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Art is Freedom

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Wir setzen uns in Bewegung und rennen gemeinsam zurück zu Bus Lee. Kaum klettern Miki und ich in den Bulli, da fängt es bereits an aus Eimern zu schütten.

Pitsch Patsch. Schütt. Schütt. Och nö! Nicht schon wieder! Kennt ihr den Film Murmeltier Tag? Ich fühle mich grade in einer Zeitschleife gefangen.

Ich gebe Hackengas und fahre erneut gen Canos de Meca, wo ich Bus Lee einigermaßen windgeschützt hinter einer großen Düne am Strand parke.

Dann überprüfe ich, ob alle Fenster gut verschlossen sind, und wir wechseln die Kleidung, denn die Temperaturen stürzen sturmbedingt über zehn Grad ab.

Skeptisch scanne ich den schwarzgrauen Himmel und stelle fest, dass der Sturm immer näher und näher kommt. Man kann es richtig hören. Der Wind heult gespenstisch und das Meeresrauschen schwillt zu einem gruseligen Gepeitsche an.

Ab geht die Lucy; es regnet nun in Strömen und gleichzeitig klatscht der Wind in rauen Böen breitseitig an den kleinen Bulli, sodass wir ordentlich geschaukelt werden.

Am schlimmsten sind jedoch all die Blitze; es scheint als wären sie überall gleichzeitig.

Das anschließende Krachen des Donners llässt sogar den Erdboden und Bus Lee erzittern.


Noch immer nimmt der Wind zu. Ich schätze die Orkanböen, denen wir ausgeliefert sind, auf zwölf Beaufort ein. Die Luft wird von Schaum und Gischt ertränkt. Die See draußen erscheint nun vollständig weiß.

Dermaßen aufgewühlt habe ich den Atlantik noch nie gesehen! Eigentlich kann ich nun überhaupt nichts mehr draußen erkennen, es fühlt sich alles ein bisschen an als wäre ich Protagonistin in einer von Stephen King beschriebenen Horrorgeschichte und sitze in einer vom Teufel persönlich entworfenen Autowaschanlage und gleich wird was ganz fruchtbar Schreckliches und Gruseliges passieren.

Miki, der seinen ersten Sturm bewusst wahrnimmt, beginnt zu weinen und hat schreckliche Angst. Eng umschlungen verharren wir im Bus. Ich merke, wie Mikis kleiner Körper zittert.

Miki ist nun sechs Jahre alt und normalerweise ein echter Sonnenschein. Mutig, robust und kerngesund, doch so winzig und verängstigt habe ich ihn noch nie erlebt, es bricht mir fast das Herz.

„Alles gut mein Engel, in Bus Lee kann uns nichts passieren. Hier sind wir Hundertprozent sicher.“, beruhige ich mich eher selbst. Ich drücke das verängstigte Kind fest an mich heran.

Vom Blitz getroffen werden: Das ist eine Urangst des Menschen, auch im Auto. Und meine einzige Phobie sind Blitze!

“Miki, irgendwann wirst du es noch in der Schule in Physik lernen, aber es kann ja nicht schaden, es vorher zu wissen.”, versuche ich das Kind und mich selbst, mit der Ablenkungsstrategie zu beruhigen.

“Sollte der Blitz wirklich einmal einschlagen, wirkt die Karosserie von Bus Lee als sogenannter faradayscher Käfig. Der leitet die elektrische Entladung um die Insassen herum. Uns kann also nichts passieren!”

Was ich Miki nicht sage, ist, dass man im Innenraum nach dem Blitzeinschlag keine Metallteile berühren sollte, die mit der Karosserie in Verbindung stehen.

Bei der heute üblichen Kunststoffauskleidung in PKWs dürfte das kein großes Thema sein, aber in meinem Bulli von 1971 ist eher mangelnder Kunststoff das Problem. Hier ist nur Metall, Chrom, Glas und Holz!

Ich schaue mich ängstlich um. Dass ich der größte Angsthase aller Zeiten bei Gewittern bin, kann ich meinem Kind nicht verraten. Schön tapfer bleiben, Lady!

Oh Mann, das ist Mal wieder so ein Tag, an dem ich alles hinschmeißen könnte, heulend Mama schreien oder mich unter einem Sofa verstecken möchte. Aber weder Mami noch ein bescheuertes Sofa zum Verkriechen sind in greifbarer Nähe.

„Das ist nur ein klitzekleiner Atlantik Sturm“, höre ich mich sagen und verdrehe die Augen: Was bin ich doch für eine schlechte Lügnerin.

Ich versuche mich, mit aller Kraft zusammenzureißen und stark zu sein. Ich fühle mich einsam und alleine, von der ganzen Welt abgeschnitten wie noch nie zuvor in meinem gesamten Leben. Was würde Wonderwoman jetzt tun?

Rausfliegen und die Wolke wegschieben!

Vielleicht klappt es mit Visualisierung?

Habe ich nicht grad erst herausgefunden, dass alles miteinander verbunden ist? Ein großes Ganzes und ich gar nicht alleine bin? Wie war das, ich muss nur an was Angenehmes denken, oder was Schönes machen?

Ich stelle mir meinen Lieblingsbeach, Maria Sucia am Kap Tragalgar vor, mit türkisen, langlaufenden Longboard Wellen und herrlichem Sonnenschein.


Gleichmäßig schwappen die Wellen im Takt hypnotisierend an den auslandenden, breiten Strand des wunderschönen Kaps.

Allmählich beruhige ich mich. Ich gähne herzhaft. Irgendwann werde ich so müde, dass ich einschlafe.

Ruhige Mama, ruhiges Kind? Auch Miki pennt eingekuschelt in meinem Arm ein. It´s siesta time! Ein gruseliges Gewitter zu verpennen, ist doch die beste Lösung!

Als ich am späten Nachmittag wieder wach werde, regnet es leider noch immer in Strömen. Langsam mache ich mir Sorgen, ob wir nicht wegschwimmen in unserem Bus.

Ich schiebe die Busvorhänge beiseite und checke die Lage. Andalusien scheint nicht für so viel Wasser von oben präpariert zu sein.

Die anfänglichen Regenrinnsale sind mittlerweile zu angeberischen Flüssen mutiert und donnern gurgelnd die Straßen entlang.

Es ist auch kein Schwein, sprich Mensch weit und breit draußen zu sehen. Das sonst so fröhlich Geschnatter in Spaniens viel gelobten Straßenleben ist völlig verebbt.

So lustig, dass der Spanier bei einer Cerveza nass werden möchte, ist er dann doch nicht.

Andalusien scheint wie ausgestorben. So ungefähr stelle ich mir die Apokalypse vor! Was grad noch paradiesisch und spektakulär war erscheint jetzt trister und grauer als Norddeutschland an seinen dunkelsten Wintertagen.

Ich beschließe zur Gasolina zu fahren, der Tankstelle im Inland. Dort gibt es alles. Von einer öffentlichen Toilette, die vierundzwanzig Stunden geöffnet hat, einen Shop mit Backwaren und sogar ein anschließendes Bistro mit Internetzugang.

Ich kaufe Trinkwasser, ein wenig frische Obst, Baguette, Milch, für Miki ein Vanilleshake, die liebt er und eine spanische Tageszeitung. Diese eignen sich um einerseits die Sprache zu lernen und auch um mich zu informieren, was in der Welt so geschieht.

Die wenigen Andalusier die sich ebenfalls an der Tankstelle verkrochen haben sind wie immer sehr redselig und diskutieren den Klimawandel in Spanien.

Ein einheimischer, braungebrannter Opa mit Käppi, leichter Schnapsfahne und nur einem Zahn behauptet, noch vor ein paar Jahren habe es im Herbst und Winter nicht so viel und vor allem so heftig geregnet.

Das Klima habe sich eben verändert, weiß die schlaue Kassiererin zu berichten. Die Äcker stehen nun unter Wasser, die Kanalisation läuft völlig über und sogar Stauseen sind bis zum Rand voll während es früher öfter eher knapp mit der Wasserversorgung werden konnte. Eigentlich herrsche hier das Sahara Klima.

“Na großartig, dass sich das Klima genau dann wandelt, wenn wir die spanische Sonne genießen wollen. Eigentlich wollte ich dem Regen aus Deutschland entfliehen!” gebe ich nun auch meinen Senf dazu.

„Es wird sich alles umdrehen, in Deutschland werden bald Palmen wachsen und hier wird es noch schneien!“ vorhersagt der einzahnige Opi mit Käppi und lacht ein bisschen irre. Schnell packe ich meine sieben Sachen an der Kasse ein und klettre zurück in den Bus zu Miki.

Wir tuckern zurück zu unserem Lieblingsstellplatz. Es ist Freitagabend. Wochenende. Die Aussicht? Auf knapp vier Quadratmetern den Sturm und das Wochenende in einer Wohndose aussitzen.

Vanlife kann auch mal kacke sein. Das ist also die Kehrseite der Medaille?

Drei ganze Tage bleibt das Wetter mies und meine Nerven liegen völlig blank. Leider habe ich noch immer leichtes Fieber von meiner Unterkühlung im Meer und bin am Ende meiner Kräfte.

Drei Nächte, in denen ich kaum schlafe und tagsüber fast nichts esse.

Zum einen, weil ich immer wieder an Blake und die Riu Tusse denken muss und mir das den Appetit verdirbt, zum anderen, weil mir die Nahrungsmittel ausgehen und kein Supermarkt weit und breit geöffnet ist.

Der nächste Supermarkt ist in Conil und in Barbate, aber bei den Überschwemmungen auf den Straßen, traue ich mich nicht loszufahren.

Mein Herz schmerzt, mein Kopf schmerzt und vor allem muss ich ganz dringend heiß duschen.

Ich versuche dennoch, das Beste aus der Situation zu machen. Wir haben einen kleinen Vorrat an DVDs dabei, die uns im Notfall durch solche Tage hindurch helfen sollen. Miki schaut am liebsten die Drive thru Filme mit Donovan Frankenreiter an, oder Comic Filme wie Asterix und Obelix.

Unsere Bus Lee Sitzecke haben wir nun dauerhaft zum Kuschelbett umgebaut und es mit Kissen und Decken gemütlich ausgestattet. Ich mache für Miki in einem Töpfchen mit Deckel Popcorn, und wir gucken alle mitgebrachten DVDs auf meinem Laptop rauf und runter, bis die letzte Powerbank verbraucht ist.

Mittlerweile ist im Bulli auch alles klamm. Die Decken und Kissen haben Feuchtigkeit gezogen, sie wärmen uns kaum noch. Mein Fieber hält sich ebenfalls wacker, zwar nicht hoch, ist aber doch schlauchend.

Es ist nun endgültig der Punkt erreicht, an dem ich überlege aufzugeben!

Das ach so romantische Vanleben, in solch einer Situation weiter auszureizen, ist verantwortungslos: Meinem Sohn gegenüber, aber auch meiner Gesundheit. Ich beschließe schweren Herzens ein Haus zu mieten; es hilft nichts, eine Choza muss her.

Ich kapituliere!

Es ist Montagmittag. Erneut breche ich auf zur Gasolina. Enttäuscht, wütend und auch noch von diesem doofen Fieber geschwächt, tuckern wir die überschwemmte Straße entlang.

Da ich das Flamenco Gejaule aus Radio National Tres nicht mehr ertragen kann, schiebe ich eine „Kassette“ in Bus Lees oldschool Blaupunkt Radio.

Zu meinem Unglück jault nun nicht nur der Sturm, sondern auch noch die Kassette; der gute, alte Johnny Cash trägt mir „Hurt“ vor.

Wieder einmal kullern mir die Tränen die Wangen hinunter. Ich habe mir das Zigeunerleben im Bulli viel lustiger vorgestellt!

I hurt myself today To see if I still feel I focus on the pain The only thing that's real The needle tears a holeThe old familiar sting Try to kill it all away But I remember everything

Shit Happens!

Im Tankstellen Bistro miete ich mich für fünfzig Cent kurz ins Internet ein und buche online ein Ferienhaus. Ich bekomme sofort die Telefonnummer des Vermieters und die Zusage sofort einziehen zu können.

Kurz darauf begebe ich mich mit raschen Schritten in den Shop und suche das Nötigste wie Wasser, Mehl, Eier, Milch, Obst, Käse und Brot.

Als ich meine klassischen sieben Sachen in den Regalen zusammen suche sehe ich sie. Ein kleiner Schreck fährt mir durch die Glieder! Linda!

Zufällig kommt sie in ausgerechnet in diesem Augenblick ebenfalls in die Tankstelle und - sieht mich.

Es ist natürlich auch zu spät für mich, mich zu ducken. Das würde ja auch echt blöd aussehen! Warum sollte ich auch?!

Aus dem Cartero und von Erzählungen Blakes kenne ich sie ja und sie mich auch. Bevor das mit Blake an dem Strandparker passierte, hatten wir auch schon mal einen ganz netten Smalltalk. Sie muss eigentlich wissen, dass ich Blakes Exfreundin bin.

Einige Sekunden starren wir uns gegenseitig an.

Zwei Kontrahentinnen, die in denselben Kerl verliebt sind. Waren. Mich hat Blake als Fan verloren!

Unschlüssig, was sie sagen soll, steht sie da und starrt mich an. Ich mustere sie. Sie mustert mich. Glotz! Glotz!

Zickenkriegsituation.

Nur, dass ich eben keine Zicke bin!

Linda ist eine hübsche Person.

Nur eben hundert Prozent das Gegenteil von mir. Sie hat lange glatte, blonde Haare, fast bis zum Arsch.

Sie ist ein wenig moppelig und hat enorme Kurven zu bieten. Keine Ahnung, welche Körbchengrösse ihre sein könnte. Doppel D?

Irgendwas Riesiges. Sie ist so hellhäutig, wie ich dunkelhäutig bin. Und auch, wenn sich das jetzt gemein anhört, sie hat einen Bratpfannenarsch!

Groß, aber flach wie eine Bratpfanne.

Klamottentechnisch ist sie diese typische Reiterin: sie trägt schmuddelige braune Reithosen und ein mindestens genauso schmuddeliges weißes Poloshirt.

Und sie riecht drei Meilen gegen den Wind- nach Stall. Herrlich!

Jetzt muss ich wider Willen grinsen. Jedem seinen Sport, jedem seinen Arsch und jedem seine Duftmarke.

Jetzt muss ich aufpassen, nicht loszuprusten.

Aber: die Gedanken sind frei! Ich persönlich finde den Geruch der Wellen und des Windes dann doch angenehmer.

„Hey Linda! Alles fein?“, begrüße ich sie etwas unterkühlt wenngleich höflich, drehe mich dann megacool um und trabe schnellstmöglich zur Kasse, damit ich nicht hinter ihr stehen muss.

Wer zuerst kommt malt zuerst.

An der Kasse stehend, stelle ich mir vor wie es wäre, wenn ich Blake mal zusammen mit Linda sehe? Auf einer Party vielleicht. Oder am Strand?

Wie würde ich mich fühlen?

Muss ich dann lachen oder heulen?

Allein die Vorstellung macht mir noch immer ein bisschen Panik. Ich muss einen Weg finden, damit umzugehen.

Mein Dad hat mal gesagt, wenn die Stürme des Lebens über uns hereinbrechen, dann ist es lebensnotwendig, dass wir schwimmen und uns über Wasser halten können.

Und sich über Wasser zu halten, gelingt, wenn man sich seinen Gefühlen nicht ausgeliefert fühlt!

Wenn man weiß, wie man seine Gefühle steuern und beeinflussen kann, dann ist das ein guter Schutz in Krisen.

Ha! Ich war Leistungsschwimmerin als Kind und Teenie.

So schnell zieht mich nichts runter!

Und für die guten Gefühle muss ein cooler Masterplan her, einen auf den ich mich freue und der mein Herz wieder höherschlagen lässt!

Ok, Eddie! Here we go.

Ich grinse siegessicher und Pferdemoppel Linda mit den dicken Titten bekommt sogar noch ein „Ciao“ von mir auf den Weg geschenkt!

Eine halbe Stunde später sind wir zurück am Kap Trafalgar.

Wir beziehen eine Choza in Canos de Mecca. Es ist ein einfaches, kleines Landhaus mit einem niedlichen Strohdach, wie es früher für diese Region typisch war.

Die Choza besteht aus einem einzigen, sehr gemütlichen und stilvoll eingerichteten Raum, hat jedoch ein abgetrenntes Bad, mit Dusche und Toilette und eine niedliche kleine Küche.

Die Küche ist mit den typischen, bunten marokkanischen Kacheln gefliest und besitzt neben Zweiplattengasherd, Minikühlschrank, Minibackofen, einer Miniwaschmaschine sogar eine Minimikrowelle. Eben alles Mini.

Wenn man jedoch zwei Jahre lang vier Quadratmeter im Bulli gewohnt ist, erscheinen einem fünfundzwanzig Quadratmeter plötzlich so groß wie ein Palast.

Besonders toll an der Choza ist, sie hat ein gemütliches großes Doppelbett, das man nicht wie im Bulli zum Essen wegklappen muss.

TV und WLAN sind ebenfalls vorhanden. Für die Wärme sorgt ein gemütlicher gusseiserner Holzofen, neben dass der Vermieter freundlicherweise einen kleinen Stapel Holz gelegt hat, dessen Feuer ich als allerersten Akt sogleich entfache. Mhhh... tut das gut! Richtige Entscheidung getroffen!

Welcome back to Civilization.

Mein zweiter Akt nach der heiß ersehnten Dusche, die ich mir und anschließend Miki verpasse ist, mit meiner Mom über WhatsApp zu telefonieren.

Von ihr erhalte ich sowohl Rüge als auch Motivation.

Erst hört sie geduldig zu, was alles die letzten Tage auf mich eingeprasselt ist. Ich berichte ihr von meiner erlittenen Unterkühlung beim Surfen, von Blakes neuem Poppbus King und dass ich glaube er habe extra mit der Riu Tusse gepimpert, um mich eifersüchtig zu machen.

Ferner berichte ich noch, dass Miki und ich drei ganze Tage im Bulli eingesperrt waren, um der Apokalypse aus der Wohndose beizuwohnen, ich nun aber ein Haus gemietet habe, weil alles nass ist und ich mein Fieber nicht in den Griff bekomme.

„Bleib besser im Hause, Eddie! Wie geht es Miki? Ist er gesund?“, fragt Mami.

„Ja. Miki ist quitschvergnügt und rennt draußen mit Gummistiefeln und Regenjacke irgendwelchen Welpen hinter her. Heute ist sogar die Vorschule in El Palmar wegen den sintflutartigen Regenfällen ausgefallen.“

„Es ist besser so! Bleibt in dem Haus!“ rät mir Mami.

Wir telefonieren eine ganze Weile. Zum Schluß drängt sie mich liebevoll, zum Arzt zu gehen, damit ich im Falle einer verschleppten Lungenentzündung doch noch Antibiotika nehme und schnell wieder gesund werde.

Ich verspreche meiner Mom hoch und heilig, dass wenn ich am siebten Tag nach meiner Unterkühlung immer noch Fieber haben sollte, in das nächstgelegene Centro de Salut, das örtliche Gesundheitszentrum in Conil, fahren und mir Medikamente besorge werde.


Einige Tage später geht es mir jedoch schon wieder ausgezeichnet. Ich habe Glück im Unglück, denn in dem warmen kuschleigen und vor allem trockenen Häuschen sinkt endlich mein Fieber.

Ich trinke Unmengen an Ingwer- und Kräutertee und verzichte sogar für zwei Wochen zugunsten der Gesundheit aufs Surfen.

Gegen die Langweile und neu gewonnene Freizeit beginne ich in den Vormittagstunden, wenn Miki in der Vorschule ist, mit Malarbeiten und zeichne hübsche kleine Bilder. Ich erfinde die Surfikonen Malerei.

Ikonenmalerei kennt man ja; Ikonen sind in der Orthodoxen Kirche geweihte und stilisierte Abbilder von Jesus, Maria und anderen Heiligen.

Ursprünglich aus Byzanz stammend, erhielt die Ikonenmalerei im vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert in der Russisch-Orthodoxen Kirche eine herausragende Bedeutung.

Grundsätzlich sollen Ikonen eine Beziehung zwischen dem Betrachter und der auf dem Bild dargestellten Figur herstellen. Bei meinen Surfikonen soll das gleiche geschehen.

Ich gestalte meine Surfikonen so, dass der Betrachter durch andalusische oder auch durch mozarabische Architektur geprägte Fenster hinaus auf das offene Meer schauen kann.

Die Fenster male ich als Arkaden, haben Säulen und Bögen in Hufeisenform und in die Mitte zeichne ich Wellenreiter, Windsurfer oder Kiter, die auf den Betracher zufahren.

So verarbeite ich zum einen die ganzen exotischen Eindrücke Andalusiens und versuche das unfassbare Licht der bezaubernden Costa de la Luz, übersetzt die Küste des Lichtes, auf der Farbpalette anzumischen und auf die kleinen Leinwände zu zaubern.

Ein ganz wesentlicher Aspekt meiner Surfikonen ist, die vielen beobachteten Bewegungen der Wassersportler beim Windsurfen, Kiten, Stand- up-Paddeln und Wellenreiten mal nicht fotografisch, sondern handgezeichnet darzustellen.

Durch die Quelle meiner Kreativität, finde ich schnell zurück zu mir, werde wieder gesund und obendrein heile ich ganz nebenbei mein von dem doofen Blake gebrochenes Herzchen.

Ich habe schon immer gerne gemalt und gezeichnet; aber diesmal hat es eine ganze andere Bedeutung für mich!

Das Malen hier in Andalusien, am Arsch Europas bekommt für mich nach und nach einen spirituellen Aspekt.

Durch das Malen meiner Surfikonen spüre ich diesmal deutlich, wie Schöpfungskraft in mir entsteht und durch mich fließt.

Ich werde regelrecht manisch und male bis zu drei Bilder am Tag; und was soll ich sagen? Es macht mir mega Spaß und die Bilder werden von Mal zu Mal und Tag zu Tag besser.

Zu guter Letzt male ich wie eine Getriebene. Alles an Farben und Einflüssen, besonders meine Surferlebnisse auf dem Meer haue ich raus.

Ich hab mir eine kleine, süße Malstation vor der Choza aufgebaut, wo ich überdacht, aber im Sonnenschein sogar, trotz das es erst Januar ist, im Bikini arbeiten kann.


In den kommenden Wochen entstehen sage und schreibe über fünfzig kleine Surfikonen und sieben größere Bilder. Unter anderem ein gemalter Bus Lee und ein Portrait einer hübschen spanischen Surferin; das Bild heisst: Mi Morena, wie der Schnulzensong aus Radio National Tres.

Schlussendlich organisiere ich im Al Zocaire, einem kleinen weißen Café in El Palmar, das unterhalb des bekannten Surf Camps A-Frames liegt, eine kleine Vernissage.

Es entsteht eine Mini Kunstausstellung mit DJ, Kuchen und Cava. Und siehe da: Fast alle Bilder verkaufen sich. Einige Café Besucher wollen sogar schon vor der Vernissage Ikonen abkaufen, da sie nicht bis zum Abend bleiben wollen.


Die Ausstellung ist ein voller Erfolg. Ich verkaufe die Surfikonen, die unfassbarerweise wie geschnitten Brot über die Theke gehen, für zehn bis zwanzig Euro, je nach Motiv und Größe. Die größeren Bilder wie das Mi Morena bekomme ich sogar für zweihundert Euro verkauft.

Am Ende des Tages habe ich mit dem Verkauf von über vierzig Bildern knapp achthundert Euro verdient und mir gleichzeitig den Herzenswunsch erfüllt, einmal eine eigene Vernissage veranstaltet zu haben.

Als an diesem Abend langsam die Sonne im goldenen Meer versinken will und ich herrlich zufrieden an einem Tinto der Verano nippe, klopft mir jemand an meine rechte Schulter.

Ich drehe meinen Kopf nach rechts. Keiner da... haha... witzig!




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