Читать книгу November-Blues auf Wangerooge - Malte Goosmann - Страница 4

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Heike Wohlers schloss die Wohnungstür ihres kleinen Zweizimmerappartements ab. Sie war froh, dass sie diese kleine Wohnung auf dem Gelände des Bundeswehrsozialwerks bekommen hatte. Normalerweise hätte sie sonst eine der möblierten Dienstwohnungen in der Wangerooger Polizeistation beziehen müssen. Ihr neuer Freund, der erster Wachoffizier auf der Fregatte „Hessen“ war, hatte ihr diese Wohnung besorgt. Der leichte Nieselregen erzeugte ein sehr ungemütliches Gefühl. Sie hasste dieses nasskalte Wetter. Ihre blonden Haare, die sie hinten zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte, waren schon ganz feucht. Das morgendliche Styling war für die Katz gewesen. Sie fluchte leise vor sich hin, als sie in die Friedrich-August-Straße einbog. Überhaupt war sie heute Morgen schon mit einem beklemmenden Gefühl aufgestanden. Ihr neuer Kollege Petersen sollte heute aus dem Urlaub zurückkommen und sie wusste nicht, wie sich ihr kollegiales Verhältnis gestalten würde. Insgeheim verfluchte sie sich schon dafür, dass sie sich auf die freie Stelle im Polizeiposten Wangerooge beworben hatte. Der langjährige Inhaber dieser Stelle, Onno Siebelts, war vor vierzehn Tagen in den Ruhestand gegangen. Es hatte deswegen eine große Feier mit viel örtlicher und überregionaler Prominenz im „Hotel Hanken“ gegeben. Auf dieser Feier hatte sie sich als Störenfried gefühlt. Kaum jemand hatte mit ihr gesprochen und ausgerechnet am nächsten Tag war ihr neuer Kollege Petersen in den Urlaub gegangen. Die Einweisung in die dienstlichen Gegebenheiten auf der Insel wurde freundlicherweise noch vom pensionierten Kollegen Siebelts durchgeführt, was ja durchaus nicht selbstverständlich war. In einem längeren Gespräch hatte Siebelts ihr die Ursache für die Verstimmung Petersens geschildert und danach konnte sie den Kollegen auch irgendwie verstehen. Die ganze Sache beruhte auf einer Kette von Missverständnissen und Irrtümern.

Nach der Trennung von ihrem Mann im beschaulichen Wildeshausen, einer Kleinstadt in der Nähe von Bremen, brauchte sie dringend eine Luftveränderung. Die Trennung war recht schmutzig verlaufen. Im laufenden Scheidungsverfahren stritt man sich um die Aufteilung der gemeinsamen Finanzen. Ihr Mann versuchte, mit den besten Anwälten alle Formen von Unterhalts- und Ausgleichszahlungen zu verhindern. Gott sei Dank war ihre Ehe kinderlos geblieben. Ein Streit um das Sorgerecht von Kindern hätte sie nur schwer ertragen können. Dann hatte sie im Amtsblatt von einer freien Stelle auf der Nordseeinsel Wangerooge gelesen. Gleichzeitig hatte sie bei einem Besuch auf dem Bremer Freimarkt den Marineoffizier Stefan Lüders kennengelernt, der in Wilhelmshaven stationiert war. Bevor dieser mit der Fregatte „Hessen“ zu einem Auslandseinsatz ans Horn von Afrika ausgelaufen war, hatte er ihr die Wohnung beim Bundeswehrsozialwerk auf Wangerooge besorgt. Das Bewerbungsverfahren für die freie Stelle auf Wangerooge war ein Desaster gewesen. Dass es bei dieser Stelle um die Leitung des Polizeipostens auf der Insel gegangen war, hatte sie anfänglich gar nicht begriffen. Erst später erfuhr sie, dass diese Stelle für den auf der Insel schon länger tätigen Hauptkommissar Lars Petersen vorgesehen war. Ohne ihr Wissen versuchte die Frauenbeauftragte beim Personalrat der Polizei, die Besetzung des Postens durch Petersen zu verhindern. Bei gleicher Qualifikation sei eine Frau zu bevorzugen, so die Argumentation. Aus dieser Sache entwickelte sich ein heftiger Streit zwischen dem Leiter der Polizeiinspektion Wilhelmshaven/Friesland sowie dem Polizeipräsidium Oldenburg auf der einen Seite und der Frauenbeauftragten des Personalrates auf der anderen Seite. Die Vorgesetzten von Petersen wiesen in längeren Schreiben auf Petersens erfolgreiche Ermittlungsarbeit hin. Auch ein Empfehlungsschreiben der Bundespolizei wurde angeführt. Als die Frauenbeauftragte nun Petersens Disziplinarverfahren in Bremen ins Feld führte, war für Heike Wohlers der Zeitpunkt gekommen, ihre Bewerbung zurückzuziehen. Nach einem längeren Einigungsverfahren wurde dann ein Kompromiss gefunden. Petersen wurde zum Leiter des Polizeipostens Wangerooge ernannt und Heike Wohlers bekam die zweite Planstelle, die sowieso angedacht war. Trotzdem war die Situation außerordentlich schwierig. Petersen fühlte sich gekränkt und hatte in seiner Verärgerung direkt nach der Verabschiedung von Onno Siebelts Urlaub eingereicht, der nun beendet war. Wie würden sie sich heute begegnen? Je näher Wohlers der Wache in der Charlottenstraße kam, desto stärker zog sich ihr Magen zusammen.


Lars Petersen saß im Dienstzimmer des Polizeipostens Wangerooge und starrte missmutig aus dem Fenster. Nieselregen, leichter Nebel, das waren die Zutaten, die er zu seiner Stimmung brauchte. Das ganze Besetzungsverfahren um die Stellenbesetzung war ihm gehörig gegen den Strich gegangen und er war kurz davor gewesen, alles hinzuschmeißen, und die Insel zu verlassen. Um alles zu überdenken, war er kurzfristig in den Urlaub nach Bremen gefahren. Dort war er mit seinem alten Musikerkollegen Merti zwei Tage um die Häuser gezogen. Am dritten Tag, als er halbwegs wieder nüchtern war, hatte er sich mit seinem Kumpel Jens Siebert vom OK (Sachgebietsleiter Organisierte Kriminalität) im Ristorante „Da Rocco“ getroffen. Siebert, ein Freund der direkten Ansprache, war ihn hart angegangen. Sein Selbstmitleid würde ihn ankotzen. Bestimmte Verfahrensregeln bei Besetzung von öffentlich ausgeschrieben Stellen gehörten nun mal zum Öffentlichen Dienst dazu. Das Gejammere über die Frauenbeauftragte sei daneben, die würden auch nur ihren Job machen. Es hätte keinen Sinn, gegen den Zeitgeist anzugehen. Schließlich hätten sich seine Vorgesetzten für ihn eingesetzt, was ja nun nicht selbstverständlich gewesen sei. Siebert hatte ihn dann beim dritten Grappa aufgefordert, mit der Situation professionell umzugehen. Und nun saß er an seinem Schreibtisch und sinnierte darüber, was „professionell“ zu bedeuteten hatte. Als ersten Schritt entschloss er sich, für seine neue Kollegin und sich, Kaffee zu kochen. Schmerzhaft erinnerte er sich an die alten Zeiten, als er mit Mona, seiner damaligen Auszubildenden, und Onno gemütlich zur morgigen Lagebesprechung zusammengekommen war, dem legendären Stuhlkreis. Aber was hatte Hauptkommissar Jens Siebert aus Bremen ihm mit auf den Weg gegeben: „Das Gejammer bringt dir nichts“.

Jetzt hörte er ein Klacken an der Außentür. Ihm wurde etwas flau in der Magengegend. Zwar hatte er Heike Wohlers auf dem Empfang für Onno Siebelts flüchtig gesehen, es aber vermieden, mit ihr zu sprechen. Mit einem halblauten „Moin“ betrat sie das Dienstzimmer. Petersen riss sich zusammen.

„Moin, immer reinspaziert in die gute Stube“, so begrüßte er die neue Kollegin, ein etwas platter Versuch, um die angespannte Stimmung aufzulockern. Er ärgerte sich über seinen blöden Spruch, konnte ihn aber nicht mehr ungeschehen machen. Heike Wohlers war größer, als er sie in Erinnerung hatte. Freundliches Gesicht, das aber eine gewisse Anspannung verriet, durchtrainierte Figur, er schätzte sie auf Ende Dreißig. Auch sie schien ihn zu mustern, denn es entstand eine kurze Pause. Petersen durchbrach die etwas peinliche Stille und reichte ihr seine Hand. „Ich bin Lars, ich denke wir sollten uns als Kollegen duzen.“

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Das hatte sie nicht erwartet.

„Ich bin Heike, auf gute Zusammenarbeit.“

Petersen deutete auf den gedeckten Tisch. „Wir haben auf dem Revier ein allmorgendliches Ritual, unsere Morgenrunde. Ich denke wir sollten das beibehalten. So können wir Abläufe und nächtliche Vorkommnisse gemeinsam besprechen.“

Heike Wohlers nickte und setzte sich. Sie war jetzt über den recht freundlichen Empfang doch etwas verwirrt. Hatte sie sich ein falsches Bild von Petersen gemacht?

Nach kurzer Kaffeepause fragte Petersen sie nach den Ereignissen der letzten Woche.

„Es war eigentlich recht ruhig hier. Onno hat mir die Insel gezeigt und dienstliche Abläufe mit mir besprochen. Ach ja, da war denn doch noch etwas. Im Kinderspielraum der Kurverwaltung wurden die Wände beschmiert. Es wurden Mädchen- und Jungennamen an die Wand geschrieben sowie männliche Geschlechtsteile an die Wände gemalt. Ich hab‘ das fotografiert, wenn du das sehen willst?“

Petersen schüttelte den Kopf. „Pubertärer Kleinkram, waren denn Schulklassen in Vorraum der Kurverwaltung?“

Heike zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, und wenn, sind sie ja schon weg.“

„Stimmt, anhand der Namen hätten wir aber die Schulklasse rausfinden können, Heime abtelefonieren, mit den Lehrern sprechen. Okay, ist jetzt aber zu spät.“

Heike Wohlers hatte verstanden. Petersen hatte ihr eine erste Lektion erteilt. Sie war gespannt, wie viele noch folgen würden.

November-Blues auf Wangerooge

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