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Kronos


Feurig Flammender,

Vater der seligen Götter und Menschen,

Fleckenloser, schillernd vom Rate,

Gewaltiger, wehrhafter Titan;

Alles verschlingst du, um selbst es zu mehren,

Du hältst die unzerreißbare Fessel

Um das unermessliche All.

Orphischer Hymnus32

Kronos ist als das jüngste Kind aus der Heiligen Hochzeit von Uranos und Gaia hervorgegangen; mit Rhea verheiratet, der Urmutter der Götter, gilt er seinerseits als der Vater der Hauptgötter Zeus, Hera, Pluton, Demeter und Hestia. Sein Name wird oft als Chronos, d. h. die Zeit gedeutet, weshalb er dann als Beherrscher des Zeitraums gesehen wird. Als Zeitherrscher ist er aber auch für die Vergänglichkeit aller Dinge, für die Endlichkeit allen Daseins verantwortlich – ein wenig angenehmer Nebenaspekt der Zeit. Er entsprach dem römischen Saturn und regierte das Goldene Zeitalter; später wurde er auf die Inseln der Seligen entrückt, wo die unsterblich gewordenen Menschen wohnten. Kronos ist ein glückloser Usurpator, der seinen eigenen Vater Uranos entthronte und sich an dessen statt selber das Herrscheramt aneignete; doch da er, der Sage nach, seine eigenen Kinder verschlang, ging es ihm ebenso wie seinem Vater: er wurde gestürzt und verbannt. Daher ist Kronos eine unglückliche und unsympathische Figur. Doch als erster war ja Uranos derjenige, der seine eigenen Kinder in den Schoß der Mutter Erde zurückstoßen wollte; folgen wir hier dem theogonischen Mythos, wie er uns von Hesiod berichtet wird:

Denn von allen, die so aus Gaia und Uranos stammten, waren die schrecklichsten sie, verhasst dem eigenen Vater gleich von Anfang. Sobald einer von ihnen geboren, barg er sie alle und ließ sie nicht zum Lichte gelangen, tief im Schoße der Erde, sich freuend der eigenen Untat, Uranos. Aber es stöhnte im Innern die riesige Erde, grambedrückt und sann auf böse, listige Abwehr.33

Die List der Gaia bestand darin, dass sie plante, Uranos zu kastrieren, und die Tat sollte Kronos ausführen. Dieser erklärte sich auch dazu bereit, und so wurde ihm von Gaia eine große eiserne Sichel ausgehändigt (ein „graues Eisengebilde“, wie es im Text heißt), mit der er dann jene Tat vollbringt, die für Gaia eine echte Befreiung darstellt:

An kam mit der Nacht der gewaltige Uranos, sehnend, schlang er sich voller Liebe um Gaia und dehnte sich endlos weit. Da streckte der Sohn aus seinem Verstecke die linke Hand und griff mit der rechten die ungeheuerlich große schneidende, zahnige Sichel und mähte dem eigenen Vater eilig ab die Scham und warf im Fluge sie wieder hinter sich. Sie entflog nicht eitel und unnütz den Händen.34

Kronos, nunmehr zum obersten Herrscher im Olymp aufgestiegen, wünschte natürlich nicht, dass irgendein anderer Gott nach ihm diese Stelle einnehme. Er hatte aber von seiner Mutter Gaia und von seinem gestürzten Vater, dem gestirnten Himmel, erfahren, dass es ihm bestimmt sei, von einem seiner Söhne gestürzt zu werden. Deshalb verschlang Kronos all seine Kinder, sobald sie aus dem Schoß der Rhea hervorkamen; eine grausame Tat zweifellos.

Als Rhea nun im Begriff war, Zeus zu gebären, den künftigen Herrscher im Olymp, wandte sie sich an Gaia, die nun wiederum eine List ersann. Den neugeborenen Zeus brachten sie unbemerkt nach Lyktos auf Kreta, wo er in einer Höhle des bewaldeten Berges Aigaion ganz im Verborgenen aufwuchs. Dem Kronos wurde aber statt des Kindes Zeus ein in Windeln gewickelter Stein gegeben, den dieser auch verschlang. Als Zeus dann herangewachsen war, gelang es ihm, Kronos zu besiegen, ja überdies zwang er ihn auch, die von ihm verschlungenen Kinder wieder auszuspeien. Zudem musste er auch die Kyklopen wieder freigeben, die von Kronos in den untersten Tartaros verbannt wurden; dankbar für ihre Befreiung stellten die Kyklopen dem Zeus ihre Waffen, Blitz und Donner, zu Verfügung.

Kronos, ein Gott, der seine eigenen Kinder verschlingt – ist er nicht fürwahr ein Monster? Nach neuester Forschung ist die Vorstellung, dass mehrere Götter-Generationen aufeinander folgen, eine orientalische. Davon abgesehen weist Kronos auch durchaus angenehme Züge auf. In Italien, wo er Saturnus hieß (ursprünglich Saeturnus, der Schutzherr des Säens), feierte man nach Beendigung der Herbstsaat ihm zu Ehren vom 17. bis zum 21. oder 23. Dezember das Fest der Saturnalien mit Festessen, gegenseitigem Beschenken und Befreiung der Sklaven von ihrer gewöhnlichen Arbeit. Die Wachskerzen, die sich regelmäßig unter den Gaben befanden, deuteten auf die nun zu erwartende Zunahme des Sonnenlichtes hin. So war Saturnus auch ein Gott der Wintersonnenwende, der auf das kommende Licht hinwies.

Nach seinem Sturz wurde Kronos auf die Insel der Seligen gebracht, die auch Ogygia genannt wird; sie liegt im „Kronos-Meer“, worunter die antiken Schriftsteller die Nordsee verstanden. Auf dieser Insel Ogygia schläft Kronos in einer unterirdischen Grotte; jedoch klingt die Beschreibung der Insel nach Plutarch ziemlich phantastisch: „Denn wunderbar sei die Natur der Insel und die Milde der sie umwehenden Luft (…). Kronos selbst sei schlafend von einer tiefen Höhle aus goldfarbenem Gestein umschlossen; der Schlaf sei als Fesselung von Zeus über ihn verhängt; Vögel, die vom Gipfel des Felsen her hereinflögen, brächten ihm Ambrosia, und die ganze Insel sei von einem Wohlgeruch erfüllt, der sich vom Felsen her wie von einer Quelle verbreite. Jene Dämonen versorgten und bedienten den Kronos und seien seine Gefährten gewesen damals, als er über Götter und Menschen König war.“35

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