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Feuerland

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Blickt man von der flachen patagonischen Pampa über die Magellanstraße hinüber nach Feuerland, so zeigt sich das Land dort zunächst als eine ebensolche leicht gewellte Ebene. Im Ende 19. Jahrhundert/Anfang 20. Jh. gehörte dieses Gebiet einer einzigen Gesellschaft, der "Sociedad Explotadora de Tierra de Fuego", die hier Schafzucht in großem Stil betrieb (und zuvor einen Genozid an den Indianern). Cameron wurde 1904 von der Sociedad Exploradora, deren Besitz sich über einen ganzen Breitengrad erstreckte, als die Hauptestancia einer 300.000 ha großen Schafweide gegründet, welches wieder in Unterestancias "secciones" unterteilt war mit entsprechenden Verwaltern. Diese wiederum hatten "puestos", die von je einem Schafhirten besetzt waren, der mit Hunden und Pferden sich um die Schafe kümmerte. In Cameron stehen noch die Häuser der damaligen Estancia, aus blauem, rosa, grünem, mittlerweile verblichenem Wellblech mit Veranden, weißen Holzsäulen und Holzgittern. Diese Estancia war wie ein kleines Dorf: es gab Verwaltungsgebäude, Vorratshäuser, ein Gebäude für die zentrale Schafschur, el plantel de reproductores (Tierzucht?), maestranza (Werkstatt). Wir reiben uns die Augen und fühlen uns im Traum 90 Jahre zurückversetzt. Zurückversetzt aber in einen Geisterort: der "Supermarkt" in einem der einfachen Wellblechhäuser ist mit Vorhängeschloss verrammelt, wahrscheinlich längst aufgegeben, Klopfen und Rufen vergebens. Ende der Welt eben.

Aber noch nicht genug. Der abgelegenste Ort auf Feuerland scheint uns der Seno Almirantazgo zu sein, ein langer, schmaler Seitenarm der Magellanstraße, da zieht es uns hin.

Zunächst geht es durch klassisches leicht gewelltes Estancia-Land, und was an Gebäuden neben der Straße auftaucht, sieht neu und proper aus, in großem Stil, ein hier offenbar immer noch lohnendes Geschäft. Die Ebenen sind windturchtost: die Flechtenbärte der wenigen Bäume stehen waagerecht im Wind. Unter den Lengabäumen liegen gelbe kugelartige Früchte, walnussgroß mit einer wabenförmigen Oberfläche. Es handelt sich um einen parasitischen Pilz, der auf und um Äste und Zweige der Buchen wächst. Sein hiesiger Name: Pan de Indio. Darwin schreibt, dass dieser Pilz von den Indianern gesammelt und als einzige pflanzliche Nahrung gegessen wurde, und zwar roh. "Er hat einen schleimigen, unbedeutend süßen Geschmack, mit einem leichten Pilzgeruch."

Auf allen Karten endet im chilenischen Feuerland die Straße bei der Estancia Vicuña. Neuerdings jedoch gibt es hinter Vicuña eine neue Straße bis zum Lago Fagnano. Das Militär ist der Vater aller Straßen, genauer das CMT, das Cuerpo Militar de Trabajo, das schon die Carretera Austral bis Villa O´Higgins gebaut hat. Und wie dort geht es auch hier um die Erschließung des Südens in Konkurrenz zum argentinischen Nachbar. Die Straße soll nämlich durch die Cordillera Darwin bis an den Beagle Canal geführt werden, von wo aus dann Puerto Williams auf der Isla Navarino per Fähre erreichbar sein wird. Bislang müssen Mensch und Fracht eine sehr umständliche und langwierige Seereise von Punta Arenas durch die Fjorde und den Beaglekanal in ganzer Länge unternehmen, um diesen südlichsten Außenposten Chiles auf dem Kontinent zu erreichen, der nicht zuletzt wegen dieser schlechten Erreichbarkeit per Pkw stark im Schatten Ushuaias steht. Argentinische Straßen oder Schifffahrtswege zu benutzen, kommt natürlich nicht in Frage. Da muss doch was zu machen sein - und so sprengt sich der chilenische Nationalismus durch die Berge. Und gestattet uns damit, mit unserem Luxusgefährt in eine Gegend vorzudringen, die bis vor kurzem noch nur auf dem Pferderücken vom Seno Almirantazgo aus zu erreichen war, also so weit vom Schuss ist wie nur irgend denkbar. Es gibt hier am Ende des Lagos Fagnano eine gleichnamige Estancia, zu der riesige Ländereien gehören, die aber aus nichts als unberührtem Magellan´schem Wald bestehen. Dort fragen wir nach dem Weg, den wir morgen wandern wollen, und man zeigt uns Bilder aus gar nicht lange zurückliegenden Zeiten von Pferden, die alles, was nicht aus dem Holz der hiesigen Wälder hergestellt werden kann wie z.B. den schweren gußeisernen Herd aus Schottland, den Rio Azopardo entlang hinaufbringen mussten zum Lago Fagnano. Diesen Trail wollen wir in umgekehrter Richtung wandern, um am Ende des Seno Almirantazgo einen Blick auf die Gletscher der Cordillera Darwin zu werfen und am very end of the world, the last frontier, neben der verlassenen Farm La Paciencia unser Zelt aufzuschlagen. Am Ende der Straße, vor dem Camp des CMT, ist das Gefühl unabweisbar, am Ende der Zivilisation angelangt zu sein, wenngleich es etwas relativiert wird, wenn man sieht, wie der Dueño der Estancia für den zu erwartenden Tourismus ein nicht gerade kleines Gästehaus auf Kiel legt. Noch aber ist alles nur in Planung und wir sind - fast- die ersten.

Der Seno Almirantazgo bildet zusammen mit dem Lago Fagnano, von dem er nur durch eine ca. 10 km lange Landbrücke getrennt ist, einen etwa 180 km langen, von hohen Bergen gesäumten Schlauch, durch den jeder Wind, der nur irgendwie aus Westen kommt, gezwungen wird. Und so wandern wir durch den Sturm der roaring forties und auch die Nacht im Zelt gerät so schnell nicht in Vergessenheit: von weitem hört man die Böen durch die Bäume näherkommen, das Rauschen anschwellen, bis sie das Zelt erfassen und ordentlich durchschütteln. Aber wie es bei diesem Wetter halt so ist: man sieht nicht viel. Die ganze Cordillera im Süden ist tief hinunter in Wolken gehüllt, selbst die Gletscher gegenüber auf den Bergen sind hinter dunklen Wolken verschwunden. Daher ist hier nun für uns das Ende am fin del mundo. Dafür überrascht uns der übernächste Tag mit Schnee auf den Bergen, nicht nur auf der Cordillera Darwin, sondern auch auf den Bergen hinter uns. (Es ist hier „Hochsommer“) Die Rückfahrt über die zwei 800 m hohen Pässe wird traumhaft: die kleinblättrigen Buchen mit Schnee überzuckert -richtig weihnachtlich-, das weite Trogtal, das sich vom Lago Deseado nach Westen in die Gebirgskette hinein erstreckt, sein Boden weithin ausgefüllt mit rotem Moos, das eingefasst ist vom Grün der Buchen, die sich die Hänge der Berge hinaufziehen, dann die gewellten, von Bergen umstandenen, grasbedeckten, blumenreichen und von Wäldern durchsetzten Ebenen mit ihren Guanacos nahe der Estancia Vicuña, die knackigen Farben, nachdem der frische Wind seine Feuchtigkeit als Schnee in der Cordillera abgeladen hat: hier ist -zumindest zu dieser Jahreszeit und bei diesem Wetter- eines der letzten Paradiese.

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