Читать книгу Du bist böse - Mara Dissen - Страница 15

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7. Kapitel

„Was wollen Sie eigentlich so penetrant beharrlich wissen? Meine Frau haben Sie doch schon zu einem erneuten Anfall geführt. Was haben Sie mit ihr gemacht? Sie hat im Schlafzimmer nur geschrien und um sich geschlagen. Das ist noch nie passiert. Ich dachte, sie sollte Ihnen von unserem Sohn erzählen, und sie wollte das auch. Da ist doch irgendetwas schiefgelaufen. Was denn jetzt noch?“

„Lassen Sie uns das schreckliche Unglück mit Ihrem Sohn und deren Vorgeschichte in aller Ruhe erhellen.“

„Was für eine Vorgeschichte, und was in aller Welt verstehen Sie unter erhellen. Licht in irgendein ominöses Dunkel bringen, das nur in Ihrer Fantasie besteht? Ist es das? Was maßen Sie sich überhaupt an?“, überschlägt sich Stolpes Stimme. Die Kommissarin überhört seinen erregten Ausbruch, ignoriert seine aggressive Körpersprache.

„Ihre Frau wollte Ihnen vorhin eine Frage stellen, alleine, ohne meine Anwesenheit. Haben Sie eine Ahnung, worum es da gehen könnte?“

„Nein, das müssen Sie meine Frau und nicht mich fragen“, kommt die Antwort patzig aber im Tonfall wesentlich beherrschter.

„Das werde ich tun. Dann erzählen Sie mir doch wie gestern hier der Tag begann. Hat der Wecker geklingelt, für Sie oder Ihre Frau? Hat Ihr Sohn Sie geweckt, die Reinigungskraft? Wie genau war das?“ Kommissarin Butt hat sich in dem tiefen Sessel niedergelassen. Dass es sich nicht mehr um ein locker geführtes Gespräch handelt, macht das kleine, auf ihren Knien ruhende Notizheft deutlich. Frank Stolpe sitzt angespannt auf dem Sofa und lässt die Polizistin nicht aus den Augen.

„Wir hatten den Wecker gestellt, auf sechs. Meine Frau hatte einen Termin in der Redaktion, und da musste sie früh raus. Geht das jetzt so weiter, mit Ihren nervigen, unsinnigen Fragen?“

„Einen Termin in der Redaktion? Wie habe ich das zu verstehen?“

„Meine Frau schreibt Kolumnen, hat eine feste Seite in der Tageszeitung, Tratsch und Geschichtchen eben. Sie hat früher als Auslandskorrespondentin gearbeitet. Da ist der Kram, den sie jetzt verfasst, natürlich nicht befriedigend. Das verstehe ich schon. Sie hatte einen Termin in der Redaktion, wollte um einen höherwertigen Aufgabenbereich vorsprechen. Keine Ahnung, was ihr so vorschwebte, und wie sie das alles hier miteinander verbinden wollte.“ Stolpe bemüht sich nun sichtlich, seine Verärgerung nicht zur Schau zu tragen. Seine Finger, die sich pausenlos ineinander verknoten, zeigen jedoch seine innere Anspannung.

„Ich verstehe. Fahren Sie ruhig fort, Herr Stolpe.“

„Normalerweise stehe ich vor meiner Frau auf, aber gestern war es anders. Meistens werden wir gar nicht durch den Wecker geweckt. Leif steht…stand dann vor unserem Bett. Meine Frau hat dann immer gehofft, dass er sich noch mit seinem Spielzeug alleine beschäftigt, und sie noch länger im Bett liegen konnte. War aber eigentlich nie der Fall. Na ja, sie stand dann immer auch gleich nach mir auf.“ Stolpe senkt den Kopf und kämpft mit den Tränen.

„Gestern war es anders“, beendet Frau Butt die entstandene Pause.

„Ja, Leif schlief noch, als wir aufstanden.“

„Sie sind also mit aufgestanden, obwohl Sie noch nicht zur Arbeit mussten?“, fasst die Kommissarin zusammen und macht sich Notizen.

„Ja, meine Frau ging ins Bad, und ich habe Frühstück gemacht. Wir hatten ausgemacht, dass ich auf Leif aufpasse. Also hatte ich mir Arbeit für zu Hause mitgenommen. Mittags sollte meine Frau mich dann ablösen. Ich musste folglich mit aufstehen. Leif hätte jeden Moment wach werden können.“

„Und, ist er schnell wach geworden?“

„Nein. Er hat ungewohnt lange geschlafen. Es muss so gegen acht gewesen sein, als er aus seinem Zimmer kam. Meine Frau war da schon weg.“

„Was haben Sie gemacht?“

„Ich? Ich habe an meinem Schreibtisch gearbeitet, ein wichtiger Auftrag, der mir unter den Nägeln brennt.“

„Dann waren Sie ganz froh, dass Ihr Sohn länger geschlafen hat und Sie nicht schon so früh nervte. Ist es denn in solchen Situationen nicht möglich, ein Kindermädchen zu besorgen? Es wundert mich sowieso, dass Sie für Ihren Sohn kein fest angestelltes Kindermädchen hatten. Entschuldigen Sie die Bemerkung, aber das könnten Sie sich doch leisten.“

„Mein Sohn hat mich nicht genervt und ein Kindermädchen brauchten wir nicht. Meine Frau hat ihn beaufsichtigt und gefördert.“ Die Antwort kommt prompt, mit rauer, kalter Stimme, will keine Gegenfragen zulassen.

„Das wundert mich jetzt. Ihre Frau hat unmissverständlich klargemacht, dass sie sich in ihrer beruflichen Entwicklung eingeengt sah und wollte ja schließlich auch einen anspruchsvolleren Bereich bei der Zeitung, wie Sie eben ausgeführt haben. Sie fühlt sich Ihnen gegenüber benachteiligt und wirkte auf mich verbittert. Wäre da ein Kindermädchen nicht die Lösung gewesen?“

„Wir hatten Kindermädchen. Die sind aber nicht geblieben. Sie werden es ja sowieso erfahren, wenn Ihnen daran gelegen ist. Die Frauen haben nach kurzer Zeit gekündigt oder sind einfach nicht mehr erschienen, von heute auf morgen. Leif war schwierig, lieb aber schwierig, und wer will sich heute noch mehr anstrengen als unbedingt nötig. Die hohe Fluktuation lag aber nicht nur an Leif. Einen großen Anteil daran hat auch meine Frau.“

„Geben Sie mir bitte nachher die Adressen Ihrer ehemaligen Angestellten. Ja, Sie haben richtig vermutet. Mir ist an einem Gespräch mit den Kindermädchen gelegen. Sollten Sie nicht aber erst noch einmal nach Ihrer Frau sehen? Vielleicht braucht Sie doch einen Arzt.“

„Nicht nötig. Die ist zäh im Nehmen. Soll sie doch leiden. Na ja, sorry. Sie hat ihre Beruhigungsmittel genommen. Darin kennt sie sich aus. Geht ihr bestimmt schon besser.“

Hanna Butt zieht die Augenbrauen hoch und betrachtet Stolpe nachdenklich.

„Tschüs, Hanna. Wir sind fertig und gehen dann mal“, verabschieden sich die Kollegen von der Spurensicherung. Aus ihren Gedanken aufgeschreckt, dreht sie den Kopf zur Terrassentür und hebt zum Gruß kurz die Hand, um sich sofort wieder Stolpe zuzuwenden.

„Was hat Ihre Frau mit der Fluktuation Ihrer Kindermädchen zu tun, Herr Stolpe?“

„Ach, vergessen Sie das.“

Hanna Butt macht sich erneut Notizen.

„Wie lief der Tag dann weiter ab? Haben Sie mit Ihrem Sohn gespielt, nachdem Sie ihm das Frühstück gemacht haben, oder hat er sich ausnahmsweise mal selber beschäftigt, und Sie konnten Ihrer Arbeit nachgehen?“

„Ich habe erst mit meinem Sohn gespielt. Ich beschäftige mich gerne mit meinem Sohn. Ich bin so selten zu Hause, habe so wenig Zeit für ihn, sodass wir die kurze Zeit der Gemeinsamkeit beide genießen. Mein Gott, ich werde das nie wieder können. Das ist alles Vergangenheit. Wenn ich doch alles rückgängig machen könnte.“

„Alles, was meinen Sie damit?“

„Warum habe ich mir nie mehr Zeit für mein Kind genommen? Jetzt ist alles zu spät. Ich mache mir solche Vorwürfe.“ Hanna versucht, in dem Gesicht von Stolpe zu lesen. Sie kann immer noch nicht einschätzen, ob sich die Vorwürfe auf verloren geglaubte Jahre oder die Geschehnisse an dem verhängnisvollen Morgen beziehen.

„Sie haben gesagt, dass Sie sich gestern zuerst mit Ihrem Sohn beschäftigt haben. Wie lief es danach ab?“

Stolpe wird sichtlich unruhig und zögert etwas zu lange mit der Antwort.

„Er wollte plötzlich nicht mehr, wollte auf seinen Spielplatz. Ich bin mitgegangen, aber er war so in sein Spiel vertieft, dass er mich gar nicht brauchte. Das passiert selten, passierte selten bei ihm. Ich freute mich, dass er sich mal alleine beschäftigte. Irgendwann musste er das ja auch mal lernen. Ich bin gegangen.“

„Wohin, Herr Stolpe?“

„Na, wohin schon, an meinen Schreibtisch natürlich“, nuschelt er kaum verständlich und kann seine Nervosität nicht verbergen. Wie um seinen Gesichtsausdruck einer genaueren Kontrolle zu entziehen, dreht er den Kopf überstreckt in die andere Richtung, weg von Hanna. Seine Hände verschwinden augenblicklich wieder in den Hosentaschen, der Oberkörper strafft sich, als wollten die Schulterblätter Kontakt zueinander aufnehmen. „Ja, genauso war es“, flüstert er und dreht sein Gesicht wieder Hanna zu. Aufmerksam beobachtet sie, wie seine Augen im Raum hin- und herwandern, einen Ruhepol finden wollen, an dem sie sich festhalten können. Seine Gedanken scheinen zu rasen, Gedanken, die er nicht offenbaren möchte. Hanna Butt nimmt die Beobachtungen in sich auf, beschließt, Stolpes Verhalten im Laufe ihrer Ermittlungen in Erinnerung zu behalten.

„Und dann?“, wagt sie die nächste und entscheidende Frage.

„Dann habe ich den Schrei gehört. Bin sofort raus, habe versucht, meinen Sohn zu reanimieren, irgendwann muss meine Frau nach Hause gekommen sein, habe nur gehört, wie sie hinter mir schreiend zusammenbrach. Hören Sie, ich kann nicht mehr. Den Rest wissen Sie. Krankenwagen, Notarzt…Quälen Sie mich nicht weiter.“

Die Kommissarin verspürt einen Kloß im Hals und wehrt sich gegen das Gefühl, fluchtartig den Raum verlassen zu wollen. Sie weiß, welche Frage sie noch beschäftigt, auf die sie noch keine Antwort bekommen hat, eine Frage, die sie stellen muss, für sie keinen Aufschub haben kann.

„Herr Stolpe, von Ihrer Frau habe ich vorhin auf eine wichtige Frage keine Antwort erhalten. Sie erlitt den Schwächeanfall. Ich muss Sie das jetzt fragen. Woher hatte Ihr Sohn die schlecht verheilten Brüche und alten Hämatome, die die Ärzte bei ihm festgestellt haben?“ Hanna Butt hält die Luft an, lässt sie langsam wieder entweichen. Sie spürt, wie ihre Handflächen feucht werden, der Stift aus ihrer Hand zu rutschen droht. Erwartungsvoll lässt sie Stolpe nicht aus den Augen, möchte die Wahrheit hören und fürchtet sich doch vor ihr.

Frank Stolpe starrt sie ungläubig an, unfähig das Unfassbare ihrer Sätze aufzunehmen, ringt nach Worten, findet sie nicht.

Der Dreiklang der Türklingel hallt durch den Raum, zerreißt die Stille, gibt einer Antwort Aufschub.

Du bist böse

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