay«, rief Ron dem Mann zu, der sich als Alvin ausgegeben hatte. »Du darfst hochkommen, wenn du unseren Bedingungen zustimmst, in Ordnung?«

»Selbstverständlich.« Alvin lächelte und hielt ihm einen ausgestreckten Daumen entgegen.

»Ich werde nun wieder zu den Kisten hinübergehen.« Francis wandte sich ab und schnitt eine düstere Grimasse.

Bedingungen, ha! Die Penner haben mich abgetastet und mir mein Messer weggenommen – aber wisst ihr schon das Neuste, ihr Ärsche? Ich hab mir einfach 'ne Kanone besorgt.

Auf der zweiten Ebene standen die meisten Fahrzeuge, die im Gebäude geparkt hatten. Alle auf der unteren Ebene waren hinausgefahren worden, um mehr Platz zu schaffen, was natürlich zugleich auch der Sicherheit der Gruppe zugutekam. Es waren leider nicht mehr so viele, da der Großteil der Flächen im Erdgeschoss Shuttlebussen und Transportern galt, die wiederum alle mehr als eine Meile weit entfernt in ihren Garagen am Flughafenterminal standen. Beim Durchstöbern einer Reihe der Wagen auf der zweiten Ebene – es waren ungefähr fünfundvierzig gewesen – hatte Weed eine Schachtel Patronen gefunden, und dazu sogar noch ein paar Krümel Gras für seinen ständig schwindenden Vorrat. Weil es ihm bald ausgehen würde, zerbrach er sich schon jetzt den Kopf darüber, wo er noch welches auftreiben könnte. Was er jetzt vor allem wollte, waren ein paar Pflanzen, damit er mit dem Anbau beginnen konnte.

Dale grinste schief. Jepp, definitiv ein Biker. In diesem Milieu bezeichnete man Autos gern als »Kisten«. Francis hatte auch schon andere Slang-Ausdrücke fallen gelassen oder war sich nicht bewusst gewesen, dass diese insbesondere unter Motorradfahrern verwendet wurden. Dale konnte sich schon vorstellen, dass der Alte wirklich nur überleben und deshalb die »Normalos« nicht verängstigen wollte. In jedem Fall würde er trotzdem ein strenges Auge auf ihn werfen.

Gemeinsam mit Ron ließ er nun den Fahrstuhl hinunter. Weed baute weiter Batterien aus und trug diese auf einem Rollwägelchen zusammen. Wenn er die Wagen öffnete und die Motorhaube hochzog, durchsuchte er sie außerdem auch von innen. Er fand zwar in keinem sonderlich viel, aber immer wieder mal interessante und nützliche Gegenstände, bloß dass abgesehen von der Pistole und der geringen Menge Marihuana kaum etwas davon der Rede wert war. Außerdem grübelte er wie immer die ganze Zeit über eine schwierige Frage nach: Wie konnte er das Problem zwischen ihm und dem Cop lösen?

Er fühlte sich nicht dazu berechtigt, Dale einfach so umzulegen, aber krass gegen den Strich ging ihm der Kerl trotzdem.

Weed hatte sich einzig und allein mit der Absicht bei der Gruppe eingeschleust, sie ausnahmslos abzuschlachten und vielleicht die eine oder andere Braut zu vögeln. Zuerst hatte er sie für die Tode seiner Brüder und Mitbiker verantwortlich gemacht, denn die Männer waren ja tatsächlich von ihnen umgebracht worden, aber dann hatte er erkannt, dass dem Ganzen viel mehr zugrunde lag. Ein früherer Biker namens Banjo hatte ihn gerettet und ihm alles über den Schwarzen erzählt, also darüber, dass er ihre Maschinen kaputtgemacht hatte. Was Banjo alles losgetreten hatte, nämlich mit seinem Vorhaben, den Nigger zu lynchen, war Weed jedoch vorenthalten geblieben. Dies relativierte seinen Blutdurst wieder ein wenig, denn Banjos Unaufrichtigkeit ließ ihn fortan einfach nicht mehr los. Wäre ihm klar gewesen, das Banjo gezielt und mit ganz eigenen Absichten zum Klubhaus gekommen war, hätte das alles bestimmt einen ganz anderen Verlauf genommen.

Passt, dachte er. Banjo gehörte schließlich zu den verdammten Satan's Angels.

Ich hätte auf meinen Bruder Muscle hören und ihm gleich sagen müssen, er soll sich verpissen. Dann wären alle meine Brüder heute noch am Leben.

So wie es Weed verstanden hatte, wusste niemand, dass er selbst noch lebte, weil ihn der fette Scheißer – ein Satan's Angel mit dem passenden Namen Fats – schon vor einiger Zeit in dieses Loch gestoßen hatte. In ihren Diskussionen war keine Rede von einem Biker gewesen, dessen Verbleib ungeklärt geblieben war. So wie es aussah, hatte der Fettsack seinen Spießgesellen und seinen Boss Jeeter ebenfalls mit zu den Zombies genommen, sodass sie beide verreckt waren. Weed hätte diesen ganzen Quatsch allerdings keine Sekunde für bare Münze genommen, wenn er nicht selbst von dem Dicken in seinen vermeintlichen Tod gestoßen worden wäre.

Er wollte aber jemand anderem böse sein – keinem Gesetzlosen, wie er es selbst war – kam aber am Ende immer wieder auf Banjo zurück, egal wie er es drehte und wendete. Denn er war an allem schuld, fand er, an der ganzen heillosen Misere. Muscle hatte ihm zu Recht nicht über den Weg getraut. Hätte er nicht versucht, den Neger aufzuknöpfen, wäre nichts von alledem passiert. So 'ne Nummer abzuziehen, stand ihm einfach nicht zu.

Im Übrigen wurde Weed immer deutlicher bewusst, dass dem Angriff gar kein besonderer Grund vorausgegangen sein konnte, je besser er Ron nun kennenlernte. Der Kerl unterschied sich nämlich von allen Schwarzen, denen er bisher über den Weg gelaufen war, was auch für seine Frau galt. Weed vertrat den Standpunkt, wenn man einen Kampf anzettelte, durfte man auch nicht meckern, falls man die Zähne eingeschlagen bekam. Ernsthaft, sollte es jemand wagen, den alten Francis lynchen zu wollen, würde er ihn einfach ungespitzt in den Boden rammen, Mann. Demolierte Motorräder waren dagegen eine Lappalie.

Als Biker der alten Schule hielt sich Weed nämlich an das Prinzip »leben und leben lassen«. Jeder durfte tun, was er wollte, solange er ihn dabei nicht provozierte. Er hätte sich aus Banjos Rachefeldzug ebenfalls herausgehalten, wäre er nicht zu dem Glauben verleitet worden, der Angriff auf die Gang sei vollkommen unbegründet gewesen.

Hinzu kam noch, wenn er ehrlich war, dass er nach einer heißen Dusche, einer anständigen Mahlzeit und der ersten durchgeschlafenen Nacht seit Ewigkeiten gezögert hatte. Zu dieser Gemeinschaft zu gehören, brachte viele Ärgernisse mit sich. Als altes Semester nahm man ihn einfach nicht ernst und sprang mit ihm um wie mit einem senilen Großvater. Aber was hätte er sonst tun sollen – Abfälle nach Nahrung durchsuchen und sich dabei ständiger Gefahr aussetzen? Er war deshalb ganz froh um sein Zögern.

Zeugte es von Reife und Weisheit, oder lag es lediglich an gutem Gras und zu viel Alkohol? Was auch immer der Grund sein mochte: Er hatte rasch erkannt, dass es ihm in dem Parkhaus sehr gut ging, und die Leute gar nicht so übel waren – mal abgesehen von dem Bullenschwein natürlich. Er fand Dale einfach unerträglich, weshalb es garantiert bald zum Eklat kommen musste.

Der Polizist stand gerade am Rand des Lochs, wo zuvor die Auffahrtrampe hinuntergeführt hatte, nun aber der Fahrstuhl hing, und er beobachtete, wie Alvin die Plattform betrat. Weil er von oben hinabschaute, sah er das Gesicht des Mannes nicht, doch seine Hände steckten in den Hosentaschen, was ihn langsam aber sicher immer nervöser machte. Als er Ron zunickte, schaltete dieser die elektrische Seilwinde ein, die sie auf einer Stoßstange montiert hatten. Mit einem Surren stieg der Fahrstuhl nun langsam auf. Während Ron Alvin begrüßte und Dale ihn abtastete, verdrehte Weed die Augen, ohne den Kopf unter der Haube des Wagens herauszuziehen, an dem er gerade herumschraubte. Er fühlte sich hin und her gerissen zwischen seinem von jeher tiefen Hass auf Cops, Schwarze und blöde Fotzen sowie den Vorzügen eines sicheren Rückzugsortes mit Nahrungsmitteln und anderen Annehmlichkeiten.

Ein Reisfresser! Wie viele Mischlinge lassen die denn noch hier rein?, fragte sich Weed. Als Francis war er aber kein solcher Dummkopf, zumindest nicht ganz. Er wusste, dass die Wahlmöglichkeiten auf der Welt mittlerweile stark begrenzt waren, und konnte deshalb von Glück reden, in diesem Auffangbecken für Bastarde untergekommen zu sein. Es ließ sich mit den Geschäften vergleichen, die er seinerzeit mit Schwarzen, Braunen und sogar Gelben gemacht hatte, um Drogen und Waffen zu schieben oder im Knast unbescholten zu bleiben.

Er hatte sich einen Platz zum Wohnen aussuchen dürfen und die leere dritte Ebene auf der anderen Seite im Parkhaus gewählt, wohingegen die übrigen auf der vierten lebten. Dort konnte er schnarchen, saufen, rauchen und wichsen, wie er wollte. Sie hatten ihn weit genug von der Gebäudeseite entfernt, ein lauschiges Zimmer von zehn Quadratfuß gebaut und außen deckend schwarz gestrichen. Drinnen standen eine Liege und eine Wäschetruhe, die Tür war mit einem Tuch verhangen, und keiner wollte diesen Bereich des Parkhauses je betreten, egal auf welcher Ebene und zu welchem Anlass. Der alte Weed hatte sogar Alarmfallen aufgestellt – versteckte Stolperdrähte, die Lärm verursachten – um zu hören, falls jemand oder etwas versuchte, sich vom Erdgeschoss her auf dieser Seite Zugang zu verschaffen. Ansonsten erachtete es anscheinend niemand als notwendig, dort hinunterzusteigen und nach dem Rechten zu sehen. Ergo hatte er diesen Fleck ganz für sich allein.

Er widmete sich jetzt weiter seiner Aufgabe, auch weil ihm die Arbeit an einem Motor viel lieber war, als den Gastgeber spielen zu müssen. Nachdem alle die Rampen nach oben genommen hatten, sodass er nichts mehr von ihrem Getue hörte, streifte sich Weed sein Hemd über den Kopf. Mit dem Ding am Leib war es hier drin tierisch heiß. Er rieb sich den Oberkörper damit ab, bevor er mit dem Ausbauen der Batterien fortfuhr. Gerade als er wieder in Gedanken vertieft war, spürte er etwas hinter sich und fuhr herum.

»Langsam ist es zu warm für dich geworden, was?« Es war Dale, lächelnd und mit verschränkten Armen, der Weed argwöhnisch betrachtete. Die Statur des alten Mannes erstaunte ihn, denn er sah nicht annähernd so schwächlich aus, wie er zu sein vorgab.

Während er den älteren Mann betrachtete, ließ er sich keine Tätowierung und Narbe an seinem Körper entgehen. Er zog eine Augenbraue hoch. So, so, du bist wohl ziemlich lange im Gefängnis gewesen und für den Tod von mindestens drei Männern verantwortlich, jeweils offiziell bewilligt durch einen Klub, der Wild Savages MC heißt. Hut ab, Francis, da hast du ja ganz schön was mitgemacht – ein Dutzend Stichwunden und so einige Schussverletzungen. Dann grinste er. Und richtig ausgepeitscht wurdest du offenbar auch noch. Bist du deinen Brüdern etwa auf den Schlips getreten? Das runzelige Fleisch sah alt und bereits vernarbt aus, wohingegen die Tätowierung am Rücken, die ihn als Mitglied der Wild Savages ausgab, offensichtlich schon vor der Geißelung da gewesen war.

Weed riss kurz die Augen auf, weil er nicht darauf gefasst gewesen war, kniff sie dann aber wieder ein wenig zusammen.

»Unter dem Halsverband prangt ein Hakenkreuz, nehme ich mal an.« Dale zeigte auf seine eigene Kehle.

Weed versuchte, es herunterzuspielen. »Ach Mist, erwischt.« Er hob die Hände hoch, während er sich vorstellte, diesem Schnüffler die Gurgel durchzuschneiden, und lächelte. »Du hast mich entlarvt.«

Dale schaute ihn weiterhin misstrauisch an und schwieg dann.

»Du verstehst doch sicher, warum ich diese ganzen Bildchen verbergen musste. Ansonsten hättet ihr mich doch garantiert nie aufgenommen, vor allem du nicht.«

»Natürlich verstehe ich das, du tust mir sogar fast leid.«

»Fast?«

»Ja, fast. Denn dich alleine dort draußen zu behaupten wird schwierig werden, aber dort brauchst du wenigstens nicht ständig dieses dicke Hemd zu tragen.« Dale trat vor, wobei er den alten Biker mit einem finsteren Blick einschüchtern wollte. »Andererseits kenne ich das Leben, das du geführt hast, und kann mir vorstellen, wie du dabei verfahren bist, weshalb ich mich nicht so recht dazu bringen kann, auch nur einen Pfifferling auf dich zu geben. Ich schlage deshalb vor, du verziehst dich sofort.«

»Mich verziehen?« Weed wirkte erheitert. »Leck mich doch, ich bleibe mit dem Arsch genau hier. Glaubst du etwa, Captain Schwarzbrot und Gorilla wollten einen alten Mann in die Wildnis abschieben?«

»Das werden sie, wenn ich sie dazu auffordere.« Dale ahnte jedoch, dass Ron und Sal einfach zu naiv waren, weshalb sie bestimmt doch ein Auge zudrücken würden. Außerdem war der Alte bisher nicht aus der Reihe getanzt, Dale konnte bloß nicht außen vorlassen, was er selbst erlebt und in seiner Ausbildung gelernt hatte. Er erkannte nun einmal, wer da wirklich vor ihm stand und wozu dieser Mensch fähig war.

»Dann nur zu, Bulle, sag's ihnen. Du weißt ja, wo du mich findest.« Weed winkte wegwerfend ab.

»Ich gebe dir zwanzig Minuten. Wenn ich zurückkomme, bist du besser verschwunden.«

Als sich Dale umdrehte und ging, schaute ihm der Alte gelassen und teilnahmslos hinterher, während er in aller Ruhe seine öligen Finger abputzte. Innerlich war er jedoch alles andere als gelassen. Wie gut, dass er den großen Schraubschlüssel gerade nicht in der Hand gehalten hatte, denn dann hätte er dem Cop vielleicht einfach so die Rübe eingeschlagen. Er näherte sich langsam unweigerlich dem Punkt, an dem es kein Halten mehr gab. Entspannt zu bleiben fiel ihm zusehends schwerer.

Verflucht noch mal, Bulle. Geh mir einfach aus der Sonne!, dachte er wütend, während er zu dem Auto zurückkehrte.

Weed hatte die anderen in Aktion beobachtet. Sie konnten sich stundenlang über diesen Scheiß unterhalten. Er werkelte weiter an den Pkws herum, entnahm die Batterien und legte sie auf das Wägelchen. Als es voll war, machte er sich daran, sie in den Stauraum eines Minivans zu legen, dessen Zündung er ebenfalls kurzgeschlossen hatte. Die Dinger waren wirklich verteufelt schwer.

Ein paar Stunden später fuhr er mit dem Kleinbus voller Batterien von der zweiten Ebene aus die Rampen hoch bis auf das Dach. Dale, der Drecksack, hatte sich nicht mehr blicken lassen, was ja klar war. Dennoch sah der alte Francis kommen, dass das Ende der Fahnenstange bald erreicht sein würde. Er spürte es. Der Cop musste seinen Drohungen bald Taten folgen lassen.

Die Batterien wogen eine Menge, insgesamt fast zweitausend Pfund. Darum beschleunigte der Van sehr langsam, und die Federn waren bereits bis zum Gehtnichtmehr gestaucht. Weed schaffte es aber nach oben, wo der junge Technikfreak gerade wieder an irgendetwas herumdokterte. Sie luden die Batterien aus und legten sie nebeneinander auf mehrere lange Bretter. Es stank nach Gummiabrieb, also hätte der Van bestimmt nicht mehr viel länger durchgehalten.

»So, das wär's von meiner Seite aus für heute.« Weed zog sein Hemd aus und trocknete seine Stirn damit ab. Der Junge schaute aber nicht auf.

»Kommt dir nichts ungewöhnlich vor, Sohn?«

Jeff drehte den Kopf zur Seite und dann nach hinten. »Dass du deinen Oberkörper freigemacht hast?«

»Dich stören meine Tätowierungen nicht?«

»Nein, sollten sie?«

»Ach was, ich hatte bloß Bedenken, sie könnten den einen oder anderen von euch erschrecken, aber es ist so elend heiß hier, dass ich es nicht mehr anbehalten kann.«

Die Arbeit nahm Jeff derart in Beschlag, dass er gar keine Antwort gab.

»Nun, dann tippe ich mal darauf, dass du schon mal nichts dagegen hast«, schob Weed leise hinterher nach.

»Oh, sicher. Klar, tut mir leid.« Jeff zwang sich, auf den Mann einzugehen, und bemühte sich, umgänglicher zu wirken.

Mary hatte ihm geholfen, sich etwas besser in die Gruppe einzugliedern, denn die anderen mochten ihn, ohne ihn aber verbiegen zu wollen. Jeff wiederum half ihr über die Misshandlungen hinweg, die sie erlitten hatte. Ihm war es viel schlechter ergangen als ihr, wobei er selbst noch begreifen lernen musste, dass dies nicht mit seinem eigenen Verschulden zusammenhing. Er hatte weder irgendetwas getan, dass es gerechtfertigt hätte, noch darum gebeten, schikaniert zu werden. Darüber zu sprechen tat Mary anscheinend unheimlich gut.

»Gut dann.« Weed zog sich nachdenklich wieder zurück. Der Bulle und der Neger diskutierten bestimmt noch immer über die Situation. Er beschloss, nun Klartext mit den Ladys zu sprechen, falls sie sich noch nicht an der Debatte beteiligten. Schaffte er es, dem Tribunal entgegenzuwirken, das ihm mit Dale als Richter blühen würde, gelang es ihm vielleicht auch, das Urteil abzuschwächen oder sogar gänzlich aufzuheben.

Jeff widmete sich unterdessen weiter seiner Arbeit. Er traute dem alten Mann kein bisschen und beobachtete ihn schon seit seiner Aufnahme. Denn er hatte genug Erfahrung mit ausgemachten Arschlöchern gesammelt, um sofort zu erkennen, wenn er mit einem sprach. Außerdem gab er viel auf Dales Einschätzung.

Weed fand die Frauen auf der vierten Ebene, wo sie Lebensmittel und sogenannte Bedarfsartikel zählten und sortierten.

Das ist eines der Dinge, die man diesen Leuten lassen muss, dachte er. Sie verstehen wirklich eine Menge vom Hamstern. Sie hatten bereits eine beeindruckende Menge von Vorräten jeglicher Art angehäuft – Sanitärreiniger und Tampons sowie alles Weitere dazwischen. Die zweite Ebene nahmen schon erstaunlich viele »langlebige Güter« ein, noch dazu Baumaterialien, Chemikalien und vieles mehr, während Nahrungsmittel und persönliche Artikel auf die vierte Ebene gekarrt wurden. Seit er hier lebte, waren ständig mindestens zwei Personen draußen unterwegs und sammelten all diese Dinge, aber auch sonst hatte jeder immer irgendetwas zu tun. Keiner hockte einfach nur herum, betrank oder bekiffte sich beziehungsweise machte auf andere Weise ein Fass auf, wenngleich sie sich auch ab und zu trotz allem den einen oder anderen lauschigen Abend gönnten. Dann bereiteten sie eine aufwendige Mahlzeit zu, plauderten ungezwungen und relaxten – das volle Kuschelprogramm, aber Weed fand ehrlich gesagt allmählich Gefallen daran. Fuck, Francis, du wirst auf deine alten Tage echt noch weibisch, schalt er sich und grinste dabei.

Und dann der junge Tüftler … Er hatte das halbe Dach mit Solarzellen ausgelegt, die zunehmend mehr Autobatterien speisten, um den Gemeinschaftsbereich und seine Werkstatt mit Strom zu füttern. Auch mehrere Windräder waren bereit zum Aufbauen, aber da man sich einig war, vorerst weiter unauffällig bleiben zu wollen, war er darum gebeten worden, mit der Installation zu warten. In einer Ecke lagen außerdem bereits unzählige Satellitenschüsseln. Vier davon hatte Jeff in je eine Himmelsrichtung zeigend aufgestellt und hortete nebenbei auch noch an jedem freien Fleck irgendwelchen anderen Krempel. Solange dieser nicht über die vier Fuß hohe Betonbrüstung ragte, durfte er aber walten, wie es ihm beliebte.

Um Unauffälligkeit bemühte sich die Gruppe ebenfalls aktiv: Was von außerhalb sichtbar war, wurde schwarz bemalt, mit schwarzem Stoff zugedeckt oder wie auf der zweiten Ebene auf den Parkflächen in der Mitte zusammengetragen, umgeben von Sperrholzwänden mit entsprechend mattschwarzem Anstrich, um die hervorstechenden Umrisse und Farben zu verbergen. Dies klappte ganz gut, weil man aus der Ferne, selbst wenn man danach suchte, zwar Anzeichen dafür ausmachen könnte, dass jemand in dem Parkhaus wohnte, doch aller Wahrscheinlichkeit nach hegte niemand den Verdacht, dass sich die Gruppe dort verschanzt hatte.

Logischerweise war es im vierten Stock, wo fast alle wohnten, am engsten, und im dritten war, abgesehen von der Casa Weed noch am meisten Platz, während den zweiten Autos und Vorräte einnahmen. Sie hatten extra darauf geachtet, die unterste Ebene nach Möglichkeit freizuhalten, sodass dort nur ein paar Fahrzeuge standen, die sie bevorzugt für ihre Besorgungen nahmen.

Als Weed die Auffahrt vom Dach hinunter in den vierten Stock kam, stieß er plötzlich auf Lederhaut, Pummelchen und Tittenmaus, die Sachen ordneten.

Wo ist die Schwarze?, fragte er sich und war verdutzt, weil ihn ihre Abwesenheit irgendwie enttäuschte. Tja, die Schokoschnitte trieb sich offenbar woanders herum, während die Schlampe mit Gorilla gerade auf Beutezug war. Francis hatte ziemlich Mühe damit, sich ihre richtigen Namen zu merken, weil sie ihm vollkommen schnuppe waren, aber diese Gedächtnislücken machten andererseits seinen Auftritt als Tattergreis umso authentischer. Die Schlampe hatte übrigens weitaus schönere Brüste als Tittenmaus, aber deren Oberweite war wiederum das Einzige, was sie auszeichnete. Die Schlampe benahm sich unterdessen eben genau wie eine. Sie und Tittenmaus standen ganz offensichtlich auf Gorilla – das munkelten die anderen zumindest – was auch erklärte, warum sich Letztere gerade ärgerte, weil Erstere mit ihm abgedampft war, um Sachen zu beschaffen.

Lederhaut und Pummelchen waren ganz dicke miteinander, wobei Weed gern gewusst hätte, ob zwischen ihnen irgendetwas Lesbisches lief. Denn Lederhaut war eine rassige, kleine Latina und Pummelchen … nun ja, sie war ein gewaltiger Fleischberg von Frau. Sie stank auch so wie viele Übergewichtige – nach einer Mischung aus Babypuder und der Pofalte eines Obdachlosen.

Obwohl er den stark Pigmentierten generell abgeneigt war, ertappte er sich dabei, die schwarze Frau und ihren Mann fast zu mögen. Denn mit ihr unterhielt er sich ausgesprochen gern, da sie schnell auf den Punkt kam, nicht falsch vor sich hinlächelte oder anderweitig herumheuchelte. Wenn sie ihn anstrahlte, wusste er genau, dass sie es ehrlich meinte. Und sie schaute ihn immer schief von der Seite an, so als hielt sie ihn zweifellos für eine saublöde Weißstulle. Zu wissen, wie er in der Gunst anderer stand, wusste er stets zu schätzen.

»Verzeihung, die Damen.« Alle hielten nun inne und blickten zu ihm auf.

»Mir ist klar, dass es bestimmt schönere Aussichten gibt, aber ich bin es leid, diese Zwangsjacke aus Flanell tragen zu müssen, damit ihr keinen Schiss vor mir habt. Darum bin ich zu dem Schluss gekommen, mich eurer Gnade zu unterwerfen.«

Daraufhin hob Weed die Arme, drehte sich um und ließ seine Oberkörpermuskeln spielen. Keine der Frauen machte einen ungehaltenen oder skeptischen Eindruck, was andererseits aber auch verständlich war, denn sie wussten ja nicht, was die einzelnen Tattoos bedeuteten. Als sie seinen Rücken und die Narben sahen, schluchzten sie allerdings erschrocken auf.

»Sollten wir denn jetzt Schiss vor dir haben?«, fragte Lisa.

»Nö, ich habe nur zunächst befürchtet, dass ihr mich nun nicht mehr bei euch haben wollt. Dann habe ich mir immer mehr Sorgen gemacht, weil ihr mich ja ausstoßen könntet, sodass ich mich fortan alleine durchkämpfen müsste.« Er schwenkte einen Arm im weiten Bogen. »Da draußen. Schon mir das vorzustellen, war entsetzlich, und die Androhungen wurden langsam sehr konkret. Hoffentlich kennt ihr mich mittlerweile gut genug, um …«

»Welche Androhungen denn?«, fragte Lisa verwirrt. Sie hatte Weeds Köder offenbar geschluckt.

Also Pummelchen, folgendermaßen: »Die von Dale. Er scheint mich für einen schlechten Menschen zu halten. Ich weiß nicht, was ich verbrochen habe, aber ich möchte alles tun, damit …«

»Nein, mach dir mal keinen Kopf«, erwiderte Mary. »Dale meint es nur gut, aber er wittert hinter jeder Ecke einen Verbrecher. Ich glaube, das ist einfach seine Art, sich selbst das Gefühl zu geben, wichtig zu sein. Eventuell liegt es auch einfach nur an seiner beruflichen Ausbildung.«

Na, besten Dank, Tittenmaus.

Ana lächelte. »Also, ich habe nichts gegen deine Tätowierungen und ich denke nicht, dass du rausgeworfen werden könntest, nur weil eine Person das möchte. Würde das funktionieren, wäre Lisa schon längst nicht mehr hier.«

Das brachte auch Lisa zum Schmunzeln, und Ana bekam einen scherzhaften Klaps von ihr.

Niedliches Herzchen, dachte Weed. Ich würde Sie definitiv gern mal untenrum kitzeln, Ma'am.

»Sie erinnern mich stets daran, dass ich ganz früher ein dummer Junge war, der einen äußerst schlechten Umgang hatte. Ich saß auch eine Zeit lang in Haft, doch jetzt sind das alles nur noch Symbole für Fehler, die ich in grauer Vergangenheit gemacht habe und nun jeden Tag als Mahnmale dafür sehe, wie glücklich ich mich schätzen kann, eine so finstere Phase überstanden zu haben.«

»Was hat es denn mit den Narben auf sich?«, bohrte Mary nach, ruderte dann aber gleich wieder zurück: »Nein, sorry. Danach sollte ich dich nicht fragen.«

»Meinst du diese hier?« Nun lächelte Weed. »Die sind zurückgeblieben, nachdem ich mir im Laufe der Jahre zu oft selbst auf den Rücken geklopft habe.«

Daraufhin lachten die Frauen laut. Sie deuteten seine humorvolle Antwort anscheinend als Auflockerung, wohingegen er eigentlich darauf abzielte, den Eindruck zu erwecken, die Erinnerung an die Wunde wühle ihn zu sehr auf, denn andernfalls hätte er getrieben von Weißglut – es erzürnte ihn nämlich bis zum heutigen Tag – eine Tirade losgelassen. Er musste sich schließlich anhören wie ein reumütiger, alter Narr und nicht wie ein gefährlicher, eingefleischter Psychopath.

Weed wurde nun andächtig. Ausnahmsweise sagte er jetzt einmal die Wahrheit: »Im Gefängnis wurde ich von einem richtig üblen Kriminellen belästigt. Niemand half mir und ich hätte sterben können …« Daraufhin fiel er allerdings wieder auf eine Lüge zurück: »Das brachte mich damals endgültig von diesem Lebensstil weg. Die Wege des Herrn sind mitunter wirklich rätselhaft.«

Weed verzog sein Gesicht beim Gedanken an jene Zeit und versuchte, den nach wie vor schwelenden Zorn in sich zu unterdrücken. Er war noch jung gewesen und kaum ein Jahr zuvor eingeweiht worden, als er den Kopf für ein anderes Mitglied hatte hinhalten müssen und deshalb eine Freiheitsstrafe abgebüßt hatte. Am ersten Abend im Knast wusch er gerade sein bestes Stück unter der Dusche, als ihn die Latinos plötzlich packten. Er wehrte sich vehement gegen sie, vor allem weil er zunächst dachte, sie wollten ihn in den Arsch ficken, der bei ihm als Neuling natürlich noch nicht ausgeleiert war. Dann jedoch wurde er mit einem Gürtel um die Handgelenke an eine Brause gehängt, und er ahnte schnell, was folgen würde: Sie geißelten ihn zwanzig Minuten lang mit einem Verlängerungskabel, dessen Isolierung sie abgezogen hatten. Allerdings fanden diese Gewürzprüfer daraufhin alle innerhalb von vierundzwanzig Stunden den Tod, und aufgrund der Misshandlung setzte man Weeds Strafmaß sogar herab. Am meisten aber bedeutete ihm, auch heute noch hörbar furzen zu können.

Die Ladys kamen aus dem Strahlen nicht mehr heraus. Er hatte sie ganz offensichtlich am Haken.

Mary sprang auf und lief die Auffahrt hinunter auf die zweite Ebene, um weitere Vorratsmittel zu holen, die es zu sortieren galt. Weed schwatzte daraufhin noch ein wenig mit den anderen Frauen über das Abendessen, das Wetter und dergleichen. Die Holden hatten zum Dinner offenbar eine kulinarische Überraschung geplant, worauf er wirklich gespannt war. Nachdem er sich verabschiedet hatte, sortierten sie die Artikel weiter und verstauten sie entsprechend. Er machte sich nun auf den Weg zurück zur Casa Weed im zweiten Obergeschoss, um sich dort einen hinter die Binde kippen zu können und ein paar der Spaßkräuter zu rauchen, die ihm leider allmählich ausgingen, woraufhin er ein langes Nickerchen machen wollte. Nach dem Aufwachen hatte er bestimmt Kohldampf, aber das Essen würde dann bereits fertig sein und die Sonne untergehen.

Ein perfekter Abend für Weichlinge, wie er mit einem Lächeln im Gesicht dachte.

Während Weed über die dritte Ebene zu seinem winzigen Unterschlupf ging und seine Schritte leise in der Stille widerhallten, schreckte ihn urplötzlich eine gewaltige Explosion auf. Ehe er sich versah, rappelte er sich vom Boden auf und rieb seinen Hinterkopf, mit dem er auf den Beton aufgeschlagen war. Er konnte beobachten, wie von oben Staub herabrieselte. Heiliger Bimbam!, fluchte er innerlich. Was zum Teufel war denn das?

Nachdem er sich wieder aufgerichtet hatte, klopfte er sich den Dreck vom Körper. Seine Ohren fiepten, und sein Herz klopfte schmerzhaft schnell. Er hatte das ungute Gefühl, nicht mehr allzu bald zu seinem Nickerchen zu kommen.

TRANSFORMATION (Euphoria Z 2)

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