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4 Mordversuch

Eine Sturmlampe, die von der Decke hing, verbreitete flackerndes Licht. Bald würde sie verlöschen. Man hatte vergessen, den Tank aufzufüllen.

Ich schloss die Klappe der Falltür, durch die ich gekommen war, und sah mich um. Der Raum maß nur sechs mal acht Schritte, aber da sich das Lagerhaus innerhalb der Stadtmauern befand, war mehr nicht zu erwarten gewesen. Platz kostete hier Geld. Die großen Lager standen draußen am Handelshafen und um den Händlerwasen vor dem West-Tor.

Drei Dutzend Holzkisten mit angenagelten Metallgriffen stapelten sich entlang einer Wand. Ich kannte diese Art der Verpackung. Solche Kisten hatte ich im Südosten der Ringlande gesehen, wo sie über eine Passstraße außer Landes gebracht wurden, in die Stadt Kroyia. Für den langen Weg mussten sie entsprechend stabil gebaut sein. Die meisten enthielten vermutlich Bücher, Kopien wichtiger Werke aus der Bibliothek. Aber einige standen einzeln auf dem Boden, in Bereichen, die man mit Kreide markiert hatte. In ihnen wurden magische Artefakte transportiert, die einander aus Gründen der Sicherheit nicht zu nahe kommen durften. Vielleicht stammten sie aus der Sammlung von Fürst Borran oder vom Handelsherren Rozzary, die beide über eine große Kollektion verfügten. Vielleicht sogar aus der Magischen Akademie, die angefüllt war mit solchen Gegenständen.

Ich wartete eine Weile und lauschte, ob ich Geräusche vor der Tür hörte, aber es blieb still. Der Eingang zum Lagerhaus befand sich in einer Nebenstraße, die zum Marktplatz vor dem West-Tor führte. So war der Weg hinaus aus der Stadt nicht weit, wenn man die Kisten erst einmal auf Fuhrwerke geladen hatte; zweifellos gut getarnt zwischen anderen Handelsgütern.

Das Schloss der Tür konnte man auch von innen öffnen. Leviktus hatte mir einen Schlüssel mitgegeben, sonst wäre ich hier eingesperrt gewesen. Langsam drückte ich die Tür auf und sah durch den Spalt. Die Straße war dunkel und leer. Also schlüpfte ich hinaus und schloss hinter mir ab.

Wenn ich jetzt nach links ging, gelangte ich mit wenigen Schritten zum Handelshaus Oram, also zu Jinna. Eigentlich wollte ich nicht zu ihr, trotzdem konnte ich mich nicht davon abhalten, bis zur Ecke zu schleichen und hinüber zu sehen. Es brannte Licht im ersten Stock, wo sie um diese Zeit oft noch die Abrechnungen prüfte, bevor sie sich im Zimmer daneben schlafen legte. Ein Stich im Herz machte mir deutlich, dass es nicht gut für mich war, über all das nachzudenken. Deshalb ging ich zurück und verließ die Gasse zur Stadtmitte hin.

Am Ufer der Reena entlang kam ich zum Gasthaus Zum Greiff. Es versteht sich, dass ich unterwegs auf jede Bewegung und jedes Geräusch achtete. Begegnete ich jemandem, so hielt ich den Degen gezogen in der Hand, aber verdeckt unter meinem Umhang.

Es gab einen Grund, warum ich hierher kam. Meine engsten Freunde. Serron, Gendra und Martie spielten an manchen Tagen im Hinterzimmer des Greiff Karten. Ich hoffte, sie heute dort zu finden, und wenn ich Glück hatte, waren keine weiteren Spieler da, so dass wir ungestört reden konnten. Und ich hatte Glück.

Im Schankraum gab ich Sebald, dem Wirt, durch ein paar Worte und eine Münze zu verstehen, dass er mich warnen sollte, falls Fremde hereinkamen. Er nickte und fragte, was er mir nach hinten bringen dürfe. Ich bestellte ein reichliches Menü und einen Krug dünnes Bier, weil ich seit Mittag nichts mehr gegessen hatte. Die letzte Nacht und mein verkaterter Morgen am Hang des Berges waren mir zu gut in Erinnerung, deshalb verzichtete ich auf normales Bier.

Ich ging nach hinten und fand dort nur meine Freunde vor. Sie begrüßten mich, indem sie alle zugleich abwinkten, als ich zu sprechen begann. Ihr Kartenspiel war in der Endphase und offenbar noch ziemlich ausgeglichen, jeder der drei konzentrierte sich, um den entscheidenden Stich zu machen. Wie so oft war es Serron, der die Runde gewann und die paar Heller einstrich, um die wir gewöhnlich spielten.

Anschließend besprachen wir, was den Tag über geschehen war. Da die Stadt derzeit ruhig war, hatte keiner von ihnen etwas Besonderes erlebt. Ich dagegen konnte einiges berichten: die Warnung Seliims, die kleinen Männer aus Kirringa und all die anderen Vorfälle. Ich brauchte mich nicht zurückzuhalten, denn meine Freunde waren in die Pläne des Fürsten eingeweiht, ja, sie hatten mich sogar auf allen wichtigen Reisen begleitet.

„Von den Kirringanern mit ihren Äxten habe ich gehört“, sagte Martie. „Sie sind nie alleine anzutreffen, nur in Gruppen, und sie reagieren aggressiv, wenn man ihnen nicht mit dem nötigen Respekt begegnet.“

„Wie alle kleinen Leute“, warf ich ein, und wir lachten.

„Auch über die Männer in der hochwertigen Lederkleidung habe ich etwas gehört“, fuhr er fort. „Sie haben sich im besten Gasthaus in der Stadtmitte eingemietet und gelten als Abgesandte eines Handelsherren in Krayhan. Aber sie halten dessen Namen geheim, angeblich, um nicht zu verraten, dass er geschäftliche Interessen hier in Dongarth hat. Sie zahlen gut und wissen sich zu benehmen.“

„Wer hat dir das erzählt?“, hakte ich nach.

„Freunde von der Stadtwache. Sie haben ein Auge auf alle Fremden, wie du weißt. Heute noch intensiver als früher, weil der Magistrat der Stadt das angeordnet hat. Genauer gesagt, der Kurrether, der im Magistrat das Sagen hat.“

„Die Kurrether werden misstrauisch“, sagte Gendra. „Sie bemerken, dass etwas vor sich geht, aber sie wissen noch nicht, was los ist.“

Ich nickte. „Die vielen Handwerker und anderen Fachleute, die aus allen Regionen der Ringlande nach Dongarth kommen, fallen ihnen notgedrungen auf.“

„Nicht nur das“, ergänzte Serron. „Inzwischen verlassen angestammten Betriebe die Stadt. Einzelne Werkstätten in der Nordstadt stehen leer, die Inhaber sind mit Sack und Pack abgereist.“

Da ich davon noch nichts gehört hatte, fragte ich nach Einzelheiten.

„Es gibt nur Gerüchte, aber die besagen, die Verdienstmöglichkeiten für Handwerker seien im Osten des Landes besser als hier in der Hauptstadt. Die Kosten seien hier zu hoch, und die Steuern.“

„Und das, obwohl die neuen Steuerpläne von Rat Geshkan noch gar nicht umgesetzt sind“, warf ich ein.

„Wir wissen, was das bedeutet“, fuhr Serron fort. „Die ersten Handwerker haben sich für das Verlassen der Ringlande entschieden. Noch sind es wenige, die von dieser Möglichkeit gehört haben. Die Vertrauten von Borran und Echterion sprechen nur solche Leute an, die als zuverlässig und verschwiegen gelten, von denen sich aber auch herumgesprochen hat, dass sie unzufrieden sind.“

Die Unzufriedenen in der Bevölkerung waren Menschen, die weniger dem lähmenden Einfluss des Berges Zeuth unterlagen, als es Ringländer im Allgemeinen taten. Sie spürten, wie der Frieden, den dessen Magie unserer Heimat bescherte, zugleich jede Veränderung, jeden wirklichen Fortschritt verhinderte. Das machte es uns Bürgern auch unmöglich, uns gegen die schleichende Machtübernahme durch die Kurrether zu wehren.

„Wie gelangen diese Leute zu der Passstraße?“, fragte Gendra.

Ich zuckte mit den Schultern.

Das Schankmädchen kam herein und brachte mir das Essen und das Bier. Meine Freunde schwiegen, bis wir wieder unter uns waren. Erst dann beantwortete ich Gendras Frage ausführlicher: „Fürst Borran wird eine Route vorbereitet haben, vermutlich sogar mehrere, mit unverdächtigen Zwischenzielen. Aber ich habe nichts darüber erfahren. Je weniger Leute davon wissen, umso besser. Den letzten Abschnitt der Reise, von Kroyia aus durch die Wüste, kennt sowieso keiner. Wir können nur hoffen, dass alles gut organisiert ist. Aber ich finde es bemerkenswert, dass die ersten Umsiedler sich tatsächlich auf den Weg gemacht haben. Bisher war das alles ein verwegener Plan, eine Idee. Und nun beginnt es, Wirklichkeit zu werden.“

Ich aß und meine Freunde hingen ihren Gedanken nach. Als mein leerer Teller abgeräumt und der Bierkrug neu gefüllt waren, unterhielten wir uns über das, was uns beschäftigte.

„Denkt man das alles zu Ende“, begann Serron, „gelangt man zu einem Punkt, von dem an das Leben in den Ringlanden nicht mehr funktionieren wird. Wenn die meisten der jungen, talentierten Handwerker und Handelsherren und der anderen gut Ausgebildeten gehen, wer soll die Bevölkerung versorgen? Die Alten, Kranken, Ungebildeten sind dann unter sich. Und über sie herrschen die Kurrether, die weiterhin versuchen werden, das Land auszupressen.“

„Das ist eine interessante Frage“, bestätigte ich. „Wer wird sonst noch zurückbleiben? Die Trägen, vor allem, unabhängig von ihrer Qualifikation. Und die Angepassten, die sich mit der Herrschaft der Kurrether arrangiert haben oder sogar Vorteile daraus ziehen.“

„Können wir sie guten Gewissens zurücklassen?“, fragte Serron. „Oder ist es die Pflicht der Fleißigen, hierzubleiben?“

„Wozu? Damit die Kurrether mehr aus dem Land herauspressen können?“ Ich zeigte in unsere kleine Runde. „Nimm uns, zum Beispiel. Welchen Vorteil bringt es den Ringlanden, wenn wir uns entschließen, in unserer Heimat zu bleiben? Wir sind anständige Leute, arbeiten für unseren Lebensunterhalt und zahlen Steuern. Aber es wird uns künftig nicht mehr so gut gehen wie jetzt, darüber sind wir uns ja im Klaren.“

„Wohl wahr“, sagte Gendra. „Die Versorgung mit allem wird sich im Laufe der Jahre verschlechtern, sobald die fleißigeren unter den Bauern, die besten Bäcker, die guten Metzger nicht mehr hier sind. Wenn die Häuser nach und nach zerfallen mangels erfahrener Bauleute. Wenn ganze Stadtbevölkerungen nur noch von ein paar alten Heilern betreut werden. Warum also ausharren?“

„Nun, es gibt da einen Grund“, begann Martie zögernd.

Wir sahen ihn alle fragend an.

„Habt ihr schon die Gerüchte gehört über diese neue Bewegung, die angeblich unter Söldnern und ehemaligen Wachsoldaten zunehmend Unterstützung bekommt?“

Wir schüttelten alle die Köpfe.

„Es ist nur so ein Raunen“, fuhr er fort. „Ich musste viele Leute fragen und mir selbst zusammenreimen, was hinter den Bemerkungen und Andeutungen steckt. Niemand spricht offen darüber.“

„Worüber?“, fragte ich.

„Über die Widerstandsbewegung. Man sagt, es gebe Leute, die nicht nur etwas gegen die Kurrether, sondern sogar gegen das Königshaus unternehmen wollen.“

„Gegen das Königshaus - unmöglich!“, rief Gendra.

„Man macht da keinen Unterschied mehr. Sogar die Fürsten werden als Gegner betrachtet, und die Priester. Eben alle, die im jetzigen System etwas zu Sagen haben. Jeder gilt als Helfer der Kurrether und damit als Feind.“

„Unter den Fürsten gibt es einige, die eindeutig auf deren Seite stehen“, sagte ich. „Der Fürst von Krayhan, um den wichtigsten zu nennen. Aber die Priester? Das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Weil du weißt, was im Hintergrund begonnen wurde. Diese Leute wissen es nicht. Wobei ich niemanden kenne, der zugibt, dazu zu gehören.“

„Und was haben sie vor? Söldner und Wachsoldaten können kämpfen, aber einen Krieg gegen die Kurrether zu führen, ist unmöglich. Das verhindert die Magie des Berges Zeuth.“

„Doch, sie wollen in den Krieg ziehen. In einen heimlichen, in dem der Gegner nicht im offenen Kampf besiegt wird, sondern ermordet. Einer nach dem Anderen, über Jahre hinweg. Von Attentätern, die nicht zusammenarbeiten. Jeder ist ein Einzelgänger. Deshalb können sie kaum etwas verraten, falls sie gefangen werden. Es ist ein erschreckendes Konzept, zumindest finde ich das, weil es so unbestimmt ist.“

„Das kann nicht funktionieren“, sagte ich. „Die Kurrether würden sich mit Spitzeln und eigenen gedungenen Mördern dagegen wehren. Es wäre ein fortwährendes, gegenseitiges Töten. Keiner würde mehr seinem Nachbarn oder gar Fremden vertrauen.“

Gendra nickte und sagte düster: „Kein Land kann unter solchen Bedingungen existieren. Deshalb wird diese Form des Widerstands schnell in sich zusammenfallen.“

„Aber es erinnert mich an die Unbekannten, die mich umbringen wollen“, fügte ich hinzu.

„Das könnten durchaus welche von denen sein“, meinte Martie. „Du arbeitest für Fürst Borran, und ich denke, damit stehst du auf der Liste der möglichen Opfer, falls es so etwas gibt. Allerdings passt die Beschreibung der beiden Männer, denen du begegnet bist, nicht dazu.“

„Soll mich das jetzt beruhigen oder nervös machen?“, frotzelte ich. „Womöglich sind zwei Gruppen von Mördern hinter mir her. Am besten, ich bleibe für den Rest meines Lebens hier im Hinterzimmer, mit euch als Schutztruppe. So kann mir nichts zustoßen und der Wirt ist sicherlich bereit, mich mit Essen und Bier zu versorgen, so lange ich will - oder so lange mein Geld reicht.“

Wir lachten alle, hörten aber gleich wieder auf, weil das Schankmädchen hereinkam. Sie hielt den Zeigefinger an die Lippen.

„Was ist los?“, fragte ich leise.

„Gäste sind gekommen, die dem Wirt nicht gefallen. Sie fragen nach Aron von Reichenstein.“

„Wie sehen sie aus?“

„Große Männer, dunkel gekleidet. Bewaffnet. Sie sind nicht von hier.“

Serron deutete auf die zugezogenen Fensterläden und die Hintertür, die wie immer abgeschlossen war. Ich ging hin, drehte langsam den Schlüssel herum, zog die Tür auf und spähte hinaus in die Dunkelheit des überdachten Hofs. Wobei es nicht völlig dunkel war, denn links spiegelte sich der Mond im Wasser der Reena und von rechts kam der Lichtschein der Laterne über dem Eingang des Gasthauses.

Ich zog den Kopf zurück und meldete leise: „Niemand zu sehen.“

„Wenn die Männer nicht dumm sind, dann wissen sie, dass Gaststätten einen Hinterausgang haben“, sagte Martie. „Bleib hier. Draußen rennst du womöglich in eine Falle.“

Aus der Schankstube klangen laute Stimmen herein, darunter die des Wirts. Ich zog den Degen, postierte mich hinter der Tür und zog das Schankmädchen zu mir, damit sie aus dem Weg war.

Gendra und Martie stellten sich vor den Tisch, die Schwerter in der Hand. Jeder, der hereinkam, würde mit ihnen konfrontiert. Serron blieb im Hintergrund. Er schien unbewaffnet zu sein, aber das täuschte. In seiner Kleidung waren Wurfmesser versteckt, mit denen er perfekt umzugehen verstand.

Unsere Vorsicht zahlte sich aus.

Die Tür zur Schankstube wurde aufgestoßen. Da ich hinter ihr stand, konnte ich nicht sehen, wer hereinkam.

Gleichzeitig trat jemand mit ein paar kräftigen Schlägen die Tür zum Hof ein. Sie flog aus dem Rahmen, in den Raum hinein, und ein untersetzter Mann mit gezogenem Degen erschien. Seine Miene drückte aus, dass er nicht reden wollte, sondern töten.

Er brüllte etwas Unverständliches, wahrscheinlich eine Drohung. Das spielte aber keine Rolle, weil ihm Serron einen Dolch in die Brust stieß. Er riss die Augen auf, starrte an sich hinunter und fiel, vom eigenen Schwung getragen, nach vorne zu Boden. Dabei rammte er sich vermutlich den Dolch noch fester in den Körper. Sollte der Treffer nicht sofort tödlich gewesen sein, so war er es nun.

Serron warf ein Messer in Richtung der offenen Tür zum Schankraum, von wo ich das Klirren von Schwertklingen hörte. Ich hätte mich beteiligt, aber das zitternde Schankmädchen klammerte sich an meinen Arm. Bis ich mich von ihr befreit hatte, war der Kampf vorbei.

Die Rufe und das Getrampel aus der Schankstube klangen wie eine Massenschlägerei. Dann ging die Tür halb zu und ich sah Gendra und Martie, die ihre Schwerter wegsteckten.

„Sie sind abgehauen“, sagte Gendra. „Beide verletzt, aber nicht lebensgefährlich. Was ist mit dem da?“ Sie deutete auf den Mann, der die Tür zum Hof aufgebrochen hatte.

Serron ging zu ihm und drehte ihn auf den Rücken. „Tot!“

Sebald, der Wirt, erschien. „Zwei Gäste haben etwas abbekommen. Ich lasse einen Heiler rufen, aber mehr als einen Verband werden sie nicht benötigen.“

„Wer waren die Angreifer?“, fragte ich.

„Kerle von auswärts. Teure Kleidung, gute Waffen, keine Manieren.“ Letzteres sprach Sebald so verächtlich aus, dass ich dachte, er würde dabei ausspucken. Aber dies war sein Gasthaus und er wollte vermutlich kein schlechtes Vorbild für seine Gäste sein, also unterließ er es. „Ich habe sie oder ihresgleichen bisher nicht in der Stadt gesehen.“

Wir versammelten uns um dem Toten und sahen ihn uns genauer an. Serron durchsuchte die Kleidung, fand aber nur Geld, etwa fünfzig Taler. Das war mehr als das, was ein guter Handwerksmeister in zwei Monaten verdiente. Serron gab mir die Münzen und ich reichte sie an Sebald weiter, der sie einsteckte. Dieser Betrag würde seinen Schaden ebenso abdecken, wie die Behandlung der beiden verletzten Gäste, und ein Schweigegeld konnte er ihnen auch noch zahlen.

„Blutgeld“, sagte Serron und starrte nachdenklich in das verzerrte Gesicht der Leiche. „Das erinnert mich an ein Gerücht, das ich vorigen Monat gehört habe. Es klang so unglaubwürdig, dass ich es für eine dieser Gruselgeschichten hielt, die immer mal wieder kursieren.“

„Erzähl!“, forderte ich ihn auf.

„Der Fürst von Malbraan soll weiterhin Angst vor den Königreichen der Kaltlande haben, die nördlich seiner Provinz jenseits des Ringgebirges liegen. Er befürchtet, dass König Grendlach oder Königin Chrissayda wieder versuchen, über ihn herzufallen. Insbesondere, da Chrissaydas Feldzug gegen die Monster des alten Kaiserreichs gescheitert ist. Ihr erinnert euch, dass sie schon einmal kleine Trupps von Kriegern in die Ringlande geschickt hat, um uns auszuplündern.“

Martie, Gendra und ich nickten. Wir waren gemeinsam dort gewesen.

„Außerdem fürchtet er, dass seine wertvollen Goldminen und die Goldschmelzen von Saboteuren heimgesucht werden.“

Nun lachten wir, denn die größte Gefahr für das Gold der Provinz Malbraan stellten die Kurrether dar - und die saßen ganz oben in den Verwaltungen der Minen und der Schmelzen.

„So habe ich auch reagiert“, sagte Serron. „Besonders, als ich hörte, auf welche Weise sich der Fürst angeblich gegen solche direkten oder heimlichen Angriffe schützen will.“

„Nämlich?“, fragte ich gespannt.

„Er soll eine Gilde von Assassinen ins Leben gerufen haben“, erklärte er. „Professionelle Mörder, buchstäblich fürstlich bezahlt, die unbemerkt von der Bevölkerung und vom Gegner alle Feinde des Fürsten beseitigen.“

Ich überlegte einen Moment, bevor ich entgegnete: „Wenn die beiden Flüchtigen die Männer waren, die mir in der Stadt nachgestellt haben, dann können sie nicht zu seiner Gilde gehören. Sie hatten einen Akzent, der nach der Provinz Krayhan klang.“

„Wer weiß schon, wo die Mitglieder dieser Assassinen angeworben werden?“, meinte Gendra. „Vielleicht haben sich verstellt. Eine bessere Tarnung als einen falschen Akzent gibt es doch nicht, um seine Herkunft zu verschleiern.“

„Auch wieder wahr“, gab ich zu.

Martie packte mich am Arm. „Ob etwas an dem Gerücht dran ist oder nicht: Diese Leute verfügen über Geld, gute Waffen und sie wollen dich töten. Besser, wir verschwinden von hier. Außerdem wird gleich die Stadtwache auftauchen. Ich habe keine Lust, die Nacht damit zu verbringen, ihre dummen Fragen zu beantworten.“

Damit hatte er Recht. Ich nickte Sebald zu, der sich eine passende Geschichte für die Wache ausdenken würde. Dann stiegen wir über den Leichnam und schlichen durch den Hinterhof davon.

Die Auswanderer

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