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Sylvia Temming hatte den Schock über die nächtlichen Ereignisse noch nicht überwunden. Als das Unwetter am Abklingen war, hatten sie sich von den Schwiegereltern verabschiedet, um im strömenden Regen heim nach Laupheim zu fahren. Ihr Gespräch unterwegs hatte sich nur um das seltsame Bild gedreht, wobei Sven eher zu der Meinung tendierte, die Erscheinung sei nur die Folge überreizter Gehirne gewesen, geformt aus dem Regentropfen, den der Wind zum Zeitpunkt der Aufnahme dicht am Objekt vorbeigetrieben hatte. Dass der Regentropfen ein Männergesicht geformt habe, lasse sich mit etwas Fantasie nachvollziehen, hatte er eingeräumt. Aber ob es tatsächlich so aussah wie Siegfried, konnten sie natürlich beide nicht klären. Sylvias Schwiegermutter hatte zwar noch versucht, ein altes Bild von ihm aufzutreiben, aber in der Aufregung keines gefunden.

Auch vorhin beim Frühstück war das Thema nicht zu vermeiden gewesen. Sylvia versuchte, an etwas anderes zu denken, doch die seltsamen Botschaften und die Geschehnisse der Nacht gewannen in ihrem Kopf immer wieder die Oberhand. Weil Olivia, ihre Haushaltshilfe, für das spätabendliche Beaufsichtigen von Felix einen freien Tag hatte und der Bub im Kindergarten war, wollte sie sich gerne zur Ablenkung dem Wäschebügeln im Untergeschoss hingeben, um auf andere Gedanken zu kommen.

Noch tief in die Ereignisse versunken, öffnete sie am Ende der Kellertreppe die feuersichere Metalltür, um in der vor ihr liegenden Finsternis nach dem Lichtschalter zu fingern, den sie blindlings greifen konnte. Es war ein automatischer Griff, und gleich würde die Leuchtstoffröhre ihr kaltes Licht in den Kellerflur werfen. Doch heute tat sich nichts. Sylvia zögerte und drückte ein zweites Mal den Schalter auf und ab. Aber es blieb dunkel. Sie lauschte in das finstre Untergeschoss, ohne auch nur ein einziges Geräusch zu vernehmen. Leuchtstoffröhre kaputt?, hämmerte es in ihrem Kopf, als wolle sie sich selbst mit einer harmlosen Erklärung beruhigen. Oder Blitz eingeschlagen? Sie ließ langsam den leeren Wäschekorb, den sie bei sich getragen hatte, auf den gefliesten Boden sinken und ging ein paar Schritte rückwärts, um vollständig vom Tageslicht umgeben zu sein, das durch das Treppenhausfenster drang und für beruhigende Helligkeit sorgte.

Zwei, drei Sekunden lang überlegte sie, was geschehen sein konnte. War jemand über einen Lichtschacht ins Untergeschoss eingedrungen?, durchzuckte es sie, was ihr gleichzeitig einen Schwall Gänsehaut über den Rücken kriechen ließ. Ihr Puls raste, während sie weiter zurückging und vor ihr die Metalltür langsam und unheimlich quietschend ins Schloss fiel. Gleichzeitig stieß sie mit dem Absatz ihres rechten Schuhes gegen die erste Stufe, was ihr einen neuerlichen Schreck durch den Körper jagte. Blitzschnell entschied sie, in die Wohnung hochzugehen und Sven anzurufen.

Beim hastigen Hochsteigen ins Erdgeschoss raste ihr Puls immer heftiger, sie geriet außer Atem, kämpfte gegen Tausend wilde Gedanken, von denen einer ihr vernünftig erschien: Sie musste ums Haus gehen und sich vergewissern, ob die Gitterrostabdeckungen auf den Lichtschächten noch fest verankert waren. War es so, dann hatte nach menschlichem Ermessen niemand ins Untergeschoss eindringen können. Eine Außentür gab es schießlich nicht.

Sie ging mit zitternden Knien in die Erdgeschosswohnung zurück, holte den Hausschlüssel, um den Haupteingang zu öffnen. Natürlich hätte sie auch durch die Terrassentür in den Garten gehen können, doch zog sie es sicherheitshalber vor, den von außen abschließbaren Haupteingang zu nehmen. Noch bevor sie die stabile Eichenholztür entriegelte, beschlich sie das grauenvolle Gefühl, jemand stehe hinter ihr. Es war kein Geräusch. Auch nichts, was sie hätte beschreiben können – allenfalls ein kühler Luftzug am Hals. Eine kurze Luftbewegung, obwohl nirgendwo ein Fenster geöffnet war. Sie hielt inne und spürte erneut, wie ihr Blutdruck rebellierte, holte tief Luft und drehte sich ruckartig um. Aber da war nichts.

Du spinnst, deine Nerven spielen verrückt, mahnte sie sich selbst und drehte mit zitternder Hand den Schlüssel nach links, um die Tür zu öffnen. Helles gedämpftes Herbstlicht schlug ihr entgegen. Vor ihr lag der gekieste Gartenweg, der zwischen verblühten Spätsommerstauden zehn Meter weit zu einem Metalltürchen führte. Gleichzeitig schob sich etwas von links in ihr Gesichtsfeld, etwas, das dort vor die Haustür nicht hingehörte. Es war schwarz. Schwarz mit Fell. Ihr stockte der Atem. Sie erstarrte für ein paar Sekunden und konnte den Blick nicht mehr davon wenden. Am liebsten hätte sie laut geschrien, doch ganz gewiss hätte sie keinen Laut aus ihrer trockenen Kehle gebracht. Dann hinter ihr ein kräftiger Rumms, der sie bis tief in die Seele traf. Wieder panisches Umdrehen. Also doch. War doch jemand da? Es war die Haustür gewesen. Ins Schloss gefallen. Ohne Durchzug. War da jemand hinter ihrem Rücken ins Haus geschlichen? Nein, nein, nein. Das konnte nicht sein. Das hätte sie bemerkt. Es waren einfach nur chaotische Gedanken, die sich ihrer bemächtigten, mahnte sie sich, aber beruhigend war das nicht. Schon hingen ihre Augen wieder auf dem schwarzen Fell. Langsam wurde ihr bewusst, was sie da sah. Eine Katze. Eine schwarze Katze. Sie war tot.

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