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Feuer und Flamme für dieses Reich

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Feldlager des Imperators, am Tag des Festes der Kronen, im 243. Jahr des Imperiums

Sarmantha, Sarmantha!

Heute war Sarmanthas Tag. Wer ihre schmale Gestalt mit eigenen Augen sah, mußte zwangsläufig zu dieser Ansicht gelangen. Sarmantha leuchtete! Die Entbehrungen der vergangenen Monde, der ständige Mangel an Schlaf, die Not und der Kummer waren ihr zwar noch immer anzusehen, doch sie hatten die Macht über sie verloren. Sie drückten sie nicht länger nieder. Selbst die leichte Traurigkeit, die stets Sarmanthas Begleiterin war, schien nicht mehr ganz so gegenwärtig zu sein wie sonst.

Manchmal wünschte sich Eleta, eine Dichterin zu sein, und sei es nur, um einen Augenblick wie den gegenwärtigen festzuhalten. Denn morgen, in einem Jahr und solange die Zukunft reichte, würde dieser Tag ansonsten nur noch eines sein, nämlich der, an dem das fleischgewordene Unrecht seine Macht verloren hatte und der Kaiser, der beanspruchte, ein Gott zu sein, gestürzt worden war.

Wie aber würde, wie sollte eine Dichterin diesen Augenblick schildern? Etwa so: Sarmantha, die das Wort unseres Gottes verkündet, schreitet über das Schlachtfeld, doch unter ihren Füßen wird es zu einer Wiese. Es ist kein Feld des Todes mehr, sondern eines, auf dem bald lange Halme wogen werden, deren Frucht Hoffnung heißt. Sarmanthas langes braunes Haar flattert im Wind. Wie stets umgibt sie die Schar ihrer Schüler und Gefährten: Kelomachos, Caetulus, Andrimedea, die kleine Ruta und die große, Glauca, Urbald, Wutbranth und all die anderen, ein gutes Dutzend. Lachend eilen sie neben und hinter ihr her, als wäre sie ihrer aller Mutter. Das ist sie auch in mancherlei Sinn. Sie ist die Löwenmutter!

Eleta schüttelte den Kopf. Dieser Vergleich war ungünstig. Auch wenn Sarmantha mit ihren knapp vierzig Jahren fast doppelt so alt war wie die meisten, mit denen sie sich umgab, so wurde sie nicht gern an den Altersunterschied erinnert. Eigentlich war sie von ihrer ganzen Erscheinung her alles andere als das, was man sich gemeinhin unter mütterlich vorstellte. Sarmantha war schmal, dünn, ein wenig knochig, weder breit in den Hüften noch üppig. Dichterische Freiheit, dichterische Lüge! Genaugenommen schritten Sarmantha und ihr Anhang auch längst nicht mehr über das Schlachtfeld, sondern durch das Feldlager der geschlagenen Kaiserlichen, zwischen langen Reihen kleiner und großer Zelte hindurch und vorbei an siegestrunkenen Leomannen und ungezählten Gefangenen.

Eleta seufzte. Sie war eben keine Dichterin. Noch nicht. Doch wenn sich das Reich Gottes erst einmal über alle Länder erstreckte, dann fände sie vielleicht einen Lehrer, der ihr beibrächte, die richtigen Worte zu finden und Reime zu schmieden. So lange mußte sie sich eben einprägen, was sie sah, hörte und empfand.

»Träumst du, Eleta?« fragte Sarmantha und streckte die Hand nach ihr aus.

»Ja«, gab Eleta lachend zu und drängte sich an Kelomachos und Caetulus vorbei, um an ihre Seite zu gelangen. Sarmantha legte ihr den Arm um die Schultern und wischte ihr mit der freien Hand eine Strähne aus dem Gesicht. »Freust du dich auf heute abend? Es wird ein großes Siegesfest geben.«

»Die Schlacht ist noch nicht zu Ende.«

»Aber fast, Eleta, fast. Wer sich nicht ergeben hat, der flieht. Unsere Krieger verfolgen die Kaiserlichen noch eine Weile, damit sie nicht so bald stehen bleiben. Da geschieht jedoch nicht mehr viel. Sie werden bald zurück sein. Nun aber erzähl, wovon du geträumt hast. Hast du ein Auge auf jemanden geworfen?«

Eleta schüttelte den Kopf.

»Ehrlich? Du verheimlichst mir nichts?« erwiderte Sarmantha und blickte sie forschend an. »Gewiß gibt es genügend hübsche Burschen, die dich gern umwerben würden.« Sie deutete auf eine Gruppe von Kriegern, die rund um ein eingestürztes Zelt herum einen Kreis gebildet hatten und sich singend in einem Stampftanz wiegten. »Schau sie dir an. Sind sie nicht prächtige Löwensöhne?«

»Ja«, antwortete Eleta leise. »Aber die meisten sind es ein wenig zu sehr.«

»Was meinst du damit?« entgegnete Sarmantha ebenfalls mit gesenkter Stimme.

»Sie riechen alle wie Kater.«

Sarmantha lachte laut. »Wir haben den Fluß erobert. Bestimmt wird sein Wasser den einen oder anderen auf den Gedanken bringen, daß man mehr damit machen könnte, als sein Pferd darin zu tränken oder mit einem Schiff darauf zu fahren.«

»Ich hoffe es. Und du, Sarmantha, freust du dich auf das Fest?«

»Sehr, aber ich werde ihm lieber fernbleiben und Schlaf nachholen. Darauf freue ich mich noch mehr.«

»Sarmantha will nicht mit uns feiern«, empörte sich Eleta. Sogleich begannen sich alle laut zu beschweren.

»Kommt nicht in Frage!« erklärte Kelomachos.

»Schändlicher Verrat!« beteuerte Caetulus.

»Sie mag uns nicht mehr«, jammerte Andrimedea.

Samantha hob hilflos die Hände. »Genug, genug! Ich füge mich, doch lange werde ich nicht bleiben.«

»Wohin geht ihr?« rief Vergilia und kam schnellen Schritts herbei. Sie war eine oft etwas zu laute junge Frau, die sich vor ein paar Wochen dem Troß des Gottesheeres angeschlossen hatte. Damals hatte sie sich auf der Flucht befunden. Sie stammte aus einem Dörfchen im Königreich Pentarosae und war die einzige Überlebende einer Gemeinschaft von Aionarsgläubigen, die an die dortige Obrigkeit verraten und gemäß dem vorgeschriebenen Verfahren abgeschlachtet worden war.

»Komm mit! Wir wollen zum Zeltwagen des Imperators«, lud Sarmantha sie ein. Im Nu verschwand aller Frohsinn aus Vergilias Augen. Sie sah aus, als wollte sie sich am liebsten verkriechen.

«Du mußt keine Angst haben«, versicherte ihr Eleta. »Rigorius und seine gesamte verderbte Sippschaft sind tot. Sie werden nie wieder befehlen können, daß jemand gehängt, gevierteilt, entbeint und ausgeweidet ...«

»Scht!« zischte Sarmantha und legte ihr den Finger auf die Lippen. »Laß uns heute nicht von Grausamkeit und Leid reden. Es ist ein Freudentag.«

Vergilia folgte ihnen trotz ihrer Furcht. Einen Grund, diesen Entschluß zu bedauern, erhielt sie kurz darauf, als Sarmanthas Schar an einer Gruppe Gefangener vorbeikam. Bewacht von bärtigen Kriegern, kauerten sie in der prallen Sonne. Das einzige Kleidungsstück, das man ihnen belassen hatte, waren die eisernen und goldenen Maskenhelme. Mit den metallenen Köpfen auf den nackten Schultern wirkten sie wie menschenfressende Ungeheuer. Vergilia schrie auf, als sie die Gefangenen erblickte. Kelomachos nahm sie schützend in den Arm.

»Die Adelsgarde«, murmelte er und spuckte nach den Gefangenen. »Nichtstuer und Schinder. Allesamt Sprößlinge von Fürsten und Königen.«

Eleta nickte unwillkürlich. Das wußte jeder: Der einzige Sinn der Adelsgarde war es, verwöhnte Prinzchen zu erbarmungslosen Herrschern und gefügigen Handlangern ihres Gottkaisers zu erziehen. Wiederholt hatte sie gehört, daß die Adelsgardisten den Reiterkampf mit unbewaffneten Gefangenen und überführten Aionarsgläubigen einübten. Eleta war froh, als sie ihr aus den Augen waren.

Überall wurde geplündert. Lachende Leomannen trugen aus den Zelten Amphoren oder Dinge, mit denen sie nicht viel anzufangen wußten. Sie alberten mit Chitons, Rückenkratzern, Badschabern und langzinkigen Schmuckkämmen herum. Plötzlich scherte Sarmantha aus und hielt auf eine Gruppe Gefangener zu, schmutzige, blutverkrustete Jammergestalten, deren Hälse durch ein Seil miteinander verbunden waren und die ziemlich grob von ihren Bewachern vorwärtsgetrieben wurden.

»Etwas mehr Nachsicht«, verlangte sie. »Die da sind nicht unsere Feinde.«

Einer der Bewacher wandte sich zu ihr um. »Was willst du, dürres Weib? Selbstverständlich sind sie das.«

Eleta wunderte sich über das Geräusch, das gleichzeitig hinter, links und rechts von ihr ertönte. Aha, dachte sie. So hörte es sich also an, wenn fünfzehn Menschen gleichzeitig die Luft ausstießen!

Eleta blickte von Sarmantha, die nun aussah, als hätte sie einen Speer verschluckt, zu ihrem Gegenüber, einem bulligen Kerl. Er war mehr als einen Kopf größer als sie und, wie bei den Leomannen üblich, nur mit Hüftrock und Schärpe bekleidet.

»Wie heißt du?« fragte ihn Sarmantha.

Der Krieger stemmte lässig eine Hand in die Hüfte und antwortete: »Man nennt mich Hrodleip den Langen. Aber nicht, weil ich so groß bin.« Er grinste anzüglich.

Jeder, der ihn hören konnte, lachte dröhnend, selbst einige Gefangene, die sich hiervon vielleicht eine bessere Behandlung versprachen.

Als wieder Ruhe eingekehrt war, antwortete Sarmantha: »Ich heiße Sarmantha.«

Hrodleip hörte auf zu grinsen und sah sie mißtrauisch an: »Die Sarmantha?«

›Ich weiß nicht, wen du mit die meinst. Allemal bin ich eine Sarmantha, mit der du keinen Streit haben willst, Hrodleip.«

Eleta hörte Andrimedea leise kichern. Verständlich, dachte sie. Diesen Ausspruch hatte Sarmantha nicht zum erstenmal getan. Auch der kühne Löwenkrieger verwandelte sich vor ihr sogleich in ein schüchternes Kätzchen.

»Wie ich sagte, sind sie nicht unsere Feinde«, belehrte Sarmantha den Krieger. »Man hat sie gezwungen, gegen uns zu kämpfen. Sie wissen nicht einmal, warum. Wahrscheinlich haben ihnen die Adligen vorgelogen, du, Hrodleip, seist ein Menschenfresser, der in seiner Brunst nicht einmal seine Schwestern und Töchter verschont. So wie es ihr Imperator hält.«

Sie hob die Stimme, damit sie nicht nur von den Umstehenden gehört wurde: »Ich sage nicht, daß ihr die Gefangenen gleich in euer Herz schließen sollt. Doch vergeßt nicht, warum wir diesen Krieg führen. Wir führen ihn in Aionars Namen, um ihnen sein Wohlwollen zu bringen und ihre Unterdrücker wegzufegen. Sie sind unsere geblendeten Brüder und Schwestern. Lehrt sie zu sehen!«

Danach gab Sarmantha das Zeichen zum Weitergehen. Ein Krieger, der sie sprechen gehört hatte, schloß sich ihrem Haufen an und drängte sich vor, bis er neben ihr ging. Seine Kleidung war steif von getrocknetem Blut. Ihr Schnitt verriet, daß ihr Träger gestern noch zum Heer des Imperators gehört hatte. Offenbar war der Mann ein Angehöriger der übergelaufenen Leomannengarde.

»Man sagt, du habest Aionar gesehen«, hob er an. »Wie sieht er aus?«

Erneut hielt Sarmantha inne. Sie musterte den Krieger: »Wie die Gerechtigkeit.«

Der Mann starrte sie unschlüssig an, als wartete er auf mehr.

»Weißt du, wie die Gerechtigkeit aussieht?«

»Nun ...«, stammelte der Krieger verwirrt.

»Du weißt es nicht«, schnitt ihm Sarmantha das Wort ab. »Du weißt vielleicht, wie gerechte Verhältnisse aussehen, doch womöglich nicht einmal das. Sagen wir: Du weißt, wie ungerechte Verhältnisse aussehen, und hast Vorstellungen davon, was sich ändern müßte, damit es gerechter zuginge. Doch wenn du Aionar erblickst, so weißt du, wie die Gerechtigkeit selbst aussieht.«

Ihr Gegenüber wirkte nicht allzu glücklich. »Er soll zornig sein«, versuchte er es aufs neue.

Sarmantha lächelte: »Weißt du, wie es ist, wenn jemand zornig ist?«

»Natürlich«, seufzte der Krieger und erweckte den Anschein, als erwartete er eine weitere unverständliche Ausführung.

»Natürlich«, stimmte Sarmantha zu. »Wer wüßte das nicht? So wie jemand, der brüllt, daß dir die Ohren klingen. Man versteht kaum, was er sagt. Beim Schreien versprüht er Speichel. Sein Gesicht ist dunkelrot, vielleicht treten die Adern an Hals und Schläfe hervor. Er ballt die Fäuste und stampft womöglich auf. Da denkt man: Ich möchte nicht in den Schuhen dessen stecken, auf den er zornig ist. Manchmal auch: Hoffentlich wird er nie auf mich zornig sein! Und wenn der Ausbruch zu Ende ist, so dröhnen dir noch immer die Ohren, aber du bist froh, daß alles überstanden ist. Das kennst du doch?«

»Ja, das kenne ich«, entgegnete der Krieger erleichtert.

»Bei Aionar ist es aber ganz anders«, sagte Sarmantha geschwind. »Sein Zorn ist gewaltig, doch du denkst nie: Ich möchte nicht in den Schuhen dessen stecken, dem der Zorn gilt. Denn du weißt, daß jener Aionars Zorn verdient hat. Du kommst auch niemals auf den Gedanken: ›Hoffentlich ist er nie auf mich wütend‹, denn du weißt mit jeder Faser, daß dieser Zorn nicht das Geringste mit dir zu tun hat. Weißt du nun, wie er aussieht?«

»Meine Frage war dumm«, erwiderte der Krieger.

»Warum?«

Der Mann sah sie verdutzt an. Urplötzlich leuchteten seine Augen: »Weil man ihn nicht sieht! Ich will sagen: Es gibt keinen Unterschied; Aionar zu sehen und ihn zu erleben ist dasselbe! Man kann es nicht voneinander trennen.«

»Auf den Kopf gefallen bist du nicht«, lobte ihn Sarmantha. »Nun führe uns zum Dormon!«

Der Krieger gehorchte, schwieg aber auf dem weiteren Weg. Er war sichtlich damit beschäftigt, das, was er gehört hatte, zu verstehen. Am Ziel verabschiedete er sich wortkarg.

An der Stätte, wo die kaiserliche Familie erschlagen worden war, war erbittert gefochten worden. Zelte waren umgestürzt, allenthalben lagen Tote. Die Leomannengarde hatte teuer für den Kaisermord bezahlt. Gerade erst hatte man damit begonnen, die Leichen von Freund und Feind voneinander zu trennen.

»Haben sie sich im Blut gewälzt?« flüsterte Vergilia angesichts der überlebenden Gardisten, deren Gewänder ähnlich blutgetränkt waren wie das ihres Führers. Der Anblick war auffällig.

»Gut möglich«, gab jemand zurück.

»Das ist widerlich!« stieß Vergilia aus.

»Eher abergläubisch«, brummte Kelomachos. »Wahrscheinlich wollen sie sich vor dem bösen Geist des Imperators schützen. Sie denken, daß er sich nicht gegen sein eigenes Blut wenden wird. Also wälzen sie sich im Blut seiner Familie.«

»So groß ist die Familie gar nicht, daß es für alle gereicht haben könnte«, warf Andrimedea ein.

Kelomachos zuckte mit den Schultern. »Wahrscheinlich mußten ein paar Pferde oder Zugochsen einspringen.«

Im Mittelpunkt der Kampfesstätte stand das Dormon des Imperators. Es war das größte Gefährt, das Eleta je erblickt hatte, und maß rund sieben Schritt im Geviert. Sein wichtigster Bestandteil war eine hölzerne Plattform mit Rädern. Gegenwärtig waren sie nicht zu sehen, da sie hinter vergoldeten Blenden verborgen waren, solange der Zeltwagen stand. Auch die langen Deichseln für die rund vierzig Zugochsen waren abmontiert und unter dem Gefährt verstaut worden. Die Plattform war mit den Symbolen der drei Kaiserreiche bemalt, aus denen das Imperium bestand – dem Adler, den Stoßzähnen und den Rosen –, und mit Schnitzereien geschmückt. Ranken wandten sich an Stangen aufwärts, winzige Vögel und Äffchen saßen darauf. Ein zierliches Geländer aus Rosenholz führte um die Plattform herum. Es war an etlichen Stellen zertrümmert.

Auf der Plattform erhob sich ein scharlachrotes Zelt. Mit Edelsteinen geschmückte Stangen und goldene Kordeln machten die Frage nach seinem Bewohner überflüssig. Wachen standen davor. Sarmantha trat zu ihrem Anführer, den Eleta als Gultger kannte. Er kam sogleich zur Sache: »Wir haben nur zwei Kronen gefunden, Verkünderin. Die Krone des Nordens fehlt.«

»Vielleicht hat sie jemand gestohlen?«

»Ich glaube nicht. Wir fanden kein Behältnis, in dem sie aufbewahrt worden sein könnte.«

Sarmantha nickte. »Veranlasse, daß die Lakaien befragt werden.« Sie deutete auf das Zelt: »Wer ist dort drin?«

»Alle«, antwortete Gultger.

»Ich will sie sehen. Eleta, Kelomachos, ihr kommt mit! Vergilia, willst du die Schuldigen am Tod deiner Eltern, Geschwister und Freunde sehen?«

Die junge Frau biß die Zähne zusammen.

»Keine Angst«, raunte Eleta und nahm sie an der Hand. Gultger ging voran.

Das Licht, das durch die Zeltwand drang, färbte alles im Innern rot. Dadurch sahen die rund fünfzig Leichen der Herrscherfamilie nicht ganz so blaß aus. So, wie sie gefunden worden waren, hatte man sie hereingetragen und aufeinandergeworfen. Vergilia gab bei dem Anblick einen erstickten Laut von sich und sagte erschüttert: »Ich wünschte ihren Tod aus ganzem Herzen, aber jetzt ...«

»Sie tun dir leid«, antwortete Sarmantha, die die Toten einzeln besah. »Das ist menschlich, Vergilia. Vor allem, wenn sie jung und hübsch sind, erscheint ihr Los ungerecht. Man vergißt darüber leicht, wieviel schmutzige, nicht halb so hübsche Kinder verhungern mußten, damit der Imperator und seine Sippschaft im Überfluß schwelgen konnten.«

Sie deutete auf ein junges Mädchen, dessen weit geöffnete grüne Augen ins Leere starrten. Auch im Tod sah sie noch schön aus; ihr durchstochener Leib änderte daran nichts.

»Schau sie dir an«, forderte Sarmantha Vergilia auf. »Die Tochter und Gespielin des Imperators. Sie war lebenslustig und liebte es, jungen Männern den Kopf zu verdrehen.«

Sarmantha schwieg einige Augenblicke. Wer sie kannte, wußte, daß sie noch nicht alles gesagt hatte.

»Was ist daran schlimm?« fragte Eleta schließlich.

»Der Imperator mochte es nicht«, sprach Sarmantha weiter. »Er ließ die jungen Männer umbringen. Das hübsche Kindchen wußte das, aber es war ihm einerlei.« Sie wandte sich an Gultger: »Sie sollen gesäubert und in einfache Gewänder gekleidet werden ... Was wir unter einfach verstehen. Dann werden sie ausgestellt. Jeder soll sehen, daß sie tot sind. Unsere Krieger, aber auch die Gefangenen. Wachen sollen dafür sorgen, daß sich niemand an ihnen vergreift. Spucken ist erlaubt. Zur Linken und Rechten bahrt ihr Tote von uns und den Kaiserlichen auf. Einfache Soldaten nur. Niemand soll vergessen, wer ihretwegen sterben mußte.«

Das Geheimnis der Gezeitenwelt

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