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Was die alten Griechen schon wussten

Blicken wir auf der Zeitskala der Menschheitsentwicklung zurück, dann ist es kurz vor zwölf, als der menschliche, kollektive Geist förmlich explodierte.

Wir befinden uns etwa 500 Jahre vor Christus in Ionien.

Die kleinasiatischen griechischen Kolonien sind wirtschaftlich stark.

Ihre Macht und ihr Einfluss reichen weit nach Westen, bis nach Italien.

Zu dieser Zeit haben Mathematik, Astronomie und Philosophie Konjunktur, sollen sie doch helfen, Wirtschaft und Ansehen zu stärken.

Es entstehen Denkerschulen, die ihre Ideen weit über die griechischen Staaten hinaus verbreiten werden.

Es entsteht die Ionische Wissenschaft.

Zum ersten Mal in der Geschichte versuchen Menschen, Naturereignisse durch fundamentale Gesetze zu erklären.

Thales von Milet war der Erste, der behauptete, dass sich all die komplizierten Ereignisse um uns herum auf einfache Prinzipien zurückführen lassen. Das Wichtigste aber ist: Seine Prinzipien kamen allesamt ohne mystische Zutaten aus.

Nach ihm ist Wasser der Anfang und Urgrund aller Dinge.

Anaximander führte den Begriff des „Kosmos“ ein.

Als bedeutender Astronom seiner Zeit entwarf er als Erster eine rein physikalische Kosmogonie.

Er war der Erste, der die Welt mit dem Wort „Kosmos“ bezeichnete.

Anaximander beschrieb ihn als „planvoll geordnetes Ganzes“.

Und dann entwickelte Empedokles seine „Vier-Elemente-Lehre“.

Danach besteht alles Sein aus den vier Grundelementen Feuer, Wasser, Luft und Erde.

Zusätzlich schrieb er den Elementen aber noch eine Eigenart zu, die unseren heutigen Elementen aus dem Periodensystem entspricht.

Er nahm an, die vier Elemente wären ewig existierende und unveränderliche Grundsubstanzen, die durch Mischung die Vielfalt der Stoffe bilden.

In der chinesischen Kultur gibt es ein ähnliches Modell, die „Fünf-Elemente-Lehre“ mit den Elementen Metall, Holz, Erde, Wasser und Feuer.

Eine der wichtigsten Voraussetzungen für die weitere Entwicklung der Wissenschaft waren die Fortschritte der Mathematik.

Wenn ich heute Menschen an ihren Mathematikunterricht erinnere, wenn ich Sie frage, an was Sie dabei spontan denken, gibt es zwei große Gruppen: Die ersten nennen die Prozentrechnung, andere den Satz des Pythagoras.

Ich vermute, der Gedanke der ersten Gruppe ist auf unseren hohen Pro-Kopf-Verbrauch an Spirituosen zurückzuführen.

Die andere Gruppe hat tatsächlich in Mathe aufgepasst.

Pythagoras war lange Zeit in Babylonien und Ägypten unterwegs.

Er gründete die Schule der Pythagoreer in Samos.

Als erster Mensch überlegte er sich, dass die Erde eine Kugelgestalt hat.

Er konnte dies durch sorgfältige Beobachtungen des Erdschattens auf dem Mond bei einer Mondfinsternis zeigen.

Den mathematischen Lehrsatz des Pythagoras hatten wir ja gerade erwähnt.

Um Pythagoras selbst rankt sich eine Vielzahl von Mythen.

Ob er tatsächlich die Kugelgestalt der Erde entdeckte und den Lehrsatz aufstellte, der nach ihm benannt ist, ist nicht bewiesen.

Möglicherweise ist es mitgebrachtes Wissen von seinen Reisen.

Nichtsdestotrotz und unabhängig davon, wer was entdeckt hat, die alten Griechen wussten bereits Dinge, die unsere Kinder heutzutage in den ersten Schuljahren staunend erfahren.

Später dann im dritten Jahrhundert vor Christus sammelte Euklid von Alexandria das gesamte mathematische Wissen seiner Zeit und fasste es in entsprechenden Schriften zusammen.

Er führte als Erster den mathematischen Beweis ein, der später zum Vorbild für die gesamte Wissenschaft wurde.

Seine Geometrie und seine grundlegenden Ideen wirken noch heute in unsere Mathematik hinein.

Dann kam es zum Quantensprung in der Vorstellung von der Beschaffenheit unserer Welt und uns selbst.

Wobei das eigentlich nicht richtig ist.

Unter Quantensprung verstehen wir landläufig etwas Großes, Gigantisches.

Sie auch?

Wie wir im weiteren Verlauf unserer Besprechungen sehen werden, ist das völlig falsch.

Quantensprünge sind mikroskopischer Natur, wenngleich für unsere Welt und unser Verständnis darüber von immenser Bedeutung.

Also, bleiben wir zunächst bei der Auffassung, hier entstehe Großes.

Eigentlich war alles bestens.

Der recht böige Wind war in seine Abendflaute abgetaucht.

Die Sonne hatte ihren Zenit verlassen und wärmte angenehm, brannte nicht mehr.

Die kleinen wattebauschigen Wolken verdichteten sich am Horizont, der weiß eine scharfe Linie zum Tief blau des Meeres zog.

Demokrit liebte diese Augenblicke und genoss sie.

Aber heute war er nervös, hatte vielleicht Lampenfieber.

Bei diesem Gedanken musste er lächeln.

Dann ging er nochmals seine Argumentation im Geiste durch.

Er wusste, dass seine Glaubwürdigkeit von der logischen Geschlossenheit seiner Argumente abhing.

Nein, er hatte keinen Zweifel mehr.

Er war bestens vorbereitet.

Jetzt konnten sie kommen, seine Schüler und die Kollegen der anderen Schulen.

Er hatte Vorbereitungen getroffen.

Die Ankommenden würden zunächst vorn auf der Terrasse Platz nehmen.

Ein reichhaltiges Abendmahl war vorbereitet.

Jenseits der Tische säumten einige Olivenbäume den steilen Abhang, der am Fuße seicht in den Sandstrand auslief.

Das Meer schickte seine Brise herauf, angenehm kühlend.

Er ging hinüber, begrüßte die Gäste und nahm hier und da einen Happen zwischen den Gesprächen.

Irgendwann sah er hinüber zu Emphasos, seinem Hofmeister.

Der zog zuerst die Augenbrauen hoch, dann seine Schultern.

Er war nicht gekommen, sein wichtigster Gast.

Sodokles war sein Widersacher und auch ein bisschen Freund, der Einzige, der ihn verstand.

Und der war nicht gekommen.

Er hatte es befürchtet.

Aber er konnte nicht länger warten, bat seine Gäste hinüber in den Pavillon.

Für Wein war reichlich gesorgt.

„Wie ihr alle wisst“, begann er seine Rede, „habe ich lange an einer Theorie vom Ganzen gearbeitet.

Einige von euch kennen diesen oder jenen Aspekt, hab e ich doch vieles bereits diskutiert.

Aber alles, alles als Einheit, will ich euch heute zum ersten Mal eröffnen. Also sage ich euch:

Nur scheinbar hat ein Ding eine Farbe, nur scheinbar ist es süß oder bitter; in Wirklichkeit gibt es nur Atome im leeren Raum.

Jedes dieser Atome ist fest und massiv, aber nicht gleich.

Es gibt unendlich viele Atome: runde, glatte, unregelmäßige und krumme.

Wenn diese sich einander nähern, zusammenfallen oder miteinander verflochten werden, dann erscheinen die einen als Wasser, andere als Feuer, als Pflanze oder als Mensch.

Sinneswahrnehmung und Seelenexistenz entstehen aus atomistischen Prinzipien.

Die Seele besteht aus Seelenatomen.

Stirbt ein Mensch, streuen diese Seelenatome aus und können sich einer neuen Seele anschließen, die sich gerade bildet.

Alles, was sich im Weltall bewegt, gründet entweder auf Zufall oder auf Notwendigkeit.“

Er hatte lange und eindringlich geredet, beschwörend, den Priestern gleich der alten Zeit.

Klatschen!

Erst langsam und von einer Person, dann lauter und vielstimmig.

Er schaute hinüber zum ersten Geräusch – Sodokles!

„Ich grüße euch.

Tut mir leid, ich hab e dummerweise den Anfang verpasst.

Was du da beschreibst, Demokrit, ist argumentativ unschlagbar.

Nur, der entscheidende Punkt ist, gibt es deine Atome wirklich, gibt es tatsächlich Teilchen, die nicht mehr teilbar sind?

Ich sage: Das ist Unfug!

Gib mir ein Messer, das scharf genug ist, und ich zerschneide deine Atome.“

Demokrit hatte ihn er wartet.

Und er hatte diese Frage er wartet.

Er hasste ihn wegen seiner Arroganz.

Aber er war eine Institution, gegen ihn ging gar nichts.

Natürlich hatte er die neueste Tunika an, die Tunika von Saanos, dem neuen Stern der Society.

Das war eben sein Stil.

Halt – sein Blick blieb an der Kette hängen, die Sodokles um den Hals trug, eine sehr teure Perlenkette.

„Gib sie mir“, rief Demokrit.

„Was soll ich dir geben?“

„Deine Kette!“

„Wofür?“

„Für meine Antwort auf deine Frage!“

Sodokles kam näher, nahm die Kette vom Hals und reichte sie zögernd Demokrit.

Dieser nahm sie in beide Hände.

„Wie viele Perlen hat sie?“

„Achtundvierzig“, hauchte Sodokles.

„Gut“, sagte Demokrit.

„Ich nehme jetzt das von dir angemahnte unendlich scharfe Messer und beginne zu schneiden.“

Er lachte.

„Natürlich nur theoretisch.

Ich schneide sie in die Hälfte.

Vierundzwanzig Perlen bleiben rechts und links.

Ich schneide links weiter – zwölf bleiben.

Jetzt kommen wir zum nächsten Schnitt.

Sechs bleiben übrig, dann drei.

Nun müssen wir uns entscheiden.

Schneiden wir die eine Perle ab, sparen wir einen Schritt.

Sodokles, eine Perle ist übrig.

Diese Perle ist das kleinste Element deiner Kette.

Würde ich es zerstören, mit deinem unendlich scharfen Messer zerschneiden, würde es das System Perlenkette des Sodokles nie mehr geben.

Wir könnten es nie wieder zusammensetzen.

Wie deine Perlenkette, besteht jedes System aus Einheiten, die du nicht teilen kannst, willst du nicht das System und damit die Schöpfung selbst vernichten.“

Sodokles nahm seine Perlenkette in die Hände, lächelte und sagte: „Demokrit, ich hatte dich unterschätzt.

Du bist der größte Denker aller Zeiten.“

Sie umarmten sich und lächelten.

Demokrit von Abdera war der letzte Naturphilosoph der Geschichte.

Das, was Demokrit im Bereich der kleinsten Dimensionen war, verkörperte ein anderer im Bereich der Kosmologie.

Die revolutionärsten Ideen hierzu fasste Aristarchos von Samos als erster Mensch zusammen.

Er behauptete, dass wir nicht die Auserlesenen, sondern ganz normale Bewohner des Universums seien.

Wir seien nicht dadurch hervorgehoben, dass wir im Zentrum leben, sondern auf einem kleinen Planeten, der sich um die Sonne dreht.

Die Sonne stand für ihn im Zentrum.

Er postulierte als Erster das heliozentrische Weltbild.

Leider ist nur eine seiner Berechnungen überliefert.

Dabei handelt es sich um die sehr sorgfältige geometrische Analyse der Beobachtungen der Größe des Erstschattens auf dem Mond während einer Mondfinsternis.

Aus diesen Daten errechnete er, dass die Sonne viel, viel größer sein muss als die Erde.

Daraus schloss er, dass nicht die kleine Erde der Mittelpunkt unseres Sonnensystems ist, sondern dass sich all die kleinen Planeten um die viel größere Sonne drehen.

Er vermutete: Wenn unsere Erde nur ein Planet unter anderen Planeten ist, dann ist die Sonne nichts anderes als ein Stern unter anderen Sternen, die wir am Nachthimmel sehen.

Oder anders herum sind die sichtbaren Sterne am Nachthimmel nichts weiter als ferne Sonnen.

Aristarchos dachte weit voraus.

Wenn nicht die Erde im Zentrum des Systems steht, sondern die Sonne, so müsste eigentlich eine Parallaxe zu beobachten sein.

Eine Parallaxe verändert das Bild des Sternenhimmels in Abhängigkeit von der aktuellen Position der Erde während ihres Laufs um die Sonne.

Allerdings ist diese Parallaxe sehr, sehr klein.

Selbst bei benachbarten Sternen ist sie kleiner als eine Bogensekunde.

Damit ist sie mit bloßem Auge nicht feststellbar.

Und dieses Auge war nun einmal das alleinige Beobachtungsinstrument der alten Griechen.

Die Fixsternparallaxe wurde erst in der Neuzeit, im Jahr 1838, mit Teleskopen nachgewiesen.

Da die Parallaxe mit bloßem Auge nicht beobachtbar ist, war dies zynischerweise eines der wichtigsten Argumente für die mächtigen Kritiker, das heliozentrische Weltbild abzulehnen.

Aristarchos war einer der letzten ionischen Naturwissenschaftler.

Das Verständnis der ionischen Wissenschaft, dass sich die Natur durch allgemeine Gesetze erklären und auf eine Reihe einfacher Prinzipien zurückführen lasse, konnte seinen Einfluss nur wenige Jahrhunderte ausüben.

Die ionischen Theorien ließen keinen Raum für den Begriff des freien Willens und der göttlichen Intervention in unserem Weltgeschehen.

Das verschreckte damals viele Menschen, genau wie heute.

Mit dem Schwinden der wirtschaftlichen und politischen Macht der ionischen Staaten verlor auch die ionische Wissenschaft ihren Einfluss im Mittelmeerraum.

Leben wir in einer Illusion?

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