Читать книгу Monas braune Augen - Lutz Hatop - Страница 10
Angelika
ОглавлениеEs war soweit, der von Mike gefürchtete Tag war gekommen. Die Absage der Hochzeit und die Aufhebung der Verlobung standen bevor. Ziel der Fahrt war die typisch schwäbische Kleinstadt Lorch im Remstal, 40 km östlich der Landeshauptstadt Stuttgart gelegen. Zahlreiche Fachwerkhäuser prägen das Stadtbild. Stolz ist die Stadt auf ihre Vergangenheit, die mit sehenswerten Denkmälern schon in der Römerzeit beginnt, über die Stauferära mit seinem romanisch-gotischem Kloster reicht und in der Neuzeit Friedrich Schiller als Kind beherbergte. Seinem damaligen Lehrer, dem Pfarrer Phillip Moser setzte er mit seinem Drama ‘Die Räuber’ ein literarisches Denkmal.
Mona hielt ihr Versprechen und begleitete Mike. Gekleidet, wie einem Modemagazin soeben entsprungen, mit beigefarbener Stoffmütze und einer eleganten beigefarbenen Jacke, machte sie auf Mike mächtig Eindruck. Nach kurzer aber umso intensiverer Begrüßung nahm sie ihre Mütze ab, warf diese auf den Rücksitz und schüttelte ihre Haare. Mike saß neben ihr mit offenem Mund. „Was ist, gefallen dir meine Haare nicht?“ Sie genoss die gelungene Überraschung.
Glatte lange – fast schwarze – Haare umrahmten ihr Gesicht. Ein durch die Windschutzscheibe des Autos fallender Sonnenstrahl ließ einen türkisfarbenen Schimmer erahnen. Ihre Haare umspielten ihre Wangen, eine Strähne hing keck ins Gesicht. Die Lippen hatten einen ähnlichen Farbton wie die Haare. Mike liebte lange Haare bei Frauen, nur mit einer solchen Länge hatte er nicht gerechnet. Sie reichten ihr weit über die Schulter hinab.
Mike musste sich erst wieder fassen. „Mein Gott, bist du schön!“, sagte er leise. „Und so was sitzt nun neben Mike und ist seine Freundin, unglaublich!“
„Dann gefalle ich dir also, ich habe gedacht, ich geh mal weg vom Black-Beauty-Outfit. Lass uns endlich losfahren, sonst kommen wir nie an!“ Nichts passierte. Mike sah sie weiterhin fasziniert an, außerdem wollte er noch was von ihr. „Darf ich mal anfassen?“ Lächelnd sagte sie leise. „Na, mach schon!“ Vorsichtig fuhr Mike mit seiner rechten Hand durch ihre Haare. „Die fühlen sich an wie Seide. Wahnsinn!“
Sie fuhren die A9 über Nürnberg nach Süden. In der Höhe von Ansbach legten sie auf einer Raststätte eine kurze Kaffeepause ein, um einen Fahrerwechsel vorzunehmen. Nach der Pause fuhr Mona weiter, so hatte Mike viel Zeit, sie in aller Ruhe zu betrachten. „Und, zufrieden mit deiner schwarzen Freundin?“
„Mona, mir fehlen die Worte.“
„Das glaube ich nicht, du kannst doch gar nicht still sein.“
„Ist ja auch nur eine Redewendung. Ich versteh das gar nicht, du wirst bei jedem Wiedersehen immer noch schöner.“
„Mike, nicht übertreiben. Du kannst so wunderbare Komplimente machen, nur überziehen darfst du nicht. Verstanden?“
„Okay, auch wenn’s schwer fällt. Trotzdem gefallen mir deine Haare so viel besser.“
Nach sechs Stunden Fahrzeit erreichten sie endlich ihr erstes Ziel in Lorch, das Haus von Angelikas Eltern auf dem Kellerberg, einer Neubausiedlung in Halbhöhen- und Höhenlage mit herrlichem Ausblick über das gesamte Remstal in Richtung Stuttgart. Die Sonne schickte ihre ersten wärmenden Strahlen auf dieses schöne Fleckchen Erde.
„Du wartest im Auto, wie besprochen.“
„Ich möchte aber mit.“
„Ist besser so, glaub es bitte!“
„Nur unter Protest, ich wünsch dir viel Glück.“ Ein Kuss zur Stärkung und das „Unternehmen Entlobung“ begann. Mike ging langsam mit schweren Beinen durch das Gartentor zum Hauseingang. Er klingelte, nichts passierte. Heimlich hoffte er, dass sie ihn vielleicht überhaupt nicht sehen wollte. Er klingelte ein zweites Mal. Die Tür öffnete sich langsam. Es war Angelikas Mutter. „Grüß Gott Mike. Komm rein. Kannscht gleich nach oben gehen, Angelika wartet schon auf dich.“
Mike klopfte. „Herein!“ Er öffnete langsam die Tür und trat sichtlich gehemmt ein. Vor ihm saß Angelika mit verheulten Augen und schaute ihn traurig an. Wenn sie nicht so vergrämt ausgesehen hätte, käme die Schönheit dieser jungen Frau mit ihren langen welligen rotblonden Haaren und den grünen Augen viel besser zur Geltung. Mike versuchte ein zaghaftes „Grüß dich“ auszusprechen, welches er aber halb verschluckte. Sie reagierte nicht, kein Gruß kam über ihre Lippen. „Und, was willscht du mir persönlich saga?“ Mike nahm beide Hände von Angelika in die seinen und schaute sie direkt an. Er sprach ganz leise. „Geli, es fällt mir unsagbar schwer, dir das zu sagen. Ich weiß auch, dass du das nicht verdient hast. Aber ich … ich kann dich nicht heiraten!“
Angelika riss sich los und sprang auf, wurde laut. „So, es fällt dir schwer mir so was zu saga. Aber die Trennung, die fällt dir leicht, mal schnell so zwei Wocha vor der Hochzeit. Des Kleid ischt auch schon kauft, des kann ich jetzt in die Tonne haua. Was denkscht du dir eigentlich dabei?“
„Ich zahl’s dir!“ Angelika wurde laut. „Was bisch du bloß für ein Scheißkerl. Glaubscht du vielleicht, mit dem bissle Geld ischt es getan? Warum tuscht du das, gibt’s eine andere?“ Mike merkte, dass er das mit dem Geld nicht hätte sagen sollen. Was sollte er jetzt erwidern?
„Ja!“ Angelika wurde immer wütender „Ich glaub’s ja net. Und damit kommscht du jetzt daher? Hätt dir des net früher einfalla könna. Wie lange geht des schon?“
„Fünf Tage.“ Angelikas Stimme fing an, sich fast zu überschlagen. „Was, net einmal eine Woche, spinnscht du? Du schmeißt vier Jahre Beziehung einfach weg! So mir nix dir nix. Und ich bekomme kei Chance. Du schtellst mich einfach vor vollendete Tatsacha? Was hab ich falsch gmacht, sag’s.“
„Nichts, es liegt nur an mir.“
„An dir, ach so! Na denn isch ja alles in Ordnung. Du kennsch die andere grad eine Woche. Habt ihr zusammen durchgvögelt, dass du dir so sicher bischt. … Halt einmal, als ich dich angrufa hab, am Montag …“
„Ja, da haben wir uns kennengelernt, sie saß mit im Auto.“
Jetzt wurde Angelika ganz leise und zischte, ihre Blicke durchbohrten Mike förmlich. Er dagegen fühlte sich immer kleiner und hilfloser. „Und du hascht mich gnadenlos am Telefon anglogen und zurückgrufen hascht du erscht gar nicht. Du bischt so ein fieser Feigling!“
In diesem Augenblick erhielt er eine krachende Ohrfeige. Ihre Finger brannten auf seiner Wange, die sich bereits langsam rötlich färbte. „Geli, das hat nichts mit dir zu tun, du bist völlig unschuldig. Aber was soll ich machen, ich hab sie gesehen und mich verliebt. Am Tag darauf wusste ich schon, dass es nur noch diese Frau für mich gab. Ich kann dich doch nicht heiraten, wenn ich eine andere liebe.“
„Nach einem Tag, ich fass es nicht. So was geht doch gar net, du ticksch doch nicht mehr richtig.“ Angelika holte tief Luft. „Und, ischt sie wenigschtens hübsch, blond und blauäugig? Oder was hat se, was ich net hab?“
„Nein, das ist doch überhaupt nicht wichtig.“
„Doch, des ischt für mich wichtig, ich hab ein Recht drauf zu erfahra, wer mich in nur ein paar Tagen aus dem Feld haut!“ Mike zögerte kurz. Ungeduldig und wütend blickte sie ihn an. „Du erfährst es ja später sowieso. Sie stammt aus Afrika und ist nicht blond.“
Angelika schaute Mike völlig entgeistert an. Erst leise und dann sich langsam steigernd sprudelte es aus ihr heraus: „Willsch du mir etwa grad klarmacha, dass du es mit einer Negerin trieba hascht und dass du mich wegen so einer nicht heirata kannscht?“ Mike nickte und schluckte trocken. „Eine Schwarze? Mit krause Haar und dicke Lippa? Kann se überhaupt deutsch?“
Sie drehte sich weg, um sich im nächsten Augenblick wieder anders zu besinnen. Ihre Stimme wurde sehr eindringlich. Mit bettelnden Augen sah sie ihn an. „Mike, bitte. Bin ich so hässlich? Ich lieb dich. Mir wollten eine Familie gründen. Du hascht zu mir mal gsagt, ich sei deine Traumfrau. Alles weg? Nach einer Woch? Bitte gib mir noch eine Chance. Wir können die Hochzeit auch verschieba. … Bitte gib mir eine letzte Chance!“ Genau das hatte Mike befürchtet. Wenn sie ihn nur angeschrien hätte, wäre es leichter gefallen. Er wusste, dass er sie schwer verletzen wird, unverdient. Angelika kniete vor ihm mit Tränen in den Augen. Mitleid stieg in ihm auf, er kämpfte mit sich.
Wollte er Angelika tatsächlich so viel Leid zufügen, oder sollte er doch nachgeben. Sie hatte zu dieser Situation nichts beigetragen, er alleine war der Urheber. Er stürzte sie in diese schwere Krise ohne einen Funken Rücksicht zu nehmen. Das zu verhindern ging nur, wenn er Mona verstieß. Er schloss die Augen, da erschien Mona vor seinem geistigen Auge. Ihm wurde zum ersten Mal in seinem Leben bewusst, wie sehr man eine Frau lieben konnte. Er begriff, dass diese Frau Mona war. Das zu verstehen, hieß auch einzutreten für Mona. Leise, aber sehr deutlich flehte er Angelika an: „Ich kann das nicht. Bitte verzeih mir.“ Die stieß einen durchdringenden Schrei aus, fiel auf ihren Stuhl zurück und vergrub das Gesicht in ihre Hände. Die Tränen rannen ihr über die Wangen.
Angelikas Geschrei hatten natürlich auch ihre Eltern gehört. Ihr Vater rannte die Treppe hoch, riss die Tür mit so einer Gewalt auf, dass sie krachend gegen die Wand flog und dort Putz und Tapete beschädigte. Als Mike Angelikas wutschnaubenden Vater sah, bekam er es mit der Angst zu tun, denn er kannte ihn als aufbrausenden cholerischen Menschen, der bei seinen Ausbrüchen immer unberechenbar blieb.
Mike stellte sich auf alles ein. „Was hascht du Saukerl mit meiner Tochter gmacht?“, brüllte Angelikas Vater, als er seine Tochter völlig aufgelöst auf dem Stuhl sitzen sah. „Er hat mich mit einer Negerin betroga!“, wimmerte leise Angelika. Ihr Vater griff zu einem Pokal, der im Schrank stand und schleuderte diesen in Richtung Mike. Der duckte sich geistesgegenwärtig weg und das Geschoss durchschlug klirrend die Fensterscheibe. „Was, eine Niggerin? Jetzt kannscht du was erleba! Ich mach dich so was von fertig! Ich schlag dich ungspitzt in den Boden rein.“ Währenddessen saß Angelika immer noch apathisch da, unfähig zu reagieren. Sie hatte verstanden, dass es endgültig aus war.
Den Krach und das klirrende Glas hörte man auch auf der Straße und bei den Nachbarn. Auch Mona hörte und sah die Scheibe in die Brüche gehen. Sie riss die Autotür auf, rannte zum Haus, klingelte und trommelte gleichzeitig mit den Fäusten gegen die Haustür. Nichts rührte sich. „Sofort aufmachen!“ Keine Reaktion. Sie schaute nach rechts und nach links, lief den schmalen Plattenweg um das Haus herum zur Rückseite in den Garten so schnell sie konnte. Blitzschnell war sie auf der Terrasse, aber auch hier waren alle Türen verschlossen.
Kurz entschlossen griff sie nach einer leeren tönernen Blumenschale und warf diese durch die Balkontür. Unter lautem Getöse ging die Türscheibe zu Bruch. Angelikas Mutter stand wie angewurzelt im Zimmer und schrie um Hilfe. Mona ließ sie einfach stehen und stürmte an ihr vorbei die Treppe hinauf, immer dem Lärm nach. Angelikas Mutter, nachdem sie sich vom ersten Schock erholt hatte, hinterher.
Angelikas Vater, größer und stärker als Mike, hatte diesen inzwischen auf den Boden geworfen und am Hals gepackt. Mikes Abwehrversuche waren nur halbherzig und deswegen zum Scheitern verurteilt. Angelika schaute nur teilnahmslos zu. Als Mona in der Tür stand, ließ Angelikas Vater sofort von Mike ab. Der lag noch röchelnd am Boden und schnappte nach Luft. Alle konzentrierten sich auf Mona. Die schien überhaupt keine Angst zu haben, ihre Augen suchten Mike.
Mit bedrohlicher Stimme herrschte sie Angelikas Vater an. „Rühren Sie ihn nicht mehr an. Ich warne Sie ausdrücklich.“ Sie wollte sich schon zu Mike hinwenden, als eine starke Hand sich um ihren Arm krallte. „Da ischt ja die schwarze Hur! Soll ich jetzt Angscht bekomma?“ Er fühlte sich überlegen und lachte dabei. „Jetzt bischt du dran.“
„Ich habe Sie gewarnt, Finger weg!“ Mona fuhr ihn in einer ungeheuren Schärfe an.
In diesem Augenblick kam Angelikas Mutter in das Zimmer. Angelika fiel ihr um den Hals. Während der ganzen Zeit standen beide nur da und schauten ungläubig zu. Mona fauchte Angelikas Vater an. „Loslassen, sofort!“ Ein Grinsen war die Antwort. Mona machte eine schnelle Drehung, löste sich aus der Umklammerung und versetzte ihrem Widersacher bei einer weiteren Drehung einen mächtigen Kinnhaken mit dem Fuß. Das passierte innerhalb weniger Sekunden. Der Angreifer ging benommen zu Boden.
„Bleib liegen, oder du erlebst die nächste Stunde nicht mehr!“, herrschte sie ihn an, ging auf Mike zu und half ihm aufzustehen. „Ich gebe dir Recht, war doch gut, dass ich mitgekommen bin. Diese Seite kanntest du noch nicht von mir. Ich bin kampfsporterprobt, dient der Selbstverteidigung. Wie man sieht, ist es auch für so was gut.“ Mike brachte kein Wort heraus, nur ein unverständliches Glucksen. „Hey, wie geht es dir? Musst du zum Arzt?“ Ihre Stimme war voller Sorge.
Angelikas Vater hatte sich wieder aufgerappelt und war im Begriff, erneut auf Mona loszugehen. „Hör auf!“ Angelikas Mutter griff ein. Sie riss an ihrem Mann mit aller Kraft. Widerwillig ließ er von Mona ab. Mike wandte sich an Angelika. Seine Stimme krächzte. „Geli, es tut mir aufrichtig leid mit dir, es war keine Absicht dich zu verletzen. Es ist einfach passiert. Bitte verzeih mir!“ Angelika konnte ihre Augen nicht von Mona lösen, leise sagte sie, während Mona Mike stützte. „Doch keine hässliche Schwarze. Langsam begreif ich, ob ich dir irgendwann verzeiha kann, weiß ich nicht. Aber nachvollzieha kann ich des langsam, leider! Bitte geht!“ Mona musste Mike stützen, als sie Treppe hinunter gingen. Er war immer noch benommen.
Am Auto angekommen, setzte sie Mike auf den Beifahrersitz. Sie schaute sich die Würgemale am Hals von Mike an. Er atmete immer noch schwer, stand auch unter Schock. Bevor sie weitere Entscheidungen treffen konnte, kam ein Polizeifahrzeug mit Blaulicht und stoppte direkt vor dem Haus. Besorgte Nachbarn, die den Lärm gehört hatten, hatten den Notruf abgesetzt.
Ein Polizist ging zum Haus und klingelte, eine Polizistin kam zu Mikes Auto. „Oh, Sie send aus Berlin. Was ischt hier los? Send sie beteiligt an dem Krach. Nachbarn hen uns alarmiert.“ Mona antwortete für Mike. „Ja, wir waren in dem Haus. Der Hausherr hat meinem Freund etwas zugesetzt.“
„Wollet Sie Anzeige erstatta?“
„Nein, wir sehen von einer Anzeige ab. Bitte lassen sie uns fahren, ich will ihn zur Sicherheit im Krankenhaus untersuchen lassen. Können Sie mir sagen, wo hier das nächste ist?“
Zur gleichen Zeit kam der Kollege. „Nichts, die wollen auch keine Anzeige erstatten. … Fahret Se nach Schorndorf, da ischt die Notaufnahme. Wartet Se, wir fahret vor ihne her und meldet Sie auch gleich an. Ihrem Freund geht’s aber gar net gut. Und sie wollet wirklich keine Anzeige erstatten?“ Mona schüttelte den Kopf. „Aber danke, dass Sie uns den Weg zeigen!“
„Des ischt doch selbstverständlich.“ Die Polizistin ließ sich noch Ausweis und Führerschein zeigen und fuhr – gefolgt von Mona – zum Krankenhaus in Schorndorf.
Dort angekommen, wurde Mike untersucht und sollte über Nacht zur weiteren Beobachtung bleiben. Er wollte aber unbedingt zu seinen Eltern und alles hinter sich bringen. Nach einigem Hin und Her setzte sich Mike durch und sie begaben sich gegen den ärztlichen Rat doch noch zu seinen Eltern.