Читать книгу Du bist böse - Mara Dissen - Страница 8

1. Kapitel

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Das Weiß der Zimmerdecke ist makellos, schmerzt nach langem Hinsehen. Kann die Farbe Weiß schmerzen? Diese Farbe der Reinheit? Ich bin mir nicht sicher, lasse meine Augen zu den Wänden wandern, vergleiche die Farbtöne. Nein, Weiß ist nicht die Farbe der Reinheit. Die Wände sind schmutzigweiß, sauber ja, aber eben nicht rein.

Ich betrachte meinen weißen Bettbezug, zähle die stecknadelgroßen, rot-braunen Flecken, die ein bizarres Muster in Bauchhöhe bilden. Ist das Blut? Mein Blut? Ich hebe die rechte Hand, möchte mit ihr den Schandfleck verdecken, kein Blut mehr sehen, nie mehr, die Farbe Rot ein für alle Mal aus meinem Leben verbannen.

Ein stechender Schmerz durchzuckt meinen Handrücken, setzt sich brennend im Arm fort und löst unweigerlich Panik in mir aus. Irritiert betrachte ich die Kanüle in meiner Haut, nein, in meinem Körper. Man hat sie in meinen Körper getrieben. Was macht sie mit ihm? Zentimeter um Zentimeter verfolge ich die Leitung, die aus der Nadel sprießt und in einem Infusionssack, aufgehängt an einem Ständer, mündet. Entsetzt möchte ich mir die Nadel aus meinem Körper reißen. Ich will sie nicht. Ich weiß nicht, wie sie dort reingekommen ist. Man hat mich nicht gefragt.

<Halt>, höre ich meine innere Stimme schreien. Sie spricht in letzter Zeit oft mit mir. Es fällt mir häufig schwer, ihr zu gehorchen. Manchmal antworte ich, meistens versuche ich, sie zu ignorieren. Jetzt jedoch hat sie Recht. Es würde wieder Blut geben, rot, die alles vernichtende Farbe auf meinem weißen Bettbezug.

Schwer atmend lasse ich meinen Kopf auf das Kissen fallen, schließe wieder die Augen. Ich bin im Krankenhaus, das weiß ich, aber wie ich hierher gekommen bin liegt für mich im Dunkeln. Soll es doch dableiben. Die Sache mit der inneren Stimme geht mir durch den Kopf. Das sei ganz natürlich, hat mir Elli gesagt, Gedanken eben. Der Kopf sei ja nicht abgeschaltet, nur weil man mal keine lauten Unterhaltungen führt. Ach Elli, du Gute. Wahrscheinlich hast du Recht. Ja, natürlich hast du wieder Recht. Ich will mir aber keine Gedanken machen. Mein Kopf soll tot sein, einfach gedankentot, befreit von diesen grauenvollen Erinnerungen, die meine Gedanken füttern.

Unter großer Anstrengung öffne ich wieder die Augen, widersetze mich dem Gefühl endloser Müdigkeit. Mit nur leichten Kopfbewegungen gelingt es mir, meine Umgebung zu erfassen. Es ist ein kleines Krankenzimmer. Nur ein Bett, mein eigenes, Nachttisch, zwei Stühle mit gepolsterter, abwaschbarer Sitzfläche, ein kleines Tischchen mit einem schlichten Stuhl davor, ein Kleiderschrank, der eher an einen Spind erinnert und eine Tür, die wahrscheinlich in einen Sanitärbereich führt. Und dann natürlich die Tür, durch die man mich hier reingebracht hat, und durch die ich das Zimmer wieder verlassen werde. Irgendwann. Es ist mir egal wann. Will ich es überhaupt wieder verlassen? Da kommen sie wieder, die Gedanken.

„Scheuch sie weg“, durchdringt meine Stimme die Stille. Entsetzt schaue ich mich ruckartig um, habe Angst, dass ich gehört wurde und weiß doch, dass ich allein bin. Wenigstens in dieser Angelegenheit ist Frank meinem Wunsch nachgekommen. Er hat mich in ein Einzelzimmer legen lassen. Habe ich diesen Wunsch überhaupt geäußert und wann soll das gewesen sein? Egal. Für Frank wäre nie etwas anderes in Frage gekommen, erste Klasse, was sonst. Für ihn muss alles immer erstklassig, überragend sein. Frank hat als Architekt Objekte entworfen, die in ihrer Einmaligkeit herausstechen. Sein Geschäftssinn muss allerdings ebenfalls seinesgleichen suchen. Was sein Planungsbüro mitunter nicht nach seinen hohen Erwartungen abwirft, holt sein angeschlossenes Ingenieurbüro wieder heraus. Als mein Ehemann sieht er es als seine Pflicht an, mich mit Luxus zu umgeben. Er kann es sich leisten, sich von seinem schlechten Gewissen freizukaufen, meine vermeintliche Abhängigkeit von ihm auf diese Weise zu erhalten. Ich wundere mich, dass ich nicht in der stilvolleren Umgebung einer Privatklinik liege. Was ist geschehen, dass er von seinem steten Streben nach dem Besonderen abgewichen ist?

„Können Sie mir dann bitte noch eine Blumenvase bringen?“

„Ja, natürlich. Gehen Sie ruhig schon rein.“

Elli. Ihre Stimme würde ich durch jede geschlossene Tür erkennen. Ich habe mich von der Ruhe meines Zimmers täuschen lassen, fühlte mich vor der Außenwelt sicher, habe nicht bedacht, dass Menschen im Krankenhaus, Pflichtbesuche förmlich aufzwingen. Nein, das ist ungerecht. Elli kommt nicht aus Pflichtgefühl. Elli kommt, um zu helfen, Halt zu geben, Gleichgewicht wiederherzustellen, einfach da zu sein. Auf Elli war immer Verlass. Sie kritisiert nicht, bevormundet nicht, steht einfach nur tatkräftig zur Seite und ist irgendwie immer präsent. Aber mit ihrer beherzten Art hat sie schon großen Einfluss auf mich.

Beim zaghaften Klopfen an der Tür schließe ich die Augen, versuche ruhig und gleichmäßig zu atmen. Es sind nur wenige Schritte bis zu meinem Bett, die Elli leise, fast unhörbar zurücklegt. Jeder einzelne Schritt wird von mir wahrgenommen, körperlich nachempfunden. Wir sind uns so vertraut, dass ich Ellis Bewegungen in Zeitlupe vor mir sehe. Sie wird wie immer flache, modische Schuhe tragen. Schuhe mit Absätzen lehnt sie für sich kategorisch ab, womit sie ihrem Erscheinungsbild eine positive Variante verleiht. Elli ist groß, sehr groß. Zu ihr muss man aufschauen, seinen Blick an ihrem hageren, aufgeschossenen Körper entlanggleiten lassen, bevor man das Gesicht in Augenschein nehmen kann. Es ist nicht hübsch, aber passt zu ihrem Körperbau, lang, schmal, kantig. Selbst ihre Augenlider ziehen sich von der Nasenwurzel schlitzartig Richtung Schläfe, als wollten sie nie enden. So dünn wie alles an ihr sind auch ihre schwarzen Haare, glatt und unvorteilhaft auf die Schultern fallend. Menschen, die Elli zum ersten Mal begegnen, verschätzen sich oft, sehen in ihr die unbewegliche, steife Frau, gefangen in einem Körper, der bei kleinsten Bewegungen auseinander zu brechen droht. Meine Freundin Elli ist jedoch biegsam wie eine Gerte, verfügt über wundersame Kraft und ist vor allem schnell, quirlig, irgendwie immer in Bewegung.

Ich bin das totale Gegenteil von ihr. Vielleicht verstehen wir uns deshalb so gut. Klein, gedrungen, moppelig, mit einem viel zu kurz geratenen Hals, der auch durch meine blond gelockte Kurzhaarfrisur optisch nicht verlängert wird, kämpfe ich stets gegen überschüssige Pfunde an. Anders als Elli, bewege ich mich liebend gern auf hochhackigen Schuhen, um größer zu wirken und unterliege wissend dem Irrtum. Auf mein Augen-Make-up verwende ich täglich viel Zeit, in der Hoffnung, meinem runden, alltäglichen Gesicht etwas mehr Ausstrahlung zu verleihen. Jetzt werde ich wohl vollkommen verschmiert hier liegen. Elli nehme ich mir oft zum Vorbild, besonders, wenn meine Unzufriedenheit in Unbeherrschtheit umzukippen droht, Pessimismus mich runterzieht. Oft werde ich auch von Depressionen heimgesucht. Sie fallen meistens über mich her, wenn mein verflossener Erfolg als Journalistin vor meinem geistigen Auge abläuft und mir gleichzeitig meine gegenwärtige berufliche Aussichtslosigkeit aufgezeigt wird. Zu brutal werde ich von den Bildern weggezerrt, die mich in die Zeit meiner Auslandsreisen versetzen. Einer Zeit voller Abenteuer, geprägt von der Suche nach Tatsachen und Hintergründen für Dokumentationen, die mich als Journalistin gefragt und unentbehrlich gemacht haben. Nein, natürlich nicht unentbehrlich. Schnell vergessen und abgeschrieben als ich gezwungen war, meine Unabhängigkeit aufzugeben.

Elli steht vor meinem Bett. Wir waren einst Kolleginnen, haben uns bei unseren Hintergrundrecherchen Fakten zugespielt, uns gegenseitig gestützt. Jetzt stützt sie nur noch mich. Ich kann förmlich ihre Körperwärme spüren. Es muss ihr sehr schwerfallen, sich so leise, langsam, bedächtig zu bewegen. Für mich tut sie das, zwingt sich dazu. Vielleicht ist es auch ganz anders, hat das Geschehene ihre Energie geschluckt.

Die Tür öffnet sich wieder, wird nicht geschlossen. Ich vermute, dass die Schwester die Vase bringt. Wie lange schaffe ich es noch, meine Augen geschlossen zu halten?

„Frau Stolpe scheint fest zu schlafen. Steht sie noch unter schweren Beruhigungsmitteln?“

„Ja, aber eigentlich könnte sie uns durchaus hören. Na ja, wahrscheinlich sehr schwach.“

„Darf ich sie ansprechen, anfassen? Was meinen Sie?“

„Ja, natürlich. Versuchen Sie es.“

„Ach, ich habe da noch eine Frage. War Herr Stolpe, ihr Mann, schon hier?“

„Nein, nicht das ich wüsste. Ich kann aber noch mal meine Kollegin fragen.“

„Nein, nein, danke, nicht nötig. War nur so eine Frage.“

Er hat es also nicht geschafft, sich hierher zu bewegen. Schade. Nicht, dass ich traurig darüber bin. Ich hätte es nur gut gefunden, wenn er mich in meinem betäubten Zustand, in dem ich mich offensichtlich längere Zeit befunden haben muss, einfach tief schlafend, angetroffen hätte. Vielleicht hätte ihm das Angst gemacht. Ich glaube nicht, dass es mir gelingt, mich schlafend zu stellen, käme er jetzt die Tür rein, jetzt, wo die Medikamente scheinbar ihre starke Wirkung verlieren. Er soll nicht kommen, soll wegbleiben, einfach wegbleiben. Vielleicht sollte ich die Augen öffnen und um neue Betäubung bitten, wohl eher flehen, könnte ja starke Schmerzen vortäuschen.

Ellis warme Hand auf meinem nackten Arm tut gut, möchte sie aber auch gleich wieder abschütteln. Keiner soll mir zu nahekommen. Auch Elli nicht?

Die Tür öffnet sich erneut, Elli nimmt ihre Hand von meinem Arm. Wahrscheinlich dreht sie sich zur Tür um. Ich halte die Luft an, konzentriere mich auf die Schritte. Ich atme wieder aus, als ich erleichtert feststelle, dass von ihnen nicht dieses Drängende, Vorwärtsstrebende, Selbstherrliche ausgeht, wie es meinem Mann zu eigen ist. Frank lässt sich also Zeit.

„Ich muss einen neuen Infusionsbeutel anschließen“, höre ich die Schwester sagen.

„Sie reagiert nicht. Ich habe sie am Arm berührt. Sie hat nicht mal gezuckt.“ Ellis Stimme kommt mir seltsam verändert vor. Hat sie geweint? Ich sollte Mitleid mit ihr haben, verspüre jedoch nichts.

„Versuchen Sie es einfach noch einmal, und wenn sie keine Regung zeigt, lassen Sie sie schlafen. Besuchen Sie sie morgen wieder. Ich komme auch gleich mit Medikamenten für die Nacht. Dann erhält sie nochmals starke Schlafmittel.“

Der stechende Schmerz fährt wieder durch meine Hand. Wahrscheinlich hat die Schwester den Sitz der Nadel überprüft. Ungewollt öffne ich die Augen und stoße gepresst angestaute Luft aus, was sich anhört wie ein gequälter Schmerzenslaut. Ich erfasse das Gesicht einer mir unbekannten Frau. Rund, feiste Hamsterbacken, blass, gerahmt von blondgefärbter Stoppelfrisur. Es muss die Krankenschwester sein, die mich mitfühlend, aber irgendwie auch ein bisschen zu professionell empathisch betrachtet.

„Haben Sie Schmerzen, Frau Stolpe? Ich lasse Sie kurz mit Ihrem Besuch alleine und bringe Ihnen dann etwas für die Nacht. Bleiben Sie so lange bei ihr?“, wendet sie sich leicht hektisch an meine Freundin. Die Schwester hat Angst davor, mit mir allein zu sein. Sie weiß nicht, wie sie mit mir umgehen soll. Wer sagt mir, wie ich mit mir umgehen soll?

Ich bin allein mit Elli. Wir schweigen uns an. Ihr Gesicht ist vom Weinen aufgequollen, hat seine kantigen Konturen verloren. Das passt überhaupt nicht zu deinem dürren Körper, ertappe ich mich bei unangebrachten Gedanken, vermisse erneut Mitleid, schäme mich nicht dafür. Und überhaupt, passt das Weinen nicht zu Elli, der immer zuversichtlichen, zupackenden, nie verzagenden Elli. Habe ich es etwa erreicht, ihren nie versiegenden, aufreizenden Optimismus zu brechen? Sie ist nie um Worte verlegen, warum ist sie es jetzt? Warum sagt sie nichts, verdammt noch mal. Ich werde schweigen.

„Du musst nichts sagen“, flüstert sie und beugt sich zu mir herab. Sie hat meine Gedanken erraten, meine Tränen aufhalten, kann sie nicht. Sie entnimmt aus dem Karton, der auf meinem Nachttisch steht, mehrere Kleenex Tücher und versucht mir zart, beinahe zärtlich, das Gesicht zu trocken. Es gelingt ihr nicht. Unaufhaltsam fließen meine Tränen über meine Wangen, in meine Haare, an meinem Hals entlang, ohne dass ich mich auch nur einen Millimeter bewege. Elli gibt auf und trocknet sich nun selbst ihr tränenüberströmtes Gesicht.

„Ich habe vorhin mit einem Arzt gesprochen“, setzt sie mit belegter Stimme zu scheinbar wichtigen Aussagen an. „Wir glauben, es ist besser, wenn du noch ein paar Tage im Krankenhaus bleibst. Sie wollen morgen jemanden vom sozial-psychiatrischen Dienst vorbeischicken. Wäre das für dich in Ordnung?“

Da ist sie wieder, die alte Elli. Was hat sie gesagt? <Wir glauben, es ist besser?> Ja, natürlich, Elli und der Arzt. <Du musst nichts sagen> und jetzt zwingt sie mich mit so einer Frage zu einer Aussage. Ich zerre ihr die letzten trockenen Tücher aus der Hand und putze mir geräuschvoll die Nase.

„Nein, können wegbleiben.“

„Wie du willst. Dann sage ich draußen Bescheid, dass du keine psychologische Betreuung möchtest.“

So wie Elli das sagt, klingt es, als sei ich ein verstocktes Kind, das den Rat der Erwachsenen nicht annehmen will. Ganz Unrecht hat sie wahrscheinlich nicht. Ich will keine Ratschläge, die ja wohl immer davon ausgehen, dass sich etwas vermeiden oder verbessern lässt. Vermeiden lässt sich in meinem Fall nichts mehr, es ist bereits geschehen, für Verbesserungen wurden mir die Voraussetzungen entzogen.

„Nein, ich schicke sie weg, wenn sie kommen. Ich möchte das allein klären“, gelingt es mir endlich, mit brüchiger Stimme, zwei zusammenhängende Sätze herauszupressen.

„Ja, Bianca, das klingt gut. Dann kannst du es dir ja bis morgen vielleicht noch anders überlegen.“ Elli tätschelt meinen Arm und quält sich ein aufmunterndes Lächeln ab. Meine Freundin erscheint mir in einem fremden Licht. Sie ist nicht authentisch, aber wie soll sie auch?

„Du hast mich nicht richtig verstanden, Elli. Ich will das nur allein klären.“ Erschöpft von meinem Aufbäumen gegen die vermeintliche Bevormundung, drehe ich den Kopf zur Seite.

Elli schweigt. Obwohl mein Gesicht abgewendet ist, spüre ich, wie sie hilflos auf mich herabschaut. Ich bin es gewohnt, dass man von oben auf mich hinunterschaut. Klein, füllig ist es mir nie gegeben gewesen, mit Menschen auf gleicher Höhe, von Angesicht zu Angesicht, zu kommunizieren. Ja, als ich noch als gefragte Journalistin, ausgestattet mit dem nötigen Selbstwertgefühl und Sachverstand unterwegs war, spielte meine Körpergröße keine Rolle. Die Gespräche fanden stets auf Augenhöhe statt. Ich erschrecke über meine abschweifenden Gedanken und versuche, mich in die Gegenwart zurückzuholen. Umfasst dann die Gegenwart auch die unmittelbar zurückliegende Vergangenheit, das Unaussprechliche? Langsam wende ich meinen Kopf und suche Ellis Blickkontakt.

„Kannst du mir einen Gefallen tun?“, flüstere ich, sodass sich Elli noch weiter zu mir herunterbeugen muss. Ich bin mir nicht sicher, ob sie mich verstanden hat und will meine Frage gerade wiederholen, als sich ihr Gesicht nahezu erleichtert aufhellt.

„Ja, natürlich, jeden, das weißt du doch, Liebes“, kommt ihre Antwort etwas zu überstürzt.

„Bitte sag Frank, dass ich von ihm keinen Besuch wünsche. Ich will ihn auf gar keinen Fall sehen“, stoße ich hastig, aber resolut hervor. Woher nehme ich nur die Kraft dazu, schießt es mir durch den Kopf und empfinde seltsamerweise seit langer Zeit Bewunderung für mich. Elli starrt mich entsetzt an, richtet sich auf und macht einen Schritt rückwärts, wobei sie fast über den Infusionsständer stolpert. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich, wie bei einem Sportler nach Höchstleistung und für Elli grenzt es an Extrembelastung, meine Bitte aufzunehmen, zu verarbeiten und dann noch angemessen zu reagieren.

„Das kannst du nicht wirklich wollen“, presst sie hervor, ohne sich wieder meinem Bett zu nähern. Eigentlich hätte sie sagen müssen, dass kannst du von mir nicht verlangen, denn Elli liebt das Verbindende, möchte stets durch positive Sichtweisen ihre Umgebung in Gleichklang halten. Mit ihrem Satz macht sie deutlich, dass sie meinen Wunsch kategorisch ablehnt, die beabsichtigte Ausgrenzung meines Mannes nicht nachvollziehen kann, für falsch hält. Sie möchte von mir für Falschmeldungen nicht missbraucht werden.

Ich bin erschöpft. Die letzten Minuten im Wachzustand waren anstrengend. Es fällt mir schwer, mich weiter auf meine Freundin zu konzentrieren. Ich fixiere die Tür und sehne die Schwester herbei, um meine angekündigte, erlösende Schlafdroge zu erhalten. Meine Gedanken schweifen ab, sind nicht mehr in der Gegenwart, bewegen sich nebulös in der Vergangenheit, einer Zeit, die ich mir doch verboten habe.

„Bianca, ich halte das für keine gute Idee. Ihr müsst jetzt zusammenhalten, vielleicht gelingt es ja, dass ihr euch gegenseitig stützt. Ach verdammt, was rede ich da. Das klingt ja irgendwie bescheuert nach Therapie aus der Frauenzeitschrift und das... ach,...“, bricht sie resigniert ab.

„Er hat mich vorher nicht gestützt, wie soll das jetzt gelingen? Wie kannst du so etwas sagen, du, die doch alles weiß?“ Meine Augen füllen sich wieder mit Tränen. Ich kann sie jedoch wegblinzeln. Elli soll gehen. Warum haut sie nicht endlich ab?

„Leif ist auch Franks Sohn. Es ist euer Kind. Du kannst nicht so tun, als gäbe es nur eine Mutter.“ Elli spricht leise, beherrscht, aber eine Spur zu vorwurfsvoll. Sie erdrückt mich.

„Neeeiiin, Leif IST nicht unser Sohn. Er WAR unser Sohn. Leif ist tot, tot, tot, in unserem Garten, auf den Steinplatten, neben der Schaukel, einfach tot. Alles rot, tot, rot, tot. Leif braucht keinen Vater mehr, ich brauche keinen Mann mehr“, schreie ich mit aller Kraft, die mir geblieben ist, heraus. Mit einer einzigen Armbewegung schleudere ich die Bettdecke von meinem Körper, richte mich auf, reiße mir die Kanüle aus der Hand, schwinge die Beine aus dem Bett und sacke haltlos winselnd zu Boden.

Irgendwie müssen sie mich wieder ins Bett zurück verfrachtet haben. Meine Glieder fühlen sich bleischwer an. Die Stimmen um mich herum kommen von weit her, klingen dumpf, scheinen unter einer Glocke gefangen zu sein. Ich wehre mich nicht gegen die Tiefe, in die mein Körper unaufhörlich fällt, den Sturz ins Vergessen.

„Es ist gut, dass sie es endlich ausgesprochen hat“, höre ich eine unbekannte männliche Stimme, bevor es schwarz wird.

Du bist böse

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