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Die Götter Griechenlands


Wo jetzt nur, wie unsre Weisen sagen,

Seelenlos ein Feuerball sich dreht,

Lenkte damals seinen goldnen Wagen

Helios in stummer Majestät.

Diese Höhen füllten Oreaden;

Eine Dryas lebt‘ in jedem Baum,

Aus den Urnen lieblicher Najaden

Sprang der Ströme Silberschaum.

Friedrich Schiller1

Wie ein „Goldenes Zeitalter“ mutet uns jene längst versunkene Zeit an, in der die Welt noch als durchgeistigt erlebt wurde, als durchwirkt von Göttermacht: Da zog der Gott Helios allmorgentlich seinen Sonnenwagen über den Himmelsrand, da streifte der Große Pan durch die Wälder Arkadiens, ein Schrecken der Hirten zur Mittagsstunde. Nachts ließ die Mondgöttin Selene ihre silberne Sichel über den Himmel gleiten, und die Sternbilder leuchteten ewig am Firmament als Verkörperungen halbgöttlicher Helden. Poseidon, der Beherrscher der Meere, ließ Sturmwind und Wogenschlag aufkommen, und wenn im Frühjahr heftige Gewitter niedergingen, dann war es Zeus selbst, der grollend die Blitze schleuderte. In allen Naturvorgängen wurde das Ergebnis eines göttlichen Waltens, einer wirkenden Göttermacht gesehen.

Die Götter Griechenlands, wie sie uns in der Mythenwelt Homers und Hesiods entgegentreten, tummelten sich in einem Universum, das bevölkert war von Nymphen, Satyrn, Dryaden und Naturgeistern jeder Art, in einem wahrhaft verzauberten Universum. Aber nicht nur lichtvolle Zauberwesen gab es in diesem mythischen Universum, sondern auch Schreckgespenster, etwa die lehmigen plumpen Titanen, diese ewigen Widersacher der Götter, die Kyklopen, einäugige Ungeheuer, die Giganten und die Erinnyen. So gab es also Mächte der Höhe und solche der Tiefe, des Lichts und der Finsternis – und es gab ein ewiges Ringen zwischen diesen polaren Mächten, das die Welt letztlich im Gleichgewicht hielt. Immer sind die Götter jedoch Wesen, die in den Naturerscheinungen zum Ausdruck kommen, sei es in der Sonne oder im Mond, in Flussquellen oder in Bäumen, im Himmelsgewölbe oder im Wogenschlag des Meeres.

Wir dürfen davon ausgehen, dass die Griechen ursprünglich ihre Götter noch ganz naturmystisch im Weltganzen wahrnehmen konnten. Mit Animismus, mit fetischistischer Naturverehrung hat diese hochgeistige Naturmystik nichts zu tun. Die Götter wurden gesehen als numinose Geistmächte, die eigentlich „hinter“ den Naturerscheinungen stehen, aber nur „in“ ihnen zum Ausdruck kamen. So war die ganze Natur mit allem Belebten darin eine Epiphanie des Göttlichen.

Im weiteren Verlauf der Entwicklung ist es jedoch dazu gekommen, dass der ursprüngliche naturmystische Götterglaube langsam dahinschwand; ja es traten in späterer Zeit Kritiker und Spötter auf, die das einstige heilige Wissen um die Götter und ihr Wirken in der Welt als reines Ammenmärchen hinstellen wollten. Der Dichter Homer (um 800 v. Chr.) war wohl der Letzte, der die Götter der alten mykenischen Zeit noch als lebendig empfinden konnte; dann setzte eine Entwicklung ein, die man als eine „Entgötterung“ oder – um mit Max Weber zu sprechen – eine „Entzauberung der Welt“ kennzeichnen kann. Das Schicksal der Götter fortan war es, dass sie aus der harten rauen Wirklichkeit dieser Welt verbannt wurden, dass sie hinübergingen in das Land der Märchen und Mythen, auch in das Traumland der Dichter – zurück blieb eine entgötterte, eine leergewordene und darum tote Natur. Niemand hat diesen Verlust tiefer, schmerzlicher empfunden als Friedrich Schiller (1759-1805), der in seinem Gedicht Die Götter Griechenlands klagt:

Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder,

Holdes Blütenalter der Natur!

Ach, nur in dem Feenland der Lieder

Lebt noch deine fabelhafte Spur.

Ausgestorben trauert das Gefilde,

Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick –

Ach, von jenem lebenwarmen Bilde

Blieb der Schatten nur zurück.

Alle jene Blüten sind gefallen

Von des Nordes schauerlichem Wehn:

Einen zu bereichern unter allen,

Musste diese Götterwelt vergehn.

Traurig such‘ ich an den Sternenbogen,

Dich, Selene, find ich dort nicht mehr;

Durch die Wälder ruf ich, durch die Wogen,

Ach! Sie widerhallen leer!

Unbewusst der Freuden, die sie schenket,

Nie entzückt von ihrer Herrlichkeit,

Nie gewahr des Geistes, der sie lenket,

Selger nie durch meine Seligkeit,

Fühllos selbst für ihres Künstlers Ehre,

Gleich dem Schlag der Pendeluhr,

Dient sie knechtisch dem Gesetz der Schwere,

die entgötterte Natur.2

Ganz ähnlich der Romantiker Novalis (1772-1801) in seinen berühmten Hymnen an die Nacht: „Zu Ende neigte die alte Welt sich. Des jungen Geschlechts Lustgarten verwelkte – hinauf in den freieren, wüsten Raum strebten die unkindlichen, wachsenden Menschen. Die Götter verschwanden mit ihrem Gefolge – Einsam und leblos stand die Natur. Mit eiserner Kette band sie die dürre Zahl und das strenge Maß. Wie in Staub und Lüfte zerfiel in dunkle Worte die unermessliche Blüte des Lebens. Entflohn war der beschwörende Glauben, und die allverwandelnde, allverschwisternde Himmelsgenossin, die Phantasie. Unfreundlich blies ein kalter Nordwind über die erstarrter Flur, und die erstarrte Wunderheimat verflog in den Äther. Des Himmels Fernen füllten mit leuchtenden Welten sich. Ins tiefre Heiligtum, in des Gemüts höhern Raum zog mit ihren Mächten die Seele der Welt – zu walten dort bis zum Anbruch der tagenden Weltherrlichkeit. Nicht mehr war das Licht der Götter Aufenthalt und himmlisches Zeichen – den Schleier der Nacht warfen sie über sich. Die Nacht ward der Offenbarungen mächtiger Schoß – in ihn kehrten die Götter zurück…“3

Die Nacht der Götter war also angebrochen – gewichen sind die Götter dem hellen klaren Tag des Verstandesdenkens, dem grellen Licht einer sinnentleerten „entzauberten“ Welt. Heute leben wir jedoch in einer Zeit, in der die Ausrichtung auf Fortschritt im Sinne einer perfekten technisch-rationalen Weltbeherrschung immer fragwürdiger wird. Die Entzauberung der Welt hat zu einem Identitätsverlust des Menschen geführt, zu einem Verlust der inneren Mitte, die nur durch echte religio, Rückbindung an den göttlichen Urgrund, behoben werden kann.

Die Wiederverzauberung der Welt – das ist die Wiederkehr wahrer Spiritualität in das Bewusstsein der Menschen, die Versöhnung von Geist und Natur, von Innen und Außen, von Religion und Wissenschaft, von Gott und Kosmos. Das bedeutet auch die Wiederkehr der Götter, ihre Rückkehr in die Reiche der Natur, aus denen sie verbannt wurden. So wird der schon seit Jahrtausenden währenden Götter-Nacht vielleicht ein neuer Götter-Tag folgen, und die Welt wird wieder transparent auf ihren geistigen Ursprung hin.

Der Durchbruch zu einer spirituellen Natursicht, zu einem neuen spirituellen Naturerleben – das ist wohl der wichtigste Aspekt, den eine „wiederverzauberte Welt“ mit sich bringen wird. Dies bedeutet keinesfalls, zu irgendwelchen vergangenen Welten zurückkehren zu wollen – es gibt kein Zurück zur heidnischen Antike oder zu irgendeiner anderen überwundenen Phase der Menschheits-Entwicklung. Die Rückbindung an die Natur, auch an ihre göttlich-numinosen Kräfte, kann heute nur in aller Verstandeswachheit erfolgen; sie muss von Erkenntniskräften begleitet sein, die aus dem voll entwickelten Ich-Bewusstsein des modernen Menschen erwachsen. Nicht um eine Rückkehr zu den „Göttern Griechenlands“ oder zu anderen alten Göttern kann es heute gehen, sondern vielmehr um die Gewinnung einer spirituell erweiterten Natursicht, die das Geistige in der Schöpfung zu erkennen vermag.

Der kulturgeschichtliche Hintergrund

Der kulturgeschichtliche Hintergrund der griechischen Mythologie ist von einer Serie prähistorischer Wanderungsbewegungen geprägt. In der Frühgeschichte Griechenlands werden üblicherweise drei Phasen voneinander unterschieden:

In der frühhelladischen Epoche (2500-1850) bemerken wir bereits die Bildung von verschiedenen ackerbautreibenden Kulturkreisen im ägäischen Raum; Träger dieser Kultur ist die vorindogermanische mediterrane Urbevölkerung.

In der mittelhelladischen Epoche (1850-1600) kommt es erstmals zur Einwanderung indogermanischer Stämme, der Joner und Aioler / Achäer, die auch als die „Protogriechen“ gelten und sich mit der mediterranen Urbevölkerung vermischen.

In der späthelladischen Zeit (1600-1150) beherrscht eine adelige Herrenschicht der eingewanderten Indogermanen, zumeist Streitwagenkämpfer, von gewaltigen Zwingburgen aus das Land.

Ab dem 15. Jhrdt. dehnt die aus dem Norden eingewanderte Schicht ihre Macht bis nach Kleinasien aus, besiedelt auch Kreta, Rhodos, Zypern. Um 1250 erfolgt, vom Dichter Homer besungen, die Zerstörung von Troja VIIa. Aber eine zweite indogermanische Einwanderungswelle rollt in der spätmykenischen Zeit (1400-1150) über Griechenland hinweg: die Einwanderung der Dorer, ab 1200, ausgelöst durch den Vorstoß der Illyrer zum Mittelmeer. Die Dorer als Reiterkrieger mit Eisenwaffen zeigen sich den mykenischen Protogriechen, Streitwagenkämpfern mit Bronzewaffen, im Kampf überlegen: Die mykenischen Burgen, einst stolze Adelssitze, versinken ab 1150 in Schutt und Asche.


Zwei Kulturbereiche, sich durchdringend, prägen demnach die Religion und Mysterienwelt der Griechen: einmal die altmediterrane Bauernkultur mit ihren Jahreslauf- und Vegetationskulten sowie Fruchtbarkeits-, Erd- und Muttergottheiten; dann die Kultur der eingewanderten Indogermanen mit ihren Wetter-, Licht- und Sonnengöttern, wie etwa Zeus und Apollo; hinzu kommen Götter, die aus Fremdländern übernommen wurden, aus Kleinasien oder Thrakien. Seit etwa 1600 v. Chr. verschmelzen in der mykenischen Adelswelt altmediterrane und indogermanische Gottesvorstellungen unter stark minoischem Einfluss.

Aber trotz aller Verschmelzung mit einheimischem Religionsgut blieb die „olympische“ Religion der Griechen immer dem Hohen, Hellen, Lichten zugewandt; sie blieb von ihrer Grundausrichtung her apollinisch. Dieser „Religion in Dur“, wie Thassilo von Scheffer richtig sagt, standen jedoch von jeher die dunklen Moll-Töne einer viel älteren Religion chthonischer Erdverehrung entgegen, die auch in den zum Teil ältesten Mysterienkulten Griechenlands weiterlebten. Über den Kultstätten von Eleusis und Samothrake waltete die Macht uralter Muttergottheiten. Die Orphische Mysterienreligion allerdings, die aus Thrakien, also aus dem nichtgriechischen Ausland, stammt, trägt eher den Charakter einer Jenseitsreligion, obschon sie durchaus von einer „dionysischen“ Grundstimmung getragen wird und insofern auch eher in Moll als in Dur erklingt. An die Orphik, die in vielem an die spätantike Gnosis erinnert, knüpfen Pythagoras und Platon an.

Götter und Göttinnen

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