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In Patagonien

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Beruhige dich, mein Herz, du kannst ja doch nichts anderes machen als warten. Der Freund ist weggetrampt, um Mechanikerhilfe zu holen. Er wird wiederkommen, also beruhige dich. Einen Tag hatten wir gewartet, gewartet in der Einsamkeit, bis ein Auto kam. Stunde um Stunde schauten wir das lange Band der Schotterpiste entlang in die Unendlichkeit und dann, nach einem halben Tag, einer Nacht schlechten Schlafs und einem weiteren halben Tag ungeduldigen Ausschauhaltens zeigte sich weit in der Ferne eine Staubfahne, die waagerecht vom Wind weggetragen wurde, immer größer wurde, ein Auto entließ, das schließlich bei uns hielt und den Freund entführte nach Perito Moreno, mich zurücklassend bei unserem Wagen, der hier auf der Ruta 40 zusammengebrochen war. Nun fährt er die Strecke zurück durch die Halbwüste der grau-grünen Sträucher und der Büschel aus Pampagras, zurück in jenes Kaff nahe dem Lago Argentino, in dem die Farmer der weiteren Umgebung einkaufen. Dort hatten wir Proviant gebunkert für unsere Expedition. Wie hatten wir gemosert über das dürftige und wenig frische Angebot! Ach – nun, da ich hier gestrandet sitze, am Straßenrand im Irgendwo der endlosen Ebenen erscheint mir jenes staubige Kaff mit seinen kümmerlichen Bäumchen entlang der Hauptsstraße wie ein Leuchtturm der Zivilisation.

Dorthin eilt er nun zurück, über laut aufschreiende Viehgitter, wo die Straße die Weidezäune durchstößt. Die Füchse, die hier an Autoreifen gekreuzigt sind, rufen ihm ein schauriges „Memento mori!“ hinterher. Vorbei an Bergrücken, in deren Mulden sich eine Hazienda duckt – man sieht sie nicht, denn sie hat sich hinter einem Schutzwall von Pappeln verkrochen, die die schlimmsten Schläge des patagonischen Sturms auf sich nehmen.

Mich aber – ausgesetzt in der Ebene- packt er. Seit Tagen heult er ums Auto, rüttelt an ihm, lässt es zittern, schwanken. Tag und Nacht ist dieses Brausen in der Luft, die Ohren sehnen sich nach einem Moment der Stille – und werden nicht erhört. Noch in den Schlaf verfolgt mich das Geheul der Erynnien.

Das Auge sieht von alledem nichts. kein Baum biegt sich mit fahrigen Ästen. Knorrige Sträucher mit Hartlaub stehen still, als ob sie das Toben der Luft nichts anginge, nur einige Blättchen zittern etwas. Nicht anders das Pampagras, das hier in sehr kurzen Büscheln wächst, gekämmt hingeduckt; kleine Bewegungen der überaus zähen Halme sind ihr einziges Zugeständnis an die Macht des Windes. Die Sinne sind verwirrt: Die erdrückende Gegenwärtigkeit des Windes, für den die gemarterten Ohren zeugen, erscheint den Augen als Trug. Aber nur solange, wie man den Wind im Auto, abgeschirmt, aus der Distanz, sozusagen theoretisch betrachtet. Außerhalb der Wagenburg prügelt er auf alle Sinne gleichzeitig ein: die Augen werden trocken, die Haut kalt, Haare und Hose flattern.

Bruce Chatwin berichtet, er sei hier im patagonischen Sturm gewandert. Gewöhnt man sich so eher an die Elemente?

Woher hatte er sein Wasser? Es gibt keine Bäche, nur ganz wenige Flüsse, die das milchig-grüne Wasser der Gletscherseen zum Atlantik führen. Es regnet kaum. Der Fallwind, der die Anden herabfegt, bringt Wolken mit, die mit tief hängenden grau-blauen Schleiern über das Land jagen. Bevor sie dem durstigen Boden mehr als ein paar Tropfen gönnen, haben sie sich auch schon aufgelöst.

Und wie hat er die Unendlichkeit der Straße ertragen? Mit dem Auto fuhren wir Ewigkeiten immer geradeaus auf einen langgezogenen Bergrücken zu, Ewigkeiten an ihm entlang, der nur langsam seine Gestalt änderte. Wer hier entlang wanderte, dem räumte die leere Unendlichkeit die Seele aus – und doch verhinderte diese Halbwüste jede meditative Versenkung, die anderswo Religionsstifter hervorgebracht haben soll; denn hier fehlt: die Stille. Hier zu gehen, zu stehen, einfach nur zu sein erfordert eine ständige Anstrengung der Selbstbehauptung gegen den unablässig angreifenden Wind.

Wer hier wanderte, der könnte vielleicht sogar begreifen, wie man in diesem wüsten, menschenfeindlichen Land leben kann – weit entfernt von anderen Menschen, mit seinen Schafen und einem Wetter widerstehend, das tiefe Furchen in den Gesichtern hinterlässt.

Wer hier wanderte, käme am Ende zu einer Tankstelle mitten im Irgendwo, der ein kleiner Laden angeschlossen ist, wo es nicht viel zu kaufen gibt, nur das Nötigste: Konservendosen und Pferdesättel. Er sähe mich dort einen Mate trinken – und träumen.

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