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Die Alacaluf-Madonna

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Auch außerhalb der Missionsstationen wurden die indigenen Völker dezimiert von Krankheiten,

die die weißen Siedler mitbrachten. Was übrig blieb, war nicht mehr lebensfähig. Der Gemeinschaften beraubt, in und aus denen sie vormals lebten, verwahrlosten viele und verfielen dem Alkohol. Das erschütterndste Bilddokument dieses Endes ist die Photographie einer jungen Frau, die ein Kind mit lange nicht mehr gewaschenen verfilzten Haaren auf dem Arm trägt. Beide stecken in abgewetzter, verspakter europäische Kleidung, die Mutter in einem viel zu großen Mantel. Während das Kind am Photographen vorbei etwas sieht, das sein Interesse geweckt hat, blickt die Mutter unter langen, dichten, dunklen ungeschnittenen Haaren den Betrachter mit unendlich traurigen Augen an. Diese Augen haben in den Tod geschaut. Wer lange in sie blickt, ihrer Anziehungskraft erliegt, der fällt in eine Leere der Verzweiflung, für die es keine Worte gibt. Diese Frau erwartet nichts mehr vom Leben.

Wir können es uns wahrscheinlich nur sehr vage vorstellen, was es heißt, so grundsätzlich entwurzelt zu sein, wie die indigenen Völker Amerikas oder Australiens. Der Stamm, seine Bräuche und Riten, der für die Selbstdefinition, die eigene Identität so zentral war, dass das Individuum die Trennung davon nicht nur physisch, sondern auch psychisch nicht aushielt, der Stamm - in Auflösung oder tot. Von ihrer Erde vertrieben, die nicht nur Heimat in unserem Sinne war: sie war Wohnstätte der Ahnen, mit Naturgeistern beseelt, und das heißt: ihre Seele trat ihnen als Natur entgegen; von ihr getrennt zu werden, war wie die eigene Seele zu verlieren. Bruce Chatwin schreibt über die Sprache der Yamana: "Die vielen Schichten metaphorischer Assoziationen, die ihren geistigen Boden ausmachten, fesselten die Indianer unlösbar an ihre Heimat." Denn die Wörter, die sie zur Beschreibung ihrer selbst oder abstrakter Sachverhalte wie "existieren“ oder „sein" benutzten, bezeichnen ebenso konkrete Naturvorgänge; unsere Unterscheidung von hier Mensch und dort die von uns unabhängige objektive Natur - sie existiert in ihrer Sprache und Vorstellungswelt nicht. So wurden die Ureinwohner im doppelten Sinne heimatlos, als man ihnen nicht nur die Erde, sondern auch die Sprache nahm - Mord an der Seele eines Volkes: das schaut uns an aus den Augen der Alacaluf-Frau.

Ende der Welt. Mit der Redensart "da bricht eine Welt zusammen“ meinen wir den Tod eines Kosmos von Vorstellungen. Hier brach eine Welt zusammen und auch in diesem Sinne ist man in Feuerland an ihrem Ende.

Dass Missionierung auch anders möglich war, zeigt das folgende Kapitel. Diesen Ehrenpunkt können sich -ausgerechnet- die Jesuiten gutschreiben.

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