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Georg Sander, einst als Journalist des Heimatblatts für Polizei und Gericht zuständig gewesen und seit geraumer Zeit im vorgezogenen Ruhestand, genoss mit seiner Partnerin Doris das gemeinsame Frühstück im Wintergarten. Draußen, vor dem Glasanbau, hatte das Unwetter der vergangenen Nacht deutliche Spuren hinterlassen: Abgerissene Ästchen lagen auf dem Rasen, einige Spätsommerstauden waren zerzaust und geknickt. Inzwischen hatte sich das Wetter beruhigt, doch trübten dicke Wolken den Himmel; einige hielten sich sogar hartnäckig an den bewaldeten Hängen der Schwäbischen Alb. Herbststimmung lag im Tal.

Sander, der sich während seiner beruflichen Tätigkeit auch um den lokalen Wetterbericht gekümmert hatte, stand auf und ging zur verglasten Vorderfront des Wintergartens. »Es hat vergangene Nacht 35 Liter auf den Quadratmeter geregnet«, stellte er beim Blick auf den Regenmesser fest, dessen Messbecher er von seinem Blickwinkel aus sehen konnte. »Ein Wahnsinnsgewitter.«

»Sei froh, dass dich das alles nichts mehr angeht«, lächelte Doris und trank ihre Tasse Kaffee leer. Insgeheim ahnte sie, dass Georg gerne Wetterwarte, Polizei und Feuerwehr angerufen hätte, um – wie er es jahrelang getan hatte – abzufragen, was während des Unwetters geschehen war. Zwar behauptete er ständig, er brauche diesen täglichen Zeitungsstress nicht mehr, aber tief in ihm brodelte noch immer das journalistische Feuer.

»Ich hab selten so ein lang anhaltendes Gewitter erlebt«, sagte er beiläufig. »Das hat sich garantiert eine Stunde in unserer Gegend gehalten.«

»Zwischen Blitz und Donner hat’s meist nur drei oder vier Sekunden gedauert«, pflichtete ihm Doris bei und schaute durch das gläserne Pultdach in den tristen grauen Himmel.

»Wahrscheinlich hat’s irgendwo eingeschlagen«, erwiderte Sander. »Die Atmosphäre war vermutlich gewaltig aufgeladen.« Oft schon hatte sich dies während eines Gewitters bemerkbar gemacht – zumindest glaubte er dies, wenn den Bruchteil einer Sekunde vor einem Blitz die Alu-Konstruktion des Wintergartens knackste. Die Urkräfte der Natur, so schien es ihm, waren in jüngster Vergangenheit immer stärker geworden. So viele Unwetter und damit verbundene Überschwemmungen hatte er während seiner aktiven Journalistenzeit nie in solch kurzen Abständen erlebt.

»Die Klimaerwärmung macht sich halt bemerkbar«, sagte Doris, als habe sie seine Gedanken gelesen.

Er drehte sich zu ihr um und meinte: »Auch die Winde werden stärker, sogar während des Sommers.«

»Die Natur reagiert eben empfindlich auf die äußeren Einflüsse.«

»Sie reagiert nicht einfach«, meinte Sander, »sondern sie wehrt sich – und sie wird das sogar erfolgreich tun. Jeder vernünftige Mensch erkennt dies – leider ist der Trump in Amerika meilenweit davon entfernt. Und was tun hierzulande die Verantwortlichen?« Er konnte sich bei diesem Thema in Rage reden. »Sie wollen uns mit lächerlichen Aktionen ruhigstellen und brüsten sich: Schaut her, wir tun was für die Umwelt und für den Klimaschutz. Wir verbieten Dieselautos in Stuttgart. Alles nur Augenwischerei, reiner Aktionismus. In Wirklichkeit verordnen sie nur dem dummen Volk irgendwelche Einschränkungen und Maßnahmen, die nichts weiter als Alibifunktionen haben.«

Doris faltete die Zeitung zusammen, die neben dem Frühstücksgeschirr lag. »Alles doch nur Gelabere und Gesülze«, nickte sie zustimmend und deutete auf den politischen Teil der Zeitung. »Klimakonferenz und so. Nur Geschwätz und nichts dahinter.«

»Man proletet halt rum, man müsse beim Umweltschutz im Kleinen anfangen«, entrüstete sich Sander und sah zu den herbstlich verfärbten Hängen hinauf. »Man fängt nur deshalb bei den Kleinen an, weil die sich nicht wehren können. Den Weg des geringsten Widerstands, nennt man das. Dabei hat die Menschheit gar nicht mehr die Zeit, mit kleinen Schritten anzufangen. Dringend müssten die großen Verschmutzer, die Industrie mit ihren Energieschleudern, aber auch der ausufernde Lkw-Verkehr an die Kandare genommen werden, dazu die Kohlekraftwerke, Ozeanriesen, die Flugzeuge und alles, was die Luft versaut.«

Doris nickte. Sie kannte Georgs Einstellung zu politischen Themen dieser Art zur Genüge.

»Vielleicht muss das alles an die Wand gefahren werden«, sagte er heute wieder einmal. »Vielleicht hat sich ja dies auf diesem Planeten im Laufe seiner Geschichte schon viele Male wiederholt. Was schert es denn die Erde, wenn es mal eine Milliarde Jahre lang keine Menschen gibt? Dann kann sich der Planet regenerieren und irgendwann neues Leben hervorbringen.«

»Weißt du, was ich immer denke?«, unterbrach ihn Doris, während er eine Tür ins Freie öffnete, um die frische Luft einatmen zu können. »Am besten wäre für die politisch Verantwortlichen ein Krieg.«

Sander erschrak. Gleiches hatte er schon oft gedacht, es aber nie aussprechen wollen. »Du hast recht«, sagte er schnell. »Dann ist alles zerstört: der ungeliebte Euro, die Infrastruktur, die Wirtschaft – und man könnte bei Null anfangen. Krieg wäre so etwas wie der Reset-Knopf am Computer. Ich bin davon überzeugt, die Herrscher früherer Zeiten haben immer dann einen Krieg vom Zaun gebrochen, wenn alles an die Wand zu fahren drohte und man das Volk durch Wiederaufbauarbeit still halten konnte. Vor dem großen Crash haben aber die Verantwortlichen ihr Schäfchen ins Trockene gebracht – und beim Wiederaufbau kräftig Kasse gemacht.«

Doris begann, das Kaffeegeschirr wegzuräumen. »Wer weiß, vielleicht wird sogar schon daran gebastelt, das Wetter zu beeinflussen«, meinte sie beim Wegtragen des Geschirrs unter dem Eindruck der vergangenen Nacht.

Georg folgte ihr mit der leeren Kaffeekanne. »Davon bin ich felsenfest überzeugt. Zwar versteh ich davon nichts, aber möglicherweise kann man durch riesige magnetische Felder die Atmosphäre aufladen und Unwetter erzeugen.«

»Um es dann auf die Klimaerwärmung zu schieben«, führte Doris auf dem Weg in die Küche diesen Gedankengang fort.

»Ja, man könnte ganze Landstriche durch dauernde Überschwemmungen zerstören oder im Gegenzug austrocknen.«

»Aber sag das bloß nicht laut«, mahnte Doris, »sonst wirst du in die Ecke der Verschwörungstheoretiker gestellt.«

»Ist mir egal«, brummte Sander. »Glaubst du etwa im Ernst, wir dürfen alles wissen, woran Militärs und Wissenschaftler basteln?«

Doris lächelte. Sie hatte längst bemerkt, dass sich Georg seit Beginn seines Ruhestandes mit rätselhaften und mysteriösen Ereignissen befasste. Bereits während seiner beruflichen Tätigkeit hatte er ein Faible dafür gehabt, war aber von den wissenschaftshörigen und sachlichen Kollegen meist belächelt worden. Natürlich wusste er als Journalist sehr wohl zwischen Unfug, Aberglaube und Spinnereien einerseits und fundierten Schilderungen andererseits abzuwägen. Mittlerweile hatte er nicht nur sehr viel zu diesen Themen gelesen, sondern auch ernst zu nehmende Forscher auf diesem Gebiet kennengelernt. Wenn er im Freundeskreis darüber berichtete und auf Skepsis stieß, pflegte er stets zu sagen: »Ich will euch doch von gar nichts überzeugen, sondern nur sachlich darstellen, dass es Dinge gibt, die man halt nicht erklären kann.«

Aber nicht einmal das gestanden ihm militante Zweifler zu, wie er all jene bezeichnete, die ihm dann gleich gar nicht zuhören wollten. Doch inzwischen hatte er bemerkt, dass Themen dieser Art die Menschen sehr wohl beschäftigten. Selbst vor Staatsmännern schienen sie nicht Halt zu machen. So war erst voriges Jahr bekannt geworden, dass 1991 sogar der einstige sowjetische Präsident Michail Gorbatschow Ankömmlinge aus den Tiefen des Weltalls erwartet hatte. Der supergeheimen Abteilung des Moskauer Generalstabs, die sich mit parapsychologischer Kriegsführung befasste, hatte er den Befehl erteilt, in der Kysylkum-Wüste Ankömmlinge aus den Tiefen des Weltalls zu empfangen. Ausschlaggebend war offenbar, dass ein Ufologe behauptet hatte, Kontakt mit der Besatzung eines Raumschiffes aufgenommen zu haben, das um eine Notlandung gebeten habe. Verbreitet worden war die Meldung nicht von irgendwelchen Abenteurern im Internet, sondern unter anderem von der Ulmer Südwestpresse mit Datum vom 15. Juni 2016. Sander bewahrte diesen Bericht und viele andere Ausschnitte mittlerweile in einer Schuhschachtel auf.

Doris verfolgte Georgs Recherchen zu derlei Themen inte­ressiert, wenngleich auch skeptisch. Allerdings war Georg keiner, der sich von selbsternannten Ufologen oder Kornkreis-Fanatikern linken ließ. Ihm ging es weniger um Berichte über ganz große Mysterien, sondern eher um die kleinen Zeichen, bisweilen seltsamen Zufälle, die jeder zu schildern wusste, sofern er sich ernst genommen fühlte. Erst kürzlich war er auf einen Gesprächskreis aufmerksam geworden, der sich damit befasste. Überwiegend Frauen, so hatte er erfahren, fanden sich dabei einmal im Monat zu einem Kaffeekränzchen zusammen, organisiert von einer in langen Diskussionen und Gesprächskreisen ergrauten Sozialpädagogin. Nachdem Sander davon gehört hatte, war er aus reiner Neugier im Begegnungsraum des Dreigenerationenhauses aufgekreuzt. Zwischen einem Dutzend Damen, meist jenseits der 50, hatte sich außer ihm nur ein einziger Mann eingefunden; wie sich herausstellte, ein längst pensionierter evangelischer Pfarrer, dessen Stimme und Leibesumfang dazu angetan waren, seinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen.

Sander musste daran denken, wie peinlich es ihm gewesen war, dass ihn der Theologe gleich als den ehemaligen Journalisten der Heimatzeitung erkannt und ihn deshalb überschwänglich begrüßt hatte. Damit war’s mit Sanders Ansinnen, ein bisschen verdeckt zu recherchieren, mit einem Schlag vorbei. »Mich interessieren diese Themen rein privat«, war alles, was er ziemlich verlegen über die Lippen gebracht hatte.

Daran dachte er jetzt zurück, während er mit Doris das Frühstücksgeschirr in der Spülmaschine verstaute.

»Du glaubst aber nicht etwa auch an die Chemtrails?«, fragte sie plötzlich.

»Chemtrails?«, entfuhr es Georg. In jüngster Zeit kursierten im Internet immer häufiger Behauptungen, die Bevölkerung werde aus der Luft irgendwelchen chemischen Substanzen ausgesetzt, um die Menschen im schlimmsten Fall psychisch zu beeinflussen. Andere behaupteten – und darauf spielte Doris offenbar an –, es seien großangelegte Versuche, das Wetter zu beeinflussen.

»Na ja«, lächelte Georg zweifelnd. »Weißt du, im Internet und auf diesen sozialen Netzwerk-Plattformen wird sehr viel Unsinn verbreitet, sehr viel. Und manchmal scheint es mir so, als hätten die Verschwörungstheoretiker momentan Hochkonjunktur, weil sich vieles so schön gruselig liest.«

»Haben denn die, bei denen du kürzlich gewesen bist, auch davon gesprochen?«

»Nein«, er wandte sich ab, um in sein Büro zu gehen. »Denen geht’s eher um den Kontakt ins Jenseits oder um Wiedergeburt. Reinkarnation.« Er drehte sich zu Doris um. »Ich weiß, du tust dich schwer damit. Aber es gibt einige angesehene Wissenschaftler, die sich damit auseinandersetzen. Insbesondere in Amerika.«

»Ich merk schon«, lächelte Doris zurück, »du bist gerade dabei, dich in ein neues Thema zu vertiefen.« Es klang so, als hege sie wieder einmal Zweifel daran, ob er sich nicht in allzu viele Projekte verzettele. Schließlich hatte er voriges Jahr, mit Eintritt in den Ruhestand, damit begonnen, Kriminalromane zu schreiben.

»Ich kann dich beruhigen, Doris, diesmal ist’s ja nichts Kriminelles.« Er hatte gespürt, dass sie wieder befürchtete, er würde nicht davon ablassen, sich journalistisch in Kriminalfälle einzumischen.

Während er sich seinem Büro zuwandte, rief sie ihm bissig hinterher: »Du kannst ja mal versuchen, mithilfe von Jenseits-Kontakten ungeklärte Mordfälle zu lösen. Das wär doch was, oder?«

»Da würde mir eh keiner glauben«, kam es von Georg zurück. Nicht einmal Hauptkommissar August Häberle, der noch immer nicht im Ruhestand war. Für einen Moment musste er daran denken, schon lange nichts mehr von ihm gehört und gelesen zu haben. Offenbar hatte es seit Monaten keinen großen Kriminalfall mehr gegeben. Die Ruhe vor dem Sturm?

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