Читать книгу November-Blues auf Wangerooge - Malte Goosmann - Страница 10

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Kommissar Erhardt war schon am Morgen nach Wilhelmshaven gefahren. Zum einen wegen des bevorstehenden Wochenendes, aber auch um einige Aufträge, die nur auf dem Festland zu erledigen waren, abzuarbeiten. Heike Wohlers und Lars Petersen saßen indessen vor ihren PCs und erledigten Routinearbeiten. Sehnsüchtig warteten sie auf die Konto- und die Verbindungsdaten von Enzo Poppinga. Heike Wohlers drehte sich zu Petersen. Irgendwie hatte sie etwas auf dem Herzen. Petersen spürte es. „Na, nun mal raus mit der Sprache, was bewegt dich?“

„Mir ist das unangenehm“, druckste sie um den heißen Brei herum, „mein Freund kommt am Wochenende von seinem Auslandseinsatz mit der Fregatte „Hessen“ zurück nach Wilhelmshaven. Ich wäre gerne dabei, wenn das Schiff einläuft.“

Petersen schmunzelte. „Nur auf der Pier stehen und mit einem Taschentuch winken, wird nicht reichen. Da müssen schon zwei Nächte am Wochenende her.“

Wohlers errötete. Petersen hatte ihre Gedanken erraten. Er war eben ein guter Ermittler.

„Kein Problem, fahr‘ hin und hab‘ Spaß“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Eigentlich wollte er noch eine frivole Anspielung raushauen, aber er biss sich noch rechtzeitig auf die Lippe. Heike verstand auf diesem Gebiet scheinbar keinen Spaß.

„Ich mach‘ auch heute Nacht Bereitschaft für dich, ist das okay?“

Petersen nickte. „Lad‘ doch mal deinen Freund auf die Insel ein, dann könntet ihr mehr Zeit miteinander verbringen. Er wird doch wohl jetzt erstmal Urlaub haben nach so langer Zeit auf See, oder?“

„Mal sehen, ich werde das mal mit ihm besprechen.“

Danach bat Petersen sie, in Oldenburg anzurufen, um dort die Kollegen zu bitten, etwas über die Hausverwaltungsagentur rauszubekommen. Merkwürdig, dass er das nicht selbst macht, dachte sie sich und ließ sich dann aber mit der Polizeiinspektion in Oldenburg verbinden.


Heike Wohlers schreckte auf. Ihr Diensthandy röhrte vor sich hin, 1:15 Uhr. Verschlafen meldete sie sich.

„Wohlers, Polizeiposten Wangerooge.“

„Tut mir leid, Frau Kollegin“, meldete sich der wachhabende Beamte aus der Leitstelle, „wir haben eine Meldung bekommen über eine Ruhestörung im Bereich Christian-Janssen-Straße. Gleich hinter den Bahngleisen, sollen Streitereien mit lautem Gegröle zu hören sein.“

„Okay, ich kümmere mich drum, Herr Kollege, noch gute Nachtwache.“

„Ebenfalls.“

Leise vor sich hin schimpfend, zog sie ihre Uniform an. Solche Einsätze, die auf zu hohen Alkoholkonsum zurückzuführen waren, gingen ihr ziemlich auf den Keks. Im Laufschritt näherte sie sich dem Bahnübergang und schon hörte sie eine laut grölende Männerstimme. „Du hast mich tausendmal belogen“, konnte sie erkennen, obwohl der Mann in seinem Sausebrand die Töne nicht mehr traf, klang es ein wenig nach dem Schlager von Andrea Berg. Er verstummte, als er die Beamtin sah, wirkte aber verwirrt und orientierungslos.

„Moin, was machen Sie denn hier für einen Krach, ich denke es ist besser, wenn Sie jetzt nach Hause gehen“, sprach Heike Wohlers den Ruhestörer in betont ruhigem Ton an.

„Meine Frau hat mich betrogen“, lallte er und hatte Mühe, die Balance zu halten.

„Das können Sie morgen in Ruhe mit Ihrer Frau besprechen, aber jetzt bringt das hier nichts. Wo wohnen Sie denn? Hier im Dorfgroden?“

Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Mit dem Ruf „Scheißweiber“ stürzte er sich auf Wohlers, die sichtlich überrascht, diesen Angriff nicht erwartet hatte. Der Angreifer packte sie und versuchte, sie in den Schwitzkasten zu nehmen. Heike Wohlers setzte zu einer Beinschere an, was ihr aber misslang, wodurch sie zu Boden fiel. Sie nutzte die kurze Atempause, um blitzschnell ihr Pfefferspray aus dem Gürtel zu ziehen und die Sprühtaste zu drücken. Leider hatte sie in der Aufregung die Windverhältnisse nicht bedacht, denn das Tränengas reizte jetzt ihre Augen, statt die des Angreifers. Mit lautem Gebrüll stützte sich dieser auf Wohlers und versuchte sie zu würgen. Als das Knie der Beamtin plötzlich voller Wucht in seinen Bauch gerammt wurde, steigerte der Schmerz seine Wut umso mehr. Wieder versuchte er den Hals der Polizistin zu erreichen. In diesem Moment fiel ein Schuss. Eine laute, durchdringende Stimme ertönte: „Sofort aufhören, Polizei, heben Sie die Hände hoch. Falls Sie dieser Aufforderung nicht Folge leisten, werde ich auf Sie schießen!“ Völlig entgeistert und mit verwirrter Miene ließ der betrunkene Angreifer von Heike Wohlers ab. Ohne Widerstand ließ er sich Handschellen anlegen.

„Wo kommst du denn her?“ fragte Wohlers leicht hustend, die erst jetzt Lars Petersen erkannt hatte.

„Ein Anwohner hat nochmal die 110 gewählt, da bin ich sofort hierhergelaufen.“ Petersen japste nach Luft

Der Betrunkene wirkte wie ausgewechselt. Lammfromm stand er da mit seinen Handschellen und stammelte: „Mein Gott, das habe ich doch nicht gewollt.“

„Jetzt ist es zu spät. Sie bekommen eine dicke Anzeige von uns, Körperverletzung, Widerstand gegen eine Polizeibeamtin.“

Heike Wohlers klopfte sich den Dreck von ihrer Uniform und rieb sich die brennenden Augen. „Was machen wir denn nun mit dem?“

Petersen überlegte kurz. Einen Angetrunkenen in der Zelle, darauf hatte er nun überhaupt keinen Bock. Der musste dann stündlich kontrolliert werden, ob er nicht möglicherweise an seinem Erbrochenen ersticken könnte. „Wo wohnst du?“, fragte Petersen, der nun zum Du übergangen war. Vielleicht entspannte das die Situation.

„Richthofenstraße“, kam es zurück.

„Okay, ich bring‘ dich jetzt nach Hause, du schläfst deinen Rausch aus und morgen kommst du zur Wache. Wenn nicht, laden wir dich vor!“

„Ich komme mit“, meldete sich Wohlers und kam einen Schritt näher ran.

„Nein, du gehst jetzt nach Hause, spülst deine Augen mit Wasser aus und morgen machen wir ein Protokoll, das ist eine dienstliche Anweisung.“

Ohne zu widersprechen, trat Heike Wohlers den Heimweg an. Dass Petersen ihr helfen musste, passte ihr nicht. Auf der anderen Seite war sie dankbar für die Befreiung aus ihrer Zwangslage.

Petersen trottete inzwischen mit seinem „Gefangenen“ in Richtung Richthofenstraße. Vor der Haustür nahm er ihm die Handschellen ab und notierte noch die Personalien. Er wartete noch kurz vor der Haustür, um sich zu vergewissern, dass der Randalierer nicht noch einmal auf die Straße zurückkam. Auf dem Rückweg überlegte er kurz. Wenn er Licht in diesen Vorfall bringen wollte, gab es für ihn nur ein Ziel, das „Störtebeker“.

Die grüne Jever-Reklame war schon ausgeschaltet, aber die grün-roten Positionslaternen brannten noch, ein sicheres Zeichen dafür, dass der Magister noch keinen Feierabend gemacht hatte. Als er die Kneipe betrat, raunzte ihn der Magister sofort an. „Wir haben schon auf dich gewartet, war doch klar, dass du hier ermitteln willst.“

Unaufgefordert zapfte er ihm ein kleines Bier. An der Theke saßen zwei Männer, die, so glaubte Petersen, Kellner in einem Wangerooger Hotel waren. An der rechten Seite spielte Mandy am Spielautomaten. Mandy war ihm wohlbekannt. Das Zimmermädchen aus Greifswald war auf der Insel von ihrem Ex-Freund verfolgt, gestalkt und auch körperlich angegriffen worden. Petersen und seine damalige Anwärterin Rieke hatten sie von ihrem Peiniger befreit. Ihr polnischer Freund Andrzej war in einem Mordfall ein wichtiger Zeuge gewesen und lebte mittlerweile auf der britischen Insel. Alle Versuche, Mandy nachkommen zu lassen, waren bisher gescheitert. Die Erfolgsaussichten auf eine erfolgreiche Einreise gingen wegen des vollzogenen Brexits gegen Null. Petersen nahm einen Schluck aus seinem Bierglas. „Was war denn nun los? Wenn du auf mich gewartet hast, dann gibt es doch etwas zu erzählen, oder?“

Der schwarzhaarige Kellner, der noch seine Kellner-Uniform anhatte, lachte.

„Gerd….“

„Keine Namen“, unterbrach ihn der Magister, „in der Kneipe gibt es keine Nachnamen.“

„Okay, die zwei haben sich gestritten. Der Thekennachbar von diesem Gerd hat behauptet, dass Gerds Ehefrau mit Enzo gehühnert habe. Der Tod von Enzo ist ja nun mal Tagesgespräch auf der Insel.“

Den Begriff „hühnern“ hatte Petersen zum ersten Mal hier auf der Insel gehört, eine inseltypische Umschreibung für Geschlechtsverkehr.

„Der hat nicht aufgehört, den Gerd zu provozieren, da habe ich beide rausgeschmissen“, schaltete sich der Magister jetzt ein.

„Dass die auf der Straße Rabatz machen, hab‘ ich mir fast schon gedacht.“

„Warum hast du nicht angerufen?“

„Hallo, bin ich hier die ‚Bullerei‘? Vor der Kneipe haben die auch nichts gemacht. Die sind dann in Richtung Bahnhof abgehauen.“

„Hmm“, seufzte Petersen, „hatte die Frau denn nun was mit Enzo?“

„Hallo, was soll das hier werden, betreutes Ermitteln? Woher sollen wir das denn wissen, wir waren nicht dabei. An eine Gangbang-Party mit Gerds Frau kann ich mich nicht erinnern.“ Dröhnendes Gelächter vom Magister, der über seine eigenen Sprüche wie immer am lautesten lachen konnte.

Mandy rutschte von ihrem Barhocker, der vor dem Automaten stand, herunter und bat um die Rechnung. „Moin Sheriff“, sprach sie Petersen an, „ich glaub‘ nicht, dass der Italiener was mit der Frau hatte. Enzo strebte nach was Höherem. Uns Zimmermädchen oder Kellnerinnen hat er immer links liegen gelassen. Aber wenn eine kam, die nach Kohle aussah, dann wurde er aktiv, auch für andere Männer.“

„Hör auf zu labern, Mandy“, grätschte der Magister dazwischen, „das soll unser Insel-Maigret schon selber rauskriegen.“

Mandy, die nicht mal wusste, wer Maigret war, verstummte zum Leidwesen von Petersen. Nachdem sie gezahlt hatte, verließ sie die Kneipe. Vielleicht war Mandy eine Option, um mehr über das Liebesleben von Enzo Poppinga rauszubekommen. Ihre Bemerkung hatte ihn hellhörig gemacht, auch für Männer? Was sollte das bedeuten? Dass dieser Mord auf der Insel zu Verwerfungen führen würde, wurde Petersen immer klarer. Langsam spürte auch er die Müdigkeit in sich hochkriechen. Er verzichtete auf ein zweites Bier und trat den Heimweg an.

November-Blues auf Wangerooge

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