Читать книгу Wüsten und Städte - Manfred Rehor - Страница 4
ОглавлениеProlog
Das Flussdelta lag im Dämmerlicht, als Macay aus dem Nichts kommend auf einer Anhöhe zwischen zwei Wasserläufen erschien. Ihm folgten Zzorg, der Echsenmensch, und Rall, der Katzenmensch. Sie sahen sich um wie erfahrene Abenteurer - jeder sicherte in eine andere Richtung.
„Wir sind spät dran“, sagte Macay. „Beeilen wir uns, sonst überraschen uns die Geschöpfen Orgaris. Es steigt bereits Nebel auf.“
Er zeigte in die Ferne, wo Dunst über der glitzernden Wasserfläche lag. Bald würden die Jäger des lebenden Flusses entlang der Ufer nach Menschen suchen. Wer sich dann zu nahe ans Wasser wagte, war so gut wie tot.
Macay ging zu einer Stelle, die mit einem großen Stein markiert war. Dort musste sich ein weiteres unsichtbares Tor befinden, das Reisende transportierte. Neben dem Stein machte Macay einen Schritt auf das Wasser zu, als wolle er hineintreten. Aber er würde die Wasseroberfläche nicht berühren, weil er vorher das Tor passierte.
Doch der Schritt brachte ihn nicht durch das Tor. Er trat ins Wasser! Orgaris Wasser galt als tödlich. Mit einem Aufschrei warf er sich zurück.
Rall reagierte mit katzenhaft schnellen Reflexen. Er fing den rückwärts stolpernden Macay auf und zog ihn in Sicherheit.
„Lass deinen Fuß sehen“, forderte Rall. Er nestelte in den kleinen Taschen, die in die Innenseite seines Umhangs eingenäht waren. Dort bewahrte er Heilkräuter auf.
Als Macay den Schuh auszog, konnte er keine Verätzung an seinem Fuß entdecken. „Das ist gerade noch gut gegangen“, sagte er. „Ist das Tor nicht mehr da?“
„Wir müssen die Gemlier fragen“, sagte Rall. „Kehren wir zurück zur Küste.“
Doch die Gemlier - grünliche, menschenähnliche Wesen - kamen bereits aus dem unsichtbaren Tor, aus dem auch die drei Freunde erschienen waren.
„Nicht weiterreisen!“, riefen sie. „Orgari ist böse!“
„Was soll das heißen?“, fragte Macay. „Orgari ist immer böse!“
„Jetzt mehr als sonst.“
„Woher wisst ihr das?“, zischte Zzorg. „Orgari redet nicht.“
„Unser weiser König hat zu uns gesprochen.“
Macay erinnerte sich an diesen uralten Grünling. Er lebte als Einsiedler an einem unbekannten Ort und suchte seine Untertanen nur selten auf, um ihnen Ratschläge zu erteilen.
„Was genau hat er gesagt?“
„Orgari will euch fangen“, antwortete ein Gemlier. Ein gutes Dutzend seiner Artgenossen umringte nun die Gruppe.
„Orgari will jedes Lebewesen fangen und töten“, sagte Macay. Seine Stimme war vor Ungeduld lauter als sonst. Er bemerkte es und mäßigte sich. „Das ist bekannt. Warum funktioniert das Tor nicht?“
Der Gemlier wedelte mit der Hand, als er antwortete: „Unser König hat gesagt, dass Orgari euch nicht töten will, sondern nur einfangen. Deshalb hat Orgari dieses Tor zerstört.“
„Rede schneller, Grünling“, fauchte Rall ihn an. „Es wird dunkel. Die Nebel nähern sich dem Ufer.“
„Wir müssen ein anderes Tor benutzen. Wenn einer von uns Gemliern es zuerst betritt, wird es stabil bleiben und auch euch hindurch lassen. Dort entlang.“
Der Gemlier eilte voraus, Macay und seine Freunde folgten ihm. Die übrigen Grünlinge gingen neben und hinter ihnen, als wollten sie die Gruppe gegen Angriffe abschirmen.
Erste Schatten tauchten in dem diffusen Licht auf, das die Nebel über dem Flussdelta erhellte. Lange Gestalten, die Stangen trugen, schwankten auf das Ufer zu. Macay wusste, dass diese Wesen den Fluss nicht verlassen konnten. Aber sie stocherten mit den Stangen auf dem festen Land umher auf der Suche nach Opfern. Entdeckten sie auf diese Weise ein Lebewesen, so spießten sie es auf wie ein Insekt und trugen es in den Nebel hinein. Niemand wusste, was dort mit der meist noch lebenden, zappelnden Beute geschah, und das war vermutlich auch besser so.
Nach zwanzig Minuten Fußmarsch, als nur noch das schwache Leuchten des lebenden Wassers die Dunkelheit erhellte, blieben die Gemlier stehen.
„Dort ist das Tor“, sagte ihr Anführer und deutete auf eine sandige Stelle in Ufernähe, an der sonst nichts Besonderes erkennbar war. „Ich gehe zuerst, dann folgt ihr.“
Er machte einen Schritt auf die Sandfläche und verschwand.
„Das Tor funktioniert“, sagte Rall. „Ich gehe als nächster.“
Er verschwand ebenfalls. Deshalb hörte er die Schreie nicht mehr, die plötzlich aus der Gruppe der Gemlier kamen.
Macay zog sein Kurzschwert und drehte sich kampfbereit um. Die Gemlier starrten hinaus aufs Wasser. Von dort näherten sich Dutzende der Jäger Orgaris mit ihren Stangen. Auch von der anderen Seite des schmalen Landstreifens zwischen den Flussarmen kamen solche Gestalten heran. Es sah aus, als sammelten sich die Gehilfen Orgaris zu einem Angriff.
Da sich das unsichtbare Tor nahe am Ufer befand, geriet man in die Reichweite der Stangen, wenn man es betreten wollte. Es blieben nur noch wenige Sekunden, um diesen Ort zu verlassen. Diese Zeit würde nicht reichen, um alle in Sicherheit zu bringen.
Die Gemlier drängten sich um Macay und Zzorg. Zwei von ihnen starben bei diesem Versuch, ihre Gäste zu schützen. Orgaris Jäger, sonst gemächlich voranschreitende Geschöpfe, kamen in Sprüngen zum Ufer und stießen mit ihren Stangen zu. Sie durchbohrten die grünlichen Körper, wuchteten sie hoch und schleppten sie über die Wasseroberfläche davon.
Mit seinem Schwert hieb Macay auf eine Stange, die ihm gefährlich nahe kam. Doch die Klinge prallte ab, ohne Schaden anzurichten.
„Kampf ist sinnlos“, zischte Zzorg. Er stieß den zögernden Macay zu der Sandfläche.
Macay tat den entscheidenden Schritt und erschien im nächsten Moment auf einer mit Gras bewachsenen Lichtung in einem dunklen Wald. Rall stand mit einigen Gemliern an einem Lagerfeuer und starrte zu ihm herüber. Erst nach bangen Minuten kam auch Zzorg, gefolgt von den überlebenden Grünlingen.
„Was war los?“, fragte Macay.
„Etwas Seltsames ist geschehen“, berichtete Zzorg. „Die Jäger Orgaris blieben stehen, als du durch das Tor gegangen warst. Es war, als wüssten sie nicht, was sie als Nächstes tun sollten. Dann machten sie kehrt und verschwanden im Nebel.“
„Sie waren also nur hinter mir her? Warum? Ich dachte, sie können nicht einmal ein Lebewesen von einem anderen unterscheiden.“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht kennt Bea die Antwort.“
Über zwei weitere Zwischenstationen gelangten Macay, Rall und Zzorg zu der Station der Alten Menschen. Im flackernden Schein von Fackeln sahen sie die Hütten, die den Platz umstanden, und im Hintergrund den riesigen Rundbau aus Metall, der sich bis tief unter die Erde fortsetzte.
Ein Gemlier empfing sie und führte sie in eine der Hütten. Dort waren vielerlei technische Geräte installiert, deren Funktion Macay nicht verstand. Eines von ihnen diente der Verbindung mit Bea, der künstlichen Intelligenz in der Station der Alten Menschen. Vor dieses Gerät setzte sich Macay.
„Ich grüße euch“, ertönte gleich darauf die wohlbekannte Stimme. „Ihr habt lange gebraucht, um zu mir zu gelangen. Ich habe einen Auftrag für euch.“
Macay unterbrach sie: „Orgari hat seine Jäger ausgeschickt. Aber sie waren nur hinter mir her.“
„Ich weiß. Orgari ist eines der Probleme, die mich derzeit beschäftigen. Noch mehr bin ich über rätselhafte Vorgänge auf dem karolischen Kontinent besorgt. Ihr werdet dorthin reisen. Ich habe zwei Missionen für euch.“
Bea erklärte Macay und den beiden Tiermenschen, was sie von ihnen erwartete. Eine abenteuerliche Reise begann.