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Am folgenden Morgen verließ ich die Stadt durch das Nord-Tor und wandte mich nach Westen. Ein paar Hundert Schritte, und schon fühlte ich mich, als würde ich in eine vor langer Zeit verlassenen Heimat zurückkehren. Die schiefen Hütten, die schlecht gekleideten Männer, Frauen und Kinder, die Geräusche und Gerüche hießen mich willkommen.

Die ärmsten Menschen in Dongarth wohnten nicht in der Stadt, sondern außerhalb der Stadtmauern. Besonders um die Nordwestecke herum stand ein dichtes Gewirr einfacher Hütten. Hier lebten diejenigen, denen selbst die dürftigsten Unterkünfte im schmutzigen Nordviertel zu teuer waren. Einmal davon abgesehen, dass es innerhalb der Mauern nicht genug Platz gab, um so viele zusätzliche Häuser zu bauen.

Armenviertel nannte man diese Hüttensiedlung verschämt, wenn man überhaupt einmal darüber sprach. Allgemein wurde es als Teil der Stadt anerkannt, doch wer hier lebte, benötigte einen Passierschein wie ein Fremder, um sich nachts in Dongarth aufhalten zu dürfen. Kinder, die hier geboren wurden, trug man nicht in das Geburtenregister ein, sie erhielten also nicht die vollen Bürgerrechte der Hauptstadt.

Es gab keine Stadtwache im Armenviertel. Diese Aufgabe übernahmen die Wachleute, die für den Westhafen am Donnan zuständig waren. Da die meist genug mit der Kontrolle der Händler und dem Verhindern von Diebstählen aus den Lagerhäusern zu tun hatten, kümmerten sie sich kaum um die Hütten der Armen.

Das hatte dazu geführt, dass sich Diebe, erwerbsmäßige Bettler und gesuchte Verbrecher bevorzugt hier aufhielten.

Während meiner ersten beiden Jahre in Dongarth hatte auch ich einen Unterschlupf im Armenviertel genutzt, weil ich nicht genug Geld für eine Wohnung innerhalb der Stadtmauern hatte. Ich lernte die Menschen hier kennen und schätzen. Wenn man sich ihre Standards zu eigen machte, waren sie so ehrenwert und anständig, wie alle anderen auch. Sie nahmen mich auf, ohne zu fragen, wer ich war und woher ich kam. Sie teilten ihre dürftigen Mahlzeiten mit mir und ich die meinen mit ihnen, wenn ich nach einem erfolgreichen Tag etwas zu Essen hatte.

Vor allem aber: Sie brachten mir bei, wie man in der Stadt überlebte. Jeder Mensch hat das Recht auf seine Existenz, sonst hätte der Eine Gott ihn nicht erschaffen. Das war der allgemein anerkannte Grundsatz, an den sich hier jeder hielt. Zumindest so lange, wie man keinen Ärger machte. Gab es einen triftigen Grund, zum Beispiel, dass einer nicht die ungeschriebenen Gesetze beachtete, so hatte er sein Leben schnell verwirkt. Langes Zaudern war nicht die Sache dieser Leute. Das wichtigste Gesetz, an das man sich halten musste, lautete: Man bestiehlt und verletzt niemanden, der hierher gehört, und man verrät ihn auch nicht.

Wer einige Zeit hier gelebt hatte, wurde von den Bewohnern der Hütten für immer als einer der ihren betrachtet. Egal, wohin ihn die unvorhersehbaren Wege des Schicksals verschlugen. Deshalb musste ich mich nicht in Acht nehmen, als ich zwischen den Hütten hindurch ging. Ein neugieriger Bürger der besseren Viertel Dongarths, der hierher kam, um sich umzusehen, wäre binnen Minuten sein Geld und sogar einen Teil seiner Kleidung losgeworden. Wenn er sich wehrte, dann vielleicht das Leben. Aber das kam nur alle paar Jahre einmal vor. Das Armenviertel hatte einen Ruf, der diejenigen Menschen abhielt, die hier nichts zu suchen hatten.

Es gab inzwischen viele hier, die mich nicht mehr aus der damaligen Zeit kannten. Sie folgten mit finsteren Blicken meinen Schritten. Aber dann grüßte mich einer der Alteingesessenen von Ferne mit einem Lächeln und einem kurzen Winken, und schon wussten alle anderen, dass ich dazugehörte.

Die Hütte, zu der ich ging, fand ich in demselben Zustand vor, in dem sie bereits vor Jahren gewesen war: Die Fenster waren blind vor Schmutz und hatten Sprünge, die Tür hing schräg in den Angeln und war durch ein großes, rostiges Schloss gesichert, wenn sie nicht wie meist halb offenstand.

Mit dem Fingerknöchel klopfte ich ein paar Mal kräftig gegen das Türblatt und rief halblaut: „Merion, bist du zu Hause?“

„Komm schon herein!“, antwortete eine tiefe Männerstimme.

Ich trat ein und sah mich um. Auch im Inneren hatte sich nichts verändert. Ich stand in einem gemütlich eingerichteten, großen Zimmer, wie man es in einem gutbürgerlichen Haus in der Innenstadt vorfand. Ein gewebter Teppich bedeckte den Boden. Die Möbel waren ordentlich geschreinert und zeigten weder Kratzer noch andere Spuren langen Gebrauchs. In einem Schaukelstuhl saß ein Mann, der Pfeife rauchend seiner Frau beim Stricken zusah. Friedla lächelte mir zu, packte ihre Wollknäuel zusammen und verließ wortlos das Zimmer.

„Setzt dich Aron“, forderte Merion mich auf und deutete mit der Pfeife auf einen tiefen Sessel, aus dem ich zuerst eine Katze vertreiben musste. Sie starrte mich einen Moment beleidigt an, bevor sie geschmeidig auf den Boden sprang und durch die Tür verschwand, die Friedla einen Spalt weit offen gelassen hatte.

Wenn man ihn nicht kannte, konnte man Merion für einen vom Alter gebeugten Mann halten, der mit gichtigen Gelenken und trüben Augen seine letzten Jahre im Schaukelstuhl verbrachte. Dabei waren seine Finger nach wie vor so beweglich, dass er einer der besten Taschendiebe der Stadt war. Seine Muskeln waren dank täglicher Übung gut entwickelt und der Blick so scharf, dass man darunter zu zittern anfing, wenn er einen wütend anstarrte. Er hatte mir unendlich viel beigebracht in meinen ersten Jahren in Dongarth.

Nachdem wir die üblichen Fragen nach Gesundheitszustand, Familie und dem Wohlergehen gemeinsamer Freunde hinter uns gebracht hatten, kam Friedla herein. Sie stellte eine Kanne Thee, Tassen und eine Schale mit Gebäck auf einen kleinen Tisch zwischen uns und setzte sich wieder in ihren Sessel. Das Geschirr war von hoher Qualität, tatsächlich sogar teure Importware aus Askajdar. Der Thee stammte mit Sicherheit von dort und war so hochwertig wie derjenige, den Fürst Borran servierte.

„Du kommst, um mich zu fragen, was ich über die Männer weiß, die man auf dich angesetzt hat“, begann Merion. „Rellmann stammte aus der Provinz Krayhan. Ich habe vorher nichts von ihm gehört. Er hatte ein paar Raufbolde angeworben, die noch nicht lange in der Stadt waren. Keiner von ihnen taugt etwas. Man sagt, Hauptmann Sterrin will sie heute Abend aus dem Kerker entlassen.“

„Warum das?“, fragte ich überrascht.

Merion lachte. „Es wird zu voll, lautet die offizielle Erklärung. Ich nehme aber an, er will beobachten, wohin sie gehen.“

„Das interessiert mich. Ich werde Sterrin heute Nachmittag einen Besuch abstatten“, sagte ich. Der Weg hierher hatte sich jetzt schon für mich gelohnt.

„Tu das, und berichte mir, falls du etwas herausfindest. Ich möchte nicht, dass Fremde sich einbilden, sie können in Dongarth tun und lassen, was sie wollen.“

„Da du gerade von Fremden sprichst: Hast du etwas von dem geheimnisvollen Mann gehört, der angeblich aus Ostraia gekommen ist?“

Wieder lachte Merion und auch Friedla lächelte.

„Es war mir klar, dass du sofort auf diese Gerüchte anspringst, Aron. Deine Besessenheit von diesem paradiesischen fernen Land hat sich nicht gelegt. Ja, ich habe von ihm gehört. Aber ich konnte bisher niemanden ausfindig machen, der ihn gesehen hätte. Weder hier noch im Osten, von wo er angeblich gekommen ist.“

„Was besagen die Gerüchte?“, fragte ich und ließ mir von Friedla die Tasse noch einmal füllen. Der aromatische Thee und die von ihr gebackenen Süßigkeiten entfalteten ein Gefühl von Zufriedenheit in mir, wie ich es selten empfand.

„Das kommt darauf an, wen man fragt. Da nichts Genaues bekannt ist, macht sich jeder seine eigenen Gedanken. Und die spiegeln das wieder, was der Betreffende hofft oder fürchtet. Die Händler reden anders über den Fremden, als es die Herren im Magistrat tun. Und unsere Freunde hier haben ganz andere Erwartungen.“

„Welche?“

„Sie träumen von unerhörten Reichtümern. Man sagt, dieser Reisende bringe Edelsteine groß wie Vogeleier mit aus den fernen Landen außerhalb des Ringgebirges. Unermessliche Schätze, um die man ihn nur zu gerne erleichtern würde.“

Ich grinste. „Da geht mal wieder die Fantasie mit einigen durch. Selbst wenn es so wäre - wo wollte ein Dieb solche Edelsteine verkaufen, ohne aufzufliegen?“

„Die Edelsteinschleifer weit im Norden können aus einem großen Stein mehrere kleine machen. Die sind zusammen nicht so viel wert, aber immer noch ein Vermögen. Außerdem gibt es reiche Leute, die wertvolle Gegenstände kaufen und horten, ohne sie jemals jemandem zu zeigen. Es gibt keine kompaktere Form, Reichtum zu lagern, als Diamanten.“

„Verstehe. Von was träumen die Herren im Magistrat?“

„Die haben Alpträume, die sie mit manchem Fürsten draußen im Land und womöglich auch den Ratsherren der Königin-Witwe teilen. Der Reisende könnte ein Spion sein, der die Ringlande auskundschaftet. Oder der Botschafter eines anderen Reiches, vielleicht sogar des Kaisers, so es ihn noch geben sollte. Er könnte gekommen sein, um herauszufinden, mit wem man hier diplomatische Kontakte aufnehmen kann.“

„Gibt es dafür eine andere Möglichkeit als das Königshaus?“, fragte ich.

„Die Kurrether“, antwortete Merion. „Stell dir vor, der Fremde übergeht alle Fürsten und die Königin-Witwe und wendet sich direkt an sie. Niemand wünscht sich das. Davon abgesehen hofft natürlich jeder Fürst, selbst als erster an diesen geheimnisvollen Mann heranzukommen und sich so politisch in den Vordergrund spielen zu können.“

„Es geht also um Macht“, fasste ich zusammen. „Nach den Handelsherren brauche ich nicht zu fragen. Die erhoffen sich gute Geschäfte, neue Märkte für ihre Waren und im Gegenzug den Import exotischer Güter, die sie hier für teures Geld verkaufen können.“

„Richtig. Kurz gesagt, jeder ist hinter diesem Fremden her. Es kann nicht lange dauern, bis ihn jemand entdeckt. Sogar die Kurrether sieht man häufiger als sonst, sie unternehmen Reisen in die weitere Umgebung und ziehen Erkundigungen ein.“

„Warten wir es ab. Das erklärt zumindest die Unruhe, die man in der Stadt spürt.“

„Mag sein.“ Merion trank den letzten Schluck Thee, wippte mit dem Schaukelstuhl ein paar Mal vor und zurück und griff dann nach seiner Pfeife. Er entzündete sie und fragte: „Du willst noch etwas fragen?“

„Man wird dir gesagt haben, dass ich Jonner nach Krayhan geschickt habe, um etwas herauszufinden.“

„So heißt es.“

„Man hat einen Kurier überfallen, getötet und ausgeraubt, der auf dem Weg zum Fürsten Borran war. Der Räuber hat etwas erbeutet, das fast so wertvoll ist, wie die sagenhaften Riesendiamanten des Fremden.“

„Ein magisches Artefakt also.“ Merion schüttelte bedauernd den Kopf. „Du weißt, dass ich außerhalb von Dongarth über wenig Einfluss verfüge. Meine Kontakte reichen weit, aber sie sind nicht zuverlässig. Von dem Überfall habe ich gehört. Niemand weiß, wer dafür verantwortlich sein könnte.“

„Falls du doch etwas erfahren solltest, gib mir Bescheid“, bat ich.

Merion schwieg eine Weile. Dann fragte er: „Du glaubst, Jonner ist der richtige Mann für diesen Auftrag?“

„Er ist pfiffig und weiß sich zu wehren“, verteidigte ich meine Entscheidung. Ich hörte den Vorwurf in seiner Stimme durchaus, der besagte, ich hätte einen Fehler gemacht.

„Man sagt, der ermordete Kurier sei ein ehemaliger Soldat gewesen, der oft Aufträge für den dortigen Fürsten übernommen hat. Er galt als guter Kämpfer, kannte Land und Leute und hatte den Ruf, noch jeder Falle entkommen zu sein.“

„Es ist zu spät, um Jonner zurückzuholen“, sagte ich. „Warten wir ab, was er erreicht.“

Merion nickte, schloss die Augen und sog genussvoll an seiner Pfeife.

Das Gebäude der Stadtwache in der Altstadt war ein gedrungen wirkendes, einstöckiges Haus aus massiven Steinblöcken. So etwas war selten in diesem Viertel, in dem Fachwerk dominierte. Die gebrannten Schindeln auf dem Dach leuchteten rot in der Nachmittagssonne. Selbstverständlich hatte man die Fenster mit Eisenstäben gesichert, und die Tür aus schwerem Holz mit Metallbeschlägen. Wer eintrat, stellte fest, dass die Mauern doppelt so dick waren, wie man es erwarten würde. Entsprechend angenehm temperiert war es hier. Im Winter warm, im Sommer kühl.

Im Eingangsbereich saßen zwei Schreiber und ein Aufpasser. Hauptmann Sterrins Büro befand sich weiter hinten, gleich neben der Treppe, die hinunter führte in den Kerker. Was sich so bedrohlich anhörte, waren in Wirklichkeit nur drei besonders gesicherte Kellerräume, in die man Betrunkene oder kleine Gauner sperrte. Wichtige Gefangene brachte man in das Gefängnis nahe dem West-Tor, das dem Stadthauptmann unterstand.

Sterrin saß hinter einem wackligen kleinen Schreibtisch und vermerkte mit einer Feder etwas auf einem Blatt Papier. Er hob den Kopf, um zu sehen, wer eintrat, wandte sich dann aber wieder seiner Arbeit zu. Mit der Feder war er nicht der Schnellste, er malte die Buchstaben sauber einen nach dem anderen, als wären es einzelne Kunstwerke. Aus meiner Perspektive wirkten sie trotzdem krakelig.

Nach zehn Minuten war er fertig, streute etwas feinen Sand auf das Papier und legte es beiseite.

„Was?“, fragte er.

„Ich hoffe ich störe nicht“, sagte ich in betont verlogenem Ton. „Hat man den Seher bewilligt, den Sie angefordert haben?“

„Hat man.“

„Mit welchem Ergebnis? Ich frage nicht aus Neugier, sondern weil ich mir als besorgter Bürger Gedanken über die Zustände in diesem Stadtteil mache.“

„Pah! Wo sind Sie jetzt untergekrochen, nachdem ihre Wohnung ausgebrannt ist?“

„Hat das der Seher nicht gesagt?“

„Das hätte einen Aufpreis gekostet, und den sind Sie mir nicht wert. Also?“

Da es sich sowieso herumsprechen würde, antwortete ich freiwillig: „Fürst Borran hat mich im Gesindeflügel seiner Residenz untergebracht. Vorübergehend natürlich nur.“

„Natürlich.“ Er nahm ein weiteres Blatt Papier und legte es sorgfältig vor sich hin. Dann reinigte er die Spitze der Feder, schnitt sie mit einem Federmesserchen noch einmal zurecht und tunkte sie in das Tintenfass.

„Der Seher“, erinnerte ich ihn. „Was hat er gesehen?“

„Es war eine Sie. Sie kam zu dem Ergebnis, dass es sich um eine Verknotung zweier Schicksalslinien handle. Die eine Linie ist ein gewöhnliches Verbrechen, die andere eine alte Fehde, die neu aufgeflammt ist.“

„Sie hat tatsächlich Verknotung gesagt?“, fragte ich nach.

„Etwas in dem Sinn, jedenfalls.“

Ich dachte nach. „Verbrechen schön und gut, aber eine alte Fehde? Hat sie das näher erläutert.“

„Sie ist eine Seherin. Also sieht sie, aber sie erläutert nichts.“

„Ja, so sind diese Magier nun einmal. Fehde klingt nach einem Streit zwischen höheren Herren. Könnte Borran gemeint sein?“

„Fragen Sie ihn, wenn Sie wollen“, sagte Sterrin. „Aber stören Sie mich nicht weiter bei der Arbeit.“

„Ich bin schon fast weg. Nur eines noch: Wann genau werden Sie heute Abend die Ganoven freilassen? Ich will dabei sein, wenn Sie sie verfolgen.“

Er legte die Feder vorsichtig beiseite. „Wer hat das schon wieder ausgepfiffen?“, wollte er wissen.

„Der Wind hat es mir ins Ohr geflüstert.“

„Dann können wir die Aktion genauso gut abblasen“, sagte er. „Wenn jeder davon weiß, ist der Misserfolg gewiss.“

Ich weiß es“, betonte ich. „Nicht jeder. Vermutlich gibt es nur drei oder vier Menschen in und um Dongarth, die davon gehört haben.“

„Um Dongarth“, echote er und sah mich skeptisch an. Er hatte einen scharfen Verstand und wusste sofort, was ich damit andeuten wollte. „Die vier stammen aus Dörfern in der weiteren Umgebung. Wahrscheinlich haben sie keine guten Kontakte hier in der Stadt.“

„So wird es sein. Niemand wird ihnen einen Tipp geben, wenn sie draußen sind.“

„Kommen Sie kurz vor neun Uhr heute Abend hierher“, sagte er und begann wieder, Buchstaben aufs Papier zu malen.

Wie es der blaue Himmel am Nachmittag versprochen hatte, blieb der nächtliche Nebel aus, der in dieser Stadt so oft aus dem Strom kommend durch die Straßen kroch. Die vier Gauner, die man unter heftigen Knuffen aus der Wache drängte, waren auch aus der Entfernung noch gut zu erkennen.

Sterrin, ich und ein Mann, der auf den Namen Ber hörte, beobachteten die Szene von der Küche einer Taverne aus, die in derselben Straße lag. Die Angehörigen der Wache verbrachten hier gerne ihre freien Stunden oder holten sich eine warme Mahlzeit und ein Bier, wenn sie Nachtschicht hatten. Deshalb hatte der Schankwirt nichts dagegen, Sterrin diesen Ausguck zur Verfügung zu stellen.

Wie wir es erwartet hatten, beeilten sich die Gauner, von der Wache wegzukommen. Sie gingen die Straße entlang, die vom Rand der Altstadt zur Breiten Brücke führte. Diese Brücke war der Übergang in die Nordstadt, wo die einfachen Bürger wohnten und viele der schmutzigeren Handwerksbetriebe angesiedelt waren.

Sterrin, Ber und ich folgten den vier in weitem Abstand. Da wir dunkler Umhänge trugen, waren wir nicht sofort zu erkennen, was vor allem bei Sterrin wichtig war. Passanten sollten nicht unvermittelt rufen: „Was macht denn der Hauptmann der Altstadt-Wache hier? Ist etwas passiert?“

Da es rasch dunkler wurde, nahm die Gefahr, erkannt zu werden, weiter ab. Bald waren wir nur noch Schatten, denen andere Menschen aus dem Weg gingen, um Ärger zu vermeiden.

Die vier Schurken stritten sich und schienen kurz davor zu sein, sich gegenseitig an die Kehle zu gehen. Deshalb war es leicht, sie zu verfolgen. Ihr Weg führte sie bis in die Nähe des Nord-Tors, wo sie schließlich vor einer billigen Absteige stehenblieben.

„Dort hat Rellmann gewohnt“, flüsterte Sterrin. „Wir haben sein Zimmer durchsucht, aber keine Hinweise auf einen Auftraggeber gefunden.“

„Der Wirt könnte ihnen verraten, dass die Wache schon da war“, sagte ich. „Das wird sie misstrauisch machen.“

„Wir haben ihm klar gemacht, dass er den Mund zu halten hat“, entgegnete Sterrin. Einen Moment später sagte er: „Verdammt, sie teilen sich. Einer geht alleine weiter. Ber, um den kümmerst du dich.“

Der Mann nickte, machte ein paar Schritte von uns weg und schien zu verschwinden. Nur, weil ich wusste, wo er sein musste, sah ich noch den etwas dunkleren Fleck, der an dieser Stelle mit der Hauswand verschmolz.

„Nicht schlecht“, sagte ich anerkennend. „Der versteht sein Handwerk.“

„Was das Verfolgen angeht, ist er der beste, den ich habe“, antwortete Sterrin. „Leider ist er für sonst kaum etwas zu gebrauchen. Da! Die anderen drei gehen jetzt hinein.“

Durch die Fenster sahen wir, wie einer von ihnen mit der Faust auf den kleinen Tresen hieb, bis aus einem Hinterzimmer ein bulliger, älterer Mann kam.

„Der Besitzer“, kommentierte Sterrin. „Rellmann hat für das Zimmer einige Tage im Voraus bezahlt. Wir haben dem Wirt gesagt, er könne das Geld behalten, wenn er mit uns zusammenarbeitet.“

Was drinnen gesprochen wurde, konnten wir nicht hören, aber es schien ein heftiger Wortwechsel mit gegenseitigen Drohnungen zu sein. Schließlich holte der Wirt ein paar Münzen aus der Tasche und warf sie vor die drei hin. Sie nahmen sie, schüttelten wütend noch einmal die Fäuste und machten kehrt.

Wir zogen uns zurück, damit sie uns nicht sahen, wenn sie wieder auf die Straße traten.

Sie blieben vor der Absteige stehen und warteten. Also würde wohl der vierte Mann gleich zurückkommen. Nach einigen Minuten sahen wir auch ihn. Nur einen Moment später stand scheinbar aus dem Nichts kommend Ber neben uns.

„Er hat eine der besseren Tavernen in der Nähe des Nord-Tors ausgekundschaftet. Kurz hinein geschaut, als suche er jemanden. Hat den Wirt gefragt, und der hat den Kopf geschüttelt.“

„Seid still, sie streiten sich“, warf ich ein.

Diesmal wurden die vier so laut, dass wir das meiste von dem verstehen konnten, was sie sagten.

„Rellmann hat aber geschworen, dass er den Auftraggeber in der Taverne getroffen hat!“

„Ich habe dem Wirt Rellmann beschrieben. Er sagt, so einen hätte er nie bei sich gesehen. Außerdem sei die Taverne eine Woche geschlossen gewesen, weil er und alle seine Leute Dünnpfiff hatten. Muss etwas Schlechtes im Essen gewesen sein.“

„Und deshalb glaubst du ihm, dass Rellmann nie dort war?“

„Dummkopf, die Taverne war auch an dem Tag geschlossen, als Rellmann hier angeblich den Auftraggeber getroffen hat. Der Kerl hat uns angelogen!“

„Wenn er nicht schon tot wäre, würde ich ihn jetzt erschlagen!“, brüllte einer der vier. „Er schuldet jedem von uns einen halben Taler.“

„Wir müssen aus Dongarth verschwinden“, sagte ein anderer. „Die Wache lässt uns nicht noch einmal laufen. Wie steht es, kommt ihr mit? Morgen früh gehen wir nach Norden und suchen uns eine kleine Stadt, in der wir zu Geld kommen können.“

Die drei Anderen stimmten zu und gemeinsam gingen sie in Richtung Tor.

Sterrin gab Ber den Auftrag, ihnen zu folgen. Dann kehrten wir zu der Absteige zurück und fragen den Wirt, was er mit den Kerlen besprochen hatte.

„Sie wussten, das der Mann im Voraus bezahlt hat, und wollten das Geld haben“, sagte der. „Ich habe ihnen klar gemacht, dass es nicht ihr Recht ist, das zu fordern. Sie haben behauptet, er schulde ihnen etwas, aber das ist ja nicht meine Sache. Weil ich nicht wollte, dass sie mir die Möbel kurz und klein hauen, habe ich ihnen schließlich ein paar Münzen gegeben.“

„Wie viel?“, fragte ich.

„Zwölf Heller“, antwortete er.

„Das reicht, um in einer billigen Taverne bis zum Morgengrauen Bier zu trinken“, sagte Sterrin. „Vermutlich ist es das, was sie jetzt vorhaben.“

Wir gingen wieder hinaus.

„Rellmanns Auftraggeber hat keine Spuren hinterlassen“, sagte Sterrin.

„Also ist er kein Anfänger“, folgerte ich.

„Die Seherin behauptete, es handle sich um ein gewöhnliches Verbrechen. Sie hat nicht gesagt, dass dahinter ein gewöhnlicher Verbrecher steckt.“

„Guter Einwand“, gab ich zu.

Der Elfenstein

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