Читать книгу Monas braune Augen - Lutz Hatop - Страница 6
Mona
ОглавлениеMike fuhr einen knallroten Citroen DS 3 mit Schachbrettdach in schwarz-gelb. Als sie auf das Auto zugingen, sagte sie überrascht: „Hey, ist das deiner und auch noch in Rot. Wow!“ Mona umrundete das Auto. Als Mike die Autotür öffnete, flippte sie fast aus. „Und innen schwarz-weiß, wie geil ist das denn?“ Am liebsten würde sie sich an das Steuer setzen, traute sich aber nicht, Mike zu fragen. Der ging zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und schaute sie lachend an. „Möchtest du?“ Er hielt dabei den Autoschlüssel in die Höhe.
„Ehrlich, du lässt mich fahren? Sofort, gib her! … Ehe du dir’s anders überlegst.“ Mike schloss wieder die Tür, kam zu ihr auf die Fahrerseite und übergab den Schlüssel.
Mit dem Wagen fuhren sie zur Wohnung in Friedrichshain. Während der Fahrt dämmerte es Mike, dass er Karten für seine Verlobte Angelika und Freunde gekauft hatte. Nun saß Mona neben ihm auf dem Fahrersitz und bereitete ihm ein schlechtes Gewissen. Die unterschiedlichsten Gedanken kamen ihm in den Kopf. Was mach ich bloß, lasse eine wildfremde Frau mit meinem Auto fahren. Frauen und Autos tauscht man nicht. Ich muss dem ein Ende setzen.
Mona wiederum dachte an ihren Freund und daran, dass sie sich geschworen hatte, mit weißen Männern nie wieder etwas anzufangen. Was sollte sie also hier im Auto, aber ihr gefiel der junge Mann. Sie musste an die Begegnung in den Potsdamer Platz Arkaden denken. Noch nie hatte sie einen Mann beim ersten Mal so lange angeschaut, ohne etwas zu sagen. Sie musste an die dreistündige Unterhaltung im Café denken. Selten hatte sie sich so kurzweilig unterhalten und sie musste an den Vergleich mit der „Phantasiemona“ denken. Ihr lief noch jetzt ein wohliger Schauer über den Rücken. Wow! War das eine Bemerkung – So was Schönes – und damit hat er mich gemeint! Dann noch dieses Auto, ist genau mein Geschmack. Und er lässt mich auch noch fahren.
Außerdem wollte sie unbedingt diese Ballade kennenlernen. Ein lautes Knurren im Magen signalisierte ihr, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte und es zwischenzeitlich halb vier nachmittags war.
„Na, Hunger? Wenn du möchtest, koche ich uns was Leckeres. Was magst du denn besonders gerne?“
„Spaghetti“, war die kurze Antwort. „Sag mal, du kannst kochen?“
„Ich denke schon und auch recht gut, bilde ich mir jedenfalls ein.“
Mona schaute Mike von der Seite an und dachte für sich: Der Typ macht mich immer neugieriger, mal sehen ob das nur Sprüche sind und er kippt nachher die fertige Tomatensauce aus der Dose über die Nudeln.
Plötzlich fiel ihr ein, dass sie sich mit ihrem Freund Tom um sieben verabredet hatte. Sie musste sich entscheiden. Zu Mike oder mit Tom? „Ich muss mal schnell telefonieren.“ Sie fuhr an die Seite und rief ihren Freund an. „Hallo Tom, hier ist Mona. Du, ich muss heute Abend unser Date absagen. Habe heute eine ehemalige gute Schulkameradin getroffen, die ich schon ewig nicht mehr gesehen habe. … Nein, du kannst nicht dazu kommen. … Das ist ein Mädchenabend, da können wir keine Jungs brauchen … Tom, bitte beherrsch dich. Es reicht, … Ende der Durchsage!“ Sie drückte Tom weg. „So ein Blödmann“, murmelte sie. Was für ein Unterschied zwischen den beiden, dachte sie. Tom sieht zwar viel besser aus, kann aber wie es scheint mit Mike nicht mithalten. Diesen Mike, nahm sie sich vor, möchte ich besser kennenlernen.
Während dieses Telefonates bekam Mike erst recht ein schlechtes Gewissen gegenüber Angelika. Was würde er ihr wohl am Telefon sagen? Sie wohnte zwar 600 km entfernt von Berlin, was aber völlig zweitrangig war. Denn die Entfernung spielte in diesem Fall keine Rolle. Aber Mona schien es genauso zu gehen.
„Ein Date? Abgesagt? Wegen mir?“ Etwas unwirsch reagierte sie. „Kluger Junge, und? … Bild dir bloß nichts ein!“ In diesem Moment klingelte Mikes Telefon.
„Geh ruhig ran.“ Auf dem Display leuchtete der Name Angelika. „Deine Freundin?“, grinste sie.
„So ähnlich.“ Mike nahm das Gespräch an.
„Jaaa, Hallo Geli!“
„Hallo Schatz, hascht du die Karten für die Berlinale? Hat’s klappt?“
„Ja!“
„Was machscht du heut Abend, am liebschta wär ich jetzt bei dir. Weischt du, was ich jetzt gerne mit dir machen tät, … hallooo, bischt du noch da?“
„Ja“
„Hey, du bischt so einsilbig, ischt jemand bei dir?“
„Ja, Harald sitzt neben mir.“ In diesem Moment fing Mona an, leise zu kichern. „Ruhig!“, zischte Mike. „Du Geli, lass uns morgen weiter telefonieren, wir treffen uns gleich mit ein paar Leuten, ich ruf dich an, ja!“
„Wart a mal, des Lachen da hat sich aber grad nach einer Frauenstimme angehört?“
„Ja, in meinem Auto sitzen noch mehr Leute und fangen schon an mit lachen, bitte lass uns morgen weiterschwätzen. Ich ruf an, versprochen!“
„Wenn’s sein muss, bis Morgen, ade!“
Mona schaute Mike direkt an und sagte ganz langsam. „Na, gelogen? Wegen mir?“ Er drehte sich zu Mona. „Wir haben beide gerade unsere Partner angelogen, ist doch richtig oder? Tolle Voraussetzung!“
„Für was?“, ihre Augen funkelten. „Für den weiteren Abend.“ Seine Stimme wurde weich, „den ich trotzdem gerne mit dir fortsetzen würde.“
Oh, Sch…, was rede ich denn da, das wäre die Chance zum Abbruch gewesen. Wie wird sie wohl antworten? „Du möchtest den Abend also gerne fortsetzen, hmm?“ Sie machte eine kurze Pause um seine Reaktion abzuwarten. Mike blickte sie erwartungsvoll an, sie lächelte ihn an.
„Das möchte ich auch und ich würde gerne endlich das Lied hören. Außerdem hab ich Hunger. Lass uns einfach sehen, was aus dem Abend wird, wenn du dich nicht wohl fühlst, kannst du es jederzeit sagen. … Würdest du mich nach dem Essen dann nach Hause fahren?“
Mike wusste nicht wie ihm geschah, er war vollkommen durcheinander. Was mach ich hier bloß. Ich bin auf dem besten Weg, Angelika zu … Verdammter Mist, ich kann aber nicht nein sagen. Diese Frau fasziniert mich dermaßen. Geli, verzeih mir.
Schnell antwortete er: „Natürlich, selbstverständlich. Warum sollte ich mich nicht wohlfühlen, es geht mir bestens, … kann ja nicht anders sein, … neben dir!“ Mona lächelte ihn nur an. Nach weiteren fünfzehn Minuten kamen sie endlich vor dem Haus an. Es gab sogar einen freien Parkplatz.
Mikes Wohnung lag im zweiten Obergeschoss des Vorderhauses eines typischen Berliner Altbaus mit zwei Höfen aus der Jahrhundertwende. Von außen war nicht zu erkennen, wie groß diese Wohnung war. Vier Zimmer mit fast 140 Quadratmetern und zwei Balkonen. Der Zugang erfolgte über ein großes Treppenhaus, dessen Treppe um einen Aufzug herumlief. Dadurch fuhr der Aufzug in die jeweilige Etage und ermöglichte einen ebenen Zugang. Dieses Treppenhaus war besonders prächtig ausgestattet mit seinen Stuckdecken und dem mit zahlreichen Jugendstilsymbolen verziertem Geländer. Am aufwändigsten waren aber die Wohnungseingangstüren gestaltet mit sechs Feldern, darinnen Pflanzen- und Blumenmotive. Der Fahrstuhl selbst stammte noch aus der Erbauungszeit, sogar die alte hölzerne Fahrgastzelle war noch erhalten.
Die Wohnung selbst lag in der sogenannten Beletage, zur Erbauungszeit das bevorzugte Hauptgeschoss eines Gebäudes mit einer Raumhöhe von 3,50 Meter. Alle Innenräume besaßen noch die ursprünglichen Stuckdecken und Dielenböden. Eine große zweiflügelige Tür führte in den Hauptraum der Wohnung, dem ‚Berliner Zimmer‘. Dieser war besonders hervorgehoben durch einen schönen Kamin, einem riesigen über drei Meter hohen Fenster, welches zugleich Tür zu einem Balkon war und einer besonders reichhaltigen Stuckdecke.
Sie betraten die Wohnung. Mike half Mona aus dem Mantel. Sie nahm die Strickmütze ab und legte sie auf die Hutablage. Nun erst entdeckte er ihre ganze Schönheit: Ihre schwarzbraunen Haare waren zu zahllosen kleinen langen Rastazöpfen geflochten. Direkt am Kopf lagen sie jedoch dicht an, wie sauber aufgereihte Schnüre. Dadurch kam ihre Gesichtspartie voll zur Geltung. Er bewunderte die alles in ihren Bann ziehenden braunen Augen, ihre feine ebenmäßige Nase und ihren wunderbar geformten Mund mit den ausdrucksvollen Lippen. Ihre Haut schimmerte wie dunkler Samt.
„Was darf ich Dir anbieten?“, fragte Mike und führte sie in das Berliner Zimmer. Sie setzte sich in die Ecke des zweisitzigen Sofas, welches den direkten Blick auf den Kamin gestattete. „Machst du ihn an? So ein Feuer find ich urgemütlich.“ Während Mike sich noch mit dem Kamin beschäftigte, schaute ihn Mona genau an.
Er war kein Riese, 1,75 Meter groß, von schlanker Gestalt, dabei wirkte er sportlich trainiert. Dunkelblonde kurze Haare mit einer markanten natürlichen Locke über der Stirn setzten einen besonderen Akzent. Interessant machte ihn sein kurzer hellblonder Bart, der das eckige Gesicht einrahmte. Die Linien wurden dadurch weicher. Besonders gut gefielen ihr aber die hellen blauen Augen, die offen und neugierig in die Welt blickten. Sie fragte sich, was er wohl als nächstes tun würde.
Knisternd schlugen die Flammen aus dem Holz. Endlich konnte sich Mike wieder Mona zuwenden. „Was möchtest du trinken?“, seine Anspannung stieg. „Hast du einen Rotwein? Ich kann nachher auch mit dem Taxi nach Hause fahren, dann kannst du mit trinken. Legst du bitte erst mal die Musik auf?“
„Sofort, was für einen Wein trinkst du am liebsten?“
„Italiener aus der Toskana, keinen Chianti bitte“. „Damit kann ich dienen, wie wär’s mit einem Nobile di Montepulciano?“
„Super, einer meiner Lieblingsweine!“ Ihr schossen viele Gedanken durch den Kopf. Da lerne ich heute einen weißen Mann kennen mit so vielen Gemeinsamkeiten, guten Manieren, der vielleicht auch noch kochen kann? So übel sieht er nun auch nicht aus. Mal sehen, was noch so alles passiert, ich lass mich überraschen.
Nachdem Mike den Wein eingeschenkt hatte, legte er die CD von Mike Batt auf. Wo sollte er sich nun hinsetzen, zu Mona auf das Sofa oder in einen der beiden Herrensessel. Diese Entscheidung wurde ihm sogleich abgenommen. „Setzt du dich zu mir?“
„Ja, gerne!“ Mona lehnte sich zurück und schloss die Augen, gespannt wartend auf die Musik. Mike dagegen konnte nicht mehr die Augen von ihr lassen.
Endlich setzte die Musik ein. Mike merkte ihr an, dass sie die Musik sehr genoss. Ein wunderbares langes Gitarrensolo schloss das Musikstück.
Nachdem die Musik zu Ende war, schaute Mike Mona erwartungsvoll an. „Das war wunderschön!“, hauchte sie dahin. „Soll ich uns was kochen?“
„Nein, spiel den Song bitte noch einmal“, sagte sie ganz leise und etwas energischer: „Und bleib endlich sitzen!“
Nochmals setzte die Musik ein. Sie drehte ihren Kopf langsam zu Mike und kam ihm immer näher. Ihre Blicke begegneten sich wieder wie beim ersten Mal. Da spürte er ihre weichen Lippen auf den seinen. Er löste sich schnell von ihr, aber nur für wenige Sekunden. „Was machst du bloß mit mir?“, flüsterte er und nahm ihr Gesicht zärtlich in beide Hände, zog sie an sich. Es folgte ein langer leidenschaftlicher Kuss. Die Musik war längst verstummt.
„Das … das war traumhaft.“ Sie nickte. „Ja, das war es.“ Er hielt sie im Arm und schaute sie verliebt an. „Und was machen wir jetzt?“, fragte Mona unschlüssig. „Mona, ich muss dich was fragen?“
„Ja?“, fragend blickte sie zu ihm. „Glaubst du an die Liebe auf den ersten Blick?“ Sie zögerte. „Nein, eigentlich nicht.“
„Ich tat es bis heute auch nicht, aber wenn ich dich so anschaue, ich glaube, ich habe mich …“
Mona legte ihren Zeigefinger auf Mikes Mund und schüttelte den Kopf. „Nicht jetzt, küss mich bitte noch einmal.“ Mike drückte Mona förmlich auf das Sofa. Es wurde nicht nur ein Kuss, sondern viele. Hörte Mike auf, fing Mona wieder an und umgekehrt. Sie konnten beide nicht voneinander lassen.
Aber Mike hatte ein schlechtes Gewissen. Es war nun ja passiert. Er wusste, wenn es jetzt weiter geht, hatte das unabsehbare Folgen. „Mona? Ich will ehrlich zu dir sein, nicht wie vorhin im Auto am Telefon, das war echt besch…eiden. Ich bin seit zwei Jahren verlobt und seit vier Jahren mit einer anderen Frau zusammen.“
„Diese Geli?“
„Ja genau. Und das ist noch nicht alles! Wir wollen in drei Wochen heiraten!“
Mona schaute Mike fassungslos an. Vor ein paar Sekunden noch war sie sich fast sicher, diesen Mann lieben zu können. Innerhalb von Sekunden brach alles zusammen. Sie sprang auf, aber Mike ließ sich nicht beirren. Diese Frau bezauberte ihn dermaßen, dass er eine Entscheidung traf, an die er noch vor wenigen Stunden nie gedacht, geschweige denn sie ausgesprochen hätte.
Mona stand vor ihm, er sah ihren Zorn. Auch er erhob sich, fasste sie sanft an beiden Händen und blickte sie dabei dermaßen liebevoll an, dass ihr Zorn verflog. Was kommt denn jetzt, schau ihn dir an, sieh in seine Augen? Sie lügen nicht, er meint es tatsächlich ernst! Mona, warte ab. Mal sehen, was noch kommt.
„Ich bin mir jetzt sicher, dass ich Angelika nicht mehr heiraten kann und das auch nicht mehr will. Ich kann keine Frau heiraten, und ständig nur an dich denken, oder? Ich wollte dir das vorhin schon sagen, bin mir jetzt hundertprozentig sicher. Ich habe mich in dich verliebt!“ Das war für Mona „Achterbahn pur“. Sie brachte keinen Ton mehr heraus, schüttelte ihren Kopf. Lange Sekunden passierte nichts. Nie gekannte Gefühle überkamen sie und sie ließ sich mitreißen. Ihre Zweifel und ihr Zorn verflogen.
Sie umarmte Mike und flüsterte ihm ins Ohr. „Ich liebe dich auch. Bitte schlaf mit mir, jetzt! Ich will dich!“
„Und unser Essen?“
„Keinen Hunger.“ Mike musste schlucken. Er zögerte einige Sekunden, es gab kein Zurück mehr. „Ich will dich auch!“ Mona lachte Mike an. Er nahm ihre Hand und zog sie sanft in das Schlafzimmer. Im Kamin wurden die Flammen kleiner und kleiner.