Читать книгу Antispieler: Extended Version - M. TroJan - Страница 12
Realtalk
ОглавлениеMan kann einem Menschen nicht zur Seite stehen, solange sich die betroffene Person nicht helfen lassen möchte. Manchmal müssen wir dies akzeptieren und einsehen, dass unsere Hilfe nicht erwünscht oder gefragt ist. Dann müssen wir loslassen und lassen das Leben bzw. die Realität deren Lehrer sein.
Wenn ich Ihnen jetzt sage, dass Sie die Spielsucht längst unter Kontrolle gebracht haben, dann beginnen Sie zu zweifeln. Habe ich nicht recht?
Nicht etwa deshalb, weil Sie meine Fähigkeiten unterschätzen oder womöglich deshalb, weil Sie Ihre eigenen vorhandenen Talente in Frage stellen möchten. Nein, es liegt einzig und alleine daran, dass Sie mich nicht kennen und ganz ehrlich, ich würde mir wohl auch nicht sofort zu 100 Prozent vertrauen. Aber die Tatsache, dass ich etwas erlebt habe, was Sie noch vor sich haben – und ich weiß, wie Ihr Weg endet – lässt zumindest die Option offen, dass Sie mir zuhören. Was bereits einen äußerst großen Vorteil darstellt. Ganz ehrlich, als Spieler, können wir überhaupt keinen Menschen mehr so richtig vertrauen, immerhin wissen wir, zu was der Mensch fähig ist, wenn er von Geld, Hoffnung und Gier gesteuert wird. Wir müssen endlich damit beginnen, grundlegende Dinge prinzipiell in Frage zu stellen. Die Glücksspielsucht besitzt an Automaten nachweislich das mit Abstand höchste Suchterkrankungsrisiko, dennoch findet man Automaten an wirklich jeder beliebigen Ecke. Wie gut beschützt fühlen Sie sich von unseren Staatsorganen?
Bei der Aufforderung: „Nennen Sie mir fünf Orte, wo sich derzeit Automaten befinden“, würde man ohne zu zögern eine Antwort liefern. Bei der Aufforderung: „Nennen Sie mir fünf Orte, an denen sich Glücksspielsucht-Hilfen befinden“, würde man verzweifelt nach einer Antwort suchen. Es ist traurig, das sagen zu müssen, aber eigentlich sollte und muss es genau andersherum sein. Wenn ein Spieler erst nach Hilfe suchen muss, ist es im Grunde genommen bereits zu spät. Prävention muss allgegenwärtig vorhanden sein, damit Spieler, Angehörige und zukünftige Spieler bereits vor dem Beginn des Spielens wissen, was sie erwartet.
Gesetzt den Fall, dass morgen jeder Mensch an der Spielsucht erkrankt wäre, würden dennoch über 80 Prozent der Menschheit die Krankheit keineswegs als solche wahrnehmen, betrachten oder betiteln wollen. Die Spielsucht würde trotzdem als kleines Laster betitelt werden. Der Spieler schadet sich selbst am meisten, indem er seine Krankheit verheimlicht, nicht als solche wahrhaben möchte und obendrein behauptet, es sei kein Problem, mit dem Spielen aufzuhören.
Der Ausstieg ist schwer, er ist deshalb so schwierig, weil wir uns als Spieler alleine fühlen – doch bitte glauben Sie mir, wir sind nicht alleine, ganz im Gegenteil, wir würden durch eine Feststellung (gesetzt den Fall, dass jeder erkrankt wäre) nur bemerken, dass wir weitaus mehr erkrankte Personen sind, als wir bislang annahmen. Denn ganz ehrlich, wir Spieler sind verdammt viele und es betrifft jede Gesellschaftsschicht und niemand ist vor der Sucht tatsächlich immun. Wir Spieler verweilen untern den Menschen, unter all den „Nicht-Spielern“. Doch wer lässt Sie in dem Glauben leben, dass Sie und ich die Einzigen sind? Wer behauptet, es gäbe uns nur vereinzelt zu finden? – Es sind Politiker, die Glücksspielindustrie und der verlängerte politische Arm genannt „Medien“. Drei Institutionen, die oftmals miteinander verstrickt sind und dennoch immer den Anschein erwirken wollen, dass es untereinander keinerlei Kontakt gäbe. Lassen Sie sich nicht einreden, dass Sie ein Sonderfall wären oder meinetwegen schwächer seien, nur, weil Sie an einer Krankheit leiden, die von vielen angeblich belächelt wird. Denn die Auskunftsquelle sind keine geringeren, als unzählige politisch bedrängte Medien, die Glücksspiel-industrie und vereinzelte Politiker.
Ein Problem zu verstehen, bedeutet nicht zwangsläufig, dass man automatisch damit umgehen kann. Ein Alkoholiker, der mit seiner Sucht nicht umgehen kann, trinkt. Was wird ein pathologischer Spieler tun, wenn er nicht mit seinem Verlangen umgehen kann? Sich (s)eine Sucht einzugestehen, ist ein wichtiger Schritt, aber oftmals reicht die Einsicht nicht aus. Man muss sich mit seiner eigenen Psyche auseinandersetzen. Nur dadurch ist der Suchtausstieg meisterbar, immerhin befasst man sich bei der Analyse seiner Psyche automatisch mit dem eigenen Suchteinstieg, was nebenbei erwähnt die Gefahr eines möglichen Rückfalls minimiert.
Das Profil eines Spielers kann analysiert und somit zu 100 Prozent vorzeitig erstellt werden, allerdings sollte man nie vergessen, dass Profile falsch sein können und Statistiken nicht immer der Wahrheit entsprechen müssen. Deshalb ist der Suchtausstieg nur eines – eine einzige Entscheidung. Ob Sie vermuten, dass ein Scheitern möglich sei, liegt nur daran, dass Sie auf fehlgeleitete Statistiken zurückgreifen oder sich zu sehr auf negative Erfahrungsberichte stützen. Ob andere Spieler scheitern, während Sie persönlich den Ausstieg wagen, darf Sie auf keinen Fall negativ beeinflussen. Sie dürfen nicht zulassen, dass Statistiken und Halbwahrheiten über Ihr Leben bestimmen.
Als Spieler redete ich mir die Probleme klein und stellte mich groß dar, im Grunde war es genau andersherum. Als Antispieler kann ich Ihnen nur nahelegen, sich die Gegebenheiten zu Herzen zu nehmen und die Welt, in der Sie sich derzeit befinden, realistisch zu betrachten. Niemand muss beeindruckt oder getäuscht werden, Sie müssen akzeptieren, dass Sie als Spieler einen gewaltigen Fehler begangen haben und nun ist ein Schuldenschnitt bzw. ein Neustart erforderlich. Ohne Augenwischerei und ohne Ausreden oder Ausflüchte.
Ein Spieler gewinnt nur dann etwas am Automaten, sobald ein weiterer Spieler zuvor genügend Geld verspielt hat. Den Mythos, man würde Geld vom Aufsteller gewinnen, können Sie getrost vergessen. Spieler verlieren Geld und Spieler „gewinnen“ Geld durch weitere bzw. verlierende Spieler. Es war nie anders, doch Ihre derzeitige Wahrnehmung zwingt Sie, die bislang geglaubte Lüge glauben zu wollen. Denn nur deshalb wollen und können Sie weiterhin spielen. Ein Spieler möchte nicht wahrhaben, dass er im besten Fall das Geld eines anderen Spielers gewinnt, häufig jedoch nur einen Teil seines eigenen Geldes zurück „gewinnt“. Das ist eine Tatsache, die Sie dringend womöglich sogar zwingend akzeptieren und verstehen lernen müssen. Sie werden dadurch niemals ein Plus erwirken können, da der Betreiber den Automaten nicht mit Geld auffüllen muss, sondern häufig nur Geld wechselt. Das System ist somit immer auf Gewinn für den Betreiber konstruiert und alles was das System benötigt, sind Sie bzw. ein Spieler, der das System nicht hinterfragen möchte. Es ist verwirrend mitanzusehen, wie Automaten-Aufsteller den Spielautomaten aufsperren, die schwarze kleine Box (auch Hopper genannt) öffnen, Geldscheine entnehmen und zum Ausgleich 200-300 Euro in Münzenform auffüllen bzw. eintauschen. Ein Spieler kann direkt nebenan stehen und würde nicht im Traum daran denken, dass die Scheine zum Teil das 10-fache an Wert besitzen, als das, was in Form von Münzen aufgefüllt wurde. Der Aufsteller erfüllt Ihnen keine Gefälligkeit, wenn er für Sie den Automaten auffüllt. Ab diesen Zeitpunkt wird das System erneut Geld ansammeln. Geld für den Betreiber – nicht für den Spieler. Sie glauben, Sie würden als eingefleischter Spieler einen Vorteil am Automaten besitzen, aber es ist ein Trugbild. Man lässt Sie in dem Glauben leben, damit Sie sich in Ihrer fragwürdigen Wahrnehmung bestätigt fühlen. Mir erging es identisch, doch der Vorteil, den man als Spieler vergebens sucht, den gibt es nicht und je länger Sie vor der Wahrheit flüchten, desto länger dauert Ihr Leidensweg weiterhin an. Ich stehe hier nicht vor Gericht und ich muss im Grunde niemanden mehr etwas beweisen, Sie sollten bedenken, dass ich Ihnen nichts schönreden muss, Sie müssen wissen, ob Sie mir Glauben schenken möchten oder tatsächlich weiterhin behaupten wollen, Sie seien im Recht und würden immer am Automaten gewinnen.
Um eine Sucht überwinden zu können, müssen Sie selbst zur Sucht werden, Sie müssen damit verschmelzen, mit ihr eins sein. Sie müssen die Sucht mit Überzeugung akzeptieren, wissen, wie man eine Sucht mit Ausgeglichenheit und Vernunft zügeln kann. Sie werden erst dann zu einem Antispieler, wenn Sie Ihre Vergangenheit dazu verwenden, um Ihre Zukunft in Angriff nehmen zu können – und zwar Spielfrei. Der Antispieler lebt für Balance, doch wo ist das Gleichgewicht, wenn Spieler sämtliches Hab und Gut an einer Maschine verspielen? Wo ist das Gleichgewicht, wenn kein Gewinn entsteht, sondern Mittellosigkeit, Aussichtslosigkeit und Unzufriedenheit? Es dauerte Jahre, bis ich Therapiemethoden entwickeln konnte, die den Spieler mental genau dort abholen, wo er sich derzeit befindet. Doch erst ab den Zeitpunkt, wenn Sie die Zusammenhänge und Gegebenheiten objektiv erkennen möchten, sind Sie ein Antispieler. Sollten Sie mit Ihrem Vorhaben scheitern, dann nur deshalb, weil Sie von Anfang an daran zweifelten.
Vertrauen heißt Leben, doch mal unter uns – wann haben Sie das letzte Mal wirklich gelebt? Sie müssen mir nicht vertrauen, falls Sie auf das anspielen würden. Aber mal ehrlich, wenn Sie schon lange mit dem Leben abgeschlossen haben, dann vertrauen Sie weder mir, noch sich selbst. Mir persönlich können Sie nichts vormachen, ich weiß, dass Sie immer der Jene sein werden, den Sie in diesem Moment präsentieren und die Menschen fallen darauf rein, weil sie den Trick nicht kennen. Doch ich weiß, wie Sie sich fühlen und was Sie fühlen:
Ihr Leben gleicht dem eines einsamen Menschen, selbst dann, wenn Sie nicht alleine sind. Sie fühlen sich verlassen, zum Teil sogar verloren, aber fürchten sich davor, sich zu öffnen, weil Sie glauben, jede Enttäuschung bereits kennengelernt zu haben, nur deshalb wollen Sie sich weitere Enttäuschungen ersparen. Sie stoßen anderen vor den Kopf, bevor diese es bei Ihnen tun könnten. Sie wirken dadurch unsensibel und zum Teil wollen Sie sogar so wirken, doch es schmerzt, wenn Sie jemand öffentlich so darstellen würde. Sie würden lieber die Faust sprechen lassen, sobald Sie vermuten, dass das Gesagte nicht den gewünschten Effekt erzielt. Sie verwenden Schutz-mechanismen, um sich vor einer möglichen Gefahr zu schützen, anstatt ein Risiko einzugehen, was Sie wiederum nur am Automaten tun und gleichzeitig den Glauben vertreten, es sei das Gleiche.
Sie erzählen von Dingen, als hätten Sie sie erlebt, doch es sind Lügen, die Ihr Leben lebenswert wirken lassen sollen. In Wahrheit leben Sie in einer Seifenblase und das traurige daran, ist die Tatsache, dass Sie es wissen. Sie hätten gerne ein erfülltes Leben, doch bekommen mehr und mehr das Gefühl für andere „funktionieren“ zu müssen. Sie hegen Pläne, was Sie in den nächsten Jahren haben wollen, doch wissen instinktiv, dass Sie nur eine weitere Lüge glauben, die Sie selbst ins Leben gerufen haben. Ihre Balance besteht darin, dass Sie einen halben Tag spielen, und den restlichen Tag nur darüber nachdenken, was Sie falsch am Automaten gemacht hatten. Sie nehmen sich hin- und wieder vor, mit dem Spielen aufzuhören, denken aber gleichzeitig darüber nach, was Sie beim nächsten Mal am Automaten anders machen werden. Sie rechnen mit einem Profit, weil Sie immer noch darauf hoffen, dass sich alles wieder zum Guten drehen wird. Doch wenn Sie nachts alleine zuhause sitzen und über Ihr bisheriges Leben nachdenken, wirkt die Zukunft belastend und Sie fürchten sich davor. Ihre Welt wirkt zunehmend kleiner und dennoch versuchen Sie den Entzug der Freiheit durch das Spielen zu verhindern. Ihre Freiheit besteht aus zwanghaften Verhalten. Sie beneiden andere, wollen jedoch daran festhalten, dass Sie von Menschen für Ihre angeblichen Gewinne beneidet werden, solange Sie den gewinnenden Spieler präsentieren.
Die Nummer, dass man sich als Spieler unantastbar gibt oder die Illusion, dass man problemlos einen Entzug machen bzw. wagen würde, wenn es tatsächlich notwendig sei, funktioniert womöglich bei Menschen in Ihrem Umfeld, aber nicht bei mir. Ich kenne sämtliche Ausreden, jegliche Ausflüchte und ich weiß, wie man das Unausweichliche etwas hinauszögert, wie gesagt, ich bin wie Sie. Wir könnten über Tage so weitermachen, ich könnte intimere Details nennen, ich könnte Ihre Denkweise so lange in Frage stellen, bis wir beide nicht mehr wissen, woran man glauben könnte – doch darum geht es nicht. Es geht darum, dass wir Spieler wissen, was zu tun ist, aber wir müssen es zulassen. Sie müssen Ihre Schwächen nicht gut verpackt als Lügen tarnen oder totschweigen; ich habe Schwächen, Sie und jeder andere Mensch auch. Das macht uns zu Menschen und das soll kein Trost sein, aber jeder Mensch begeht täglich hunderte von Fehler – bei der Politik angefangen. Gestehen Sie sich Ihre Sucht ein, denn jegliches totschweigen, belastet Sie zusätzlich und unnötigerweise. Schlechte Zeiten machen uns aufmerksamer auf die guten, die wir einst erlebt haben. Aber können Sie zurückblicken und von wirklich guten Zeiten sprechen? Immerhin haben Sie lange Zeit das Leben an sich vorbeiziehen lassen, indem Sie am Automaten standen und Ihr angebliches Glück wagten. Die Frage ist, ob Sie weiterhin von Glück sprechen wollen, wenn Sie am Automaten stehen und noch mehr zerstören, als es bereits jetzt der Fall ist oder den Tatsachen in die Augen schauen und Klartext sprechen. Sie glauben als Spieler, dass Sie am Automaten spielen, aber bemerken leider nicht, wie ein gesamtes System mit Ihnen spielt.
Bereits vor dem Spielen steht fest, dass Sie verlieren werden, nur Ihre Gedanken halten daran fest, dass man gewinnen könnte.