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Leben wir in einer Illusion?

Hannover im Jahr 2008.

Schon eine geraume Zeit jagen Physiker am Präzisionsmessinstrument GEO 600 kleinsten Informationseinheiten nach.

Mit ihrem Gerät wollen die Wissenschaftler Gravitationswellen nachweisen.

Das war ihnen bis dato nicht gelungen.

Und es sollte ihnen auch nicht gelingen.

Gravitationswellen wurden erstmals 2015 mit der US-amerikanischen LIGO-Anlage nachgewiesen.

Diese stammten von zwei kollidierenden Schwarzen Löchern.

Aber was die Forscher in Hannover fanden, dieses unerwartete Zittern in ihren Signalen, war nicht minder interessant.

Der Leiter des „Fermilab Institute“ in Illinois, Craig Hogan, vermutete damals, dass es von Quantenfluktuationen ausgelöst wurde.

Diese wiederum würden aus der Pixelung der Raumzeit herrühren. Möglicherweise wird dieses kleine Zittern, diese winzigen Ausschläge auf den Monitoren des GEO 600, unser Weltbild komplett auf den Kopf stellen.

Sollte sich die Vermutung in weiteren Versuchen bestätigen, hätten die Forscher aus Hannover zufällig einen wichtigen Hinweis darauf gefunden, dass wir in einem holografischen Universum leben.

Denn die Pixelung der Raumzeit würde bedeuten, dass unsere Welt nicht kontinuierlich ist, sondern gequantelt.

Das wiederum ist eine Voraussetzung für das holografische Universum.

Unsere Welt und der Rest des Universums wären dann weiter nichts als ein Hologramm.

Unsere Vorstellung von Realität, von all dem, was wir kennen, was uns vertraut und selbstverständlich ist, verschwände in einem Schwarzen Loch.

In ihrem Buch „Der Große Entwurf – Eine neue Erklärung des Universums“ schreiben Stephen Hawking und Leonard Mlodinow 2010:

„Und falls sich das sogenannte holografische Prinzip als richtig erweisen sollte, sind wir und unsere vierdimensionale Welt möglicherweise nur Schatten auf dem Rand einer größeren, fünfdimensionalen Raumzeit.“5

Im Jahr 2013 konnte ein japanisches Forscherteam genau dieses holografische Prinzip mathematisch stützen.

Sie veröffentlichten ihre Ergebnisse in der Onlineausgabe der Wissenschaftsplattform nature. Unter der Überschrift „Simulation unterstützt die Theorie, dass das Universum ein Hologramm ist“ schreibt nature:6

„Bei einem Schwarzen Loch stößt Albert Einsteins Gravitationstheorie offensichtlich mit der Quantenphysik zusammen, aber dieser Konflikt könnte gelöst werden, wenn das Universum eine holografische Projektion wäre. Ein Team von Physikern hat einige der klarsten Beweise dafür gegeben, dass unser Universum nur eine große Projektion sein könnte.“

Sollte sich das in weiteren Untersuchungen bestätigen, müssten wir begreifen, dass unsere Dreidimensionalität nur Illusion ist.

Wir wären dann lediglich zweidimensionale Informationen – Projektionen auf dem Ereignishorizont unseres Universums.

Doch bevor Sie jetzt entsetzt den letzten Satz für sich zu interpretieren versuchen, sollten wir uns zunächst einen Überblick über die Theorie des holografischen Universums verschaffen und schauen, wie es dazu kam.

Die Idee hierzu hatte ihren Ursprung in den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts.

Damals beschäftigte sich Stephen Hawking mit der Theorie der Schwarzen Löcher.

Schwarze Löcher sind die denkbar schlimmsten Monster in unserem Universum.

Kommen Sie in ihre Nähe, werden Sie immer stärker angezogen.

Verpassen Sie es durchzustarten und geraten Sie unter ihren Ereignishorizont, werden Sie unweigerlich hineingezogen.

Zunächst wirkt die enorme Schwerkraft wie eine Streckbank des Mittelalters. Sie werden auseinandergezogen, je weiter Sie dem Mittelpunkt entgegenfliegen, dann regelrecht zerfetzt.

Zum Schluss werden Ihre Atome auf einen einzigen Punkt zusammengedrückt.

Sie müssen jetzt nicht verzweifeln.

Ich versichere Ihnen, dass Sie keinen Schaden erleiden werden, weil Sie nach heutiger Erkenntnis in Ihrem Leben kein Schwarzes Loch erreichen können.

Bei seinen Berechnungen zu Schwarzen Löchern fand Stephen Hawking die sogenannte „Hawking-Strahlung“.

Diese wird von einem Schwarzen Loch abgegeben, enthält aber keinerlei Informationen.

Das steht jedoch im Widerspruch zu dem physikalischen Erhaltungssatz, dass Information nicht verloren gehen kann, analog zum Energieerhaltungssatz.

Also fragten sich die Physiker damals, was passiert mit der Information der ursprünglichen Massen, die in das Schwarze Loch hineingestürzt waren.

Etwa zur gleichen Zeit berechnete Jacob Bekenstein von der Hebräischen Universität in Jerusalem, dass der Informationsgehalt eines Schwarzen Lochs nicht proportional seines Volumens ist.

Überraschenderweise ist der gesamte Informationsgehalt nur proportional der Oberfläche des zweidimensionalen Ereignishorizontes.

Der Ereignishorizont ist die gedachte Kugelfläche um das Schwarze Loch, hinter der jede Masse, also alle Materie, in das Schwarze Loch hineingezogen wird.

Dies gilt auch für das Licht, sodass das Schwarze Loch nicht zu sehen ist, eben schwarz.

So weit, so gut, aber die Erkenntnis von Bekenstein brachte nicht die Erklärung des Widerspruchs, sondern warf nur noch weitere Fragen auf.

Die Hawking-Strahlung selbst konnte später mit den Effekten der Quantenfluktuation im Vakuum erklärt werden.

Das Problem der Rechenergebnisse Bekensteins lag darin, dass der dreidimensionale Informationsgehalt einer Kugel viel größer ist als die Informationsmenge, die auf ihre zweidimensionale Oberfläche passen würde.

Mathematisch stand jedoch widerspruchsfrei fest, dass die kompletten dreidimensionalen Informationen eines Sternes, hier eines Schwarzen Loches, auf dessen Ereignishorizont, einer zweidimensionalen Fläche, gespeichert sind.

Die theoretischen Physiker Gerard’t Hooft und Leonard Susskind schlossen Ende der Neunzigerjahre vom Einzelfall eines Sternes auf das gesamte All.

Sie postulierten, dass die vollständigen Informationen über unser Universum auf dessen gigantischer zweidimensionaler Oberfläche gespeichert sind.

Sämtliche dreidimensionale Informationen befinden sich demzufolge auf einer Fläche, so wie bei einem Hologramm auf einem Geldschein oder einer Ihrer Kreditkarten.

Zugegebenermaßen ist dieses Hologramm etwas größer und Milliarden Lichtjahre entfernt.

Wie Susskind und ‘t Hooft zeigen konnten, sind die einzelnen Informationseinheiten auf der kleinsten denkbaren Fläche, der sogenannten „Planck-Fläche“, gespeichert.

Diese wiederum entspricht etwa dem Quadrat der Planck-Länge 1,616 × 10-35 m, also etwa 2,6 × 10-70 m2, der kleinsten physikalisch möglichen Fläche in unserem Universum.

Bleibt also die Frage: Wo steckt die fehlende Information über die dritte Dimension?

Theoretiker vermuten schon seit geraumer Zeit, dass die Raumzeit nicht kontinuierlich verläuft, sondern körnig ist.

Daraus folgt, sie ist quantisiert.

Die Mindestgröße eines solchen Pixels der Raumzeit ist in etwa die Planck-Länge zur dritten Potenz, also Planck-Länge mal Planck-Länge mal Planck-Länge.

Die fehlende Information könnte dann ganz einfach in vergrößerten Pixeln der Raumzeit gespeichert sein.

Diese gekörnte Raumzeit wiederum würde zu Quantenfluktuationen führen, eben den Quantenfluktuationen, die in Hannover im Jahr 2008 möglicherweise gemessen wurden.

Nun ist dies noch lange nicht der endgültige Beweis dafür, dass wir in einem holografischen Universum leben.

Aber ein erster und ernst zu nehmender Hinweis ist es allemal.

Sollte sich dieses Modell in nicht allzu ferner Zukunft bestätigen, können wir alles vergessen, was wir über unsere Existenz zu wissen glauben.

Wir müssten uns neu erfinden.

An dieser Stelle könnte ich Ihnen nicht einmal erklären, wie ich – was immer auch dieses Ich ist – als zweidimensionale Menge von Informationen eine dreidimensionale Computertastatur bedienen kann, um diese Zeilen zu schreiben.

Vielleicht sollte ich der Einfachheit halber auf Spracherkennung umschalten.

Wer wir sind, woher wir kommen und vor allem warum wir sind, erschließt sich uns möglicherweise ein Stück weit nach der Diskussion der nachfolgenden Seiten neu.

Aber egal, wie wir die Fragen – jeder für sich selbst – beantworten werden, es scheint einen Grund für unsere Existenz zu geben und dafür, dass wir miteinander kommunizieren.

Leben wir in einer Illusion?

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