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Die Feuerlandindianer oder: Christliche Fernsten-Liebe am Ende der Welt

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Die Zivilisation, die hier endet, ist die europäische. Mittlerweile gibt es hier keine andere Kultur mehr, sodass man vom Ende "der" Zivilisation reden kann, weil die Europäer die indianische Kultur mitsamt ihren Trägern ausgerottet haben. Wie immer ging dies gnadenlose Geschäft einher damit, dass man den Opfern jede Kultur, ja das Menschsein abspricht. Berüchtigt in unserem Zusammenhang ist die Äußerung Darwins über die Ureinwohner Feuerlands, aus der die ganze Einbildung des Bürgers einer imperialistischen Nation spricht, die der Welt Kultur zu bringen behauptet: er bezeichnet sie als "die gemeinsten und elendsten Kreaturen" und kann es kaum glauben, dass es sich um "meinesgleichen und Bewohner derselben Welt" handelt. Auch der etwas wohlwollendere Georg Forster unter Kapitän Cook ist angewidert vom Gestank ihrer halbverfaulten Seehundspeise, abgestoßen von der Nacktheit oder Ärmlichkeit der Kleidung. "Dem Tiere näher und mithin unglückseliger kann kein Mensch sein." Hier spricht sich immerhin Mitgefühl mit den elenden Lebensverhältnissen aus; und elend waren sie ohne Zweifel - ein täglicher Kampf ums Überleben in einer unwirtlichen Natur, von der sie von vorne bis hinten abhängig waren. Verständlich, dass die letzte Yamana die die Zeit des Seenomadentums als Kind noch erlebt hat, sich nicht zurücksehnt nach einem Leben in Kälte und Plackerei. Die Heirat mit einem Weißen eröffnete ihr die Möglichkeit, diesem Leben zu entkommen. Für dieses Leben gibt es einen sprachwissenschaftliche Befund, der Bände spricht: In der Sprache der Kaweshkar gibt es kein Wort für Glück, aber viele Worte für Angst: Angst vor Hunger, Angst vor Kälte, vor dem Unwetter, dem Tod. Es verwundert überhaupt nicht, dass Ureinwohner, wenn sie die Wahl hatten, gerne an den Fortschritten der Naturbeherrschung, die die Weißen ins Land brachten, Teil hatten. Aber diese Wahl hatten sie so gut wie nie. Es war ja nicht so, dass man sie in Ruhe und selbst entscheiden ließ, welche Elemente der fremden Lebensweise sie übernehmen wollten. Waren sie Guanacojäger, kam ihre Lebensweise in Konflikt mit den Profitinteressen der Schafzüchter, die Ausrottungsexpeditionen gegen sie organisierten oder Killerkommandos Kopfprämien für jeden toten Indianer zahlten. Die vergleichsweise "menschenfreundlichere" Alternative war, sie in Treibjagden einzusammeln und auf die Insel Dawson im Süden der Magellanstraße zu verfrachten, sinnigerweise dorthin, wohin die chilenische Militärdiktatur hundert Jahre später die politischen Gefangenen deportierte - wieder mit Schiffen der Marine. Dort wartete eine ganz besondere Sorte von Indianerfreunden auf sie: die katholische Kirche, speziell der Salesianerorden. Zwischen 1889 und 1898 wurden ca. 1000 Indianer den Salesianern zugeführt; bei der Schließung der Mission waren noch 25 übrig. Schon die Gründung des Indianerreservats mittels militärischer Eroberung war mit 26 toten Eingeborenen verbunden - ging es doch hauptseitig um die Gewinnung von neuem Weideland. Um Missverständnisse zu vermeiden: um ein Vernichtungslager handelte es sich nicht, alles geschah "mit den besten Absichten" und noch heute ist sich der Orden keiner Schuld bewusst, sieht sich als Retter der Indianer - und schickt seinem "segensreichen" Wirken die Unverfrorenheit einer durch nichts zu erschütternden christlichen Selbstgerechtigkeit hinterher, mit der er schon das ganze Projekt betrieben hat.

Die "Beschützer der Indianer" waren sich mit deren Verfolgern durchaus in einem Punkte einig, dass es sich bei ihren Zöglingen um Wilde, Barbaren handele, woraus die Missionare den Auftrag ableiteten, sie zu zivilisieren. Ihre "Seele zu retten", indem man sie zum Christentum bekehrte, sie aber ansonsten in ihrer gewohnten Lebensweise zu belassen, kam nicht in Frage, zeigt sich doch für einen fanatisierten Missionar die Erlösungsbedürftigkeit einer Seele an seiner nicht gottgefälligen Lebensweise. Der Gründer des Ordens , Don Bosco, hatte verwahrloste Straßenkinder in Mailand aufgesammelt und einer christlichen Erziehung zugeführt; der pädagogische Zweck des Ordens ward so geboren. Schon im Gründungsakt galt die Lebensweise der Kinder, auf die sich der pädagogische Eros des Ordens richtete, nicht einfach als vom Kapitalismus hergestellte Not, sondern als (drohende) moralische Verkommenheit, der durch kasernierte Erziehung mit Arbeit entgegengewirkt werden musste. Schließlich ging es darum, Seelen zu retten, was etwas völlig anderes ist als der Not ein Ende zu bereiten. So kamen die salesianischen Missionare schon mit dem Erziehungsauftrag an, ein Nomadenvolk an Arbeit in Sesshaftigkeit zu gewöhnen: "im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen“. Genau genommen ging es nicht darum, den Wilden das Arbeiten beizubringen (gebratene Tauben flogen ihnen wahrlich nicht in den Mund) , sondern Arbeitsmoral. „Aber die Indianer waren schon sehr eigen“, sagt einer der Padres im Rückblick. „Sie waren primitive Menschen, die nur für das Essen arbeiteten, nicht mehr.“ Die (Arbeits)Mittel, die ihnen zur Verfügung standen, werden wohl für mehr nicht gereicht haben. Wenn man vom Jagdglück und den Launen der Natur abhängig ist, ist man sicher schon froh, wenn es dafür reicht, und jede Planung über den übernächsten Tag hinaus macht keinen Sinn. Bei unserem Padre jedoch hört man ein gewisses genervtes Unverständnis heraus. Er möchte es als (störrische) Eigenheit der indianischen Einstellung zur Arbeit verstanden wissen. Und überhaupt- einfach nur für sein Essen arbeiten, ohne höheren Sinn! Arbeit ist eine Mühsal, die auf die Menschheit gekommen ist, wegen ihrer Sündhaftigkeit, sie freudig auf sich zu nehmen als Weg zum ewigen Heil, nicht nach ihrem materiellen Nutzen zu fragen - das ist die rechte Einstellung: „Don Bosco verspricht dir Arbeit, Brot und den Himmel.“ Und diese Einstellung lässt sich nicht beim Jagen und Fischen erwerben, wo die Schützlinge wieder ihren Naturgeistern begegnen, die sie zum Nomadenleben verführen, also wird es ihnen verboten. Sie werden mit einem Netz von Verboten überzogen: es ist ihnen verboten, ihre traditionelle Kleidung zu tragen, verboten, sich mit Robbenfett gegen die Kälte einzuschmieren, verboten, die eigene Sprache zu sprechen, ihre Lieder zu singen. Wer das Pech hatte, eine Erziehungsanstalt der Salesianer in Europa zu besuchen, dem kommt dies seltsam bekannt vor. Der Inhalt der Verbote variiert, die Methode der Erziehungsdiktatur gegen die böse Menschennatur nicht.

Wer diese Erziehung erfolgreich durchschritten hatte, am Ende ein guter Christ war, der sonntäglich in die Kirche ging, der hatte es verinnerlicht, dass seine Sprache etwas Böses sei. Sie wurde nicht weitergegeben an die Kinder und starb aus. So wiederholte die Kirche in der Neuzeit, was sie schon bei der Kolonisation Mexikos und Perus praktizierte, wo der missionarische Eifer sich nicht darauf beschränkte, ein paar Götzenbilder umzuwerfen, sondern mit Verboten, die bis in die Alltagskultur reichten, eine ganze Kultur zerstörte und in ihrem Zerstörungswerk um einiges gründlicher war als die Goldgier der Konquistatoren.

Man muss nicht jeder untergegangenen Kultur hinterhertrauern oder jeden Schwachsinn als bewahrenswert halten - die Menschenopfer der Azteken mitsamt ihrem weltanschaulichen Hintergrund sind widerlich auch für jemanden, der nicht einem konkurrierenden Kultus anhängt. Wer die aztekische Religion nicht aus der Sicht der christlichen, sondern beide Religionen aus einer Äquidistanz betrachtet, wird im übrigen mehr Gemeinsamkeiten feststellen, als den Christen lieb sein kann: Gott hat sich für die Menschen geopfert, nun sind sie mit Opfern dran. Auch wenn nicht jede Kultur schon deswegen gut und erhaltenswert ist, weil sie Kultur ist, so geht das christliche Zerstörungswerk deswegen noch lange nicht in Ordnung: sie können es nicht lassen, die Überzeugung der zu bekehrenden Seelen auf Gewalt zu gründen. Das Vertrauen in Überlegenheit der eigenen Sache und die einsehbare Nützlichkeit für ihre Adressaten kann also so groß nicht sein.

Es gab auch eine Missionsstation der "Konkurrenz", der anglikanischen Kirche, in Ushuaia; ihr Reverend Thomas Bridge war eine Ausnahme. Er lernte die Sprache und die Gebräuche der Yamana. Er hat ein Lexikon der Yamanasprache hinterlassen, das Charles Darwin des groben rassistischen Vorurteils überführt, der über die Sprache der Ureinwohner urteilte: sie "verdient kaum, artikuliert genannt zu werden." Kaum etwas ist weiter von der Wahrheit entfernt: Wäre Kompliziertheit der Syntax und Umfang des Wortschatzes ein Gradmesser für kulturelle Höhe, dann wären die Engländer die Wilden und die Yamana die überlegene Kultur. Weil aber die Überlegenheit an anderen, eher materiellen Mitteln wie Gewehren hängt, mussten die Vorgesetzten des Reverend im fernen England nicht an ihrem Missionsauftrag zweifeln. Als Bridge nach zwanzig Dienstjahren die Mission verließ, um weiter östlich die Estancia Harberton zu gründen, riefen sie ihm hinterher, er habe "zu viel Zeit damit vergeudet, sich um das körperliche Wohlergehen der Eingeborenen zu kümmern". Ein schönes Beispiel christlicher Nächstenliebe.

Statt ihrer gewohnten Kleidung aus Guanacofellen und ihrem gewohnten Essen, verordneten die Padres ihren Indianern europäische Kleidung aus Kleidersammlungen und ungewohnte europäische Speise. Ethnologen führen die große Todesrate in der Mission darauf zurück, dass die Kleidung mit Krankheitserregern verseucht war, gegen die ihr Immunsystem nicht trainiert war, und dass ihr Körper die fremdartigen Hülsenfrüchte, Konserven und Milchprodukte nicht vertrug. Mit einer solchen Todesrate konfrontiert, hat man als Verantwortlicher zwei Möglichkeiten: die erste ist Ursachenforschung, bei der auch die eigenen Maßnahmen nicht tabu sind. Die zweite haben allem Anschein nach unsere christlichen Indianerfreunde gewählt. Man kann nämlich auch seine eigene gute Absicht so jenseits allen Zweifels, als Dogma sozusagen, vor sich hertragen, dass man immer wieder bei ihr landet: es kann nicht sein, was nicht sein darf. Genau so reagiert der interviewte Salesianerpater, als ihm der Beitrag seines Ordens zum Untergang der Urbevölkerung vorgehalten wird: "Ich glaube nicht, dass die Kleidung zu Krankheiten geführt hat. Sie wurden krank, weil sie keine Antikörper hatten. Sie steckten sich mit normalen Krankheiten an, z.B. mit Windpocken. Und das war tödlich für sie." Ja was müssen die auch so ein unpassendes uneuropäisches Immunsystem haben, wenn man ihnen helfen will!

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