Читать книгу Der Elfenstein - Manfred Rehor - Страница 10
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Am folgenden Morgen genoss ich das reichhaltige Frühstück in der Residenz des Fürsten. Allerdings nicht gemeinsam mit ihm, sondern mit der Dienerschaft im Gesindeflügel. Borran ließ seine Leute wahrhaftig nicht darben. Ich hatte in guten Herbergen für viel Geld schon schlechter gegessen. Zwar konnte der gedeckte Tisch nicht mit dem mithalten, was Jinna manchmal nach einer langen Nacht für mich auffahren ließ, aber es kam dem nahe.
Romeran aß nicht mit uns. Er hatte die Gewohnheit, früh aufzustehen, noch vor Sonnenaufgang, und sich alleine in der Küche etwas zu Essen zu machen. Es gab Gerüchte über besondere Zutaten, die er in seinen Haferbrei rührte, und die ihn trotz seines Alters noch so rüstig machten. Natürlich hieß es, diese Zutaten stammten aus der Sammlung des Fürsten. Ein Pulver, so fein, dass man es kaum sehen konnte. Allerdings kamen nun Zweifel auf, ob nicht auch schädliche Wirkungen bei so einem magischen Mittel eine Rolle spielen konnten. Zwar wusste niemand in der Dienerschaft, was genau im Saal mit den Artefakten vorgefallen war, aber eben deshalb gab es viele Gerüchte und düstere Andeutungen.
Ich hörte zu, ohne mich selbst an dem Gespräch zu beteiligen. Jedenfalls nicht mehr, als es erforderlich war, um nicht als unhöflich zu gelten. Mir lag daran, aus der Stimmung der Diener auf die Stimmung in der Stadt zu schließen. Die meisten hatten Verwandte in Dongarth, oder, wie sie mit gewissem Hochmut sagten, „drunten“, und hielten Kontakt mit ihnen. Sie erzählten ihren Familien, was sie hier im Haus hörten und erlebten und erfuhren umgekehrt, was man in der Stadt so dachte. Wobei alle so taten, als wäre Stillschweigen ihre höchste Tugend. Aber man muss kein Weltweiser sein, um zu wissen, dass wirklich verschwiegene Diener zu der seltensten Art diese Spezies gehörten.
Eigentlich hatte ich vor, meine Freunde aus der Kartenrunde im Greiff für die Suche nach dem Verkäufer des Elfensteins, Serenhem Bendal, einzuspannen. Sie waren immer bereit, für ein paar Heller etwas zu tun, das den langweiligen Alltag unterbrach. Und von dem reichlichen Lohn, den der Fürst mir versprochen hatte - und er zahlte wöchentlich im Voraus, wie ich seit dem gestrigen Abend wusste! - würde ich einen Teil abgeben und mir damit die Arbeit erleichtern.
Doch daraus wurde nichts, denn noch während ich die letzten Schlucke Thee austrank, ließ Romeran mir ausrichten, ich solle in eines der Besucherzimmer kommen, die links und rechts der Eingangshalle waren.
Als ich die Halle betrat, wartete Romeran bereits auf seinen Stock gestützt neben einer Tür.
„Guten Morgen!“, wünschte ich. „Wobei kann ich behilflich sein?“ Denn ich konnte mir nur vorstellen, dass ich einen Botengang für den Fürsten erledigen sollte. Wegen eines wichtigeren Auftrags hätte Borran mich zu sich rufen lassen.
„Wir haben Besuch“, antwortete Romeran. „Fürst Borran hat keine Zeit, diesen nicht vereinbarten Termin wahrzunehmen. Er bittet Sie, mit dem Besucher zu reden.“
„Wer ist es denn?“
„Cham Corram, der Stadthauptmann von Dongarth.“
„Oh!“, fuhr es mir heraus. „Was soll ich ihm sagen?“
„Es gibt keine Vorgaben von Fürst Borran. Fragen Sie, welches Anliegen den Stadthauptmann hierher geführt hat.“
Ich kratzte mich am Kopf. Das konnte schiefgehen. Corram war der Vorgesetzte der Hauptleute der Wache. Ich kannte ihn vom Sehen, hatte aber noch nie mit ihm gesprochen. „Und wenn er ausdrücklich den Fürsten sprechen möchte?“
„Ich habe ihm bereits gesagt, dass das in den nächsten Tagen nicht möglich sein wird.“
„Warum?“
„Eine Antwort auf diese Frage ist nicht nötig. Weder gegenüber Ihnen, noch gegenüber ihm.“
Romeran stakte mit seinem Stock davon und ließ mich ratlos vor der Tür stehen. Also setzte ich ein gekünsteltes Lächeln auf und trat in das Besucherzimmer.
Cham Corram war ein großer, kräftiger Mann Anfang vierzig. Er hatte ein Gesicht, das gleichzeitig Intelligenz und rohe Kraft ausdrückte. Am ehesten könnte man es mit dem eines gebildeten Boxers vergleichen, denn seine Nase war ein wenig eingedrückt und schief.
Er saß auf einem Stuhl, vor sich eine Tasse und eine Kanne mit Thee. Also wartete er schon länger, was ein Grund für das Stirnrunzeln sein konnte, als er mich sah.
„Sie?“, fragte er langgezogen. „Wann kommt der Fürst?“
„Er hat Ihnen bereits ausrichten lassen, dass er keine Zeit hat. Kann ich etwas für Sie tun?“
Ich setzte mich ihm gegenüber und sah ihn offen und aufmerksam an. Jedenfalls hoffte ich, dass meine Miene so wirkte.
„Sie können sich wieder in das Zimmer verkriechen, das Sie dem Vernehmen nach jetzt hier im Haus bewohnen“, sagte er bissig. „Halten Sie sich aus allem heraus. Und wenn Sie es genau wissen wollen: Das ist derselbe Ratschlag, den ich Fürst Borran geben wollte. Richten Sie ihm das aus.“
Er stand auf, als wolle er gehen. Ich stoppte ihn, indem ich fragte: „Seit wann sind Sie weisungsbefugt gegenüber einem Fürsten?“
Da ich sitzenblieb, konnte er auf mich herabsehen, während er antwortete: „Fürst Borran ist Herrscher über die Provinz Borran, aber nicht über die Hauptstadt. Dongarth ist Sitz des Königshauses und deshalb von allen Fürsten unabhängig. Auch wenn er hier wohnt, hat er nicht mehr Rechte, als jeder andere Bürger.“
Das war übertrieben ausgedrückt, denn ein regierender Fürst hatte in jeder Beziehung mehr Rechte als ein Bürger. Schon weil er über Geld und Soldaten verfügte, die es ihm ermöglichten, durchzusetzen, was er für sein gutes Recht hielt. Aber formell stimmte, was der Stadthauptmann sagte. Borran konnte ihm keine Befehle erteilen. Umgekehrt galt allerdings dasselbe.
Ich lehnte mich zurück, um bequemer zu Corram hochsehen zu können. „Gibt es einen besonderen Grund für ihre Bitte?“, wollte ich wissen. „Zumindest was meine Person angeht? Ich bin Bürger von Dongarth und kann in der Stadt tun, was ich will, solange es nichts Unrechtes ist.“
„Sie können wenig tun, wenn ich Sie einsperren lasse“, knurrte er. „Zu Ihrem eigenen Schutz, versteht sich. Sie ziehen in den letzten Tagen zu viel Ärger auf sich, junger Mann. Das mag ich nicht, auch wenn Sie ganz gut damit zurecht zu kommen scheinen.“
„Mir wäre es auch lieber, wenn ich hübsche Frauen anziehen würde, statt streitsüchtiger Schlägertypen“, behauptete ich. „Es liegt nicht an mir, das können Sie mir glauben.“
„Da bin ich mir nicht so sicher. Warum kommen diese Leute alle aus Krayhan, wo auch Sie herstammen?“
„Ich kenne keinen von ihnen aus früheren Zeiten. Als ich nach Dongarth kam, war ich neunzehn, und ich hatte schon eine lange Reise hinter mir. Seitdem bin ich nie wieder in Krayhan gewesen.“
„Sie halten Kontakt mit Ihrer Mutter“, sagte er.
„Aber nur per Brief, und auch das selten. Woher wissen Sie das? Bin ich so interessant für Sie, dass Sie mir Spitzel auf den Hals gehetzt haben?“
„Ich lasse mich regelmäßig über alle Ärgermacher in der Stadt informieren“, sagte er. „Ihr Name taucht da zu häufig auf, als dass ich Sie ignorieren könnte.“
„Moment!“, protestierte ich. „Ich bestehe auf der Feststellung, dass nicht ich derjenige bin, der Ärger macht. Es sind immer die Anderen, die anfangen.“
Er winkte ab. „Sparen Sie sich das. Ein ehrbarer Bürger, der tagsüber arbeitet und abends zu Hause oder in der Taverne sitzt, hat die Probleme nicht, die Sie anzuziehen scheinen.“
„Ob ich mich zum ehrbaren Bürger eigene, bezweifle ich selbst“, gab ich zu.
„Na, wo Einsicht ist, ist auch die Möglichkeit zur Veränderung.“ Nach dieser versöhnlichen Feststellung öffnete er die Tür und marschierte hinaus.
Ich folgte ihm nicht, sondern stand auf und ging zum Fenster. Tatsächlich warteten am Eingang des Grundstücks zwei Wachmänner auf ihren obersten Vorgesetzten. Ein Mann wie Cham Corram hatte so viele Feinde, dass er besser nicht alleine durch Dongarth spazierte.
Als sie weg waren, verließ ich den Besucherraum. Romeran war nirgends zu sehen, deshalb ging ich in mein Zimmer. Ich verfügte zwar nicht über Begleiter, die auf mich aufpassten, aber über einen Degen. Den holte ich, bevor ich mich auf den Weg hinunter in die Stadt machte.
Serron war derjenige von meinen Freunden, der so gut wie immer wusste, wo die anderen sich gerade herumtrieben und womit sie beschäftigt waren. Deshalb suchte ich ihn, um meine Bitte loszuwerden. Inzwischen stand die Mittagssonne hoch am Himmel, der Schatten, den der Berg Zeuth morgens immer auf die Stadt warf, war verschwunden.
Ich fand Serron am Rand des Marktplatzes, von wo aus er zusah, wie die Händler ihre Stände abbauten. Er hatte sich bei einem Bäcker ein gerolltes, gefülltes Fladenbrot geholt und kaute daran herum, als wäre es zäh wie altes Fleisch.
„Nicht gut?“, fragte ich, als ich neben ihm stand.
„Schmeckt, als hätte der Bäcker Ratten für die Fleischfüllung verwendet.“
„Und? Hat er?“
„Nein. Aber es heißt, er verkaufe in seinem Laden nicht nur die Produkte seines Backofens, sondern auch noch weniger bekömmliche Sachen.“
„Kräuter, Pilze und Pülverchen?“
Serron nickte. „Man hat mich gebeten, ein Auge auf ihn zu haben. Nur die Heiler dürfen solche Sachen verkaufen, und das aus gutem Grund. Sie sehen es nicht gerne, wenn sie illegale Konkurrenz bekommen.“
Ich sah mich um. „Wo ist er?“
„In seinem Geschäft drüben auf der andern Seite des Platzes. Wie jeder Bäcker hat er schon morgens um drei mit der Arbeit begonnen. Gleich wird er den Laden einer Verkäuferin überlassen, in den ersten Stock hochgehen und sich schlafen legen.“
„Du bist seit drei Uhr hier?“, vergewisserte ich mich.
„Richtig. Ich wollte sehen, ob er nächtlichen Besuch bekommt. Heute war das nicht der Fall, aber das hat nichts zu besagen.“ Er deutete mit den Augen seitlich an mir vorbei. „Dort kommt die Verkäuferin.“
Ich drehte mich kurz nach ihr um. Sie war eine Frau Mitte dreißig von plumper Gestalt, die sich aufreizend bewegte. Sie wollte bei männlichen Beobachtern sicherlich nicht den Eindruck einer guten Mutter und Hausfrau hinterlassen. Um die Hüfte geschlungen trug sie ein Art Schal, der mit kleinen Schmuckstücken behängt war. Bei jedem Schritt glitzerten sie in der Sonne. An beiden Handgelenken hatte sie goldene oder, wahrscheinlicher, vergoldete Armreife. Auch die Ringe an den Fingern waren auffallend groß.
„Nicht das, was man von einer Verkäuferin erwartet, die nur einen oder zwei Taler im Monat verdient“, sagte ich.
„Du denkst dasselbe wie ich“, bestätigte Serron. „Ich werde ihr folgen, wenn sie am späten Nachmittag wieder nach Hause geht.“
„Tu das. Aber ich bin nicht gekommen, um mit dir über die Frauen in deinem Leben zu sprechen. Fürst Borran hat mich beauftragt, jemanden zu suchen. Du hast keine Zeit, wie ich nun weiß. Wie steht es mit Gendra und Martie?“
„Können beide ein paar Heller extra gebrauchen und müssten frei sein. Ich kann dir sagen, wo du sie findest, aber ich selbst möchte im Moment nicht hier weggehen.“
„Verständlich.“
Eine Stunde später saß ich mit den beiden vor einer der Tavernen nördlich des Händlerwasens in der Sonne. Wir hatten einen Tisch und drei Stühle herausgetragen, zur Überraschung der anderen Gäste, die sich lieber drinnen mit Würfeln und Kartenspielen die Zeit vertrieben. Das Schankmädchen brachte uns drei Humpen kaltes Bier und kassierte gleich ab.
Immerhin hatten wir so den Vorteil, keine Mithörer in der Nähe zu haben, sodass wir ungestört reden konnten. Ich erklärte ihnen, welchen Auftrag ich von Fürst Borran erhalten hatte, ohne auf die Einzelheiten einzugehen. Aber ich nannte ihnen den Namen des Mannes, über den sie Erkundigungen einholen sollten.
Gendra riss überrascht die Augen weit auf. „Serenhem Bendal? Hab ich schon gehört. Ich glaube, den musst du nicht lange suchen.“
Martie nickte und fügte hinzu: „Von dem habe ich gerade heute Morgen ein Angebot bekommen. Er will Söldner anwerben, die hier in der Stadt ein paar Erledigungen für ihn ausführen.“
„Heißt das, er sucht Schläger, so wie Rellmann es getan hat?“, hakte ich nach.
„Ja, aber von einer härteren Sorte und vor allem - Einheimische.“ Martie rieb sich nachdenklich das Kinn. „Sollte er etwas mit Rellmann zu tun haben, dann hat er aus dessen Versagen gelernt. Wenn er dir Leute wie Gendra oder mich auf den Hals hetzt, bekommst du ernsthaft Probleme, Aron. Was hat der Mann gegen dich?“
„Soweit ich weiß, nichts. Aber Fürst Borran findet es seltsam, dass ein Händler aus Kerrk unvermittelt hier in Dongarth auftaucht, und möchte mit ihm darüber reden. Und über anderes. Wisst ihr, wie viele Söldner Bendal anheuern will?“
„Vier oder fünf“, sagte Gendra. „Wie wäre es, wenn du selbst das Gerücht streust, du würdest eine Stelle suchen?“
„Jeder in der Stadt weiß, dass das nicht stimmt. Zumindest jeder, der in solchen Kreisen verkehrt. Ist Bendal wählerisch, was seine Söldner angeht?“
„Das weiß ich nicht. Ich habe bisher von keinem gehört, den er tatsächlich in seinen Dienst genommen hat. Entweder, er hat sich noch nicht entschieden, oder die Leute haben Anweisung, den Mund zu halten über ihren neuen Arbeitgeber.“
„Hat ihn überhaupt schon jemand gesehen, gibt es eine Beschreibung?“, fragte ich weiter.
Sie schüttelten beide den Kopf. „Das läuft alles über Hörensagen und Gerüchte“, sagte Gendra.
Ich erzählte ihnen von Seliim, den sie kannten. Dass dieser schmächtige Mann für den Fürsten arbeitete, sagte ich nicht, aber das konnten sie sich denken. „Er hat von Serenhem Bendal gehört. Auch, dass der einen falschen Namen benutzen will. Deshalb finde ich es seltsam, hier seinen wahren Namen zu hören.“
Gendra grinste und sagte: „Woraus man folgern kann, dass Serenhem Bendal eben nicht sein wahrer Name ist.“
„Aber er ist Händler in Kerrk und hat ein Geschäft, das auf ihn eingetragen ist“, wandte ich ein, wusste jedoch, wie wenig das in Wirklichkeit besagte. Ein ordentliches Schmiergeld genügte, und schon trugen die zuständigen Behörden einer Stadt alles in die Händlerrolle ein, was man wollte.
„Falls das stimmt, sollte sich jeder in Acht nehmen, der Geschäfte mit ihm macht.“ Martie sah mich an. „Ich werde das als Gerücht in meinem Bekanntenkreis streuen. Gilt dein Angebot immer noch? Wir sollen uns nach ihm umhören?“
„Jetzt mehr denn je“, bestätigte ich.
„Dann, mein Lieber, kostet dich das mehr denn je“, sagte er. „Unsere kleine Unterhaltung hat mir klar gemacht, wie gefährlich es sein kann, hinter diesem Mann herzuschnüffeln.“
Gendra nickte zustimmend und ich griff mit gespielter Entrüstung zu dem Lederbeutel mit Talern, den ich dabei hatte.
Ein halbes Dutzend Lagerfeuer auf dem Händlerwasen loderten mehr als mannshoch in den nächtlichen Himmel. Die Lenker der Fuhrwerke und die Helfer der Händler saßen beisammen, sahen zu, wie die fetten Braten an Spießen gedreht wurden, und tranken Bier. Fast einhundert Männer und Frauen hatten sich hier eingefunden. Einige machten Musik mit Trommeln, Flöten und Saiteninstrumenten. Eine Gruppe führte einen rhythmischen Tanz vor und wurde bejubelt. Der bunten Kleidung nach zu urteilen stammte sie tief aus dem Süden.
Ich saß am westlichen Ende des Platzes, so weit von den Feuern entfernt, dass ich nicht gesehen werden konnte. Es war eine schöne, klare Nacht. Die Sterne leuchteten sanft, der Mond war noch nicht aufgegangen. Im Hintergrund stand als dunkler Schatten der Berg Zeuth. Davor blinkten kleine Lichter, die von den Gebäuden an seinem Hang stammten. Von mir aus gesehen befanden sich rechts das Bergviertel mit den Villen der Reichen und links die Burg, die höher stand als alles andere. Dazwischen die Residenz des Fürsten Borran, von der kein Lichtschein herüberdrang, und die Akademie des Zeuth. Sie leuchtete heute Nacht in einem sanften, dunklen Blau. Die Magier waren zufrieden mit sich und der Welt. Auch der Tempel des Einen Gottes, unterhalb der Burg in der Stadt, war noch zu erkennen.
Wenn viele Händler auf dem Händlerwasen ihre Güter austauschten, konnten dort bis zu hundert Wagen, Karren und Fuhrwerke stehen. Die Ställe und Weideflächen südlich des Platzes waren dann voll. Die Bedürftigen kamen aus Dongarth und dem Armenviertel und boten für ein paar Kreuzer ihre Dienste als Helfer an. Die Händler waren bereit, sie zu bezahlen, um ihren eigenen Leuten die Zeit in der Hauptstadt angenehm zu machen. Denn der rege Austausch an den Lagerfeuern zwischen Menschen aus allen Teilen der Ringlande war eine wichtige Informationsquelle. Jeder vernünftige Händler fragte am nächsten Morgen beiläufig seine Fuhrleute nach dem, was sie gehört hatten. Denn die Händler selbst beteiligten sich nicht an diesem feucht-fröhlichen Treiben. Sie saßen in den Tavernen oder vornehmen Gaststätten - je nach Geldbeutel und Bedeutung des Einzelnen - und redeten mit ihresgleichen.
Auch ich war zum Händlerwasen gekommen, um Neues zu hören. Martie und Gendra würden sich melden, falls sie etwas über Serenhem Bendal in Erfahrung brachten. Wenn nicht, dann wartete ich eben umsonst. Ich vertrieb mir die Zeit damit, das Treiben an den Lagerfeuern zu beobachten.
Es gab einige Leute, die von Gruppe zu Gruppe schlenderten. Sie setzten sich, redeten eine Weile, gingen dann aber weiter. Das mochten Spitzel sein, ob vom königlichen Rat, vom Fürsten Borran, von Cham Corram oder auch nur von einem der Händler, der möglichst viel in Erfahrung bringen wollte. Auch eigneten sich solche Nächte wunderbar dazu, Gerüchte in die Welt zu setzen. Was hier getuschelt wurde, verbreitete sich innerhalb von Wochen bis in den letzten Winkel der Ringlande.
Ich gähnte und fragte mich, ob Bendal in meiner Nähe war, oder ob der Reisende aus dem Osten an einem der Feuer saß. Falls er wirklich von draußen kam, aus Ostraia zum Beispiel, würde er viele für ihn merkwürdige Dinge hören. Wusste man in anderen Gegenden der Welt Bescheid über den besonderen Schutz des Berges Zeuth und des Ringgebirges? Sie verhinderten, dass unser Land erobert werden konnte. Je mehr Bewaffnete in einer Gruppe beisammen waren, desto schwächer wurden sie im Kampf. Eine Räuberbande von einem Dutzend spürte davon kaum etwas. Aber eine gut gerüstete Einheit aus einhundert Schwertkämpfer würde eine Schlacht gegen zwanzig oder dreißig schlechter ausgerüstete Kämpfer verlieren. Eine Armee mit Tausenden von fremden Soldaten konnte von einer Hundertschaft der unsrigen vernichtend geschlagen werden.
Dieser Schutz machte die Ringlande unangreifbar. Auch weil jemand, der hier geboren wurde, im Kampf gegen jemanden von außerhalb immer einen Vorteil hatte. Der Berg bevorzugte seine Menschenkinder, sogar im Zweikampf.
Diese Gewissheit, so hatte Fürst Borran einmal nachdenklich gesagt, machte uns Ringländer träge und wenig interessiert an der Welt außerhalb. Niemand könne uns wirklich bedrohen, so dachten wir immer. Doch dann kamen die Kurrether, die trotz ihrer überlegenen Waffen nicht versuchten, gegen uns zu kämpften. Sie boten ihre Dienste an als wertvolle Ratgeber, besetzten Positionen in den Verwaltungen und waren binnen weniger Jahre überall, wo es etwas zu entscheiden gab. Da findet ein Kampf ohne Waffen statt, hatten Borran gesagt, und kaum einer bemerkt es.
Der Schutz des Berges war jedoch auf größere Auseinandersetzungen begrenzt. Leider hinderte er niemanden daran, seinem Mitmenschen den Schädel einzuschlagen oder in kleinen Gruppen Raubzüge auszuführen. Man sagte, dass bis zu zehn Kämpfer keine Nachteile spürten. Deshalb gab es Räuberbanden entlang den Handelswegen und jede Menge Konflikte zwischen den Fürstenhäusern. Die konnten eben nur nicht mit Armeen auf einander losgehen und große Schlachten schlagen. Solche Ereignisse soll es früher im Kaiserreich oft gegeben haben. Aber die Ringlande waren sicher davor.
Einst, vor vielen Generationen, herrschten mehr als sechzig Fürstenhäuser über das Land. Meine Vorfahren, die Fürsten von Reichenstein, waren die Herren eines kleinen Gebiets im Nordosten gewesen. In fast endlosen begrenzten Konflikten, die in ihrer Summe auch Abertausende von Toten gefordert haben mochten, reduzierte sich im Laufe von Jahrhunderten die Zahl der Fürstenhäuser auf sieben. Die unterstellten sich schließlich als Provinzen dem Königshaus. Um den König nicht zu mächtig werden zu lassen, unterstand ihm selbst keine große Region, sondern nur die Hauptstadt.
Dieses Gleichgewicht war nun seit dreihundert Jahren stabil. Zu stabil, wenn ich Fürst Borran richtig verstand.
Zwei dunkle Schatten näherten sich mir von Norden kommend. Ich hörte auf zu Grübeln und sah genauer hin. Die Umrisse ließen keinen Zweifel: Es war Gendras massige Gestalt mit den geschmeidigen Bewegungen, und neben ihr Martie, dem man das militärische Training bei jedem Schritt anmerkte. Sie hatten mich bisher nicht bemerkt, ich saß zu gut geschützt vor fremden Blicken im Dunkel unter einem alten Baum. Erst, als sie nur noch zehn Schritte entfernt waren, stutzten sie. Die kleine Bewegung, mit der sich jeder der Beiden versicherte, dass die Waffe griffbereit war, verriet die Kampferfahrung. Ich stand auf und drehte mich ein wenig, damit der Lichtschein der Lagerfeuer mein Gesicht erhellte.
„Du hast nicht genau gesagt, wo du auf uns wartest“, rechtfertigte Gendra sich, als ich sie mit der Bemerkung begrüßte, sie würden sich offenbar vor mir fürchten. „Und wenn du wüsstest, was wir wissen, hättest du dich nicht alleine hierher gesetzt.“
„Ist es so gefährlich, dass wir wo anders hingehen sollten, obwohl ihr jetzt hier seid?“, erkundigte ich mich leichthin.
„Mir wäre wohler.“
Dieses Eingeständnis überraschte mich. Ich fragte aber nicht nach dem Grund, sondern folgte den beiden bis zum Ufer des Donnan. Dort gab es ein paar Holzbalken, die zum Festbinden von Pferden dienten, wenn diese mit dem Kahn von der Küste hierher gebracht wurden. Derzeit waren sie unbenutzt. Wir setzten uns und hatten nun das Wasser im Rücken. Einen besseren Schutz gab es nicht. Jeden, der von vorne kam, würden wir gegen das Licht der Lagerfeuer erkennen. Der Pfad, der am Ufer entlang führte, war mit Kieseln belegt, über die sich von der Seite her niemand völlig geräuschlos nähern konnte.
„Was habt ihr herausgefunden?“, wollte ich wissen.
„Bevor wir eine Geschichte erzählen, die du vielleicht schon kennst, frage ich lieber“, begann Gendra. „Hast du gehört, was kurz vor Einbruch der Dunkelheit am Handelshafen vorgefallen ist?“
„Noch nicht. Ist es wichtig, das zu wissen?“
„Und ob. Martie und ich waren zunächst getrennt in der Stadt unterwegs, um ein paar Leute auszufragen, die wir kennen. Niemand, mit dem ich gesprochen habe, wusste etwas Konkretes, aber alle hatten davon gehört, dass jemand eine Gruppe Bewaffneter zusammenstellen will. Es war von guter Bezahlung die Rede, aber dafür wolle der Auftraggeber die Besten haben, die Dongarth zu bieten hat. Leute, die nicht nur kämpfen können, sondern auch bereit sind, es zu tun. Eine riskante Sache sei geplant, nicht ganz legal, aber nicht direkt ein Verbrechen, dessen ein Söldner sich schämen müsste.“
„Hört sich eher nach einer Räuberbande an, die da jemand gründen will“, kommentierte ich.
Martie lachte. „Es gibt ein Argument dagegen: Wer sich dafür interessiert, muss nicht reiten können. Das hat sich auch herumgesprochen. Es geht also um etwas, das hier in Dongarth stattfinden soll.“
„Gibt es Söldner, die nicht reiten können?“
„Zumindest gibt es ein paar Haudegen, die nicht gerne reiten. Und Männer von der Küste, die gewandt sind im Umgang mit der Waffe, aber sich an Bord eines Schiffes sicherer bewegen als im Sattel.“
„Mag sein“, gab ich zu. „Weiter?“
„Gendra und ich trafen uns unvermutet am Nord-Tor der Stadt wieder, weil wir beide gehört hatten, es gebe einen Treffpunkt am Handelshafen. Interessenten sollten sich gegen Abend dort einfinden. Ein genauer Ort wurde nicht genannt. Aber der würde leicht zu finden sein. Man kennt sich untereinander, zumindest vom Sehen. Also haben wir Ausschau gehalten nach einer Gruppe von Männern und Frauen, die aussahen wie Söldner auf der Suche nach einer Arbeit. Das war einfach genug.“
„Wie viele waren es?“, wollte ich wissen.
„Mehr als ein Dutzend. Und sie steckten bis über beide Ohren in Schwierigkeiten.“
„Warum das?“, fragte ich überrascht.
„Der Stadthauptmann hat ebenfalls von den Gerüchten gehört. Er ist zum Handelshafen gekommen - noch vor Gendra und mir, zum Glück. Die Stadtwachen haben die Söldner eingekreist. Sie hatten sogar einen Kampfmagier dabei. Vielleicht befürchtete Corram, ein abtrünniger Magi der Akademie oder ein abenteuerlustiger Adept könnte sich der Gruppe anschließen. Jedenfalls hat Corram klar gemacht, dass niemand eine Chance hat, ihm und seinen Wachen zu entkommen. Als wir eintrafen, hatte man gerade damit begonnen, die Söldner einzeln zu entwaffnen. Es war ein Schreiber dort. Der notierte bei jedem Mann, welche Waffen ihm abgenommen wurden, seinen Namen und seinen Wohnort, wenn er einen in der Stadt hatte.“
„Ich nehme an, so mancher wird seinen Namen nur ungern der Wache genannt haben.“
„Und doch hat es jeder getan. Denn die Waffen hat Corram anschließend mitgenommen. Deren Besitzer bekamen zu hören, sie könnten sich in den nächsten Tagen persönlich in der Hauptwache melden. Und zwar mit einem Nachweis über ihren Namen. Dann bekommen sie ihre Waffen zurück. Wer keinen Namen genannt hätte, oder diesen später nicht mit einem amtlichen Dokument belegen kann, hat seinen wertvollsten Besitz verloren: das Schwert oder den Degen, die Wurfmesser oder den doppelseitigen Dolch.“
Ich musste lachen. „Corram ist ein alter Fuchs. So hat er nicht nur verhindert, dass der unbekannte Auftraggeber sich eine Gruppe Söldner anheuert, sondern er verfügt jetzt auch über eine Liste derjenigen, die bereit sind, sich für eine nicht legale Arbeit zu bewerben.“
„Ja, das hat er schlau eingefädelt.“ Martie sah mich an. „Was hältst du davon?“
„Serenhem Bendal, wenn er wirklich derjenige ist, der die Söldner beauftragen wollte, kennt sich nicht mit den Gepflogenheiten in Dongarth aus“, sagte ich, nachdem ich einen Moment nachgedacht hatte.
„Weil er Cham Corram unterschätzt hat?“, fragte Gendra.
„Nein. Weil er nicht ahnte, wie schnell sich Gerüchte hier verbreiten. Wir wissen nun, dass er zum ersten Mal in der Stadt ist. Also wirklich jemand, der wahrscheinlich aus dem Nordosten kommt und hier etwas Verbotenes tun will.“
„Hilft dir das weiter?“
„Nein, im Gegenteil. Wenn er nicht zwischen den Männern war, die Corram einzeln entwaffnet hat, ist er jetzt gewarnt. Er wird vorsichtiger vorgehen. Das macht es noch schwieriger, seiner habhaft zu werden oder herauszufinden, was genau er vorhat. Eines jedenfalls ist klar: Fürst Borran hatte es nicht mit einem normalen Händler zu tun, als er in Kerrk etwas gekauft hat.“
Dass es sich um einen Elfenstein handelte, behielt ich weiterhin für mich. Die beiden würden auch so erraten können, dass es um ein neues Stück für die fürstliche Sammlung ging.
„Ist das, was er von Serenhem Bendal gekauft hat, wichtig für den Fürsten?“, fragte Gendra mit einem ungewohnt weichen Ton in ihrer Stimme.
„Wie kommst du darauf?“
„Es heißt in der Stadt, er sei krank. Aus dem Nordosten der Ringlande stammen viele heilende Kräuter und andere Gegenstände, die bei der Gesundung helfen.“
„Denkt nicht weiter darüber nach“, sagte ich.
Inzwischen war der Mond aufgegangen, die Landschaft war merklich heller geworden. Ich stand auf und streckte mich. „Die Stadttore sind geschlossen und wir werden uns nicht die Blöße geben, einen von den Wachsoldaten darum anzubetteln, uns trotzdem hineinzulassen. Und Sperrgeld bezahlen will ich auch nicht. Was haltet ihr davon, die wenigen Stunden bis Sonnenaufgang in einer der Tavernen mit Würfeln zu vertreiben?“
Sie waren, wie nicht anders zu erwarten, einverstanden - nachdem ich hinzugefügt hatte, dass die Getränke auf meine Rechnung gingen.