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Der Wind peitschte den Regen durch die Straßen der Insel. Der Deutsche Wetterdienst hatte für den Abend eine Unwetterwarnung für die deutsche Nordseeküste rausgegeben. Es wurden Windstärken bis zu 10 Beaufort und in Böen bis 12 Bft vorhergesagt. Die Herbstferien der letzten Bundesländer waren Geschichte und die Insel war sich selbst überlassen. Nur wenige Lichter brannten in der Zedeliusstraße. Die meisten Lokale waren geschlossen. Viele der Betreiber waren in Regionen geflüchtet, in denen annehmbarere Temperaturen herrschten. Kanaren, Karibik und auch Thailand wurden von den Insulanern bevorzugt. Einige sprachen davon, dass die Insel jetzt 15 cm höher über dem Meeresspiegel liegen würde, da kaum noch jemand da war. Der große Anteil der Ferienwohnungen sorgte dafür, dass Wangerooge einer Geisterstadt glich. „Rollo-Town“ nannte es ein Alt-Insulaner, der damit auf die ständig runtergelassenen Rollos anspielte. Dahinter verbarg sich allerdings eine ernste Problematik, denn die steigende Anzahl der Ferienwohnungen führte für die auf der Insel lebenden und arbeitenden Menschen zu nicht mehr bezahlbarem Wohnraum.

Da der Wind auf Nordwest drehte, entschloss sich der Gemeindebrandmeister in Absprache mit den Verantwortlichen der Inselbahn, die Deichscharte auf der Insel zu schließen. Die Wettervorhersage ließ befürchten, dass die Insel wieder einmal große Sandverluste an den Stränden werde hinnehmen müssen. Der Bürgermeister blickte bei seinem Rundgang sorgenvoll auf die Nordsee. Größere Sandverluste würden wieder ein großes Loch in den Gemeindehaushalt reißen. Der Regen hatte sich verstärkt und spülte nun noch zusätzlich Sand auf die Promenade. Die unangenehm nasse Kälte kroch dem Bürgermeister langsam unter die Jacke. Fröstelnd suchte er jetzt schnell das Weite, so dass kein Mensch mehr zu sehen war. Die Insel versank im November-Blues.

Für einen Menschen auf der Insel war dieser November immer ein Höhepunkt im Jahr. Enzo Poppinga konnte jetzt völlig frei über die drei Appartementhäuser verfügen, deren Hausverwalter er war. Er selbst nannte sich „Facility Manager“. Die Männer in den Kneipen allerdings bezeichneten ihn schlicht als Hausmeister, was er natürlich nicht gerne hörte. Schnellen Schrittes ging er die Peterstraße entlang in Richtung „seiner“ Appartementanlagen. In der rechten Hand trug er einen blauen Wäschesack, was an sich sehr ungewöhnlich war, denn um diese Jahreszeit gab es keine Gäste in dieser Anlage.

Enzo Poppinga war ein Unikum auf der Insel. Sein Name verriet schon etwas über seine Herkunft. Enzos Mutter stammte aus Lecce in Apulien, Süditalien. Der Vater war Ostfriese und kam aus Esens in Ostfriesland. Die Mutter hatte als junge Frau ihren Bruder besucht, der in Esens eine Pizzeria betrieb, um dort in der Hochsaison auszuhelfen. Assunta del Gottardo, so hieß das junge Mädchen, war bildhübsch und versetzte die jungen Männer in Esens in Aufruhr. Viele, die sonst noch nie ein italienisches Restaurant betreten hatten, kamen nur ihretwegen. Kurzzeitig schnellte der Pizzaabsatz im „Ristorante Puglia“ kometenhaft in die Höhe. Alle wollten von ihr bedient werden. Sie, die viele an die junge Gina Lollobrigida erinnerte, war die Attraktion des Lokals. Ein freundliches Lächeln bekam jeder von ihr, aber mehr ließ sie nicht zu. Streng katholisch erzogen, wartete sie auf den Einen, ihren Märchenprinzen. Am ehesten kam diesem Idealbild Tammo Poppinga nah, ein großer kräftiger blonder Mann, der in Esens als Elektroinstallateur arbeitete. Fast ein ganzes Jahr hatte er um Assunta geworben, bis sie ihn erhörte. Schweren Herzens verließ sie ihre Heimat Apulien, um Tammo Poppinga zu heiraten. Neun Monate später brachte Assunta einen Sohn zur Welt. Sie bestand auf einem italienischen Vornamen für ihren Sohn, da sie ohnehin nur widerwillig den Namen Poppinga angenommen hatte, so kam es zu der etwas außergewöhnlichen Namensgebung.

Enzo Poppinga hatte sein Ziel erreicht. Langsam schloss er die Eingangstür des rot geklinkerten Appartementhauses auf. Es war mit seinen zwölf Wohnungen das größte der drei Häuser, die er verwaltete. Der Fahrstuhl brachte ihn in die oberste Wohnung, die ein großzügiges Penthouse-Appartement war. Nachdem er die Vorhänge der großen Panoramafenster beiseitegeschoben hatte, bezog er das riesige Bett mit seiner mitgebrachten Satinbettwäsche. Die Penthouse-Wohnung war der Star unter den zu vermietenden Appartements. Geschmackvoll eingerichtet, mit einem kleinen Whirlpool im Bad und der fantastischen Aussicht auf die Nordsee, versetzte dieses Appartement jeden Besucher, vor allem aber jede Besucherin, in eine euphorische Stimmung und genau das war es, was Enzo Poppinga beabsichtigte. Alles war für ein Schäferstündchen angerichtet. Im Kühlschrank stand eine teure Flasche Champagner und von Blumen-Wünsche hatte er Rosenblätter besorgt, die er stilvoll auf der Satinbettwäsche drapiert hatte. Zum Aufwärmen lag eine CD von Eros Ramazotti bereit und für den Hauptgang hatte er den Bolero von Ravel vorgesehen. Bei den Klängen von Ramazotti ging er in der Regel mit seiner weiblichen Begleitung an das Panoramafenster, betrachtete die Lichter der vorbeiziehenden Schiffe und zelebrierte dann seine Geschichten von Fernweh und Herzschmerz. Spätestens nach diesem Ritual war kein Halten mehr und der Abend entwickelte sich genau in die Richtung, die Enzo beabsichtigt hatte. Heute Abend erwartete er die Ehefrau eines Wangerooger Gastronomen.

Enzo Poppinga war ein bildhübscher Mann, um die Dreißig. Groß gewachsen, die muskuläre Figur hatte er von seinem Vater, das südländische Gesicht ohne Zweifel von seiner Mutter. Die pechschwarzen Haare waren modisch kurz geschnitten, dazu gehörte ein markanter Dreitagebart, der ihn sehr gepflegt aussehen ließ. Die Frauen auf der Insel drehten sich nach ihm um, dem Sinnbild des „Latin Lovers“. Zudem hatte sich längst rumgesprochen, dass er ein leidenschaftlicher Liebhaber sei.

An den Theken der Insel wurde Enzo Poppinga naturgemäß völlig anders gesehen. Viele seiner männlichen Geschlechtsgenossen sahen in ihm eher eine Bedrohung, weil er etwas hatte, was sie nicht hatten. Aus diesem Grund tauchte Enzo auch nur selten in der Kneipenszene der Insel auf. Diskretion war für ihn wichtig. Gerede über fremdgehende Ehefrauen konnte er nicht gebrauchen. Wenn er denn auftauchte, hielt er sich merklich zurück und führte seine Verführungskunst ausschließlich mit den Augen aus. Der Wirt des „Störtebeker“ nannte ihn „Enzo the Lover“, der Schwede sprach vom „Schleicher“ und Strandwärter Jens Rackow titulierte ihn als „Insel-Papagallo“.

November-Blues auf Wangerooge

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