Читать книгу Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur - Manuel Caballero González - Страница 20

III.4 PhrixosPhrixos: Einleitung

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Im Katalog von Tragödien des Euripides (II 481 und III 172) sind die Titel der Tragödien gesammelt; in diesem Verzeichnis wird auf den Titel Phrixos hingewiesen. Lange haben viele Gelehrte bezweifelt, dass es zwei Tragödien mit diesem Titel gab: Wagner3, Hartung4, Wilamowitz5, Robert6, Schmitt7, Schadewaldt8, usw.; in der Tat erwähnt die Inschrift von Piräus (IG II/IIIEinschriftenIG. II/III2 2363, 482 2363, 48) nur einen Phrixos9.

Mit Ausnahme von Robert, der sich auf Apollodor beruft, haben alle anderen Gelehrten versucht, die Handlung ‚dieses Werkes‘ aus Hyg. Fab. IIHyginusFab. II und III zu rekonstruieren, wie Kannicht behauptete: „Phrixum antea quasi una esset tragoedia et fragmenta quasi ex una fabula (eaque ex Hygino restituenda) essent orta tractare solebant“10. Aus diesem Grund entsteht das berühmte und umstrittene Thema des freiwilligfreiwilligen OpferOpfertodes, der unten ausführlich analysiert wird11. Interessant ist, diesbezüglich die brillante Überlegung von Jouan / Van Looy einzubringen: „Aucune des deux versions ne mentionne le sacrifice volontaire de Phrixos (attesté seulement par Phérécyde et Hygin), qui nous semble pourtant un élément sûr pour au moins une des deux pièces, malgré le silence des fragments“12.

Dank zweier Papyri von Oxyrhynchos aber weiß man heutzutage mit Sicherheit, dass Euripides zwei Tragödien mit diesem Titel geschrieben hat. Lloyd-Jones lässt sich die Chance nicht entgehen, Wilamowitz’ Fehler „in denying that there were two plays called Phrixus“13 klarzumachen. Derselbe Fehler scheint Pearson in seinem Artikel „A Note on Pindar, Pyth. IV 162 f“ unterlaufen zu sein: „[This] version … was that given by Apollodorus (I. 80) and followed apparently by Euripides in his Phrixus“14. Schmitt spricht auch nur über einen einzigen Phrixos: „Viel Ähnlichkeit mit der Behandlung im Erechth. hat, soviel wir sehen können, die Einleitung der Devotionsszene im Phrixos“15. Schmid / Stählin erwähnen „zwei Bearbeitungen“16, sie erörtern sie aber als eine einzige Tragödie: „Die motivischen Ähnlichkeiten mit Stücken der Spätzeit, die angeführt wurden17, sind so zahlreich und bedeutsam, dass man den Phrixos ziemlich zuversichtlich in die Zeit nach 412 setzen kann“18. Roussel erkennt ein einziges Phrixos betiteltes Drama an: „J’ai negligé à dessein les autres exemples de sacrifice volontaire dans la tragédie euripidéenne (… Phrixos, dont nous ne savons presque rien, …)“19. Welcker räumt ein, dass es zwei Werke mit dem Titel Phrixos gibt, konzentriert sich aber nur auf das erste, da vom zweiten „sonst keine Spur [sc. vorhanden] ist“20. Man hat sogar den Eindruck, dass dieser Gelehrte den Hinweis auf einen zweiten Phrixos, über den er kein Wort verliert, für falsch hält.

An dieser Stelle sollte man einen großen (102 cm hoch) Volutenkrater (ca. 330 n. Chr.) aus Apulien untersuchen, weil er Taplin gemäß die Handlung der ersten Phrixos von Euripides darstellen könnte. Dieses Gefäß befindet sich heute in Berlin21 und wurde auf Darios-Maler zurückgeführt. Hier ist das Bild des Kraters.

Abb. 5:

Phrixos’ Opfertod

Das Bild besteht aus zwei Streifen und insgesamt fünfzehn Figuren.

Unten in der Mitte ist Phrixos zu sehen, dessen Name über seinem Kopf geschrieben ist. Er steht auf einem Altar und sein linkes Bein stützt sich auf das Oberteil einer Säule. Mit seinen Händen hält er die Hörner eines weißen WidderWidders, dessen Glanz eindeutig, wie Taplin vorschlägt, auf das goldene VliesGoldenes Vlies hinweist. Sowohl Phrixos als auch der Widder tragen angeblich die Opferinfulen22. Rechts von Phrixos – vom Betrachter aus gesehen – steht Athamas mit einem Schwert in der Hand; auch über ihm befindet sich eine Inschrift. Mit seinem Finger zeigt er auf Ino, deren Name im Bilde klar sichtbar ist. Sie wirkt beklommen wegen der Blicke von Athamas und Phrixos, vielleicht weil sie Angst hat, dass ihre böswillige Absicht entdeckt worden sei. Links von Ino stehen zwei Figuren ohne Aufschrift, die Taplin nicht identifizieren kann; möglicherweise stellen sie zwei Mitglieder des Chores dar, der aus Frauen von ThebenTheben bestand. Rechts von Athamas ermahnt der Pädagoge lebhaft Helle, deren Name ohne H geschrieben wurde, nämlich einfach ΕΛΛΗ. Die letzte Figur des rechten Teils wäre nie identifiziert worden, wenn sie keine Beischrift gehabt hätte: ΕΥΦΗΜIΑ; Taplin meint: „This word, meaning something like ‘auspicious voice,’ is most familiarly used to refer to the ritual silence that should accompany a sacrifice. Her personification here could suggest that in the tragedy, ritual observance somehow prevented the murderous and impious sacrifice from happening“23. Möglich ist, dass Euphemia in der Tragödie von Euripides – wenn dieser Krater sie schildert – nicht dargestellt wurde, sondern dass sie ein eigenes Element des Kratermalers ist.

Im oberen Niveau befindet sich die Welt der Unsterblichen, deren gelassener Gesichtsausdruck auffällig im Gegensatz zur Anspannung des unterhalb befindlichen Streifens steht. Nur eine Figur ist nicht einfach zu identifizieren, nämlich die einzige, die eine Beischrift über ihrem Kopf hat: ΝΕΦΕΛΗ. Von links nach rechts – vom Betrachter aus gesehen – kann man Pan und Artemis erkennen, die Taplin nach andeuten könnten, dass ein Teil der Handlung am Land geschah; das könnte auf den Aufenthalt von Phrixos und HelleHelle in der Herde des Königs, woher sie angerufen wurden, hinweisen. Danach erkennt man ZeusZeus, zu dessen Ehre der Opfertod durchgeführt werden konnte. Neben ihm befindet sich AtheneAthene; Taplin zufolge „[she] might possibly signify the Athenian origin of the tragedy, it is more likely that she was somehow brought into the mythical narrative“24; dieser letzte Punkt ist m.E. sehr zweifelhaft, aber Athenes Gegenwart in dieser Reihe von Göttern bleibt rätselhaft. Rechts davon sitzt ApollonApollon, dessen verfälschtes Orakel der Ursprung von Phrixos’ Opfertod war. Zuletzt kommt auch HermesHermes vor, der sich mit NepheleNephele unterhält. Diesbezüglich sehr treffend ist meiner Meinung nach Taplins Aufzeichnung: „According to Apollodoros it was Hermes who gave the golden ram to Nephele“25. Wahrscheinlich weist Hermes Nephele darauf hin, wie ihre Kinder dem Tod am Opferaltar entfliehen können; möglicherweise hat er ihr im Voraus den Widder mit dem goldenen Vlies gegeben26.

Taplin zufolge gibt es auf dieser Vase drei Hinweise, die das Bild des Kraters mit einem theatralischen Werk in Verbindung bringen: „there are the costumes, especially that of the king in the center with his boots, crossbanding, and conspicuous red sleeves. Second, there is the familiar old paidagogos figure, who is explicitly given the anonymous label of ‘child carer’ ΤΡΟΦΕΥΣ. Third, the name labels are all in Attic forms, including those that would be different in other dialects“27.

Taplin entscheidet sich für die Darstellung der Geschichte von Phrixos, die nach meiner Ansicht I-P-H-Version genannt werden kann, und bemerkt, dass das Stück von Euripides das berühmteste aller Theaterstücke war. Er unterscheidet zwei euripideische Werke mit diesem Titel28 und nuanciert daraufhin seinen Kommentar: Bei dem Bild handelt es sich sehr wahrscheinlich um den ersten Phrixos, denn „Dionysos was significant within the play of Phrixos (the Second Version), and while there are no fewer than seven divinities in the upper register here, Dionysos is not one of them“29.

Allerdings ist klar, dass der Maler die Handlung des Dramas nicht wörtlich darstellen wollte, sondern dass er auch einige eigene Nuancen einbringen konnte. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der Krater auf einen der beiden Phrixos von Euripides bezieht und zwar möglicherweise, wie Taplin andeutet, auf den ersten und nicht auf den zweiten Phrixos. Zweifellos ist dieser Krater aber eine wunderschöne Darstellung der I-P-H-Version.

Hier ist es angebracht, die Polemik über die Nummer der Tragödie, die Euripides Phrixos betitelte, beiseite zu schieben und die Textstellen, die für die Rekonstruktion der Handlung dieser Tragödien verwendet wurden, kurz zu erforschen: Apollod. I 9, 1ApollodorosApollod. I 9, 1 und Hyg. Fab. IIHyginusFab. II-IIIHyginusFab. III. Bevor Van Looy seinen Vorschlag für die euripideische Version, die er „la légende de Phrixus“30 nennt, präsentiert, zeigt er fünf wesentliche Unterschiede zwischen den beiden erwähnten Quellen zu Phrixos’ Opfertod auf:

 1) Bei Apollodor willigt Athamas nach anfänglichem Widerstand in Phrixos’ Opfertod ein; in der Version von Hygin bietet Phrixos freiwilligfreiwillig an, auf dem Opferaltar zu sterben.

 2) Nephele rettet, laut Apollodors Textstelle, ihren Sohn; bei Hygin verdankt er einer Dienerin / einem Diener31 sein Leben.

 3) Bei Apollodor kommt Ino ungestraft davon; bei Hygin wird Ino der Willkür von Phrixos ausgeliefert.

 4) Der Widder rettet Phrixos, wenn Athamas’ Sohn am Opferaltar steht; bei Hygin irren Phrixos und Helle durch den Wald, nachdem sie von Dionysos bestraft wurden.

 5) Diese Gottheit spielt in Apollodors Texten überhaupt keine Rolle, erscheint aber bei Hygin als deus-ex-machina.

Nun bieten sich die Überlegungen von Van Looy über die von mir genannte I-P-H-Version an, Athamas’ Mythos zu betrachten. Der belgische Forscher sieht zwei Hauptpunkte in der Entstehung dieses Mythos:

 A) Ein primitiver historischer Kernpunkt

Van Looy erklärt es folgendermaßen: „La sécheresse sévissant à Halo avec véhémence, la population après consultation des dieux, decide d’offrir en expiation un sacrifice humain“32. Es ist nicht ganz verständlich, wie Van Looy daraufhin von zwei Opfern, dem von Phrixos und dem von Athamas, reden kann. Man könnte denken, dass das Opfer des Aioliden durchgeführt werden sollte, weil das erste misslang. In der Tat wird das von Athamas auch nicht durchgeführt, denn sein Enkelkind rettet ihn in extremis –, aber dies entspricht nicht Van Looys Theorie; denn er behauptet, dass die Götter33 Phrixos’ Opfertod verhindert haben und ein Widder an seiner Stelle geopfert wurde. Wenn die Götter selber das MenschenopferMenschenopfer ablehnen und dieses durch ein Tier ersetzt wird, wie kann man dann in der geschichtlichen Ebene und aus dieser Perspektive heraus den neuen Opfertod von Athamas rechtfertigen?

 B) Die Erweiterungen der Legende

Alle anderen Punkte der LegendeLegende resultieren aus einer Entwicklung des Mythos: Der Ursprung der DürreDürre, die entweder von Nephele oder von Ino verursacht wird, mit all ihren Wirkungen: Eifersucht oder enttäuschte Liebe; die Fälschung des Orakels; Athamas’ Zweifel über das Opfer; Phrixos’ Rettung entweder durch einen Widder oder durch eine Dienerin / einen Diener; usw.

Interessant ist nun zu sehen, welche Handlung die Gelehrten diesen Tragödien zugeschrieben haben. Lloyd-Jones sagt, es sei möglich „that the common story is that of Frixo 1, the less common one that of Frixo 2“34. In Bezug auf den zweiten Phrixos, denkt Mattes: „möglich ist die Erfindung durch den Dichter auch für den Wahn der Geschwister Phrixos und Helle im Phrixos II“35. Kannicht beteuert, „Phrixus in I Jovi immolandus ab Athamante ad aram ducitur, in II Athamante abnuente ipse se morti destinat“36. Schwanzar sagt, „in beiden Phrixos-Tragödien läßt Ino das Saatkorn rösten, um die DürreDürre herbeizuführen“37. Gantz meint, dass es im zweiten Phrixos um die Rettung vor den von Ino geplanten IntrigeIntrigen geht; „the former might have been either a different version of the same events, or the story of Phrixos’ subsequent life in KolchisKolchis“38.

Obwohl das Thema ausführlicher im Absatz über den freiwilligfreiwilligen Opfertod analysiert wird, kann man in diesem Moment eine der Meinungen, die diese Tragödie(n) mit der freiwilligen Hingabe von Phrixos verbindet, vorwegnehmen. Valgiglio spricht über den ‚Phrixos‘ von Euripides im Singular: „È da credere che ricorresse anche in questa tragedia il motivo dell’uno che salva tutto, già riscontrato nell’Ifigenia in Aulide e soprattutto nel discorso di Prassitea dell’Eretteo“39. Im Unterschied zu den anderen euripideischen Figuren (Makaria, Polixena, Menoikeus und Iphigenia), die sich freiwillig für die Gemeinschaft opfern, ist Phrixos der einzige, der gerettet wird und nicht auf dem Opferaltar stirbt40. Ino stimmt, wie Praxithea, Polyxenas Mutter, dem Opfer mutatis mutandis zu; Athamas ist Hygins Fabeln gemäß gegen das Opfer, wie Erechtheus, Kreon und Klytaimnestra. Der Aiolide wird vom Volk gezwungen, wie Agamemnon vom Heer.

In Hinblick auf das Datum der Entstehung der beiden Werke, weisen Schmid / Stählin darauf hin: „Unsicher ist die Zeit des Phrixos, von dem es zwei Bearbeitungen gegeben haben soll“41. Robert spricht nur über eine Tragödie, die „der letzten Periode des Euripides angehört“42. Van Looy erwähnt, dass Arnim die ‚Phrixos‘ nach dem Sizilianischen FeldzugFeldzug, der 415–413 n. Chr. stattfand, einreiht; Schmid ist damit einverstanden und glaubt, „daß man Phrixos ziemlich zuversichtlich in die Zeit nach 412 setzen kann“43. Van Looy zufolge „il faut supposer un assez grand laps de temps après le premier échec que fut le Phrixos A“44. Er argumentiert zusammen mit Jouan in der Ausgabe der Fragmente von Euripides, dass es unmöglich ist, diese Werke zu datieren: „Puisque l’attribution de la majorité des fragments à Phrixos A ou B est incertain, les critères métriques sont sans valeur pour dater les deux drames“45. Kannicht sagt kategorisch: „De aetate fabularum non constat“46.

Der Mythos des Athamas in der griechischen und lateinischen Literatur

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